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26./27. Okt. 1962 | Deutschland-Chronik bis 2000 | bpb.de

Deutschland-Chronik bis 2000 I: Alliierte Besatzungspolitik 1. Vorentscheidungen der Siegermächte 2. Die Teilung Deutschlands 3. Wirtschafts- und Sozialreformen 4. Interzonale Verflechtungen und Sonderfall Saargebiet 5. Berlin und Berlin-Blockade II: Gründerjahre der beiden deutschen Staaten 6. Konstituierung der beiden deutschen Staaten 7. Bipolare Außenpolitik und Wiederaufrüstung im Kalten Krieg 8. Deutschlandpolitik und Berlin-Status im Kalten Krieg 9. Wirtschaft, Sozialpolitik und Gesellschaft 10. BRD und DDR: Bildungs-, Kultur-, Familien- und Jugendpolitik 1949 - 1955 III: BRD und DDR als Vorposten ihrer Schutzmächte 11. Regierung und Innenpolitik 12. Außen- und Sicherheitspolitik der beiden deutschen Staaten 13. Deutschlandpolitik und deutsch-deutscher Konflikt 1955 - 1961 14. Wirtschaft, Arbeit und Sozialpolitik 15. BRD und DDR: Bildungs- und Familienpolitik 1955 - 1961 IV: Deutschland in der Ära der Koexistenz 16. Regierungen, Parteien und Verfassung im politischen Wandel 17. Außen- und Sicherheitspolitik zwischen Konfrontation und Normalisierung 18. Deutsch-deutscher und Berlin-Konflikt im Übergang 1961 - 1969 19. Wirtschafts- und Sozialpolitik 20. Entwicklungspolitik und Weltwirtschaft 1961 - 1969/71 21. BRD und DDR: Bildung und Familie 1961 - 1969/71 V: Die deutschen Staaten im Wandel vom Ost-West-Konflikt zur Entspannung 22. Innenpolitik in der Ära Brandt/Schmidt und Honecker 23. Außen- und Sicherheitspolitik in der Ära Brandt/Schmidt und Honecker 24. Zwei Staaten, eine Nation in Deutschland 1969 - 1982 25. Berlin-Regelung und Berlin-Politik 1971 - 1982 26. Ökonomie, Umwelt und soziale Sicherung 27. Entwicklungspolitik und Weltwirtschaft 1969 - 1982 28. Familie und Jugend, Bildung und Kultur VI: Von der Ost-West-Entspannung bis zum Vorabend der 'Wende' 29. Innenpolitik in der ersten Ära Kohl und am Ende der Ära Honecker 30. Außen- und Sicherheitspolitik 31. Deutsch-deutsche Sonderbeziehungen und Berlin 1982 - 1989 32. Wirtschaft und soziale Sicherung, Umwelt und Entwicklung 33. BRD und DDR: Familie und Bildung 1982 - 1989 VII: Von der friedlichen Revolution zur staatlichen Einheit 34. »Wir sind das Volk«: Die friedliche Revolution vor und nach dem 40. Jahrestag der DDR-Gründung 35. DDR und BRD: Von der Vertragsgemeinschaft zur Einheit 36. Internationale und sicherheitspolitische Rahmenbedingungen der deutschen Einheit 37. Die Wiederherstellung der Einheit Berlins als »kleine Wiedervereinigung« 1989 - 1990 VIII: Deutschland auf dem Weg zur inneren Einheit 38. Regierungssystem und Innenpolitik in der zweiten Ära Kohl 39. Deutsche Außen- und Sicherheitspolitik nach der Einheit 40. Wirtschaft, Steuern und Sozialpolitik in Deutschland 41. Weltwirtschaft, Dritte Welt und Umwelt 1990 - 1998 42. Familien-, Jugend- und Bildungspolitik in Deutschland 1990 - 1998 IX: Kontinuität und Wandel 43. Regierungswechsel und Innenpolitik 44. Deutschland in der internationalen Politik 45. Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik 46. Weltwirtschaft, Dritte Welt und Umwelt 1998 - 2000 47. Familie und Bildung 1998 - 2000 Über die Chronik Redaktion

