Nach 1945 kamen in der ganzen Welt Migrationsströme in Bewegung erläuterte Stefan Troebst von der Universität Leipzig. Nach dem Sieg der Alliierten über das "Deutsche Reich" habe es auf dem europäischen Kontinent 20 Millionen, auf dem asiatischen 12 Millionen und im Nahen Osten 1 Million Zwangsmigranten gegeben – Binnenzwangsumsiedlungen sowie solche über Staatsgrenzen hinweg. Allerdings stehe "die Problematik der Zahlen" der "Schwierigkeit der Begrifflichkeiten" gegenüber. Nicht eindeutig bleibt die Unterscheidung zwischen Flucht und Vertreibung, eine menschengemachte Zwangsmigration. Die Jahre danach waren geprägt durch Gründungen, Teilungen und Grenzziehungen von Gebieten und Staaten – so auch des Staates Israel 1948. Offen blieb bei Troebst die Frage ob er "Displaced Persons", Personen, die nicht mehr an einem Ort beheimatet sind, als Teil dieser weltweiten Migrationsbewegungen sieht.
Zu den Displaced Persons gehören u.a. die Rückkehrer aus dem Osten – sogenannte "Repatriierte". Bemerkenswert sei, dass unter den 250.000 Juden, die sich 1946/47 in Deutschland aufhielten, ungefähr 200.000 von ihnen aus der Sowjetunion nach Deutschland zurückgekommen waren, betonte die US-amerikanische Historikerin Atina Grossmann. Die Juden, die innerhalb von Deutschland die Konzentrationslager oder Zwangsarbeit überlebt hätten, stellten eine Minderheit dar.
Was sind Displaced Persons?
Dieser Frage ging Atina Grossmann zu Beginn ihres Vortrages auf den Grund. "Displaced Persons" könne nicht als "jüdische Vertriebene" übersetzt werden, wie dies im Programm der Konferenz geschehen sei, erklärte sie dem Publikum, da sie während des Krieges zwangsverschleppt wurden. Sie machte anhand des Übersetzungsfehlers die Komplexität der unmittelbaren Nachkriegsgeschichte deutlich. Um der Flut heimatloser Flüchtlinge, befreiter Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge nach dem Ende des 2. Weltkrieges in Europa einen Namen zu geben, prägten die US-amerikanischen Besatzer diese Bezeichnung. Sie brachten die im Krieg verschleppten, internierten, vertriebenen, geflüchteten und damit heimatlosen Menschen in Lagern unter. Durch die Einzigartigkeit der Umstände blieb der englische Ausdruck bis heute auch im deutschsprachigen Raum erhalten.
Im Land der Mörder
Michael Brenner (© Oliver Feist / buero fuer neues denken)
Michael Brenner (© Oliver Feist / buero fuer neues denken)
Deutschland sollte für viele Überlebende nur ein Zwischenstopp sein. Daraus wurden Wochen, Monate und Jahre. Die Kernfragen, auf die sich Michael Brenner, Professor für Jüdische Geschichte und Kultur an der Ludwig-Maximilian-Universität München, in seinem Beitrag bezog, waren: Wie fühlte es sich für die Opfer des Nationalsozialismus an, im Land der Mörder zu leben? Wie haben sie ihr Leben in Deutschland nach 1945 wahrgenommen? Wie waren die Beziehungen zwischen Opfern und Tätern? Trotz dieses Paradoxes im Land der Mörder zu leben, entstanden Beziehungen zwischen jüdischen Displaced Persons und Deutschen in vielfältiger Weise, so sei die Frage nach Essen stets ein Kernthema nach dem Krieg. Um die Nahrungsnachfrage gewährleisten zu können, mussten allerdings Beziehungen zu den ansässigen Bauern geknüpft werden, so Brenner. So kam es immer wieder zu Begegnungen zwischen Opfern und Tätern. "Geh zum Mörder und hol vier Semmeln" zitierte Brenner aus dem Bericht eines Überlebenden, der als Junge von seiner Mutter zum Bäcker geschickt worden war.
Zwischenleben im Lager
Stephan Troebst (© Oliver Feist / buero fuer neues denken)
Stephan Troebst (© Oliver Feist / buero fuer neues denken)
Wie Atina Grossmann darstellte, gab es in den verschiedenen Displaced Persons Lagern eigene Sportgruppen, Geschäfte, Kinos und eigene Verwaltungen. Ziel aller Bemühungen sei es vor allem gewesen, ein gewisses Maß an Normalität entstehen zu lassen. So beschrieb sie sehr anschaulich, dass es zwar wieder Juden in Deutschland gab, aber diese ein selbstorganisiertes und relativ abgeschottetes Leben führten: Juden und Deutsche lebten laut Grossmann "in unterschiedlichen Welten auf derselben Erde". Trotzdem habe es immer wieder Verflechtungen und Begegnungen dieser beiden Welten gegeben.
Auffällig sei zudem, wie schnell Juden in den Nachkriegsjahren Ehen schlossen und Kinder bekamen. Dieser Baby-Boom war in gewisser Weise als Protest beziehungsweise eine spezielle Form der Rache gegen die Deutschen, wie Atina Grossmann auf eine Zuschauerfrage hin abschließend feststellte.
Autoren: Interner Link: Mareike Hengelage und Interner Link: Martha Düker