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Black Germany | Schwarz und Deutsch | bpb.de

Schwarz und Deutsch Editorial Black Germany. Zur Entstehung einer Schwarzen Community in Deutschland Die "farbigen Besatzungskinder" der zwei Weltkriege Ostdeutsche of Color. Schwarze Geschichte(n) der DDR und Erfahrungen nach der deutschen Einheit Afrozensus. Intersektionale Analysen zu Anti-Schwarzem Rassismus in Deutschland Schwarze Körper in weißen Kunsträumen. Für eine Kultur des Kontakts Die Renaissance der Hautfarbe. Ein Gespräch über Kindheitserfahrungen, Identität und antirassistische Diskurse

Black Germany Zur Entstehung einer Schwarzen Community in Deutschland

Robbie Aitken

/ 16 Minuten zu lesen

Die Präsenz Schwarzer Menschen im deutschsprachigen Raum lässt sich bis ins Mittelalter zurückverfolgen. Spätestens im Kaiserreich wurde die Community größer und sichtbarer. Warum ist Deutschlands Schwarze Geschichte dennoch so unbekannt?

Geschätzt leben heute über eine Million Menschen afrikanischer Herkunft in Deutschland. Die Präsenz Schwarzer Menschen im deutschsprachigen Raum lässt sich bis ins Mittelalter zurückverfolgen. Seit geraumer Zeit dokumentieren Aktivistinnen und Aktivisten sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die aktive Rolle, die Schwarze Menschen in der deutschen Geschichte über Jahrhunderte gespielt haben, und die Geschichte des europäischen Rassismus, der ihr Leben prägte. Dennoch werden die Beiträge Schwarzer Menschen zur deutschen Gesellschaft in den Geschichtsbüchern häufig ausgeklammert oder totgeschwiegen, und so bleiben viele Lücken in den vorhandenen historischen Aufzeichnungen. Dieser Beitrag bietet eine Einführung in die Geschichte(n) Schwarzer Menschen in Deutschland. Ausgehend vom mittelalterlichen Europa wenden wir uns zunächst dem 17. Jahrhundert zu, als die Zahl der Menschen afrikanischer Herkunft im deutschsprachigen Raum langsam zunahm. Der Schwerpunkt der Darstellung liegt dann auf der Entwicklung einer beständigen Schwarzen Community in der Zeit von 1884 bis 1945.

Vom mittelalterlichen Europa bis zur frühen Neuzeit

Es gibt Belege dafür, dass sich bereits im Mittelalter Menschen afrikanischer Herkunft im deutschsprachigen Europa aufhielten. Insbesondere während der Herrschaft des Stauferkönigs Friedrichs II. als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches (1220–1250) waren zahlreiche Schwarze Männer und Frauen an seinem kosmopolitischen Hof tätig. Sie wurden als Sklaven gekauft oder im Rahmen diplomatischer Beziehungen von muslimischen Würdenträgern geschenkt. Andere waren Untertanen des römisch-deutschen Reiches, das sich über weite Teile Mitteleuropas und des heutigen Italiens erstreckte und auch eine Kolonie sizilianischer Muslime im süditalienischen Lucera umfasste, die sich dort im Exil befanden. Am Hof Friedrichs II. hatten Schwarze militärische Positionen inne, waren Unterhaltungskünstler und Bedienstete. Zu ihnen gehörte Johannes Morus, der zum persönlichen Kammerdiener des Kaisers aufstieg und auch in Lucera diente. Der Kenntnisstand über ihr Leben und ihre Erfahrungen ist jedoch nach wie vor gering.

Während der Frühen Neuzeit traten afrikanische Pagen und Bedienstete an den Höfen der deutschen Feudalaristokratie und in den Haushalten der aufstrebenden bürgerlichen Handelsfamilien zunehmend als exotische Statussymbole in Erscheinung, ähnlich wie anderswo in Europa. An größeren Fürstenhöfen durchliefen junge afrikanische Männer eine musikalische Ausbildung. Einige dienten als Musiker im Militär, eine Tradition, die bis ins 20. Jahrhundert fortgeführt wurde. Die meisten von ihnen waren ursprünglich als Sklaven gekauft worden, und es war nicht unüblich, dass Schwarze Jugendliche unter den Mitgliedern der europäischen Königshäuser als Geschenke ausgetauscht wurden. Trotz der stark hierarchischen Ordnung des Lebens am Hof gab es Möglichkeiten der Integration und des sozialen Aufstiegs. Im 18. Jahrhundert wurden Afrikaner auch an die Höfe deutscher Fürsten gebracht, um dort einen Beruf zu erlernen oder im Geiste der Aufklärung eine Ausbildung zu erhalten. Seit dieser Zeit ist auch belegt, dass Schwarze Menschen in deutschen Städten etwa als Hafenarbeiter, fahrende Künstler oder Prostituierte arbeiteten.

