Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Leichte und Einfache Sprache – Versuch einer Definition | Leichte und Einfache Sprache | bpb.de

Leichte und Einfache Sprache Editorial Leichte Sprache? Keine einfache Sache Leichte und Einfache Sprache – Versuch einer Definition Leichte Sprache, komplexe Wirklichkeit Leichte Sprache – Ein Schlüssel zu "Enthinderung" und Inklusion Funktionaler Analphabetismus Sprache in Politik und Wissenschaft

Leichte und Einfache Sprache – Versuch einer Definition

Gudrun Kellermann

/ 9 Minuten zu lesen

Leichte Sprache rückt in Deutschland zunehmend ins öffentliche Bewusstsein. Immer mehr Internetauftritte, Broschüren und Flyer werden in Einfacher Sprache gestaltet. Leichte Sprache, Einfache Sprache – ist es dasselbe? Oft werden beide Begriffe synonym verwendet. Da Leichte Sprache kein geschützter Begriff ist, kommen unterschiedliche Regeln zum Einsatz. Leichte Sprache im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) hat das Ziel, Menschen mit Leseschwierigkeiten die Teilhabe an Gesellschaft und Politik zu ermöglichen. Sie folgt bestimmten Regeln, die unter maßgeblicher Mitwirkung des Vereins Mensch zuerst entwickelt wurden, und zeichnet sich unter anderem durch kurze Hauptsätze aus, weitgehenden Verzicht auf Nebensätze, die Verwendung von bekannten Wörtern, während schwierige Wörter erklärt werden. Das Schriftbild sollte klar, ohne Schnörkel (Serifen) und ausreichend groß sein. Nach jedem Satzzeichen sowie bei sinnvollen Satzabschnitten wird ein Absatz gemacht. Die Optik von Bild und Schrift muss übersichtlich sein. Farben sind eher sparsam einzusetzen. Einfache Illustrationen sind besser als Fotos, auf denen zu viele Details zu sehen sind.

Leichte Sprache / Einfache Sprache

Leichte Sprache


Erlaubt sind Satzellipsen, also unvollständige Sätze wie "Schlecht" statt "Das ist schlecht". Längere zusammengesetzte Namenwörter werden mit einem Bindestrich getrennt, etwa "Heim-Beirat" statt "Heimbeirat". Außerdem wird der Doppelpunkt gezielt als hinweisendes Signal eingesetzt:
"Benutzen Sie aktive Wörter.
Schlecht: Morgen wird der Heim-Beirat gewählt.
Gut: Morgen wählen wir den Heim-Beirat."

Einfache Sprache


Einfache Sprache ist komplexer. Auch schwierigere Begriffe werden benutzt:
"Die Staaten sind dafür verantwortlich, dass Behinderte an der Entwicklung von allen Gesetzen beteiligt sind, die sich mit den Rechten und Pflichten von Behinderten beschäftigen."

Auszüge aus: Mensch zuerst (Anm. 1); B. I. Tronbacke (Anm. 9).


Anders als bei der Leichten Sprache gibt es für die Einfache Sprache kein Regelwerk. Sie ist durch einen komplexeren Sprachstil gekennzeichnet. Die Sätze sind länger, Nebensätze sind zulässig und sämtliche im Alltag gebräuchlichen Begriffe werden als bekannt vorausgesetzt. Fremdwörter sollten allerdings auch hier nach Möglichkeit vermieden werden, ansonsten sind sie zu erklären. Nach Satzzeichen und Satzabschnitten muss nicht zwingend ein Absatz folgen, solange der Text überschaubar bleibt. Auch das optische Erscheinungsbild von Schrift und Bild ist weniger streng geregelt. Texte in Einfacher Sprache sind für viele Menschen hilfreich, etwa für Menschen mit Lese- und Rechtschreibschwäche, Menschen mit Hirnverletzungen, ältere Menschen und hörbehinderte Menschen mit geringerer Lautsprachkompetenz, Menschen mit geringen Deutschkenntnissen, Lernende einer Fremdsprache oder auch Touristinnen und Touristen. Selbst Menschen, die nicht zu den genannten Zielgruppen gehören, können von Einfacher beziehungsweise Leichter Sprache profitieren, wie eine Nutzerin der Leichten Sprache unterstreicht: "Bei einer Veranstaltung in Berlin erklärte ein Bundestagsabgeordneter, dass er regelmäßig ganz kurzfristig viele Texte und Entwürfe lesen und durcharbeiten muss. Einmal war er so sehr unter Zeitdruck, dass er froh war, dass es den Text auch in leichter Sprache gab."

Leichte Sprache hat ihren Ursprung in der US-amerikanischen Organisation People First, die 1974 gegründet wurde und 1996 die Idee des Easy Read entwickelte. Diese Idee wurde auch in Deutschland aufgegriffen: 1997 entstand in Deutschland ein erstes offizielles Netzwerk von Menschen mit Lernschwierigkeiten, und 2001 wurde der Verein Mensch zuerst gegründet, der zwei Wörterbücher in Leichter Sprache herausgab. 2006 entstand das Netzwerk Leichte Sprache in Deutschland. 1998 wurden von der europäischen Vereinigung der ILSMH (International League of Societies for Persons with Mental Handicap) erstmals Europäische Richtlinien für die Erstellung von leicht lesbaren Informationen entwickelt und herausgegeben. Daraus erstellte die internationale Organisation Inclusion Europe im Jahr 2009 in Kooperation mit Menschen aus acht Ländern – Deutschland, Finnland, Frankreich, Irland, Litauen, Österreich, Portugal, Schottland – ein umfassendes Regelwerk zu Leichter Sprache. Es ist weitgehend in sehr einfacher Sprache mit klarer und ansprechender Optik verfasst und geht auch auf die Gestaltung von Print- und Audiomedien, Internetauftritten und Videos ein. Inclusion Europe hat ein Gütesiegel für Leichte Sprache entwickelt, das in Deutschland mittlerweile verbreitet ist und Texte kennzeichnet, die in Leichter Sprache verfasst und von Menschen mit Lernschwierigkeiten geprüft wurden.

