In den Jahrzehnten des deutschen Vormärz entfalteten sich sehr vielfältige und widersprüchliche Entwicklungspfade. Während eine wirtschaftliche Modernisierung einsetzte und die Kultur aufblühte, stagnierte die politische Entwicklung und wurde immer wieder durch Phasen der Restauration und Repression zurückgeworfen.
Der Begriff “Vormärz“ für die Jahrzehnte der deutschen Geschichte vor der Revolution von 1848 ist problematisch. Er definiert einen Zeitraum von dem Wissen her, was anschließend geschah. Das führt zur Vernachlässigung des eigenständigen Charakters dieser Epoche. Doch alternative Begriffe sind noch umstrittener: Mit dem Begriff Biedermeierzeit, der vor allem in der Literatur- und Kulturgeschichte verwendet wird, assoziiert man eine Idylle, welche für die Realität des Vormärz untypisch ist; auch der Terminus Restaurationszeit, der auf die vermeintliche Rückwärtsgewandheit der Epoche verweist, verkürzt die Widersprüchlichkeit des Zeitraums.
Auch in zeitlicher Hinsicht ist der Begriff „Vormärz“ nicht eindeutig. Manche Auffassungen lassen seine Zeit erst mit der direkten Vorgeschichte der Märzrevolution beginnen, zumeist mit dem Jahr 1840, als der Thronwechsel in Preußen und die Krise um den Rhein als deutsch-französische Grenze einen markanten Einschnitt im Geschichtsverlauf signalisierten. Andere Darstellungen lassen den Vormärz im Jahr 1830 anfangen, als unter dem Einfluss der Julirevolution in Frankreich auch in Deutschland die Verfassungsbewegung einen Aufschwung erlebte. Am zeitlich umfassendsten ist das Verständnis, das die Epoche des Vormärz mit dem Abschluss des Wiener Kongresses 1815 beginnen lässt.
Zudem ist eine Klärung des territorialen Umfangs des „deutschen“ Vormärz notwendig. Bis zur Auflösung des Deutschen Bundes im Jahr 1866 umfasste Deutschland auch Österreich, genauer gesagt: den westlichen, mehrheitlich deutschsprechenden Teil des riesigen Habsburger Reiches. Doch mussten die in Wien regierenden österreichischen Kaiser und ihre mit Fürst Metternich als Staatskanzler an der Spitze stehenden Regierungsbehörden stets darauf bedacht sein, auch ihre viel größeren und nicht deutschsprechenden Gebiete in Ungarn, Galizien, Siebenbürgen, Oberitalien und Dalmatien in ihrem multiethnischen Herrschaftsverband zu halten.
Wenn zu dieser Rücksichtnahme auf ein Vielvölkerreich noch die Tendenz zu einer anachronistischen und repressiven Verwaltung im österreichischen Kaiserreich hinzukam, war die Neigung zur Isolierung Österreichs im vormärzlichen Deutschland groß. Doch ist es für das Verständnis der Epoche des deutschen Vormärz wichtig, auf sie nicht nur aus dem späteren Blickwinkel der kleindeutschen Nationalstaatlichkeit zu schauen.
Nach der äußeren Befreiung von der napoleonischen Fremdherrschaft 1813 bis 1815 erwarteten viele Deutsche, insbesondere die Jüngeren, die ihr Leben auf dem Schlachtfeld riskiert hatten, eine innere Emanzipation von den feudalen und absolutistischen Strukturen, die das Alte Reich geprägt hatten. Die vom Wiener Kongress für den Deutschen Bund mit seinen 41 Mitgliedstaaten beschlossene Bundesakte kündigte in ihrem Artikel 13 „landständische Verfassungen“ an. Damit waren politische Systeme gemeint, in denen entsprechend dem Typus der konstitutionellen Monarchie den nach einem Zensuswahlrecht gewählten Parlamenten legislative Mitspracherechte und den Untertanen staatsbürgerliche Rechte eingeräumt wurden, die Monarchen aber Träger der Souveränität und der Staatsgewalt blieben.
