Arbeitsgruppenphase II: Welche Rolle spielt Religion?
1. Religion als Identitätsstifter?
- Julia Wolter, Abrahamisches Forum in Deutschland, Darmstadt
- Gerald Sabelberg, Landespräventionsstelle gegen Gewalt und Cybergewalt an Schulen in Nordrhein-Westfalen
- Katrin Benzenberg, Julia Förster und Gonca Monneypenny, Gesicht Zeigen! Für ein weltoffenes Deutschland, Berlin
- Moderation: Mahyar Nicoubin, Bundeszentrale für politische Bildung, Berlin
Frau Julia Wolter warf im Anschluss an Herrn Sabelbergs Input einen Blick auf die Verursacherinnen und Verursacher von Religionsmobbing und stellte die Arbeit des Abrahamischen Forums vor. Sie definierte Religionsmobbing als eine Form des religionsbezogenen Rassismus, der auch Konfessionslose betreffe. Dabei sei es der antimuslimische Rassismus, der am häufigsten auftritt. Doch auch antisemitischer Rassismus nehme in öffentlichen Wahrnehmung erneut zu. Verursacherinnen und Verursacher religiösen Mobbings seien in den meisten Fällen Mitschülerinnen und Mitschüler sowie Kommilitonen und Kommilitoninnen. Auch Lehrerinnen und Lehrer, so die Referentin, würden meist unbedacht religiöses Mobbing verstärken oder sogar verursachen. Daher sei es umso wichtiger, dass Lehrkräfte ihre eigene Sprache hinterfragen und reflektieren. In einem nächsten Schritt stellte Frau Wolter Methoden gegen Religionsmobbing vor. In erster Linie sei es wichtig, aufmerksam zu sein und Religionsmobbing zu erkennen. Außerdem sollte die Problematik des religiösen Mobbings im Unterricht behandelt werden, um die Schülerinnen und Schüler dafür zu sensibilisieren. Der Besuch verschiedener Gotteshäuser könne dabei genauso hilfreich sein wie das Einladen von interreligiösen Teams für die Arbeit in Workshops. Das grundlegende Problem sei die Angst vor dem Fremden sowie Vorurteile gegenüber diesem. Das große Hindernis liege zunächst im Begin eines Dialogs. Hilfreich sei es in diesem Kontext, Gemeinsamkeiten aufzuzeigen, um der Angst vor dem Unbekannten entgegenzuwirken. Dabei leistet das Abrahamische Forum mit seinen Teams unterstützende Arbeit. Im Rahmen von Workshops sollen Schülerinnen und Schüler im Umgang mit religiöser Vielfalt gestärkt werden. Dabei werden Themen wie Toleranz, Gemeinsamkeiten und Unterschiede verschiedener Glaubensrichtungen und die Auslegung der Schriften, aber auch gesellschaftliche Themen wie Geschlechterverhältnisse, die Stellung der Frau und interreligiöse Partnerschaften behandelt. Zudem werde sich mit aktuellen Debatten wie die Rolle der Religion in einer säkularen Gesellschaft und in einem demokratischen Staat auseinandergesetzt.
2. Antijudaismus und Anitsemitismus – ein religiöses Phänomen?
- Dervis Hizarci, Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus, Berlin
- Dr. Christian Staffa, Evangelische Akademie zu Berlin
- Moderation: Hanne Wurzel, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn
3. Islamfeindlichkeit zwischen Religionskritik und Rassismus
- Mirjam Gläser, ufuq.de, Berlin
- Aylin Yavaş, ufuq.de, Berlin
- Moderation: Dr. Gereon Flümann, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn
Dazu referierten Mirjam Gläser und Aylin Yavaş, wissenschaftliche Mitarbeiterinnen im Verein ufuq.de in Berlin, und erläuterten zunächst den Begriff „Rassismus“. Rassismus sei ein emotionales Thema, so Mirijam Gläser. Er führe zu Homogenisierung, Hierarchisierung, Essenzialisierung und Polarisierung von Gruppen. Aylin Yavaş unterschied zwischen "biologischem Rassismus“ und "kulturellem Rassismus“. Antimuslimischen Rassismus ordnete sie der Kategorie des kulturellen Rassismus zu. Es wurde bewusst der Begriff des antimuslimischen Rassismus verwendet. Der Begriff "Islamophobie“ würde eine pathologisierende Wahrnehmung des Phänomens befeuern. "Islamfeindlichkeit“ hingegen verkürze das Phänomen auf die Ablehnung des Glaubens und umfasse nicht all die Menschen, welche als muslimisch markiert gelesen werden, jedoch auch nicht oder anders-gläubig sein könnten. Dies entspreche nicht den Problematiken (Macht, Struktur, Markierung als Muslim/-in), die thematisiert werden sollten.