Zu den wenigen Personen dieser Zeit, deren Lebensläufe relativ gut dokumentiert sind, gehören der ghanaische Philosoph Anton Wilhelm Amo (ca. 1703–1759), der den Herzögen von Braunschweig-Wolfenbüttel geschenkt worden war und später an den Universitäten Halle und Jena lehrte, der gut vernetzte Wiener Höfling und Freimaurer Angelo Soliman (Mmadi Maki, ca. 1721–1796) und die Ostafrikanerin Machbuba (ca. 1825–1840), die als Jugendliche von Hermann von Pückler-Muskau als Sklavin gekauft und nach Europa gebracht wurde. Sie starb 1840 in Muskau, Sachsen. Doch erst im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts stieg die Zahl der Männer und Frauen afrikanischer Herkunft, die sich in Deutschland aufhielten, deutlich an – der Beginn einer kontinuierlichen Präsenz Schwarzer Menschen in Deutschland.

Wachsende Sichtbarkeit im Kaiserreich

Die Entwicklung einer dauerhaften – zwar kleinen, aber sichtbaren – Schwarzen Community in Deutschland war eine unvorhergesehene Folge des europäischen Imperialismus und der frühen Globalisierung. Diese Prozesse schufen Wege und Transportverbindungen, die es Schwarzen Männern und Frauen aus unterschiedlichen Gegenden erst ermöglichten, nach Europa und nach Deutschland zu gelangen. Zwischen 1884, den Anfängen des deutschen Kolonialreichs in Afrika, und dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 hielten sich mehrere tausend Menschen afrikanischer Herkunft aus fast allen Regionen Afrikas sowie aus der Karibik, Südamerika und den Vereinigten Staaten in Deutschland auf. Insbesondere die regelmäßigen und direkten Schiffsverbindungen zu den neuen deutschen Kolonien erleichterten die Zuwanderung, vor allem aus Kamerun, aber auch aus Togo und dem damaligen Deutsch-Ostafrika, das Teile der heutigen Staaten Tansania, Burundi, Ruanda und kurzzeitig Sansibar umfasste, sowie in geringerem Umfang aus dem damaligen Deutsch-Südwestafrika auf dem Gebiet des heutigen Namibia.

Vor 1914 waren die Lebenswirklichkeiten Schwarzer Menschen in Deutschland alles andere als einheitlich, doch lassen sich durchaus einige allgemeine Aussagen treffen. Erstens waren Schwarze überall im deutschen Kaiserreich zu finden, in Ortschaften und Dörfern genauso wie in größeren Städten. Dies lag zum Teil daran, dass diejenigen, die direkt am Kolonialprojekt beteiligt waren, in der Regel auch diejenigen waren, die Afrikaner nach Europa brachten – Missionare, Beamte, Militärs, Geschäftsleute und Zoo-Unternehmer. Diese lebten über das ganze Land verstreut. Zweitens handelte es sich in jener Zeit bei der Gruppe Schwarzer Menschen in Deutschland um eine junge, männlich dominierte Bevölkerung – nur sehr wenige Schwarze Frauen waren zu dieser Zeit in Deutschland. Dies ist auf die geschlechtsspezifische Struktur vieler afrikanischer Bevölkerungsgruppen zurückzuführen, die an dieser Migration beteiligt waren, und hängt auch mit den Routen zusammen, über die die Menschen nach Europa kamen. Drittens handelte es sich bei der überwiegenden Mehrheit der Ankommenden um Durchreisende, eine Bevölkerung in ständiger Bewegung: Nur eine Minderheit betrachtete ihren Aufenthalt nicht als vorübergehend, und nur sehr wenige blieben über einen längeren Zeitraum.