Solche frühkonstitutionellen Verfassungen wurden noch während und unmittelbar nach dem Wiener Kongress in mehreren deutschen Kleinstaaten vereinbart, mit Sachsen-Weimar-Eisenach an der Spitze; zwischen 1818 und 1820 folgten die vier süddeutschen Mittelstaaten Bayern, Baden, Württemberg und Hessen-Darmstadt. Doch Österreich und Preußen, die beiden Großmächte an der Spitze des Deutschen Bundes, verweigerten sich der Verfassungsbewegung bis zum Ausbruch der Märzrevolution, obwohl der preußische König Friedrich Wilhelm III. dreimal ein Verfassungsversprechen abgab.
Das Wartburgfest 1817
Einen weit beachteten Aufschwung nahm die deutsche Einheits- und Freiheitsbewegung mit dem Wartburgfest am 18. Oktober 1817. Sein Anlass war das Gedenken an den Beginn der Reformation 300 Jahre zuvor mit Luthers Wittenberger Thesenanschlag und der vierte Jahrestag der Leipziger Völkerschlacht von 1813. Etwa 500 Studenten von überwiegend evangelischen Universitäten und einige Jenaer Professoren zogen von der Stadt Eisenach auf die Burg und forderten „Ehre, Freiheit, Vaterland“.
Das Fest wurde von der 1815 an der Universität Jena gegründeten ersten studentischen Burschenschaft organisiert. Diese studentische Veranstaltung – vom Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach als dem zuständigen Landesherrn genehmigt und gefördert – lief aus dem Ruder, als anschließend einige Studenten entgegen der Programmabsprache in der Nähe vorgeblich reaktionäre Bücher und Symbole des absolutistischen Militärsystems verbrannten. Damit kündigte sich eine gesinnungsethische und nationalistische Radikalisierung der Studentenbewegung an, die das Misstrauen des Deutschen Bundes schürte.
Die repressiven Maßnahmen der restaurativen Kräfte setzten mit voller Kraft ein, als zwei Jahre später, im März 1819, der Student Carl Sand den deutschen Lustspieldichter und russischen Generalkonsul August von Kotzebue als angeblichen Volksverräter erdolchte. Der Deutsche Bund unter Leitung von Österreichs Staatskanzler Fürst Metternich organisierte mit seinen Karlsbader Beschlüssen die Verfolgung von sogenannten Demagogen unter den Studenten und mit ihnen sympathisierenden Professoren, verbot die Burschenschaften, unterwarf die Universitäten einem rigiden Überwachungssystem und führte die Zensur für Bücher und Presse ein. So herrschte in den 1820er Jahren eine Zeit der politischen Friedhofsruhe.
Das Hambacher Fest 1832
Das änderte sich, als im Jahr 1830 durch die Julirevolution in Frankreich sich die dortige Monarchie den bürgerlichen Kräften öffnete und es in Polen zu Aufständen gegen die russische Zarenherrschaft kam. Nun gaben sich auch die deutschen Mittelstaaten Kurhessen, Sachsen und Hannover Verfassungen. Doch die Forderungen der liberalen Bewegung gingen inzwischen weiter als die Gewährung von Konstitutionen in den Einzelstaaten, sie richteten sich auf die Herstellung der gesamtdeutschen Einheit, die Sicherung allgemeiner Freiheitsrechte und die Durchsetzung des demokratischen Prinzips der Volkssouveränität.
Eines der zentralen Ereignisse dieser Fortschrittsbewegung wurde im Mai 1832 das Hambacher Fest. Dabei zogen 20.000 und 30.000 Bürger von der Stadt Neustadt an der Weinstraße auf die vier Kilometer entfernte Hambacher Schlossruine, hörten emphatische Reden über den beginnenden europäischen Völkerfrühling, sangen Lieder und schwenkten Fahnen in den Farben Schwarz, Rot und Gold, die schon beim Wartburgfest gezeigt worden waren, allerdings nicht immer in der Reihenfolge, die später für die demokratische Nationalflagge Deutschlands festgelegt wurde.
