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Der Nationalstaat von 1848/49 in der deutschen Verfassungs- und Staatsgeschichte | Die Revolution von 1848/49 | bpb.de

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Der Nationalstaat von 1848/49 in der deutschen Verfassungs- und Staatsgeschichte

Dieter Langewiesche

/ 10 Minuten zu lesen

Der Verfassungsentwurf der Frankfurter Nationalversammlung sah einen deutschen Nationalstaat nach kleindeutscher Lösung als konstitutionelle Monarchie vor. In ihm waren zentrale Grund- und Bürgerrechte enthalten. Er legte auch den Grundstein für den Parlamentarismus in Deutschland.

Paulskirchenversammlung, Schulwandbild. Farbdruck nach Aquarell von Albert Dierkes. Aus der Serie: Wandbilder zur Geschichte, Bochum (Paul Stockmann) 1958. Dortmund, Westfälisches Schulmuseum. (© picture-alliance/akg)

1848/49 entstand erstmals ein deutscher Nationalstaat. Allerdings noch nicht dauerhaft. Die jahrhundertelange Geschichte deutscher Vielstaatlichkeit unter einem staatenbündisch-föderativen Dach – dem Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, dann dem Deutschen Bund – schien zu enden. Dies stellte einen Geschichtsbruch dar. Das „vielgestaltige Deutschland“ ist in den Revolutionsjahren auf dem Wege zur „Staatseinheit“, wie es bereits in dem ersten Entwurf einer Reichsverfassung hieß.

Diese legte im April 1848 der Siebzehner-Ausschuss vor, der vom Deutschen Bund eingesetzt worden war, bevor er unter dem Druck der Revolution seine Tätigkeit still einstellte. Über diesen Verfassungsentwurf ging die Revolution hinweg. Doch auch die neuen Institutionen, die aus der Revolution hervorgingen, mussten auf zwei große Fragen Antworten finden: Welche Gebiete des multinationalen Deutschen Bundes sollen den deutschen Nationalstaat bilden? Welche Verfassungsordnung soll er erhalten? Beide Fragen waren miteinander verbunden und politisch außerordentlich umstritten.

Der Deutsche Bund 1848. Lizenz: cc by-nc-nd/4.0/deed.de

Wo das künftige Deutschland liegt und wie es staatlich geordnet wird, darüber berieten zwei Nationalversammlungen. Die Abgeordneten, die in Frankfurt am Main zusammenkamen, hatten die Aufgabe, dem Deutschen Bund eine neue staatliche Gestalt zu geben. Für die Habsburgermonarchie versuchten dies die Abgeordneten zu erreichen, die in Wien und nach den dortigen Oktoberkämpfen im mährischen Kremsier/Kroměříž tagten. Für die habsburgischen Territorien, die zum Deutschen Bund gehörten, beanspruchten beide Nationalversammlungen zuständig zu sein. Daher waren Konflikte zwischen den beiden Parteien, die sich auf einen deutschen Nationalstaat beriefen, unvermeidbar. Aus dem Deutschen Bund einen deutschen Nationalstaat zu formen, bedeutete, die staatliche Ordnung im gesamten mitteleuropäischen Raum und im Süden bis an Adria aufzubrechen. Die Vorstellung, einer deutschen Nation anzugehören, war zwar bereits in der Zeit des Reiches entstanden und hatte sich im Deutschen Bund ideell und organisatorisch verfestigt, doch das Reich und auch der Bund waren europäische Gebilde.

Noch am Vorabend der Revolution von 1848 gehörten zum Deutschen Bund auch die Könige der Niederlande (mit Luxemburg und Limburg) und Dänemarks (mit Holstein und Lauenburg). Mit seinen multinationalen habsburgischen Gebieten erstreckte der Deutsche Bund sich bis nach Triest. Dies alles zu entflechten und territorial neu zu gestalten, musste zwangsläufig zu Konflikten zwischen den Staaten und auch zwischen den Nationen in diesen Räumen führen. Die Revolution erzeugte überall in Europa einen mächtigen Schub an Nationalisierung. Deshalb erregten Rivalitäten um Gebiete nationale Emotionen, und aus dem Völkerfrühling, wie Zeitgenossen hoffnungsfroh die revolutionären Anfänge nannten, gingen erbitterte Nationalitätenkämpfe hervor.

