Während der Online-Wahlkampf zur Bundestagswahl 2009 geprägt war von der Euphorie, die durch den Obama-Wahlkampf nach Deutschland herüber geschwappt war, ist der Online-Wahlkampf 2013 in mancherlei Hinsicht in der Normalität angekommen.
Wahlkampf im Social Web – Dialog mit den Wählern?
Unter den Online-Aktivitäten der Parteien gab es eine ganze Reihe von Formaten, die die Chance für einen Dialog mit den Wählern boten. Wer aber etwas genauer hinschaute, musste feststellen, dass die Parteien wie schon 2009 die Online-Kommunikation in erster Linie nutzten, um eigene Botschaften zu verbreiten. Ein Dialog mit den Wählern kam nur selten zustande – trotz gegenteiliger Ankündigungen im Vorfeld.
Soziale Netzwerke
Diese Tendenz spiegelt sich auch in den eigentlich dialogorientierten Online-Auftritten wieder. So waren alle Parteien auf den verschiedenen sozialen Netzwerken vertreten, allen voran auf Facebook, das mit gut 26 Millionen Nutzern in Deutschland inzwischen die unangefochtene Nummer eins bei den sozialen Netzwerken ist.
Alle sozialen Netzwerke wurden allerdings von den Parteien und den Spitzenkandidaten vornehmlich genutzt, um auf Wahlkampfveranstaltungen hinzuweisen und – oft parallel zur Nachrichtenlage – Beiträge zu verschiedenen Themen zu publizieren. Ein Dialog fand jedoch kaum statt. So diskutierten die Nutzer zwar zum Teil miteinander, aber überwiegend ohne Reaktionen der Parteienvertreter zu bekommen. Auch blieben die Facebook-Auftritte von Angela Merkel und Peer Steinbrück, aber auch die der Parteizentralen von CDU und SPD, weitestgehend unmoderiert. So fanden sich dort neben den wahlkampforientierten Kommentaren von Anhängern und Gegnern auch viele unsachliche Kommentare, Werbeaussagen für andere Parteien und Beleidigungen. Noch bei der letzten Bundestagswahl wurden Kritik und themenfremde Posts schnell gelöscht. 2013 blieben sie sehr oft unmoderiert online. Bei den parteieigenen Blogs sah es nicht viel besser aus. Hier hielt sich die Zahl der Beiträge in überschaubaren Grenzen, und die Zahl der Kommentare tendierte gegen Null.
Eigene Communities ohne Leben
Neben den sozialen Netzwerken gab es auch einige der zum Wahlkampf 2009 nach US-Vorbild gelaunchten Partei-Communities, die auch wieder für Nicht-Mitglieder zugänglich waren. Aber sowohl die Möglichkeiten als auch die Resonanz ließen auf den meisten Plattformen zu wünschen übrig.
Die Zahl der angemeldeten Unterstützer in den Nicht-Mitglieder-Bereichen war eher gering und die Interaktionen blieben meist überschaubar. Selbst eine Woche vor der Wahl gab es beispielsweise bei der SPD für viele Wahlkreise noch keine Teamer, also Ansprechpartner für die Nicht-Mitglieder. Auch fehlte es an organisierten Aktionen, die Nicht-Mitglieder hätte unterstützen können. Selbst auf Wahlkampfveranstaltungen des Kanzlerkandidaten Steinbrücks im Wahlkreis wurde nicht hingewiesen. Nicht viel anders sah es auf den Seiten der CDU aus, die ihre Community "TeamDeutschland" aus dem Wahlkampf 2009 fortgeführt hatte. Auch FDP, die Linke und die Grünen boten Communities beziehungsweise Mitmach-Bereiche auf ihren Webseiten an, auf denen man sich für Wahlkampfaktionen online melden oder per Newsletter über Wahlkampfveranstaltungen informieren lassen konnte.