Die Göttinger Sieben
Erneut reagierten die im Deutschen Bund versammelten restaurativen Kräfte mit verschärften Verbotsmaßnahmen gegen politische Vereinigungen, öffentliche Kundgebungen und Volksversammlungen sowie der Untersagung des Zeigens schwarz-rot-goldener Farben. Doch auf Dauer konnte die liberale Bewegung nicht unterdrückt werden. Das zeigte sich 1837 in der öffentlichen Reaktion auf die willkürliche Entlassung von sieben Göttinger Professoren unter Führung des Historikers und Politiklehrers Friedrich Christoph Dahlmann und der Germanisten Jacob und Wilhelm Grimm. Sie hatten eine Protestation gegen die Aufhebung des hannoverschen Staatsgrundgesetzes durch den neuen König Ernst August verfasst.
Nachdem die Professoren von ihren Lehrstühlen enthoben und drei von ihnen des Landes verwiesen worden waren, entfaltete sich in ganz Deutschland eine Solidaritätskampagne mit Unterstützungsadressen und Geldsammlungen, welche auf Jahre die Weiterzahlung der Gehälter an die stellungslosen Hochschullehrer ermöglichte.
Politische Vereinigungen mochten verboten sein, doch die bürgerlichen Kräfte verstanden es, auf die gesellschaftliche Ebene auszuweichen. Im vormärzlichen Deutschland blühte das Vereinswesen auf, vor allem mit Gesangsvereinen, Lesegesellschaften und Turngemeinschaften. Nach lokalen Aktivitäten kam man zu regionalen Versammlungen zusammen, und in den 1840er Jahren standen schließlich gesamtdeutsche Treffen – wie die schon 1822 gegründeten Jahrestreffen der deutschen Naturforscher und Ärzte sowie von Germanisten, Philologen und Rechtsgelehrten – auf der Tagesordnung.
Frühindustrialisierung
Zu dieser Evolution Deutschlands als einer “Kommunikationsnation“ (Karl W. Deutsch) trug wesentlich der Aufschwung im Verkehrswesen bei. Dampfmaschinen beschleunigten zunächst die Schifffahrt; geradezu revolutionär war dann die Entfaltung des dampfgetriebenen Eisenbahnverkehrs. Den Anfang machte die lokale Verbindung Nürnberg-Fürth (1835); größere Bedeutung kam der 100 km langen Strecke in Sachsen zwischen der Handelsmetropole Leipzig und der Hauptstadt Dresden (1839) zu.
Danach explodierte in Deutschland der Bau von Eisenbahnlinien, meist durch neu gegründete Aktiengesellschaften finanziert. 1850 bestand bereits ein Netz von 6000 km Länge. Dadurch kam es einer sprunghaften Erweiterung von Gütermärkten, persönlicher Mobilität und finanziellen Aktivitäten. Zur vormärzlichen Kommunikationsrevolution gehörte auch 1837 die Erfindung des elektromagnetischen Telegraphen durch die Göttinger Professoren Carl Friedrich Gauß und Wilhelm Weber.
Der Eisenbahnbau wurde zum Motor der industriellen Entwicklung. Die ersten Schienen, Lokomotiven und Waggons, selbst Lokomotivführer, mussten noch aus England, dem Mutterland der Industrialisierung, importiert werden. Doch bald übernahmen Fabrikanten wie August Borsig beim Lokomotivbau in Berlin und die Familie Friedrich Krupp in Essen bei der Herstellung von Schienen aus Stahl und nahtlosen Eisenbahnrädern das Geschäft.