Schwarze Menschen kamen auf den unterschiedlichsten Wegen und aus den unterschiedlichsten Gründen ins Kaiserreich. Einige waren von Zwang geprägt, andere ließen Handlungsspielraum und beruhten auf einer bewussten Entscheidung für die Reise. Zahlreiche Menschen, darunter auch viele Frauen und Kinder, wurden von Unternehmern als "Exponate" für Menschen-Zoos nach Europa geholt, in denen sie zur Unterhaltung des weißen Publikums ihre vermeintliche "Eingeborenenkultur" vorführen sollten. Solche Spektakel waren oft ein großes Geschäft, organisiert von Impresarios wie dem Hamburger Zoodirektor und Völkerschauausrichter Carl Hagenbeck. Auch der deutsche Staat förderte beispielsweise die Berliner Kolonialausstellung von 1896, zu deren Anlass rund hundert Menschen aus den Kolonien in die Hauptstadt gebracht wurden, um die Öffentlichkeit für die deutschen Übersee-Ambitionen zu begeistern. Noch einmal so viele junge afrikanische Männer trafen als Diener und Begleiter deutscher Kolonialfunktionäre, Missionare und Händler ein, die auf Heimaturlaub waren. Darüber hinaus wurden Dutzende afrikanische Männer angestellt, um am Hamburger Kolonialinstitut oder am Berliner Seminar für Orientalische Sprachen zukünftige deutsche Kolonisten in afrikanischen Sprachen und Sitten zu unterrichten.

Eine weitere treibende Kraft hinter den Migrationsbewegungen aus den Kolonien waren Teile der kolonisierten afrikanischen Gesellschaften selbst. Mitglieder der wohlhabenden kamerunischen und togolesischen Küstenelite etwa hatten die finanziellen Mittel (oder aber Sponsoren), um ihre Kinder, fast ausschließlich ihre Söhne, nach Deutschland zu schicken, damit sie dort ausgebildet wurden oder eine Lehre absolvierten. Familien wie die Bells und Akwas in Douala in Kamerun oder die Garbers und Lawsons in Aného in Togo erkannten in der Bildung einen Weg, über den sie Prestige und politischen Einfluss gewinnen konnten. Katholische und protestantische Missionsgesellschaften mit Sitz in den deutschen Kolonien waren ebenfalls daran beteiligt, junge Afrikaner in Deutschland für den künftigen religiösen Dienst auszubilden. Darüber hinaus traf in den deutschen Häfen, vor allem in Hamburg, eine Vielzahl Schwarzer Männer ein, die für die zunehmend international ausgerichtete deutsche Handelsflotte arbeiteten. Und bereits vor 1914 traten Schwarze Künstlerinnen und Künstler, vor allem aus den Vereinigten Staaten, in deutschen Städten auf.

Die deutschen Kolonialbehörden in Berlin und Afrika unterstützten zunächst die temporäre Einwanderung, insbesondere aus den Kolonien, solange dies als vorteilhaft für die Ziele des deutschen Imperialismus angesehen wurde. Eine dauerhafte Ansiedlung von Afrikanern war jedoch zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt, und bereits in den 1890er Jahren wurden Migrationsbeschränkungen eingeführt, um die Zuwanderung aus den Kolonien zu kontrollieren und zu begrenzen. Die Begründung war, dass junge Afrikaner durch den Kontakt mit der europäischen Gesellschaft moralisch korrumpiert würden und sich nach ihrer Rückkehr nach Afrika nicht wieder in die strenge Rassenhierarchie des kolonialen Umfelds eingliedern wollten.

Der Erfolg dieser wie auch späterer Beschränkungen ist fraglich. Afrikaner aus den deutschen Kolonien erreichten Deutschland noch bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs in größerer Zahl. Die überwiegende Mehrheit von ihnen kehrte vor Beginn der Kampfhandlungen nach Hause zurück. Nichtsdestotrotz ließen sich einige Schwarze entweder aus freien Stücken oder aus der Not heraus längerfristig in Deutschland nieder, und so bildeten sich bereits vor 1914 in Städten wie Berlin, Hamburg und Hannover kleine Schwarze Communities.

Weimarer Republik

Der Krieg und der anschließende Versailler Vertrag stellten eine Wende für die Schwarze Bevölkerung in Deutschland dar. Die hohe Mobilität der Vorkriegszeit kam zum Erliegen und hinterließ nach 1918 eine viel kleinere, stabile und sesshafte Diaspora. Für die Dauer des Krieges saßen Schwarze Menschen, die sich eigentlich nur temporär in Deutschland aufgehalten hatten, im Land fest. Mehrere Männer aus den Kolonien kämpften für die deutsche Armee in Europa und wurden für ihre Verdienste im Krieg ausgezeichnet. Andere arbeiteten in Munitionsfabriken. Schwarze mit britischem oder französischem Pass wurden zum Teil als Kriegsgefangene inhaftiert.