Nationalstaat oder Nationalitätenstaat?

Das nationalstaatliche Einheitsideal, wonach jede Nation im eigenen Staat zusammen möglichst ohne andere nationale Minderheiten lebt, hätte sich auf dem Gebiet des Deutschen Bundes und der Habsburgermonarchie nur mit enormer Gewalt verwirklichen lassen. Welche Möglichkeiten zur nationalen Selbstbestimmung gab es, ohne die geschichtlich überkommene Staatenordnung in einem großen europäischen Krieg zu sprengen? Die Revolution setzte dieses Problem 1848 erstmals auf die Tagesordnung der europäischen Geschichte. Lösen konnte sie es nicht, doch in den Revolutionsjahren wurde der mitteleuropäische Raum zu einem nationalpolitischen Laboratorium, in dem Lösungsmöglichkeiten diskutiert und erprobt wurden, die weiterwirkten, als in den folgenden Jahrzehnten Nationalstaaten in Italien und Deutschland entstanden und die Habsburgermonarchie reorganisiert wurde.

Nationalstaatsmodelle

Ob Deutschland zu einem Nationalstaat oder Nationalitätenstaat würde, ob also die deutsche Nation sich zur alleinigen Staatsnation erklären oder alle Nationalitäten gleichberechtigt einen Nationalitätenstaat bilden würden, war eine der Grundfragen, die Mitte des 19. Jahrhunderts zur Debatte standen. Die Frankfurter Nationalversammlung setzte auf den Nationalstaat, der österreichische Reichstag auf den Nationalitätenstaat. Beide Konzepte waren föderativ ausgelegt, und nach beiden wäre der Raum des Deutschen Bundes geteilt worden in einen kleindeutschen Staat ohne Österreich, das auch nach dem Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation weiterhin deutsche Vormacht geblieben war und ein habsburgisches Reich mitsamt den österreichischen Bundesgebieten. Beide hätten mit der Reichsgeschichte radikal gebrochen. Die habsburgische Staatsspitze lehnte dies ab, doch auch die Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche schreckte vor der endgültigen Entscheidung zurück und wollte sie der Zukunft überlassen.

Die Verfassung der Paulskirche sah eine kleindeutsche Übergangslösung vor und hoffte auf eine spätere großdeutsche Ergänzung (§ 87): „So lange die deutsch-österreichischen Lande an dem Bundesstaate nicht Theil nehmen“, werden ihre Plätze im Staatenhaus des neuen Deutschen Reiches auf andere Mitgliedsstaaten verteilt. Im reformierten habsburgischen Reich sollten die Nationalitäten innerhalb der historischen Länder Selbstverwaltungskreise erhalten, im neuen Deutschland wurde den „nicht deutsch redenden Volkstämmen“ kulturelle Autonomie und sprachliche „Gleichberechtigung“ in allen Verwaltungsbereichen zugesichert (§ 188).

Beiden verfassungsgebenden Versammlungen fehlte die Macht, ihre Verfassungsentwürfe gegen den preußischen König und den österreichischen Kaiser durchzusetzen. Doch auch die Monarchen scheiterten mit ihren Plänen. Die Habsburgermonarchie blockierte 1850 Preußens nachrevolutionären Versuch, einen kleindeutschen Bundesstaat zu bilden. Preußen verhinderte die Pläne Habsburgs, sein Gesamtreich in eine institutionelle Verbindung zum kleindeutschen Raum zu bringen. Keine Seite war damals bereit, die alte deutsche Kaisermacht Österreich endgültig aus der deutschen Nation auszugliedern. Nicht nur die Paulskirchenverfassung, auch Preußens Erfurter Unionsverfassung von 1849/50 ließ das künftige Verhältnis des erhofften kleindeutschen Nationalstaates zu Österreich offen.

In der Habsburgermonarchie, eine Union von Gebieten mit sehr unterschiedlichen Rechten, konzentrierten sich die Reformer zwar darauf, einen einheitlichen habsburgischen Gesamtstaat zu erschaffen, doch auch sie wollten ihn mit dem neuen Deutschland institutionell verbinden. Im Ausschluss der „deutschen Lande Oesterreichs“ sah man eine „Verstümmelung Deutschlands“, wie es der österreichische Ministerpräsident Fürst Schwarzenberg am 4. Februar 1849 gegenüber seinem Bevollmächtigten bei der Frankfurter Reichsregierung formulierte. Die multinationalen österreichischen Gebiete des Deutschen Bundes rechnete er wie die meisten Zeitgenossen weiterhin zum deutschen „Gesamtvaterland“.

Da sich weder der preußische noch der habsburgische Monarch und auch nicht die beiden Nationalversammlungen mit ihren Vorstellungen zur staatlichen Neuordnung durchsetzen konnten, wurde der Deutsche Bund reaktiviert. Einen deutschen Nationalstaat zu gründen war misslungen, doch die Revolutionsjahre hatten geklärt, was in Zukunft möglich sein könnte und was nicht: mit Österreich war kein deutscher Nationalstaat, eine Trennung von Österreich nicht ohne Krieg möglich. Vor ihm schreckte der preußische König 1850 noch zurück, 1866 nicht mehr. Das Ende des Deutschen Bundes und das Ausscheiden Österreichs aus Deutschland wurden 1866/67 durch einen innerdeutschen Krieg erreicht, in dem die meisten deutschen Staaten an der Seite Österreichs standen. Der kleindeutsche Nationalstaat von 1871 ging aus einem französisch-preußischen Krieg hervor, den die nationalen Emotionen zum deutsch-französischen Nationalkrieg werden ließen.

Deutsches Kaiserreich 1871. Lizenz: cc by-nc-nd/4.0/deed.de

Der Nationalstaat als Kriegsprodukt war europäische Normalität. Im 19. Jahrhundert entstand kein Nationalstaat ohne Krieg, und auch im 20. Jahrhundert waren es Kriege, mit denen mehrfach die Staatenordnung Europas tiefgreifend verändert wurde. Auch in den europäischen Revolutionen von 1848 hatten Kriege über die Versuche, Staaten zu gründen, entschieden. Die gegenrevolutionäre Allianz der russischen, habsburgischen und preußischen Monarchen beendete mit dem Einsatz ihrer überlegenen Militärmacht die nationalpolitischen Hoffnungen in Deutschland, Österreich, Ungarn und Italien. Ohne erfolgreichen Krieg gab es keine erfolgreiche Revolution und keinen neuen Nationalstaat — diese historische Erfahrung bestätigten die europäischen Revolutionen von 1848.

In diesen Revolutionen standen mit den nationalpolitischen Optionen auch unterschiedliche Staatsordnungen zur Debatte. Ein unitarischer Nationalstaat wäre nur als Republik möglich gewesen. Jedoch wäre kein Monarch freiwillig abgetreten. Das stand den Zeitgenossen seit der großen Französischen Revolution vor Augen. 1848 zeigte sich zwar erneut in Frankreich, dass eine Republik auch ohne die Revolutionierung der Gesellschaft möglich war. Doch die zweite Französische Republik blieb kurzlebig. Ungarns Weg in eine nationalstaatliche Republik scheiterte 1849 am russischen Militär, das dem österreichischen Kaiser und König von Ungarn zu Hilfe kam. In Deutschland blieben die Republikaner schon in den Anfängen der Revolution in der Minderheit. Mit ihr scheiterten alle Hoffnungen auf einen unitarischen und republikanischen Nationalstaat.

In den deutschen Staaten wurden liberale Regierungen eingesetzt und Parlamente gewählt. Die deutsche Revolution ereignete sich also in zwei Arenen – in der einzelstaatlichen und in der nationalen. Damit war die Grundentscheidung früh gefallen: Der deutsche Nationalstaat sollte ein föderativer Bundesstaat mit einem monarchischen Haupt werden. Die Einzelstaaten würden mitsamt ihren Institutionen vom Fürsten über Regierung und Parlament bis zu den Kirchen und Gemeinden fortbestehen, der neue Nationalstaat würde sich Deutsches Reich nennen und einen Kaiser als Oberhaupt erhalten. Dies schuf eine Brücke zur Reichsgeschichte. Der Nationalstaat brach mit ihr, seine monarchisch-bundesstaatliche Gestalt knüpfte wiederum an dieser an. Doch die Kaiserwürde sollte von der habsburgischen auf die preußische Dynastie übergehen.

Verfassungsordnung der Paulskirche

Die Verfassungsordnung der Paulskirche ließ die Einzelstaaten als Glieder des Bundesstaates fortbestehen, doch die neuen Reichsinstitutionen, Parlament und Regierung, hätten die Entwicklung bestimmt. Es wäre ein Föderalismus entstanden, dessen Schwerpunkt beim Reich gelegen hätte. Vom Reich wäre die Entwicklungsdynamik ausgegangen. Es sollte über das gesamte Militär gebieten und eine Flotte aufbauen. Es sollte für die Rechts- und Wirtschaftseinheit sorgen und allein für die Außenpolitik zuständig sein sowie im „Gesamtinteresse Deutschlands“ die Verfassung weiterbilden (§ 63). Dem Reich stand also in der Verfassung der Paulskirche eine umfassende Gesetzgebungskompetenz zu: Das Reichsrecht sollte dem einzelstaatlichen Recht vorausgehen. Das Reichsgericht, das die Verfassung vorsah, sollte Kompetenzen erhalten, die es zu einem modernen Verfassungsgericht gemacht hätten. Der ausführliche Grundrechtskatalog spiegelte die vormärzlichen Erfahrungen mit staatlicher Repression wider. Die Grundrechte verpflichteten alle Staatsorgane, gegen Verstöße sollte vor dem Reichsgericht geklagt werden können.

Soziale Grundrechte wurden nicht formuliert, doch aus den Verfassungsdebatten und auch aus der verabschiedeten Verfassung sprach „ein sozialer Grundton“, an den in der bismarckschen Sozialgesetzgebung der 1880er Jahre angeknüpft werden konnte. Zudem hatten etliche Grundrechte erhebliche soziale Wirkungen. So hob die Verfassung ständische Bindungen und Vorrechte, auch beim Zugang zu öffentlichen Ämtern, auf, verpflichtete zu einer gerechteren Besteuerung in Staat und Gemeinde und erklärte alle öffentlichen Unterrichtsanstalten als kostenfrei. Die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte durften nicht mehr an ein religiöses Bekenntnis gebunden werden. Auch die Gleichstellung der Juden war im Gegensatz zu vormärzlichen Emanzipationsgesetzen nicht mehr an Bedingungen geknüpft.

Die Verfassung sah kein parlamentarisches Regierungssystem vor, doch in der Praxis der beiden Revolutionsjahre von 1848 und 1849 wurde es eingeübt und etablierte sich. Als die Regierung die Mehrheit im Parlament verlor, trat sie zurück und es wurde eine neue entsprechend der neuen Mehrheitsverhältnisse eingesetzt. Die parlamentarische Arbeit wurde von Fraktionen organisiert und erstmals entstanden moderne Parteien, die auf der Grundlage eines politischen Programms Parlamentsfraktionen und außerparlamentarische Organisationen dauerhaft verbinden wollten, Kandidaten für die Wahlen aufstellten und den Wahlkampf übernahmen.

Der deutsche Nationalstaat erhielt einen Reichstag, der aus zwei Kammern bestand. Im „Staatenhaus“ saßen die Repräsentanten der deutschen Staaten – die Verfassung sprach nicht von Ländern –, je zur Hälfte von ihren Regierungen und Parlamenten ernannt. Das „Volkshaus“ ging aus direkten Männerwahlen hervor. Ein demokratischeres Wahlrecht gab es damals nirgendwo auf der Welt. Es gehörte zu dem Kompromiss, auf den sich Liberale und Demokraten nach erbitterten Debatten in der Nationalversammlung und in der politischen Öffentlichkeit geeinigt hatten, um ihren Verfassungsentwurf trotz erheblicher Meinungsunterschiede durchzusetzen. Die Liberalen hätten es vorgezogen, das Wahlrecht sozial stärker zu beschränken.

Zum Kompromiss gehörte auch das lediglich suspensive Vetorecht der Regierung gegen Reichstagsbeschlüsse. Nicht dem Kaiser stand in der Paulskirchenverfassung dieses begrenzte Vetorecht zu, sondern der von ihm ernannten Regierung (§ 101). Das monarchische Oberhaupt wäre im neuen Nationalstaat und ebenso in den Einzelstaaten politisch in die zweite Reihe gerückt. Ein Zeitgenosse sprach zutreffend vom „König ohne Eigenschaften“ , den man im Reich und in den Bundesstaaten erschaffen wollte. Im Zentrum standen Parlament und Regierung. Die Erfahrung der beiden Revolutionsjahre ließ erwarten, dass sich daraus ein parlamentarisches Regierungssystem entwickeln würde.