Es war unübersehbar: Deutschland wuchs zu einer Wirtschaftsnation zusammen. Dazu trug wesentlich die von Preußen ausgehende Zollvereinsbewegung bei, durch welche die Zölle zwischen den deutschen Staaten wegfielen. Fast alle deutschen Staaten außer den beiden Hansestädten Hamburg und Bremen, Hannover sowie Österreich gehörten dem 1834 gegründeten Deutschen Zollverein an.
Sozialer Wandel
Die technologischen Innovationen und wirtschaftlichen Veränderungen führten zu einem einschneidenden sozialen Wandel. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden in Deutschland die Fundamente für den Übergang von einer vormodern geprägten Gesellschaft zu einer modernen bürgerlich-industriellen Gesellschaft gelegt, die Standes- wurde durch eine Klassengesellschaft abgelöst. Beruhte in den vorangegangenen Zeiten das vorherrschende Feudalsystem auf den statischen Prinzipien von Geburt und Hierarchie, so gewannen nun Besitz und Bildung als dynamische Mobilitätskriterien des sozialen Aufstiegs, aber auch des Abstiegs immer mehr an Bedeutung.
Allerdings dominierte weiterhin, insbesondere in Preußen durch seinen ostelbischen Großgrundbesitz, vor allem aber in Österreich der Adel, der auch die Führungspositionen in der höheren Beamtenschaft einschließlich der Regierungen und im militärischen Offizierskorps besetzte und durch die Erhebung aufstiegsorientierter Bürgerlicher in den Adelsstand absicherte. Doch im Staatsdienst, vor allem auf der mittleren und unteren sowie auf der kommunalen Ebene, gelang im Gefolge des Bildungs- und Leistungsprinzips immer mehr Bürgerlichen der gesellschaftliche Aufstieg. Zur sehr heterogenen Schicht des Bildungsbürgertums gehörten Verwaltungsbeamte, Richter und Rechtsanwälte, Geistliche, Hochschul- und Gymnasiallehrer sowie Ärzte. Sie alle profitierten von der großen Aufwertung, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Universitäten und Wissenschaften in Folge der preußischen Bildungsreformen unter Wilhelm von Humboldt erfuhren. Das Bildungsbürgertum wurde zwar nicht zahlenmäßig, aber im öffentlichen Prestige die führende Kraft, an der sich die anderen gesellschaftlichen Gruppen orientierten. Am linken Rande des Bildungsbürgertums standen mittellose Intellektuelle wie der Philosoph und Journalist Karl Marx und Dichter wie Heinrich Heine, Ludwig Börne und Georg Herwegh, die zu Vordenkern der Demokratie und Revolution wurden und vielfach ins Exil gehen mussten.
Durch die frühindustrielle Revolution im Vormärz gelangten auch besitzbürgerliche Schichten zu erheblichem gesellschaftlichen Einfluss. Sie setzten sich aus der kleinen Gruppe von Handwerkern und Kaufleuten zusammen, die nach den Gewerbereformen vom Beginn des 19. Jahrhunderts aufsteigen konnten. In den preußischen Westprovinzen Rheinland und Westfalen mit ihren Kohle- und Eisenvorräten gelang leistungsorientierten und risikobereiten Unternehmern wie den Krupps, Stinnes und Thyssens der Aufstieg zu Bergwerksinhabern und Fabrikherren.
Die Finanzierung ihrer Projekte übernahmen Bankiers, die oft von den religiösen Ideen des protestantischen Calvinismus geprägt waren. Sie unterstützten in der politischen Öffentlichkeit nicht nur die konstitutionellen Forderungen des Liberalismus, sondern gelegentlich auch weitergehende Projekte der sich radikalisierenden Intelligenz wie die in Köln 1842/43 erscheinende „Rheinische Zeitung“ unter Karl Marx als ihrem letzten leitenden Redakteur, bis die Berliner Obrigkeit die Publikation verbot und Marx ins Exil ging.