Charakteristisch für antimuslimischen Rassismus sei die Konstruktion von Musliminnen und Muslimen als eine quasi-natürliche, homogene Gruppe, unabhängig von individuellen Glaubensbekenntnissen. Erkennungsmarker würden zum Stigma werden, erläuterte Frau Yavaş. Es handele sich dabei um kollektive, rassifizierte Zuschreibungen und durch das binäre Verhältnis zum bzw. zur weißen, christlich/atheistischen Europäer/-in entstehe eine Hierarchisierung. Studien wie beispielsweise der „European Islamophobia Report 2017“ von Enes Bayrakli und Farid Hafez verweisen auf den Zuwachs eines antimuslimischen Rassismus in den letzten Jahren.
"Warum gibt es Rassismus?“, fragte Mirjam Gläser und erklärte, dass Religion mit Andersheit verbunden werden. Damit werde die andere Religion zur Religion der Anderen. Frau Gläser sprach die Widersprüchlichkeit bei der Thematisierung von Religion an. Es erfolge eine gleichzeitige Deprivatisierung und Privatisierung von Religiösem. Bezogen auf den Westen oder auf das Christentum gelte Religion als eine individualisierende Aneignung. Christinnen und Christen hätten die Wahl, Musliminnen und Muslime nicht. Der Islam werde als zwanghafte Religion gesehen, aus der man nicht austreten könne, so die Referentin. Damit werde der Islam als identitäres Schicksal gesehen, der über seine Subjekte verfügt.
4. Der Hammer zerschmettert das Kreuz...Das Feindbild Christentum im Heavy Metal
- Dr. Imke von Helden, Universität Koblenz-Landau, Koblenz
- Dr. Niels Penke, Universität Siegen
- Moderation: Martin Langebach, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn
Genau dieses Bestreben nach Authentizität, der Topos "des Wahren“, "des Echten“, so die These von Herrn Dr. Penke, habe in den 1990ern zum Übergang vom (gesungenen) Wort zur Tat, und somit zu einer Radikalisierung geführt. Besonders gut zu beobachten sei dies in der Second Wave of Black Metal mit dem Schwerpunkt in Norwegen gewesen. So bewarb die norwegische Band Burzum ein Album mit dem Foto einer niedergebrannten Kirche, die mutmaßlich vom Sänger der Band, Varg Vikernes, in Brand gesetzt worden war.
Mit Burzum und der deutschen Band Absurd radikalisierten sich Musiker bis hin zu neonazistischen Morden, beide Bands sind dem Untergenre des National Socialist Black Metal (NSBM) zuzurechnen. Bei diesen sei der Satanismus des Black Metal auf die Ebene eines neuheidnischen Kulturkampfes gegen die als christlich-jüdisch wahrgenommene Gesellschaft übertragen worden. Die Vorstellung eines solchen neuheidnischen Kulturkampfes lasse sich am Lied "Der Hammer zerschmettert das Kreuz“ von Absurd nachvollziehen.
