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Die Dimensionen politischer Gewalt | Fachtagung "Politische Gewalt – Phänomene und Prävention" | bpb.de

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Die Dimensionen politischer Gewalt Eröffnungsvortrag

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Jörg Baberowski zerlegte in seinem Eröffnungsvortrag die politische Gewalt in ihre Einzelteile: Warum werden Gewalttaten oft politisch begründet? Wo findet diese Gewalt statt? Was macht sie mit den Menschen? Und was kann dagegen getan werden?

Was macht Gewalt mit Menschen, was machen Menschen mit Gewalt? In seinem Eröffnungsvortrag stellte Prof. Dr. Jörg Baberowski von der Berliner Humboldt-Universität seine Thesen vor. Er fragte danach, unter welchen Bedingungen Menschen politische Gewalt ausüben und wie mit Gewalt umgegangen werden könne.

Der Historiker gab für die Rechtfertigung von politischer Gewalt ein Beispiel: Er schilderte die Ermordung des russischen Innenministers Wjatscheslaw von Plehwe 1904, in den Erinnerungen des Terroristen Boris Sawinkow. Anschließend schlug er den Bogen ins Jahr 1997, als der frühere RAF-Terrorist Peter-Jürgen Boock in einer Fernsehdokumentation zur Ermordung Hanns Martin Schleyers erklärte, man habe die Taten der russischen Revolutionäre nachgespielt. Baberowski führte dies zum Kern seiner Überlegungen: "Täter grundieren ihre Taten moralisch und erklären sie politisch." Aber, gab er zu bedenken, "sind die Rechtfertigungen der Täter auch immer ihre Motive?"

Baberowski plädierte dafür, bei der Analyse von Gewalt auch ihre Wirkung auf Menschen zu berücksichtigen und nicht nur die scheinbaren Beweggründe der Täter. Denn, so betonte er: "Wer Gewalt ausgesetzt war, weiß, dass er zu einem anderen wird. Gewalt verändert alles." Der Historiker untermauerte diesen Gedanken mit den Tagebuchaufzeichnungen von Willy Peter Reese. Diese zeigten auf, wie die Gewalterfahrung im Zweiten Weltkrieg an der Ostfront aus dem feingeistigen jungen Mann einen "anderen Menschen" machte. Um zu veranschaulichen, wie Gewalterfahrung die moralischen Kategorien von Tätern verändere, führte Baberowski den Lagerkommandanten von Auschwitz und Bergen-Belsen Josef Kramer an. Für ihn sei das, was er dort erlebte, am Ende zur Normalität geworden.

"Warum wird Gewalt für eine Anomalie gehalten, die aus der Welt zu schaffen ist?", fragte Baberowski, und antwortete: "Wir vertrauen den Institutionen und unserer friedfertigen Umgebung." Deshalb sei es für die heutige Gesellschaft so bedeutend, Gründe und Motive von Gewalttaten zu erfahren. Dahinter stehe die Überzeugung, dass Gewalt "abweichendes Verhalten" sei.

Politische Motive sind für die Gesellschaft nachvollziehbar

In der Regel verschleierten Täter den Kern der Gewalt: "Sie ordnen ihr Handeln in die Logik der zivilisierten Gesellschaft ein." Das heißt, sie führen nachvollziehbare politische Motive an. "Überall müssen Täter begründen, was sie ihren Opfern angetan haben, mit Gründen, die verstehbar sind." Denn sonst sei die Gewalt für die Gesellschaft noch schwerer zu ertragen. Zudem würden sie sich mit niederen Motiven um jeden Kredit bringen. "Absichten sind uns lieber als die Lust an der Destruktion", spitzte Baberowski zu. Entsprechend habe der Organisator des Holocausts Adolf Eichmann vor Gericht argumentiert, er habe "gehorsam gehandelt". Auch Soldaten beriefen sich immer wieder auf "Zwänge des Krieges". "Sie sprechen so, wie es von ihnen erwartet wird", betonte Baberowski. Der bereits erwähnte Lagerkommandant Josef Kramer habe vor Gericht irritierenderweise nicht so argumentiert: Nach den Gründen seines Handelns im Konzentrationslager gefragt, nannte er – für die Ankläger völlig unverständlich – das finanzielle Auskommen und seinen Arbeitsplatz.

