Regierungsbilanz: Politikwechsel und Krisenentscheidungen
Die 17. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages ist durch bleibende Zäsuren gekennzeichnet: inhaltlich durch Euro-Krise, Aussetzung der Wehrpflicht und Energiewende; formal durch ein Politikmanagement, bei dem Risikoentscheidungen zum Regelfall werden und sich sowohl die Zeitdimensionen des Entscheidens als auch die Partizipationsstrukturen im parlamentarischen System dadurch grundlegend problematisieren. Im Folgenden werden die vier Jahre der christlich-liberalen Bundesregierung bilanziert und die Politikergebnisse anhand von Erkenntnissen der Regierungs- und Koalitionsforschung eingeordnet.Regierungsbildung und Koalitionsvereinbarung
Im Wahlkampf 2009 machten CDU/CSU und FDP – wie zur vorhergehenden Wahl – ihre Präferenzen für eine Zusammenarbeit deutlich, allerdings gab es einen bedeutenden Unterschied:[1] 2005 agierte man gemeinsam aus der Opposition gegen eine rot-grüne Bundesregierung, 2009 stellte die CDU die Bundeskanzlerin und ging als Regierungspartei in den Wahlkampf. Während die FDP als kleine Oppositionspartei Profilierung und Zuspitzung suchte, konnte sich die Union nur bis zu einem bestimmten Grad von den Beschlüssen der Großen Koalition distanzieren – gerade vor dem Hintergrund eines erfolgreich wahrgenommenen Managements der Finanzkrise.[2]Schwarz-Gelb kam 2009 auf eine deutliche Mehrheit, vor allem aufgrund des historisch guten Wahlergebnisses der FDP. Entsprechend selbstbewusst traten die Liberalen unter Führung von Guido Westerwelle in die Koalitionsverhandlungen ein. Ihre zentrale Forderung waren Steuersenkungen ("Mehr Netto vom Brutto") als Bestandteil einer großen Steuerreform. Bei der CDU war der Eifer nach dem pointierten Reformkurs des Leipziger Parteitags 2003, welcher für das schwache Ergebnis 2005 verantwortlich gemacht wurde, erlahmt. "Die aufgrund ihres Wahlergebnisses vor Kraft strotzende FDP setzte sich für eine spürbare Regierungszäsur ein, wohingegen in der Union der Wunsch nach Verlässlichkeit und Kontinuität dominiert."[3] Gleichzeitig sah die CDU im Zuge der aufziehenden Euro-Krise alle Vorhaben unter Finanzierungsvorbehalt. Der Widerspruch zwischen umfassenden Steuersenkungen und einer Reduzierung der Staatsverschuldung blieb ungelöst. Der ausgehandelte Koalitionsvertrag enthielt somit zwei Stolpersteine: Erstens war das Schlüsselprojekt Steuerreform mehr Wunsch der FDP als der CDU[4] und zugleich durch geänderte Rahmenbedingung unterminiert. Zweitens wurde die konkrete Ausgestaltung vieler Punkte in die Legislaturperiode vertagt; zu wichtigen Schlüsselentscheidungen finden sich nur "dilatorische Formelkompromisse".[5] Erschwerend kam hinzu, dass sich die Machtbalance zwischen den Koalitionspartnern durch die Niederlagen der FDP bei den folgenden Landtagswahlen wieder zugunsten der Union korrigierte – was das Konfliktpotenzial weiter erhöhte. Die Ausgangsbedingungen für Regierungshandeln und Gesetzgebung stellten sich somit zunächst eher nachteilig dar.
Gesetzgebungstätigkeit und Politikergebnisse
Zunächst wird ein deskriptiver Blick auf das Regierungshandeln anhand der Gesetzgebungstätigkeit geworfen. Die Zahl von 585 von der schwarz-gelben Bundesregierung oder unter Beteiligung der Regierungsfraktionen eingebrachten Gesetzesvorhaben liegt niedriger als in der Legislaturperiode zuvor (16. Wahlperiode: 650 Initiativen). Allerdings bedingte die von 2005 bis 2009 amtierende Große Koalition als Bündnis der beiden ressourcenstarken Großparteien eine höhere Gesetzgebungsaktivität als zuvor. Gleichzeitig war die FDP nach langen Jahren auf den Oppositionsbänken 2009 erstmals wieder in einer Bundesregierung vertreten.Die Statistik verdeutlicht aus Parlamentarismus- und Regierungsforschung bekannte Zusammenhänge: So kommen Gesetzesentwürfe in der Mehrheit von der Regierung und nicht aus dem Parlament.[6] Das entspricht dem für parlamentarische Regierungssysteme typischen Dualismus von Regierung und Opposition, indem sich nicht – wie in der klassischen Gewaltenteilungslehre – Exekutive und Parlament, sondern die Handlungseinheit aus Exekutive und Mehrheitsparteien der parlamentarischen Minderheit gegenüberstehen.[7] Bei der Erstellung von Gesetzentwürfen nutzen die Regierungsparteien die Kompetenz der Ministerialbürokratie, und die Akteure aus Exekutive und Parlament stimmen sich schon in der Entwurfsphase ab. Der Gegenüberstellung von Regierungsmehrheit und Opposition entsprechend hatten in der 17. Wahlperiode die Initiativen der Oppositionsfraktionen ohne Beteiligung von CDU/CSU und FDP keinen Erfolg. Schließlich spiegelten sich in der Gesetzgebungstätigkeit die informellen Verfahrensregeln des Koalitionsvertrags wider: Es gab keine wechselnden Mehrheiten und auch die Vorgabe, alle Initiativen gemeinsam einzubringen, wurde befolgt.
Die Politikergebnisse der schwarz-gelben Bundesregierung lassen sich anhand von drei Punkten strukturieren:[8] erstens die programmatische Verschiebung der CDU unter Bundeskanzlerin Angela Merkel im Parteiensystem (Policy-Kontinuität und Parteiendifferenz), zweitens die Bemühung der kleinen Koalitionsparteien FDP und CSU, sich im Bündnis zu profilieren (koalitionsinterne Faktoren), sowie drittens der externe Druck auf die Koalition, der sich durch das Handeln anderer Akteure im politischen System oder unvorhersehbare Ereignisse ergibt.