Am unteren Ende der sich entfaltenden Gesellschaft standen im vormärzlichen Deutschland die „Paupers“, ein aus dem Englischen stammender Begriff für die mittelosen Armen, für die sich auch die zeitgenössische und abschätzige deutsche Bezeichnung „Pöbel“ einbürgerte. Diese große Gruppe setzte sich in erster Linie aus den durch die sogenannte Bauernbefreiung freigesetzten gutsabhängigen Landarbeitern zusammen. Sie fanden in der sich rationalisierenden Agrarwirtschaft keine Stellung mehr und zogen in die Städte und ihr Umfeld, um dort prekäre Beschäftigung zu finden, stiegen aber oft zu arbeitslosen Armen ab und wurden von der überforderten kommunalen Armenversorgung abhängig. Hinzu kam die Mehrzahl der Handwerksgesellen und -meister, welche nach der Aufhebung der Zunftordnung nicht zu Unternehmern aufsteigen konnten, sondern zu Tagelöhnern und oft auch arbeitslosen Armen abgestiegen waren.
Diese sozialstrukturellen Ursachen der Massenarmut im Vormärz wurden noch durch eine demographische Besonderheit verstärkt. Während in der vorangegangenen Zeit ein relatives Gleichgewicht zwischen Geburts- und Sterblichkeitsquote geherrscht hatte, kam es zwischen 1770 und 1860 zu einem enormen Bevölkerungswachstum aufgrund sinkender Sterblichkeit und der nach dem Wegfall der ständischen Begrenzungen von Ehe- und Familiengründungen noch weiter anwachsenden Geburtenrate. So nahm die Bevölkerung in Preußen von 10,6 Mio. im Jahr 1816 auf 16,6 Mio. im Jahr 1848 zu.
Vor den Toren der Städte wie zum Beispiel Berlins entstanden Elendsviertel, in denen die Mehrzahl der Bewohner unter katastrophalen sanitären sowie oft auch sittlichen Verhältnissen am Existenzminimum lebte. Auch die erst langsam einsetzende Auswanderungswelle nach Amerika brachte zunächst keine wesentliche Entlastung. Eine dauerhafte Entschärfung dieser vormärzlichen Massenarmut kam erst durch die Herausbildung der Fabrikarbeiterschaft, die aber in Deutschland zusammen mit der eigentlichen Industrialisierung erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts voll einsetzte und auch von sozialen Missständen begleitet wurde.
Widersprüchliche und vielfältige Entwicklungen vor 1848
Für das Besitz- und Bildungsbürgertum, das mit seinen politischen Positionen eines konstitutionellen Liberalismus in der Mitte des politischen Spektrums stand, war im Königreich Preußen der Thronwechsel im Jahr 1840 mit Hoffnungen auf Reformen und die Erfüllung des Verfassungsversprechens verbunden. Friedrich Wilhelm IV. galt als ein an Ausgleich und Frieden orientierter Herrscher. Als erstes begnadigte er die von seinem Vater als Demagogen verfolgten Professoren und Studenten; auch die immer noch stellungslosen Göttinger Sieben erhielten wieder akademische Ämter. Ein großes Zeichen der Versöhnung zwischen dem protestantischen Königshaus und den überwiegend katholischen Westprovinzen war die Entscheidung des Königs im Jahr 1842, die Vollendung des mittelalterlichen Kölner Doms zu fördern, der schließlich 1880 fertiggestellt wurde.
Doch bald verdunkelte sich die wirtschaftliche und soziale Großwetterlage wieder. Die in Deutschland bei der Textilherstellung vorherrschende Verarbeitung von Wolle und Flachs (Leinen), die zumeist in Heimarbeit in ärmlichen Agrar- und Bergregionen erfolgte, sah sich der überwältigenden Konkurrenz durch englische Fabriken ausgesetzt. In ihnen wurden Textilprodukte aus Baumwolle maschinell erzeugt, die aus britischen Kolonien stammte. Es kam zu Protesten der Heimarbeiter gegen ihre Verleger, die den Rohstoff lieferten und die Fertigwaren verkauften.