Baberowski lenkte den Blick auf Gewalt als Mittel zur Durchsetzung von Interessen. "Gewalt war zu allen Zeiten eine Möglichkeit", rief er in Erinnerung. "Das Rätsel besteht darin, dass wir uns über Gewalt wundern." Schließlich könne Gewalt im Gegensatz zu Argumenten nicht ignoriert werden, denn sie schafft Aufmerksamkeit. "Gewalt ist eine Sprache, die Spuren in Körper und Seele hinterlässt." Und er fügte an: "Der Mensch muss nie, kann aber immer gewaltsam handeln." Von der Idee bis zur Umsetzung sei es aber ein weiter Weg.

Gewalt braucht Räume

Teilnehmer während des Eröffnungsvortrags der Fachtagung Politische Gewalt. Über 150 Multiplikatoren und Wissenschaftler hatten sich in Hannover zusammengefunden. (© bpb/Nils Pajenkamp)

Um Gewalt zu verstehen, sei es wichtig, die Räume zu betrachten in der sie verübt werde, und nicht nur vermeintliche Gründe der Täter. Baberowski betonte: "Gewalt passiert in Situationen, die es erlaubten, Grenzen zu überschreiten." Als Beispiele nannte er Bürgerkriegsgebiete weltweit. Dort könnten im "nichtstaatlichen Kontext" "wenige Entschlossene" tun, was sie wollten. An diesen Orten gebe es keine Gewissheit mehr, vor Gewalt durch die staatlichen Institutionen geschützt zu sein. Dadurch vertrauten die Menschen hier nur noch ihrem engsten Umfeld, was zu "Fragmentierung und Tribalisierung" gesellschaftlicher Ordnung führe.

Baberowski nannte weitere Folgen, die Gewalt in solchen Räumen nach sich zöge: Dort wo Gewalt Normalität sei, frage niemand mehr nach ihren Ursachen. Menschen würden in solchen Räumen auch zu Tätern, um nicht selbst zum Opfer zu werden. Symbolische Gewalt gegen Einzelne werde zum Instrument, um bei den Zuschauern Angst vor ihrer Wiederkehr zu erzeugen. Aber auch für die Täter sei ihr Handeln keinesfalls folgenlos: "Für das Töten zahlen die meisten Menschen einen hohen Preis. Für immer wird die Gewalt in ihnen sein und ihr Leben bestimmen."

Der Wissenschaftler unterschied zwischen kurzfristiger unorganisierter und langfristig organisierter Gewalt: Nur letztere könne sich verstetigen, und erst wenn Gewalt organisiert sei, würden Befehle auch gegen den eigenen Willen ausgeführt. "Menschen in militärisch organisierten Gewaltverbänden handeln irgendwann aus Pflichterfüllung." Die Vorstellung, Befehle nicht auszuführen könne deshalb für "völlig abwegig" gehalten werden. Baberowski betonte: "Die angeordnete und erlittene Gewalt ist dort am größten, wo sie sich mit organisierten Strukturen verbindet." Die angeordnete Gewaltausübung werde nicht mehr hinterfragt, sondern als normal betrachtet. "Der moralische Referenzrahmen verschiebt sich", so Baberowski.

Zuletzt betrachtete der Experte die Reaktionen auf Gewalt. Denn diese hingen ganz von den gewohnten Verhaltensmustern ab, wie ein Mensch mit Gewalt umgeht. "Gewalterfahrungen bestimmen die Handlungsmöglichkeiten", präzisierte er. Deshalb müssten bei der Analyse von Gewalttätern immer deren Herkunftsraum und deren Kultur mitbetrachtet werden. Er empfahl, sich zur Eindämmung von Gewalt nicht mit der Analyse politischer Zwecke aufzuhalten. Vielmehr gelte es, "Ermöglichungsräume" für Gewalt zu schließen. Bei der Bewertung von Gewalttaten gelte es zu unterscheiden, von wem sie verübt wurden: Handelte es sich um junge Männer, um professionelle Gewalttäter oder um geltungsbedürftige Kleinkriminelle? Auch die Sozialisation eines Täters im Frieden oder im Krieg sei entscheidend.

Baberowski schloss seinen Vortrag mit einem entschiedenen Plädoyer für das staatliche Gewaltmonopol. Eine staatliche Ordnung, die den Frieden nicht gewaltsam erzwingen könne, könne nicht lange überleben: "Die Pole Ordnung und Gewalt gehören untrennbar zusammen." Es gelte, Tätern zu demonstrieren, welche Risiken sie eingehen. "Wer keine andere Sprache als die Gewalt versteht, soll sie auch zu spüren bekommen."

Referent: Prof. Dr. Jörg Baberowski, Humboldt-Universität zu Berlin