Mit Ausnahme von Deutsch-Ostafrika, wo die Kämpfe bis Ende 1918 andauerten, war das Deutsche Reich in Afrika bis 1916 praktisch zusammengebrochen. Im Rahmen des Friedensabkommens wurde Deutschland seiner Kolonien enteignet, was der kontinuierlichen Einwanderung aus den Kolonialgebieten und überhaupt der Immigration aus Afrika ein Ende setzte. Die deutschen Kolonien wurden unter zumeist französische und britische Mandate gestellt. Dies bedeutete auch, dass die mutmaßlich mehreren hundert Männer aus diesen Gebieten, die sich noch im Nachkriegsdeutschland befanden und den Großteil der Schwarzen Bevölkerung ausmachten, nun rechtlich den Mandatsmächten unterstanden. Für ihre Rückkehr nach Afrika benötigten sie also eine Erlaubnis der französischen oder der britischen Behörden. Beide Staaten zögerten jedoch, diese Verantwortung wahrzunehmen, und lehnten routinemäßig Anträge auf Rückkehr in die Heimat ab, sodass diese Männer in Deutschland strandeten und sich dort notgedrungen niederließen.

Ihr rechtlicher Status war komplex: Vor dem Krieg waren sie nie deutsche Staatsbürger gewesen, sondern eher Untertanen mit begrenzten und unklaren Rechten. Nach dem Krieg wären sie am ehesten als staatenlos zu bezeichnen. Denjenigen, die die deutsche Staatsbürgerschaft beantragten, wurde fast ausnahmslos die Einbürgerung verweigert. In der Folge war es für sie alles andere als einfach, sich ein Leben in Deutschland aufzubauen. Die deutschen Behörden zeigten sich wenig begeistert, sich dieser Männer anzunehmen, und die Linie der Politik ihnen gegenüber war bis etwa 1939 von der Hoffnung geprägt, die verlorenen Kolonien zurückzugewinnen. Ihre Anwesenheit wurde geduldet, um negative Schlagzeilen in der internationalen Presse zu vermeiden. Dazu gehörte auch eine begrenzte finanzielle Unterstützung für arbeitslose Afrikaner. Das langfristige Ziel blieb jedoch, die Rückkehr der Männer nach Afrika sicherzustellen.

Trotz dieser beträchtlichen Hindernisse konnten die Männer aus den ehemaligen Kolonien und anderen Regionen Afrikas, zusammen mit afroamerikanischen Männern aus den USA und der Karibik, in der Zwischenkriegszeit zunehmend Wurzeln in Deutschland schlagen. Es wurden Ehen geschlossen und Familien gegründet, obwohl die deutschen Behörden mitunter aktiv versuchten, gemischte Paare zu trennen. Angesichts des Ungleichgewichts zwischen den Geschlechtern unter den Schwarzen Einwohnern bedeutete Heirat meist, eine weiße Partnerin zu finden, und bis 1933 wurden mehrere Dutzend gemischte Ehen geschlossen. Aus diesen und nichtehelichen Beziehungen entwickelte sich eine neue Generation Schwarzer Deutscher. Diese afrodeutschen Familien waren Teil des größeren Wandels hin zu einer stabilen, dauerhaft ansässigen Schwarzen Community in der Zwischenkriegszeit. Doch nach den Bestimmungen des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts erbten sowohl die Ehefrauen als auch die Kinder der Männer aus den ehemaligen Kolonien deren faktische Staatenlosigkeit.

Die meisten Schwarzen Einwohnerinnen und Einwohner zogen in die expandierenden, kosmopolitischen Metropolen Berlin und Hamburg, wo sie sowohl untereinander als auch für Außenstehende an Sichtbarkeit gewannen. Schon in der Vorkriegszeit, aber zunehmend in der Weimarer Republik, hatten gemeinsame Interessen, die geteilten Erfahrungen von Rassismus und Kolonialismus und die Schwierigkeiten des wirtschaftlichen und sozialen Überlebens in Deutschland für Bindungen zwischen Schwarzen mit teils sehr unterschiedlichen Hintergründen gesorgt. Indem sie miteinander in Kontakt traten und informelle und formelle Netzwerke auf lokaler und nationaler Ebene aufbauten, entstand erstmals eine organisierte Gemeinschaft Schwarzer Menschen in Deutschland. Die Siedlungsmuster in Berlin und Hamburg sind ein Beleg für diese sich entwickelnde Community. Typischerweise konzentrierten sich die Schwarzen Bewohnerinnen und Bewohner auf einige wenige Gebiete, lebten und arbeiteten in unmittelbarer Nähe zueinander und teilten sich manchmal Unterkünfte. Ein deutliches Zeichen für die Bildung einer Community war überdies die Entstehung sozialer Räume, die explizit von Schwarzen Menschen frequentiert wurden, wie die von dem Inder Hardas Singh betriebene "Indian Bar" in Hamburg oder das Café Central in Berlin.