Zur bekanntesten dieser Unruhen wurde der Weberaufstand in Oberschlesien 1844. Hinzu trat in der Mitte der 1840er Jahre der Ausbruch von dramatischen Hungerkrisen infolge des anhaltenden demografischen Wachstums und von gravierenden Missernten. In ganz Europa grassierte 1846/47 die Fäule von Kartoffeln, dem Hauptnahrungsmittel der ärmeren Bevölkerung. Es kam zu Unruhen auf Wochenmärkten und in Bäckereien; nur mit Polizeigewalt und dem Einsatz von Militär konnten in den östlichen Landesteilen Preußens Ruhe und Ordnung wiederhergestellt werden.
Ruhiger blieb es in den preußischen Westprovinzen, in denen die durch die industrielle Revolution eingeleitete Wohlstandsentwicklung weiter vorangeschritten war. Das rheinisch-westfälische Besitz- und Bildungsbürgertum drängte auf stärkere Mitsprache am politischen Geschehen, doch die Einberufung eines Vereinigten Landtags aus den ständischen Versammlungen der verschiedenen preußischen Provinzen im Frühjahr 1847 erfüllte die weitverbreitete Forderung nach einer preußischen Nationalversammlung kaum, der König bestand auf seinem Gottesgnadentum.
Auf gesamtdeutschen Treffen gesellschaftlicher Art wie dem Heidelberger Turnertreffen Mitte Juni 1847, dem zwei Wochen später in Lübeck stattfindenden Sängerfest und den Germanistenversammlungen im September 1846 in Frankfurt am Main und ein Jahr später ebenfalls in Lübeck wurde als zwingende Folgerung aus der gemeinsamen Erfahrung der geselligen und kulturellen Einheit die Überwindung der politischen Vielstaatlichkeit in Deutschland beschworen. Ganz offen erhoben wurden politische Forderungen von südwestdeutschen Demokraten im September 1847 auf ihrer Versammlung im badischen Offenburg und den Liberalen einen Monat später in ihrem Heppenheimer Programm.
Beim Blick zurück vom Beginn des Jahres 1848 auf die vorangehende Zeit des Vormärzes, wann immer man sie anfangen lässt, fällt einem mit dem Philosophen Ernst Bloch die „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ auf. Die Entwicklungen auf den Gebieten von Gesellschaft, Kultur, Politik, Technologie und Wirtschaft verliefen sehr unterschiedlich. In Deutschland setzte durch technische Innovationen in dieser Epoche eine wirtschaftliche Modernisierung ein, wenn auch verzögert gegenüber England als dem Vorreiter der Industriellen Revolution. Sie führte zu gravierenden Veränderungen in der Sozialstruktur, während die Kultur unter dem Einfluss der Romantik aufblühte.
Gleichzeitig stagnierte die politische Entwicklung und wurde immer wieder durch Phasen der Restauration und Repression zurückgeworfen. Deutschland wuchs im Vormärz, mit der Begrifflichkeit des Historikers Friedrich Meinecke , zu einer tendenziell kleindeutschen Kultur- und Wirtschaftsnation zusammen, es galt in den Erwartungen vieler Zeitgenossen als nur noch eine Frage der Zeit, bis es auch zu einer Staatsnation werden würde.
In diesen Jahrzehnten des deutschen Vormärz entfalteten sich sehr vielfältige und widersprüchliche Entwicklungspfade. Allgemein herrschte zu Beginn des Jahres 1848 in der Öffentlichkeit das Gefühl, dass Veränderungen vor der Tür standen, doch die Meinungen über ihre Richtung waren zwiespältig. So herrschte neben Hoffnung auch viel Verunsicherung. Die Epoche des Vormärz ist ein Beleg dafür, dass Geschichte grundsätzlich als offener Prozess zu verstehen ist.
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