Dialog-Ansätze
Einige Dialoge mit den Wählern im Netz gab es dann aber doch. Die SPD versuchte es beispielsweise mit einer Twitter-Townhall, bei der jeder unter dem Hashtag #fragpeer über Twitter Fragen stellen konnte. Peer Steinbrück antwortete dann eine Stunde lang im Livestream und über seinen Twitter-Account beziehungsweise ließ seine Mitarbeiter die Antworten dort tippen. Die wenigen Antworttweets ließen bei den Nutzern jedoch Unmut aufkommen.
Twitter oder die Angst vor dem Shitstorm
Der Online-Wahlkampf war aber nicht nur geprägt von den Aktivitäten der Parteien selbst. Twitter beispielsweise bestimmte mehr als einmal die – vor allem auch mediale – Wahrnehmung von Ereignissen. Zu Beginn des Wahljahres sorgten Steinbrücks sogenannte Wohnzimmergespräche für Gesprächsstoff. Geplant waren Besuche bei "normalen" Bürgern zu Hause, doch diese entpuppten sich beim ersten Wohnzimmergespräch als die Eltern einer ehemaligen SPD-Mitarbeiterin. Diese Panne sorgte erst unter dem Hashtag #Eierlikörgate für Hohn und Spott auf Twitter und anschließend in den Medien. Ebenfalls im Januar 2013 entfachte Rainer Brüderle von der FDP durch eine Bemerkung zur "Oberweite" einer "Stern"-Journalistin unter dem Hashtag #aufschrei eine Debatte zum Thema Sexismus auf Twitter und in den klassischen Medien. Mit einer ganz anderen Art von Twitter-Problematik kämpfte Steinbrück dann im Juni 2013, als der sprunghafte Anstieg der Follower-Zahlen erst den Verdacht aufkommen ließ, die SPD hätte Follower gekauft, bevor die Partei klarstellte, sie selbst habe die vielen Fake-Accounts bei Twitter gemeldet.
Second-Screen – TV-Duell online
Twitter war während des ganzen Wahlkampfes immer mal wieder Thema in den klassischen Massenmedien. Der Höhepunkt war allerdings das TV-Duell zwischen Angela Merkel und Peer Steinbrück. Das wurde nicht nur auf vier Sendern gleichzeitig übertragen, sondern auch online auf den verschiedensten Kanälen begleitet und analysiert. Vor allem die großen Medien boten spezielle Online-Angebote parallel zum TV-Duell an und griffen vielfach auf Twitter-Meldungen zur Kommentierung zurück. Auf Tagesschau.de konnten die Nutzer den Live-Stream direkt kommentieren. Der "Spiegel" bot schon vor dem TV-Duell einen Vergleich der Anzahl der Tweets, kommentierte während des TV-Duells das Geschehen und überprüfte die von Kanzlerin und Kandidaten verwendeten Zahlen mit schnell recherchierten Zahlen und Grafiken. Die Wochenzeitung "Die Zeit" wiederum forderte ihre Leser auf, mit entsprechenden Hashtags die Kandidaten direkt auf Twitter zu bewerten. Die "Bild"-Zeitung stellte eine Art Barometer zum gleichen Thema auf die Startseite. Auch die Parteien selbst kommentierten online das TV-Duell – auf Twitter und Facebook. Dort verwies die CDU beispielsweise zu den jeweils angesprochenen Themen im Duell immer wieder auf die eigene Fakten-Webseite.
Auch im Anschluss an das TV-Duell spielte Twitter eine Rolle in der Berichterstattung. Einen erstaunlich hohen Stellenwert bekamen dabei Tweets über die schwarz-rot-goldene Kette der Bundeskanzlerin. Das lag sicherlich auch daran, dass jemand einen Twitter-Account unter @schlandkette dafür einrichtete und damit auf Anhieb 6.000 Follower generieren konnte. Daneben wurde in den Massenmedien vor allem die Zahl der Tweets zu den beiden Politikern miteinander verglichen und als Bewertungsmaßstab herangezogen. Dabei ist Twitter aufgrund der insgesamt in Deutschland eher geringen aktiven Nutzerschaft alles andere als repräsentativ, selbst wenn in den 90 Minuten mehr als 173.000 Tweets mit dem Hashtag #TVDuell verschickt wurden.