(© Sammlung des Autors)

Das Café Central war nicht nur ein Treffpunkt für Schwarze, sondern diente auch als Rekrutierungsstätte für Film-, Theater- und Zirkusdirektoren, die nach Schwarzen Darstellerinnen und Darstellern suchten. In den späten 1920er Jahren waren die meisten Schwarzen fast vollständig von anderen Beschäftigungsmöglichkeiten ausgeschlossen und versuchten, ihren Lebensunterhalt stattdessen durch Film- und Bühnenauftritte zu bestreiten. Die Rollen, die ihnen angeboten wurden, entsprachen in der Regel dem Stereotyp "des Schwarzen" als primitiv oder exotisch. Abgesehen von dem Kameruner Bebe Mpessa, besser bekannt als Louis Brody, hatten nur wenige Schwarze Darsteller dauerhaften Erfolg. Doch in einer Zeit, in der die deutsche Wirtschaft auf eine Krise zusteuerte, bot die Arbeit als Schauspieler einen beträchtlichen finanziellen Zuverdienst. Film, Theater und Zirkus wurden zu Orten, an denen Schwarze Menschen miteinander in Kontakt kamen, was das Gemeinschaftsgefühl unter ihnen stärkte. Feste Strukturen ergaben sich für sie schließlich durch die sozialen und politischen Organisationen, die Schwarze Menschen in Deutschland selbst gründeten.

Schwarzer Aktivismus

1921 schrieb Louis Brody einen offenen Brief an die Berliner Zeitung "B.Z. am Mittag", in dem er gegen die rassistischen Beschimpfungen protestierte, denen die Schwarze Bevölkerung Deutschlands aufgrund der "Schwarzen Schmach" ausgesetzt war. Dabei handelte es sich um eine zutiefst rassistische Propagandakampagne gegen den Einsatz französischer Kolonialtruppen während der alliierten Besetzung des Rheinlandes. Brodys Intervention steht in einer längeren Tradition von Schwarzem Aktivismus in Deutschland, der schon in den früheren antikolonialen Aktivitäten der Kameruner Alfred Bell und Mpundu Akwa sowie in einem Zeitungsartikel des Togolesen Kuaku Karl Atiogbe aus dem Jahr 1908 seinen Ausdruck fand. In besagtem Zeitungsartikel stellte Atiogbe die vorurteilsbehafteten Annahmen der Deutschen über Schwarze Menschen ganz grundsätzlich in Frage.

Brodys Brief von 1921 wurde im Namen des Afrikanischen Hilfsvereins (AH) veröffentlicht. Der 1918 in Hamburg gegründete Verein war ein Sprachrohr der sich entwickelnden Schwarzen Gemeinschaft in Deutschland. Er wurde als zentraler Organisationspunkt für alle Menschen afrikanischer Herkunft in Deutschland gegründet, um Fürsorge und Rechtsberatung zu bieten und als Ersatz für die "Stammesgemeinschaft und Familie der Heimat" zu dienen. Von den 32 Gründungsmitgliedern waren die meisten Kameruner, aber die Mitgliedschaft stand jedem in Deutschland lebenden Schwarzen offen. Auch Männer aus Togo, Ost- und Westafrika und der Karibik engagierten sich im Verein. Obwohl viele Mitglieder in Hamburg und Berlin ansässig waren, betätigte sich die Gruppe landesweit und hatte auch in Ostpreußen, Bayern, Westfalen und Mecklenburg Unterstützer.