Der Motor für Einfache Sprache waren neben gesetzgebenden Institutionen vor allem Verbände aus dem Bibliotheks- und Verlagswesen. 1992 wurde die Leser Charta verabschiedet, die das Recht auf Lesen verankert und dessen Bedeutung für die Teilhabe an der Gesellschaft heraushebt. 1999 gab IFLA (International Federation of Library Associations and Institutions) Richtlinien für Easy-Reader-Material heraus, also Richtlinien für leicht lesbares Material. Das Konzept umfasst zwei Komponenten: die sprachliche Abänderung eines Textes, sodass er leichter zu lesen ist, jedoch ohne den Inhalt zu verändern, und die Vereinfachung von Texten sowohl auf sprachlicher als auch auf inhaltlicher Ebene. In den Richtlinien werden als Hauptzielgruppen Menschen mit einer Behinderung, etwa mit einer Lernbehinderung, und Menschen mit begrenztem Lese- und Sprachvermögen benannt.

Leichte Sprache in Europa

Schweden nimmt im Bereich Easy-to-Read eine Vorreiterrolle sein. Das Komitee der Swedish National Agency for Education griff die Idee erstmals 1968 auf. 1984 wurde die erste Zeitung in Einfacher Sprache herausgegeben. Die achtseitige Zeitung "8 Sidor" erscheint wöchentlich. Seit 1991 hat Schweden auch ein eigenes Verlagsgebäude für Publikationen in Einfacher Sprache. Servicestellen der Easy-to-Read-Kommission erstellen und übersetzen im Auftrag von Behörden, Organisationen, Verbänden und Unternehmen Texte in Einfache Sprache. Seit 1992 sind etwa 3500 Personen als sogenannte Lesebeauftragte aktiv, die Menschen mit Leseschwächen unterstützen. Zu den Zielgruppen gehören Menschen mit Lernschwierigkeiten, Hörbehinderung, funktionalem Analphabetismus, Legasthenie, Aphasie, Autismus, Demenz, Hirnverletzungen, Personen mit Migrationshintergrund, ältere Menschen und Kinder. Auch in Finnland, Norwegen, Dänemark, Belgien, Estland und den Niederlanden erscheinen regelmäßig jeweils eigene Zeitungen in Einfacher Sprache.

In Deutschland gibt es zwar keine Wochenzeitung mit Nachrichten in Leichter oder Einfacher Sprache als gedrucktes Papier, jedoch die Webseite nachrichtenleicht.de, die seit 2011 besteht und seit 2013 wöchentlich Online-Nachrichten veröffentlicht. Außerdem erscheint seit 2009 die Zeitung "Klar & Deutlich". Neben diesen Zeitungen, die sich auf die Vermittlung von aktuellen Nachrichten konzentrieren, gibt es eine Reihe weiterer Zeitungen und Magazine in Leichter beziehungsweise Einfacher Sprache für verschiedene Zielgruppen und zu verschiedenen Themen, wie etwa die ABC-Zeitung für Menschen mit funktionalem Analphabetismus, die Zeitung "WeiberZEIT" für Frauen mit Lernschwierigkeiten oder das Magazin "Ohrenkuss" der Bundesvereinigung Lebenshilfe.

Die Webseite nachrichtenleicht.de wurde 2010 und 2011 von Studierenden der Fachhochschule Köln entwickelt. Sie präsentiert einmal wöchentlich Nachrichten in Einfacher Sprache aus aller Welt. Zunächst erschienen die Nachrichten probeweise vier Wochen lang wöchentlich. 2013 nahm die Fachhochschule Köln das Projekt wieder auf, diesmal in Kooperation mit dem Deutschlandfunk. Seither erscheinen jeden Samstag neue Nachrichten zu Kultur, Sport und anderen Themen. Zu jeder Nachricht ist ein Foto zu sehen und alle Nachrichten können zusätzlich als Audioversion gehört werden. Außerdem stehen manchmal unterhalb der Nachrichten Worterklärungen. Die Texte sind in Einfacher Sprache verfasst, und nicht in Leichter Sprache gemäß dem Regelwerk des Netzwerkes Leichte Sprache. Dennoch war die Resonanz des Vereins Mensch zuerst sehr positiv. Zugleich wurde jedoch von anderer Seite Kritik geäußert und zwar von Menschen, die offensichtlich nicht zu den Zielgruppen der Webseite gehörten. Die Kritik wandte sich nicht gegen die Webseite an sich, sondern gegen das Konzept der Leichten Sprache. Im Folgenden greife ich einige der Kritiken auf.

Der Deutschlandfunk machte im Januar 2013 auf Facebook, einer sozialen Internetplattform, auf die Webseite nachrichtenleicht.de aufmerksam. