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Workshop 1: Psychosoziale Betreuung und Seelsorge nach muslimischem Menschenbild – im Krankenhaus. Notfallbegleitung von Muslimen | X. Zukunftsforum Islam | bpb.de

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Workshop 1: Psychosoziale Betreuung und Seelsorge nach muslimischem Menschenbild – im Krankenhaus. Notfallbegleitung von Muslimen

Dorte Huneke-Nollmann (Bochum)

/ 4 Minuten zu lesen

Leitung:

Dr. Christina Kayales (Hamburg), Dr. Thomas Lemmen (Köln), Halil Aydemir (Köln)

Moderation:

Marfa Heimbach (Köln)

"Seelsorge ist trendy geworden", erklärte die evangelische Pfarrerin Dr. Christina Kayales, und betonte vor diesem Hintergrund die Bedeutung einer Professionalisierung der seelsorglichen Tätigkeit sowie fester Ausbildungsstandards. Einigkeit herrschte darüber, dass im multireligiösen Kontext der Bedarf an entsprechend religions- und kultursensibler Seelsorge hoch ist. Ein Teilnehmer (Notarzt) verwies auf den akuten Mangel an kompetenten Ansprechpartner_innen im Bereich der muslimischen Seelsorge. "Diese Situationen erleben wir seit Jahren."

Notfallseelsorge in Deutschland bedeutet: Erste Hilfe für die verletzte Seele, für Menschen in Extremsituationen – und ist derzeit ein freiwilliges Angebot kirchlicher Träger. Ziel der Krankenhausseelsorge ist es, den Betroffenen und Angehörigen Raum zu geben für das, was sie bewegt und belastet. "Wir sind für alle Menschen da, unabhängig von Glauben und Herkunft", sagte Kayales, die als Traumatherapeutin und Krankenhausseelsorgerin im Dienste (und Lohn) der Evangelischen Kirche steht.

"Muslime haben ein Recht darauf, eigene Strukturen zu entwickeln", sagte der katholische Theologe Dr. Thomas Lemmen. "Aber ist dies in jedem Fall sinnvoll und notwendig?"

Lemmen stellte ein Modellprojekt der Christlich-Islamischen Gesellschaft (CIG) zur Ausbildung von Notfallbegleiter_innen vor (seit 2009), das auf einem gemeinsam von Muslim_innen und Nicht-Muslim_innen erarbeiteten Curriculum basiert. Einsätze von christlichen Seelsorger_innen und muslimischen Notfallbegleiter_innen werden gemeinsam absolviert. Sowohl in der Theorie als auch in der Praxis finden so interreligiöse und interkulturelle Lernprozesse statt. "Ein Dialog des Handelns entsteht." (Lemmen) Die Kosten für die Ausbildung der Teilnehmenden werden zum Teil von den Kommunen getragen und einen weiteren Teil übernimmt die CIG. (Lemmen)

"Menschen in Krisen benötigen professionelle Hilfe", so Kayales. Es sei unverantwortlich, dies Menschen zu überlassen, die nicht ausgebildet sind. Wesentlich sei eine stabilisierende Kommunikation – die kaum jemand ohne die entsprechende Ausbildung beherrsche. Die Erfahrung zeige zudem, dass Krisen den Rückgriff auf religiöse und kulturell geprägte Vertrautheiten verstärken; eine kultursensible Seelsorge versucht, diese Prägungen zu erkennen und einzubeziehen.

Ein wesentliches Element der Seelsorge ist die Verschwiegenheit. "Im Islam gibt es die Verpflichtung, dasjenige, was bei der Totenwaschung zu sehen ist, nicht weiterzugeben." (Kayales) In diesem Sinne werde auch bei allen muslimischen Seelsorger_innen eine Verschwiegenheit festgehalten, bevor sie in den Dienst genommen werden.

Problematisch bleibt die Tatsache, dass muslimische Notfallbegleiter_innen ehrenamtlich arbeiten, wie der eindrückliche Bericht des ehrenamtlichen Notfallbegleiters Halil Aydemir zeigte. Die fehlende Finanzierung hat eine weitreichende Bedeutung: von Ehrenamtlichen kann keine Rund-um-die-Uhr Erreichbarkeit erwartet werden. Ehrenamtliche erhalten in der Regel wenig Supervision, die für die persönliche Abgrenzung jedoch notwendig ist. "Das Problem ist, wer die Fach- und Dienstaufsicht übernimmt", so Kayales. Das Ziel müsse deshalb eine weitere Professionalisierung der muslimischen Seelsorge sein.

Dabei stellen sich mehrere Fragen: Welche Rolle spielen die unterschiedlichen Strömungen des Islam in der Ausbildung muslimischer Seelsorger_innen? Liegt die Etablierung einer muslimischen Seelsorge in der Zuständigkeit der bestehenden muslimischen Verbände – oder müssen die zuständigen Strukturen erst noch geschaffen werden? Welche Finanzierungsmodelle sind denkbar? "Langfristig können wir das nicht über das Ehrenamt laufen lassen", erklärte eine Teilnehmerin und schloss eine weitere Forderung an: "Interreligiosität sollte das Ziel sein."

"Interreligiöse Kompetenz ist wichtig", erwiderte Lemmen, der auch den hohen Wert interreligiöser Teams hervorhob, "aber eine Reduzierung auf das interreligiöse Modell – wie das Hamburger Modell für Schulen – entspricht nicht der Individualität der eigenen Glaubensüberzeugungen." (Lemmen) Auch das Bedürfnis nach einer christlichen oder muslimischen Seelsorge müsse erfüllbar bleiben.

Eine Teilnehmerin regte an, aus dem Kontext der rituellen Gewalt das psychotherapeutische Konzept des "Selbstmitgefühls" auch in der interreligiösen seelsorglichen Arbeit zu übernehmen. In den Medien sorgten muslimische Notfallbegleiter_innen jedenfalls für einen "Hebeleffekt", bemerkte Melanie Miehl, die das CIG-Modellprojekt mitkonzipiert hat. "Endlich bietet sich damit mal wieder ein positives islamisches Thema: Muslime setzen sich für andere Menschen ein."

Biografische Angaben

Dr. Christina Kayales ist Pastorin und arbeitet als Krankenhaus-Seelsorgerin und Traumatherapeutin in Hamburg. Zudem gibt Sie Fortbildungen im Bereich: Kultursensible Kommunikation und Beratung, u.a. auch Seelsorgefortbildungen für Muslime. Dr. Kayales studierte Ev. Theologie und promovierte über Interkulturelle Hermeneutik. Ihre eigene Migrationsbiografie ebenso wie Ihre Auslandstätigkeit auf den Philippinen legten Grundsteine für ihren Schwerpunkt in interkultureller Beratung

Dr. Thomas Lemmen Dr. theol., geb. 1962, 1981-1991 Studium der katholischen Theologie an der Universität Bonn und an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Augustin; 1992-1995 Leiter eines Integrationsprojektes für muslimische Familien in Dormagen; 1995/96 Mitarbeiter im Referat für Interreligiösen Dialog des Erzbistums Köln; 2002-2007 Islamreferent im Referat Kirchen, Religionsgemeinschaften und interreligiöser Dialog des Bundesministeriums des Innern, Bonn; ist Referent im Referat für Interreligiösen Dialog des Erzbistums Köln, (ehrenamtlicher) Geschäftsführer der Christlich-Islamischen Gesellschaft e.V. (CIG), Mitglied der Dominikanischen Laiengemeinschaft Sankt Johannes von Köln, Gründungsmitglied des Koordinierungsrates des christlich-islamischen Dialogs e.V. (KCID), Gründungsmitglied der Christlich-Muslimischen Friedensinitiative e.V. (CMFI), Lehrbeauftragter an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen.

Marfa Heimbach studierte Islamwissenschaften und Geschichte und arbeitet als freie Feature-Autorin für den Westdeutschen Rundfunk