Obwohl der Verein sich selbst als unpolitisch bezeichnete, meldete er sich zu Themen zu Wort, die für die Mitglieder von großem sozialen und politischen Interesse waren. Ein Kreis um den Kameruner Martin Dibobe versuchte, sich in die Nachkriegsdebatten über das Schicksal der deutschen Kolonien einzuschalten. Im Juni 1918 übergaben Dibobe und seine 17 Mitstreiter dem Reichskolonialamt eine 32 Punkte umfassende Petition. Die an die Weimarer Nationalversammlung gerichtete Eingabe sah eine radikale Neuverhandlung der Beziehungen zwischen Kamerun und Deutschland vor. Die beiden Länder sollten zwar weiterhin eng miteinander verbunden sein, Kamerun sollte jedoch aus dem Griff des Kolonialismus befreit und Kameruner und Deutsche sowohl in Deutschland als auch in Afrika politisch und sozial gleichgestellt werden. Angesichts des antikolonialen Charakters der Petition überrascht es nicht, dass die Forderungen der Männer ignoriert wurden. Der AH, der 1920 43 Mitglieder zählte, vertrat die Interessen der Schwarzen Gemeinschaft in Deutschland bis zu seiner Auflösung Mitte der 1920er Jahre.

1929 gründeten einige Unterzeichner der Petition sowie ehemalige AH-Mitglieder eine deutlich politischere, kommunistisch finanzierte, antikoloniale Nachfolgeorganisation in Berlin. Auch sie wurde von Kamerunern dominiert und versuchte, die Interessen der Schwarzen in Deutschland zu vertreten und gleichzeitig gegen die weltweite Ausbeutung von Menschen afrikanischer Herkunft zu protestieren. Ihre Netzwerke reichten über Deutschland hinaus zu einer Schwesterngruppe in Paris, zu afrikanischen antikolonialer Aktivisten in anderen europäischen Ländern und zu kommunistischen Aktivisten in Moskau. Ihre zentrale Figur war der kamerunische Kommunist Joseph Ekwe Bilé, der als Redner bei antiimperialistischen Demonstrationen der Kommunistischen Internationale auftrat. Mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten im Januar 1933 fand der öffentliche Schwarze politische Aktivismus in Deutschland jedoch ein jähes Ende.

Verfolgung in Nazi-Deutschland

Die Machtergreifung der Nationalsozialisten hatte große Auswirkungen auf das Leben aller Schwarzen in Deutschland. Mitglieder der Schwarzen Community erinnerten diesen Moment als einen Wendepunkt in ihrer persönlichen Geschichte. Als nicht ins Rassekonzept der Nazis passende Außenseiter sollten sie von der Zugehörigkeit zum neuen Deutschland systematisch ausgeschlossen werden. Auf lokaler Ebene wurden Einzelpersonen von fanatisierten Parteigängern schikaniert. Wenige Monate nach der Machtergreifung im Jahr 1933 wurde der Künstler und Aktivist Hilarius Gilges in Düsseldorf von einem Mob lokaler NS-Funktionäre und -Anhänger ermordet. Einige Familien wurden aus ihren Häusern vertrieben, andere verloren ihre Existenz. Die Viktimisierung erstreckte sich auch auf in Deutschland geborene Schwarze Kinder, die in der Schule rassistischen Beleidigungen ausgesetzt waren, und fast ausnahmslos wurde ihrem Bildungsweg mit der Nazifizierung des Schulsystems vorzeitig ein Ende gesetzt. Es überrascht nicht, dass sich viele zur Flucht aus Deutschland entschieden.

Die Ausgrenzung wurde noch beschleunigt, als Reichsinnenminister Wilhelm Frick 1935 die Nürnberger Gesetze, die Eheschließungen zwischen sogenannten Ariern und Juden untersagten, in Teilen ausdrücklich auf Schwarze ausdehnte. Nun waren Ehen zwischen zeugungsfähigen Menschen afrikanischer Herkunft und weißen Europäern und Europäerinnen verboten. Die Anträge auf Erlaubnis zur Eheschließung wurden ausnahmslos abgelehnt, und die Nazis versuchten aktiv, bestehende Partnerschaften durch die Androhung von Sterilisation und Inhaftierung aufzulösen. Dies verdeutlicht die völkermörderische Absicht der antischwarzen Politik und Praxis der Nazis. Das Ziel des Regimes bestand letztlich darin, das Heranwachsen künftiger Generationen von Schwarzen Deutschen zu verhindern.

Bis zum Sommer 1940 wurde die antischwarze Politik bis zu einem gewissen Grad durch die Hoffnung auf die Rückgewinnung der Kolonien abgefedert. Der koloniale Revisionismus eröffnete vorübergehend sichere Räume für Einzelpersonen und Familien. Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs sahen sich Schwarze und ihre weißen Partner und Partnerinnen jedoch einem erhöhten Maß an Gewalt ausgesetzt, da der Kolonialrevisionismus und die Sorge um das internationale Ansehen Deutschlands keine Priorität mehr hatten. Immer mehr Menschen wurden in Konzentrationslagern, Zwangsarbeitslagern und Sanatorien inhaftiert, sterilisiert und/oder ermordet.

