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Gewalt gegen und durch die Polizei - Zwischen Deeskalation und Militarisierung | Fachtagung "Politische Gewalt – Phänomene und Prävention" | bpb.de

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Gewalt gegen und durch die Polizei - Zwischen Deeskalation und Militarisierung

Johannes Bluth

/ 4 Minuten zu lesen

Der Workshop bot die Möglichkeit, das Phänomen der Gewalt bei Demonstrationen einzuordnen und die Aufgaben der Polizei kennenzulernen. Diese wurden kritisch diskutiert und gegenwärtigen gesellschaftlichen Tendenzen gegenüberstellt.

Zu Beginn des Workshops bot sich für die beiden Referenten die Gelegenheit zu einem kurzen Input. Udo Behrendes beschrieb zunächst die unterschiedlichen Konjunkturen des staatlichen Gewaltmonopols. Von einem negativ konnotierten Begriff sei es zu einer staatlichen Aufgabe avanciert, die heute zunehmend eingefordert werde. Als Beispiel nannte Behrendes die Silvesternacht in Köln. Laut Grundgesetz gehe aber alle Gewalt vom Volke aus. Das Gewaltmonopol sei also kein Selbstzweck, sondern bezogen auf die Menschen, als Schutz vor der Gewalt Dritter zu verstehen. Die Polizei bewegt sich dabei für Behrendes stets in einem Spannungsfeld: Einerseits bestehe stets die Gefahr den Gewaltzwang unangemessen anzuwenden oder andererseits das Monopol nicht ausreichend auszufüllen. Das polizeiliche Aufgabenfeld insgesamt beschrieb Behrendes mit den Begriffen Verfolgung und Verhütung. Bei Demonstrationen allerdings sei es die Hauptaufgabe der Polizei, die Versammlungsfreiheit zu schützen. Abschließend ging Behrendes kurz auf die Situation von Demonstration und Gegendemonstration ein, ein Phänomen bei dem es relativ oft zu Gewalt käme. Die Polizei müsse hier stets die Grunddemonstration schützen und Zusammenstöße vermeiden. Die Verhinderung einer angemeldeten Demonstration sei ein Missbrauch der Versammlungsfreiheit und müsse daher von der Polizei verfolgt werden, machte Behrendes deutlich.

Prof. Dr. Rafael Behr fügte in seinem Input einige Anmerkungen hinzu. Es gehe immer darum, wie Polizeiarbeit in der Praxis gemacht werde. Hierbei sei der historische Kontext aufschlussreich: Gewalt werde als Begriff viel breiter verwendet als früher. Gegenwärtige Warnungen vor einer Gewaltinflation beeinflussten auch die Polizeikultur und seien daher fragwürdig. Denn tatsächlich nehme Gewalt gegen die Polizei ab. Nur deren mediale Verbreitung nehme zu. Behr bezeichnete Gewalt hier als Unterhaltungsfaktor, der nicht zu unterschätzen sei. Auch werde der Auftrag der Polizei je nach Land unterschiedlich gehandhabt. Die föderalen Strukturen erzeugten hier ein komplexes, schwer durchschaubares Bild. Abschließend betonte Behr, dass die Polizei auch eine expressive Wirkung habe, genauso wie einige Protestkulturen. Sie signalisiere zunehmend Überlegenheit, auch habe das Vermummungsverbot den militärischen Anschein von Demonstrationen abgeschwächt.

Unterschiedliche Wahrnehmung von Polizeikultur

Das Plenum wurde nun in zwei Arbeitsgruppen aufgeteilt. Sie gingen jeweils einer der folgenden Fragen nach: Wie zeigt sich die polizeiliche Gewaltanwendung bei Demonstrationen und was kann polizeiliche Gewaltprävention sein? Wie zeigt sich Gewalt von Demonstrationsteilnehmern und was können (friedliche) Demonstrierende zur Gewaltprävention bei Demonstrationen beitragen?

