Claudia Lenz führte in dem Workshop "Kollaboration und Widerstand in den Nachkriegserzählungen Europas" der Gruppe vor Augen, wie trotz der unterschiedlichen Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg nach 1945 sehr ähnliche Ordnungsversuche unternommen wurden. Die Projektion, die man sich von dem Widerstand machte, bot eine positive Identifikationsmöglichkeit und stand der Kollaboration entgegen. Diese Polarisierung versperrte den Blick für die Grauzonen, so Lenz: Wie viele hatten eigentlich kollaboriert, wo fängt Widerstand, wo Kollaboration an? Jüdinnen und Juden zu verstecken, wurde in der unmittelbaren Nachkriegszeit selten als Widerstand anerkannt. Kollaborateure wurden "als Teil der Nation disqualifiziert"; gerade Frauen, die sich mit dem Feind eingelassen hatten, wurden oft mit einem langanhaltenden Stigma belegt. Lenz berichtete, dass zum Beispiel in Norwegen Frauen, die einen deutschen Soldaten geheiratet hatten, nach dem Krieg die Staatsbürgerschaft entzogen wurde. Bis heute haben sie diese nicht wiederbekommen.
Nationale Ordnungsversuche am Körper der Frau
Der Fokus des Workshops lag auf der Situation in Norwegen, wobei die Teilnehmenden auch Vergleiche mit Frankreich, Dänemark und Polen anstellten. Dreh- und Angelpunkt der Diskussion blieben die Frauen, die nach dem Krieg "auf archaische und anarchische Weise" durch die Orte getrieben wurden. Der Hass und Hohn, der ihnen auf offener Straße entgegen gebracht wurde, hält bei einigen dieser damaligen Bystander bis heute an. Lenz erzählte von Zeitzeuginnen, älteren Damen, die diese Frauen noch immer als "Abschaum" bezeichneten. Die Sexualität der Frauen zu kontrollieren, blieb ein wichtiges nationales Anliegen. In der Symbolik der Frau als Trägerin der Nation war gerade der sexuelle Kontakt zum Feind ein besonders neuralgischer Punkt. Die Männer hingegen, die politisch kollaboriert hatten, wurden noch immer ernst genommen und auf Augenhöhe – nämlich in der Regel in Prozessen – verurteilt.
Scham bringt Erinnerungen zum Schweigen
Nicht nur die Mutter von Anni-Frid Lyngstad, ABBA-Sängerin und "Deutschenkind", verließ ihre Heimat, um sich dem Hass zu entziehen. Die norwegische Erinnerungskultur erwähnte die "Deutschenmädchen" solange nicht, bis sich ihre Kinder in den 80er-Jahren organisierten. Erst im Zuge dieser Kampagne wurden die Erinnerungsdiskurse wieder aufgenommen, wobei noch immer kaum eine Mutter über ihre Vergangenheit sprechen wollte. Ähnlich schambesetzt war das Leiden traumatisierter Männer, die Schwäche der Invaliden. In den ersten Jahrzehnten konnten diese Aspekte nicht ausgesprochen werden, sie widersprachen den zeitgenössischen Konstruktionen von Männlichkeit. Erst in der Auseinandersetzung mit dem Holocaust hätte es Raum für das Leiden der Männer gegeben, so Lenz. Wie sich Erinnerungskultur entlang neuer Strukturen ändert, stellten die Teilnehmenden an einer weiteren heteronormativen Verengung fest: Von homosexuellen Beziehungen der Einheimischen mit deutschen Soldaten und deren Ahndung hatte noch keiner der Anwesenden gehört. Die Erfahrungsgeschichte des Holocaust und des Nationalsozialismus wird offensichtlich weiterhin ein aktuelles Thema bleiben; sie öffnet sich für bisher unterdrückte Narrative und entlang neuer Werte und Normen.
Bildungsauftrag: Dekonstruktion
Über die Frage, was dies für die aktuelle Bildungspolitik bedeuten könnte, wurde im Workshop aus Zeitmangel nicht mehr diskutiert. Claudia Lenz verriet zum Schluss nur so viel: In Zeiten von wirtschaftlichen, politischen und Identitätskrisen erlebten wir momentan ein Rollback zu Konstruktionen nationaler Zugehörigkeit. Die Bildungspolitik könnte dem entgegenwirken, diese Scheinidentitäten zu dekonstruieren, indem sie sich – wie im Workshop geschehen – mit Erinnerungskultur(en) kritisch auseinandersetzt.