Nachwehen

Die Schwarze Bevölkerung, die die NS-Zeit überlebte, zählte nun deutlich weniger Menschen, und die Community, die sich seit dem späten 19. Jahrhundert entwickelt hatte, war verstreut und traumatisiert. Mit der Zeit wurden Freundschaften und Netzwerke wiederhergestellt. Ihre Erfahrungen und Leiden bleiben jedoch in der öffentlichen und historischen Erinnerung an das Dritte Reich fast gänzlich unerwähnt, was die Unsichtbarkeit dieser Schwarzen Gemeinschaft sowie der Schwarzen deutschen Vergangenheit in der allgemeinen deutschen Geschichtsschreibung widerspiegelt. Diese Unsichtbarkeit ist das Ergebnis mehrerer komplexer Ursachen: dem schieren Ausmaß der nationalsozialistischen Gräueltaten, der zahlenmäßig geringen Größe der Schwarzen Bevölkerung in Deutschland vor 1945, dem Mangel an Archiv-Dokumentation und der anhaltenden Unfähigkeit, sich konstruktiv mit der kolonialen Vergangenheit Deutschlands auseinanderzusetzen. Die Folge ist, dass es kaum eine Erinnerung daran gibt, dass es in Deutschland einmal eine Schwarze Bevölkerung gegeben hat, die größtenteils aus den deutschen Kolonien stammte.

Aus dem Englischen von Birthe Mühlhoff, Dinslaken

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zu den wichtigsten Werken gehören: Katharina Oguntoye, Eine afro-deutsche Geschichte. Zur Lebenssituation von Afrikanern in Deutschland von 1884 bis 1950, Berlin 1997; Paulette Reed-Anderson, Eine Geschichte von mehr als 100 Jahren. Die Anfänge der afrikanischen Diaspora in Berlin, Berlin 1995; Peter Martin, Schwarze Teufel, edle Mohren. Afrikaner in Geschichte und Bewußtsein der Deutschen, Hamburg 2001.

  2. Vgl. Paul H.D. Kaplan, Black Africans in Hohenstaufen Iconography, in: Gesta 26/1987, S. 29–36; Rashid-S. Pegah, Real and Imagined Africans in Baroque Court Divertissements, in: Mischa Honeck/Martin Klimke/Anne Kuhlmann-Smirnov (Hrsg.), Germany and the Black Diaspora: Points of Contact, 1250–1914, New York 2013, S. 74–91.

  3. Vgl. Jeff Bowersox, Johannes dictus Morus (d. 1254), Externer Link: http://www.blackcentraleurope.com/sources/1000-1500/johannes-dictus-morus-d-1254/.

  4. Vgl. Anne Kuhlmann-Smirnov, Schwarze Europäer im Alten Reich: Handel, Migration, Hof, Göttingen 2013.

  5. Vgl. Stephen Menn/Justin Smith (Hrsg.), Anton Wilhelm Amo’s Philosophical Dissertations on Mind and Body, New York 2020; Philipp Blom/Wolfgang Kos (Hrsg.), Angelo Soliman – Ein Afrikaner in Wien, Wien 2011.

  6. Vgl. Robbie Aitken, A Transient Presence: Black Visitors and Sojourners in Imperial Germany, 1884–1914, in: Immigrants and Minorities 34/2016, S. 233–253.

  7. Dieses Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen galt nicht im Fall der afroamerikanischen Künstlerinnen und Künstler, die nach Deutschland kamen.

  8. Vgl. Andrew Zimmerman, Anthropology and Antihumanism in Imperial Germany, Chicago 2001, S. 24–37.

  9. Vgl. Aitken (Anm. 6), S. 240–243. Siehe auch Holger Stoecker, Afrikawissenschaft in Berlin von 1919 bis 1945. Zur Geschichte und Topographie eines wissenschaftlichen Netzwerkes, Stuttgart 2008; Marianne Bechhaus-Gerst, Kiswahili sprechende Afrikaner in Deutschland vor 1914, in: Afrikanistische Arbeitspapiere 55/1998, S. 155–172.