Beobachtung des Wahlkampfes online
Nicht nur beim TV-Duell wurden die Online-Aktivitäten beobachtet, auf einer Vielzahl von Webseiten wurde der Wahlkampf der Parteien im Netz analysiert und verglichen. Teils von Firmen bereitgestellt, die sonst Webbeobachtung für Unternehmen anbieten, teils von Privatpersonen, verschafften diese Webseiten jedem User einen Überblick über die Webaktivitäten der Parteien. Geprägt waren alle Angebote von einen quantitativ vergleichenden Charakter, das heißt die Aktivitäten der Parteien im Netz wurden wie ein horse race fast ausschließlich auf die rein statistischen Werte reduziert. Beispielsweise wurden auf FanpageRadar die Facebook-Aktivitäten der Parteien miteinander verglichen, mit minütlichen Updates zur Menge der Fans, der Posts und der Interaktionen.
Wahlentscheidungs-Tools im Netz
Wer sich vor der Wahl nicht entscheiden konnte, dem standen 2013 eine Reihe von Online-Tools als Informations- und Entscheidungshilfe zur Verfügung. Die bekannteste und sicherlich erfolgreichste Orientierungshilfe war der Wahl-O-Mat der Bundeszentrale für politische Bildung.
Nach einem ähnlichen Prinzip funktioniert der Bundeswahlkompass.
Ähnliches bietet der ParteieNavi der Universität Konstanz.
Speziell für die Entscheidung über die Direktkandidaten in den 299 Wahlkreisen konzipiert war der Kandidatencheck von Abgeordnetenwatch.
Zusätzlich gab es noch einige themenspezifische Entscheidungshilfen im Netz. So betrachtete der Wahlcheck des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen nur verbraucherpolitische Fragen.
Viel Raum für Satire
Neben den ernsthaften Online-Aktivitäten von Parteien, Medien und anderen Akteuren fand sich im Netz aber auch viel Satire. Fast alle Parteien boten Anlässe für satirische Kommentierungen. Das übergroße Wahlplakat der CDU am Berliner Washingtonplatz, auf dem nur die Hände der Bundeskanzlerin in ihrer typischen Haltung zu sehen war, bekam einen eigenen Tumblr-Blog, in dem jeder satirische Bildmontagen einstellen konnte.
Einen maßgeblichen Anteil am satirischen Charakter des Wahlkampfes im Netz hatte nicht zuletzt die Partei des ehemaligen "Titanic"-Chefredakteurs Martin Sonneborn – "Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative", kurz "Die PARTEI". Sie erregte mit satirischen Antworten im Wahl-O-Mat, mit einem Wahlwerbespot zur Familienpolitik, der aufgrund pornografischer Inhalte von YouTube gelöscht, im Fernsehen aber gezeigt wurde, sowie mit einer "iDemo" Aufmerksamkeit. Bei dieser Art von Demo konnten nach Aussage von Sonneborn die Bürger selbst entscheiden, wofür oder wogegen sie demonstrieren wollen. Auf einer Webseite konnte jeder Forderungen und Wahlslogans eintragen, die dann auf diversen Tablets bei einer Demonstration in Berlin vor dem Brandenburger Tor gezeigt wurden. Am Ende waren es nach Angaben der PARTEI über 25.000 Botschaften.
Bis auf solche amüsanten Randerscheinungen war der Online-Wahlkampf 2013 insgesamt aber wenig innovativ und geprägt vor allem von nicht ergriffenen Chancen, das Internet als Kommunikationskanal für einen echten Dialog mit den Wählern zu nutzen.