An diese Ausführungen schloss die Skandinavistin Dr. Imke von Helden mit ihrem Input über norwegische Formen von (Black) Metal an. Sie erörterte, dass im norwegischen Metal häufig die Christianisierung als Kolonialisierung gelesen werde, die es zu bekämpfen gelte. Der norwegische Black Metal der 1990er sei stellenweise durch einen radikalen Individualismus, Elitarismus und selbstverletzendes Verhalten geprägt gewesen. Dadurch wurde versucht, sich von US-amerikanischen Bands, denen die Ernsthaftigkeit abgesprochen wurde, abzugrenzen. Die schwedische Band Bathory leitete eine neue Welle ein, in der der thematische Fokus weg vom Okkulten hin zu Wikinger- und nordischer Natur-Motiven gelegt wurde. Dies wurde auch damit begründet, dass Satanismus lediglich die Umkehrung des Christentums sei. Die Wikingerzeit wurde mit den Motiven Krieg, Tod und Heroismus belegt, die Wikinger selbst als Gegner des Christentums interpretiert. Dabei würden sowohl Wikinger als auch Christinnen und Christen als gewaltsam und die Christianisierung als brutaler und negativer Prozess beschrieben werden. Das wiederkehrende Motiv der Rückkehr der nordischen Götter werde als gewaltvolles Ende des Christentums imaginiert. Anschließend stellte Frau Dr. von Helden die zentralen Ergebnisse ihrer intensiven Auseinandersetzung mit den Werken norwegischer Bands vor. Es habe sich gezeigt, dass diese in erster Linie an ihrer kulturellen Identität interessiert gewesen seien. Ihre Bezüge auf die nordische Mythologie seien vor allem als das Zeigen des kulturellen Erbes und die Bezugnahme auf heidnische Motive als kulturelles Phänomen zu verstehen, so Frau Dr. von Helden.
Siehe auch https://www.deutschlandfunk.de/
5. Wie religiös ist religiös begründeter Extremismus? – Von den "Zwölf Stämmen" bis zum Salafismus
- Sabine Riede, Sekten-Info Nordrhein-Westfalen, Essen
- Fabian Srowig, Universität Bielefeld
- Moderation: Kathrin Wagner, Universität Osnabrück
Herr Srowig thematisierte in seinem Vortrag salafistische Jugendliche und beginnt mit allgemeinen Informationen zu gewaltorientiertem Islamismus: Die Extremistinnen und Extremisten werden zunehmend jünger, was unter anderem an jugendnahen Identitätsangeboten und einem niedrigschwelligen Zugang über Bilder, Memes und Social Media liege. Der sogenannte "digitale Dschihad“ beantworte viele Fragen der Jugendlichen und biete Hilfe an. Insgesamt nehme die Vielfalt an Angeboten on- und offline zu. Der Referent stellte die sogenannte "Whatsapp-Studie“ vor, eine empirische Untersuchung zu gewalttätigen Jugendlichen mittels eines Gruppenchats. Ziel der Studie sei die Erweiterung des Wissens über die Prozesse der Radikalisierungsverläufe und die Optimierung von Prävention und Intervention. Relevant für die Analyse seien vor allem die Gruppendynamik, Beziehungen, Kultur und die Inszenierung der Gruppenidentität nach außen. Zu den zentralen Ergebnissen der Studie gehöre die selektive und willkürliche Nutzung von sprachlichen Mitteln, die durch IS-Propaganda geprägt sind. Religiöse Elemente werden zur Festigung des Gruppenzusammenhaltes, zur Lösung von individuellen Problemen durch klare Handlungsanweisungen und als Ausdruck der Zugehörigkeit zum internationalen Dschihad verwendet. Eine Radikalisierung, so der Referent, finde im Übergang zum Erwachsenenalter statt, anziehend sei die radikale Jugendkultur, die Problemlösungen vorgibt. Außerdem sei die Gruppe an Jugendlichen vereint durch eine naive Vorstellung davon, gemeinsam auf den Schlachtfeldern des Dschihads zu stehen und zum Mann zu werden. Normale Fragen werden auf radikale Weise beantwortet. Obwohl die Entwicklungswege in den gewaltbereiten Islamismus nach ähnlichen Mustern ablaufen würden, seien Radikalisierungsprozesse individuell und Prognosen daher nicht möglich. Es liege an der Gesellschaft, Gegenangebote für eine eindeutige und sinnstiftende Teilhabe bereitzustellen.