Angesichts der ersten Frage wurden sogleich Überlastung und Stress bei der Polizei angesprochen, ebenso die föderalen Strukturen: Es gebe in den einzelnen Ländern eine teils sehr unterschiedliche Wahrnehmung von Polizeikultur. Hier fehlten Möglichkeiten zur Vernetzung und vor allem Räume zum Dialog. Ein Teilnehmer berichtete von neu eingeführten Dialogseminaren der Polizei in Niedersachsen. Im Hinblick auf Demonstrationen wurde über Kooperationsgespräche diskutiert. Entscheidend sei, wer bei diesen Gesprächen anwesend ist. Behrendes verwies exemplarisch auf das "Bonner Forum. Bürger und Polizei", mit dem in der Vergangenheit als Plattform des Dialogs gute Erfahrungen gemacht wurden. Zusätzlich gab es einen Austausch darüber, dass der Deeskalation einsatztechnisch zunehmend Bedeutung eingeräumt werde - ein weiterer Schritt in die richtige Richtung. Letztlich gehe es darum, den Demonstranten das Gefühl zu geben, gehört zu werden. Hier sei eine transparente Kommunikation seitens der Polizei das entscheidende Mittel, darüber waren sich die Teilnehmenden einig.

Welches Bild von Polizei ist wünschenswert?

Zur zweiten Frage diskutierte die Gruppe zunächst darüber wie sich bei potentiell gewalttätigen Demonstrationen ein mehrheitlich friedlicher Protest aufbauen ließe, um Eskalationen zu verhindern. Zudem müsse nicht jeder Regelübertretung bei Demonstrationen mit brachialer Gewalt begegnet werden. Die Polizei müsse auch lernen, Unordnung auszuhalten. Dieser Vorschlag fand breite Zustimmung. Auch das Wissen um die Lebenswelt des Anderen könne verhindern, dass gerade junge Polizisten in kopflose Situationen geraten und überreagieren. Es schloss sich die Frage nach rechtskonservativen Tendenzen in der Polizei an. Für Behr sei dieses Phänomen in den 1980er- und 1990er-Jahren bedeutsamer gewesen als heute. Dass es heute einen höheren Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund bei der Polizei gebe als früher, sei überdies ein Trugschluss. Dieser stagniere seit Anfang der 1990er-Jahre. Zum Abschluss der Gruppenphase wurde eine zentrale Frage ausgemacht: Welches Bild von Polizei wollen wir? Eine gebildete, dialogorientierte Bürgerpolizei stehe hier einer zunehmenden Militarisierung der Ausrüstung und des generellen Erscheinungsbildes gegenüber.

"Solange geredet wird, wird nicht geschlagen"

Am Ende des Workshops hatten beide Referenten kurz Gelegenheit ihre Anmerkungen beizusteuern. Die Möglichkeit gekennzeichneter polizeilicher Kommunikationsteams bei Demonstrationen sah dabei vor allem Behrendes kritisch: Kommunikation und Dialog sollten Kernkompetenzen jedes Polizisten sein. Gleichwohl neige auch die Polizei zu Stereotypenbildung, dabei seien Demonstrationen meist heterogen zusammengesetzt. Eine gemeinsame Nachbereitung des Einsatzes sei das A und O, um zu verhindern, dass sich Stereotypen verfestigten.

Behr verwies auf folgenden Grundsatz: "Solange geredet wird, wird nicht geschlagen". Zur Ausweitung der Kommunikation aber brauche es viel guten Willen. Das Kennenlernen unterschiedlicher Lebenswelten sei hier ein bedeutsamer Faktor. Aber um sich diese Themen anzueignen, brauche es vor allem Neugier. Abschließend verwies Moderatorin Hanne Wurzel, Leiterin des Fachbereichs Extremismus der bpb, auf eine neue Zusammenarbeit der Bundeszentrale mit der Polizei. Die Weiterbildungsreihe "Polizei und Zivilgesellschaft" befinde sich derzeit in der Konzeptionsphase. Der Start sei für den Januar 2017 als Pilotprojekt geplant. Ein dreijähriges Projekt mit der Hochschule der Polizei in Münster solle zusätzlich dazu dienen, eine Bedarfsanalyse durchzuführen und die Möglichkeit für Bildungsprojekte auszuloten.

Referenten:
Prof. Dr. Rafael Behr, Akademie der Polizei Hamburg
Udo Behrendes, ehem. Leitender Polizeidirektor in Köln

Moderation: Hanne Wurzel, Bundeszentrale für politische Bildung

Johannes Bluth studiert den deutsch-französischen Masterstudiengang "Medienkulturanalyse trinational – Theater- und Medienkulturen im transnationalen Raum" an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, der Universität Wien und der Université de Nantes. Zuvor studierte er Kommunikationswissenschaft und Romanistik in Erfurt und Lille, Frankreich. Er ist darüber hinaus als freier Filmjournalist tätig, schreibt regelmäßig Filmkritiken, führt Interviews und berichtet von Filmfestivals. Nach einem Praktikum Anfang 2015 arbeitet er als studentischer Mitarbeiter im Fachbereich Extremismus der bpb.