  10. Vgl. Jeff Bowersox, Seeing Black: Foote’s Afro-American Company and the Performance of Racial Uplift in Imperial Germany in 1891, in: German History 38/2020, S. 387–413; Kira Thurman, Singing Like Germans: Black Musicians in the Land of Bach, Beethoven, and Brahms, Ithaca 2021.

  11. Vgl. Robbie Aitken/Eve Rosenhaft, Black Germany: The Making and Unmaking of a Diaspora Community, 1884–1960, Cambridge 2013, S. 37–43, S. 60–62.

  12. Während der Weimarer Zeit kamen etwa 600 bis 800 Kinder aus gemischten Beziehungen zwischen deutschen Frauen und den französischen Kolonialtruppen der Rheinlandbesetzung zur Welt. Siehe den Beitrag von Julia Roos in diesem Heft.

  13. Vgl. Aitken/Rosenhaft (Anm. 11), Kapitel 2.

  14. Zwischen 1884 und 1945 erhielten lediglich drei Familien die deutsche Staatsbürgerschaft. Vgl. Laura Frey/Robbie Aitken, "Appartenances coloniales". Les répercussions du traité de Versailles sur le statut juridique des Allemands noirs et de leurs familles entre les deux guerres, in: Revue d’Allemagne et des pays de langue allemande 2/2020, S. 365–380.

  15. Vgl. Heiko Möhle, Betreuung, Erfassung, Kontrolle – Die Deutsche Gesellschaft für Eingeborenenkunde, in: Joachim Zeller/Ulrich van der Heyden (Hrsg.), Kolonialmetropole Berlin, Berlin 2002, S. 243–251.

  16. Vgl. Aitken/Rosenhaft (Anm. 11), Kapitel 3.

  17. Vgl. ebd., S. 94–102.

  18. Vgl. Tobias Nagl, Die unheimliche Maschine. Rasse und Repräsentation im Weimarer Kino, München 2009, S. 557–590.

  19. Vgl. Louis Brody, Die deutschen Neger und die "schwarze Schmach", in: B.Z. am Mittag, 24.5.1921.

  20. Siehe den Beitrag von Julia Roos in diesem Heft.

  21. Zu Bell siehe Aitken/Rosenhaft (Anm. 11), S. 24–28; Karl Atiogbe, Ein Wort für meine schwarzen Brüder, in: Berliner Tageblatt, 2. Beiblatt, 15.3.1908.

  22. Statut des Afrikanischen Hilfsvereins, Staatsarchiv Hamburg 331–333, SA 2819.

  23. Vgl. Stefan Gerbing, Afrodeutscher Aktivismus. Interventionen von Kolonisierten am Wendepunkt der Dekolonisierung Deutschlands 1919, Frankfurt/M. 2010, S. 47–55; Paulette Reed-Anderson, Hearing Colonial Voices: Martin Dibobe and the 1919 Cameroonian Petition, in: Mont Cameroun 2/2005, S. 49–64.

  24. Zur Geschichte des Afrikanischen Hilfsvereins vgl. Peter Martin, Anfänge politischer Selbstorganisation der deutschen Schwarzen bis 1933, in: Marianne Bechhaus-Gerst/Reinhardt Klein-Arendt (Hrsg.), Die (koloniale) Begegnung. AfrikanerInnen in Deutschland 1880–1945, Deutsche in Afrika 1880–1918, Frankfurt/M. 2003, S. 200–201.

  25. Zur "Liga zur Verteidigung der Negerrasse" (LzVN) vgl. Robbie Aitken, From Cameroon to Germany and Back via Moscow and Paris: The Political Career of Joseph Bilé (1892–1959), Performer, "Negerarbeiter" and Comintern Activist, in: Journal of Contemporary History 43/2008, S. 597–616.

  26. Siehe zum Beispiel Doris Reiprich/Erika Ngambi Ul Kuo, Unser Vater war Kameruner, unsere Mutter Ostpreußin, wir sind Mulattinnen, in: Katharina Oguntoye/May Opitz/Dagmar Schultz (Hrsg.), Farbe bekennen, Frankfurt/M. 2006, S. 73–92; Gert Schramm, Wer hat Angst vorm schwarzen Mann, Berlin 2011; Theodor Wonja Michael, Deutsch sein und schwarz dazu, München 2013.

  27. Siehe Aitken/Rosenhaft (Anm. 11), Kapitel 7.

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ist Professor für Geschichte an der Sheffield Hallam University, Vereinigtes Königreich.
E-Mail Link: r.aitken@shu.ac.uk