26./27. Okt. 1962

Spiegel-Affäre: Die Redaktions- und Verlagsräume des Nachrichtenmagazins Der Spiegel werden in Hamburg und Bonn nachts polizeilich besetzt und durchsucht. Der Herausgeber Rudolf Augstein, der Verlagsdirektor Hans Detlev Becker und mehrere leitende Redakteure werden verhaftet. Die spanische Polizei nimmt den stellvertretenden Chefredakteur und Militärexperten Conrad Ahlers im Urlaub nach Intervention des Verteidigungsministers Strauß beim deutschen Militärattaché in Madrid, Oberst Oster, auf dem Interpol-Weg vorläufig fest; freiwillig zurückgekehrt, wird er in Frankfurt a. M. verhaftet. Wegen der militärpolitischen Analyse »Bedingt abwehrbereit« (Fallex) im »Spiegel« Nr. 41 vom 10. 10. 1962 hatte die Bundesanwaltschaft - u. a. auch veranlasst durch eine Anzeige des Würzburger Völkerrechtlers Friedrich August von der Heydte - ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und beim Verteidigungsministerium ein Gutachten eingeholt; es kam am 19. 10. zu dem Ergebnis, Bundeswehrangehörige hätten Staatsgeheimnisse verraten. Daraufhin erließ der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe am 23. 10. 1962 Haft- und Durchsuchungsbefehle wegen des Verdachts des Landesverrats, der landesverräterischen Fälschung und der Aktivbestechung. Verteidigungsminister Strauß, den der Bundestag am 25. 10. 1962 gegen die Stimmen der SPD vom Vorwurf befreit hatte, er habe in der »Fibag-Affäre« seine Dienstpflichten verletzt, erklärt zunächst, er habe mit der Spiegel-Affäre »nichts« zu tun, gibt aber am 9. 11. zu, er sei aktiv an der Festnahme Ahlers' in Südspanien beteiligt gewesen. Adenauer spricht am 7. 11. im Bundestag von einem »Abgrund von Landesverrat im Lande«; der »Spiegel« betreibe ihn »systematisch, um Geld zu verdienen«. Justizminister Stammberger (FDP), der von der Aktion gegen den »Spiegel« verspätet am 27. 10. unterrichtet worden war, will zurücktreten, bleibt aber im Amt, da die Staatssekretäre Walter Strauß (Justiz) und Volkmar Hopf (Verteidigung) die Verantwortung dafür übernehmen, dass er als zuständiger Minister nicht informiert worden ist, und ihre Posten verlieren. Die Hamburger Zentrale des »Spiegel« bleibt bis zum 26. 11. 1962 besetzt. Die Spiegel-Ausgabe Nr. 44 steht unter Vorzensur. Am 13. 5. 1965 lehnt der Bundesgerichtshof wegen fehlender Beweisgründe ab, das Hauptverfahren gegen Augstein und Ahlers (später Regierungssprecher 1966- 1972) zu eröffnen; andere Verdächtigte - u. a. der verhaftete Oberst Adolf Wicht vom Bundesnachrichtendienst - sind bereits vorher außer Verfolgung gesetzt worden. Die Bonner Staatsanwaltschaft stellt am 3. 6. 1965 das Ermittlungsverfahren gegen Strauß, Hopf und Oster wegen Freiheitsberaubung und Amtsanmaßung infolge Fehlens subjektiver Straftatbestände ein. Die Verfassungsbeschwerde des »Spiegel« scheitert am 5. 8. 1966 am Patt der acht Bundesverfassungsrichter, da nur vier von ihnen die Ansicht vertreten, dass die Haft- und Durchsuchungsbefehle gegen das Grundgesetz verstoßen hätten. Das Minderheitsvotum wird erstmals veröffentlicht. Die Spiegel-Affäre löst leidenschaftliche Kontroversen in der öffentlichen Meinung aus: Hatte der Schutz von Staatsgeheimnissen Vorrang vor der verfassungsrechtlich garantierten Meinungs- und Pressefreiheit oder umgekehrt? Und wie soll im Konfliktfalle eine Güterabwägung zwischen beiden Werten stattfinden? Wo liegen die Straftatbestände, Grenzen und Grauzonen des Landesverrats? An diesen Diskussionen beteiligen sich auch bisher politisch desinteressierte oder wenig engagierte Bevölkerungsgruppen. Mit der Spiegel-Affäre hatte die junge Demokratie der BRD eine wichtige Bewährungsprobe (»Reifeprüfung«) bestanden.