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Humane Überzeugungen im militärischen Einsatz | Helfer, Retter und Netzwerker des Widerstands | bpb.de

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Humane Überzeugungen im militärischen Einsatz

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Auch in der Wehrmacht gab es Handlungsspielraum für Zivilcourage. Wolfram Wette referierte über die Möglichkeiten, zwischen Befehl und Gehorsam zu helfen.

Vollständige Kontrolle. Das Ziel: Fabrikation von zuverlässigen Menschen, bereit den Feind zu töten. Militär als "totale Organisation". Der Einzelne steht zwischen Befehl und Gehorsam. Keine autonomen Handlungsspielräume. Wolfram Wette referierte schlaglichtartig über Selbstbild und Anspruch der Wehrmacht.

Gerade in der Wehrmacht, in der ein Viertel der Bevölkerung, insgesamt 18,5 Millionen Menschen, eingebunden war, gab es Handlungsspielräume, so seine These. Lange war Hilfe für Juden und Kriegsgefangene durch Wehrmachtsangehörige nicht bekannt. Schnell denkt man bei Militär und Courage an den Attentatsversuch auf Hitler am 20. Juli 1944, der jedoch erfolglos blieb.

Wette verwies darauf, dass Handlungsspielräume in der Wehrmacht durchaus existierten. Retter setzten "aktiven Anstand", also selbstverständliche Mitmenschlichkeit, gegen die Normierungen des Militärs. Handlungsspielräume waren zum Beispiel Möglichkeiten, die sich die Retter selbst schufen, Grenzen immer wieder neu auszuloten und frei moralische Entscheidungen zu treffen. Retter in der Wehrmacht waren sich der Einschränkung durch Institution und Gesellschaft bewusst. Sie handelten einsam, ohne Netzwerke, mutig, klug und planvoll, erfolgsorientiert und umsichtig. Ihre humanen Überzeugungen seien die Triebfedern ihres Handelns gewesen, so Wette.

Die Helfer im Militär standen in "ideeller Traditionslinie" zu den Offizieren in der Kaiserzeit, die besonders nach dem ersten Weltkrieg aus dem Militär ausscherten und sich im organisierten Pazifismus der Weimarer Republik engagierten. Dies allein, so Wette, verlangte ein großes Maß an Zivilcourage. Ein Ausbruch aus dem geschlossenen System des Militärs barg hohe Risiken, die Gefahr von Kameraden verleumdet, beschimpft und ausgegrenzt zu werden.

Dennoch hatte eine Verweigerung nicht das Risiko, selbst getötet zu werden, so Wette. Ungehorsam blieb folgenlos, bei Verweigerung von Tötungsbefehlen gab es keine weiteren Konsequenzen als Versetzungen. Laut Wette ist kein einziger Fall von Befehlsnotstand belegt. "Kein einziger Soldat wurde wegen Judenhilfe zum Tod verurteilt". Die Anzahl der Exekutionsverweigerer in SS und den Polizeibataillonen ist unbekannt, aber es gab jene, die sich weigerten.

Warum also halfen nur wenige? War es Unkenntnis der eigenen Möglichkeiten? Furcht vor Konsequenzen? Angst vor Spott? Oder fühlten sich die Soldaten schlicht zur Handlungsunfähigkeit verdammt? In mangelndem Mut, fehlendem Anstand, fehlender Zivilcourage oder dem Bestreben, die Karriereleiter aufzusteigen, sieht Wette immer nur Teilantworten. Monokausale Antworten existierten nicht. Darüber hinaus, so Wette, war Antisemitismus verbreitet und viele hielten ihre Taten auch für richtig. Die Überzeugung, Menschenleben als höchstes Gut zu schützen, war nicht handlungsleitend, "Mordbereitschaft war Normalität".

Ein Interview mit Wolfram Wette über ein Fallbeispiel für Handlungsspielraum in der Wehrmacht finden Sie hier: Interner Link: Der Feldwebel Anton Schmid.

Fussnoten