Bezugspunkt für Parlamentarismus in Deutschland

Frauen beteiligten sich am Revolutionsgeschehen in vielfältiger Weise, doch im Parlament konnten sie allenfalls die Zuhörertribüne betreten. Auch die Frankfurter Nationalversammlung schloss in ihrer Verfassung das weibliche Geschlecht grundsätzlich aus, wenn es um politische Rechte ging. Hier führte sie den vormärzlichen Zustand ungebrochen fort. Der liberale Abgeordnete Friedrich Ernst Scheller bekräftigte dies in der Sitzung vom 20. Februar 1849 ausdrücklich, ohne auf Widerspruch zu stoßen. Er begrenzte jedoch den Ausschluss der Frauen, indem er präzisierte, wann die Verfassung mit „Jeder Deutsche“ beide Geschlechter meinte und wann nicht. Wenn von politischen Rechten die Rede sei, könne „nur das männliche Geschlecht“ gemeint sein. Wenn also das Reichswahlgesetz vom 12. April 1849 §1 bestimmte, „Wähler ist jeder unbescholtene Deutsche“ über 25 Jahre, bezog sich das ausschließlich auf Männer. Bei den Grundrechten hingegen, sofern es sich nicht dezidiert um politische Rechte handelte, ist, „wo vom Deutschen die Rede, auch die Deutsche gemeint“. Über diese Haltung ging auch die politische Linke nicht hinaus.

In der deutschen Geschichte bilden die beiden Revolutionsjahre 1848 und 1849 eine tiefe Zäsur. Erstmals traten gewählte Parlamente zusammen, um eine staatliche Ordnung zu erschaffen, die bei allen Kontinuitäten doch mit der Vergangenheit brach. Ein deutscher Nationalstaat sollte entstehen, der die Einzelstaaten zu einem Bundesstaat föderativ vereint. Die Monarchie blieb in der Paulskirchenverfassung bestehen und wurde mit dem neuen kaiserlichen Oberhaupt bekräftigt, doch ihre Rechte wurden konstitutionell strikt begrenzt. Im neuen Nationalstaat, den die Verfassung vorsah, war man auf dem Weg zu einer demokratischen parlamentarischen Monarchie. Monarchie und Demokratie galten fortan nicht mehr als Gegensätze.

Für diese Staatsordnung gab es keine Vorbilder in der deutschen Geschichte. Sie scheiterte an der Ablehnung durch die beiden deutschen Vormächte, Habsburgermonarchie und Preußen, doch das Werk der 1848er setzte Maßstäbe für die Zukunft. Als der Nationalstaat 1871 verwirklicht wurde, knüpfte er an das Verfassungswerk von 1848/49 an: Österreich gehörte ihm nicht an, Deutschland wurde zur kleindeutschen Staatsnation mit dem preußischen König als kaiserlichem Oberhaupt. Doch die Verfassungsordnung zielte nun darauf ab, ein parlamentarisches Regierungssystem zu verhindern. Erst die Verfassung der Weimarer Republik gab den Weg frei für einen parlamentarischen Nationalstaat, den die Frankfurter Nationalversammlung 1848/49 erstmals in der langen Geschichte der Deutschen erschaffen wollte.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Der Deutsche Bund hatte am 10. März 1848 einen Siebzehner-Ausschuss eingesetzt, der am 27. April dem Bundestag den Entwurf eines Deutschen Reichsgrundgesetzes übergab. Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte. Hg. Ernst Rudolf Huber. Band 1, Stuttgart 3. Aufl. 1978, 352-359.

  2. Ebd. 367-370, 369.

  3. Jörg-Detlef Kühne, Die Reichsverfassung der Paulskirche, Frankfurt/M 1985, 240.

  4. Rudolf Virchow an seinen Vater, 1.5.1848, zitiert nach Rolf Weber (Hg.), Revolutionsbriefe 1848/49, Frankfurt/M 1973, 137f.

  5. Dokumente (wie Anm. 1), 396.

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Dieter Langewiesche ist emeritierter Professor für mittlere und neuere Geschichte an der Universität Tübingen. Zu seinen Arbeits- und Forschungsschwerpunkten zählen u.a. die Geschichte des Nationalismus und Liberalismus.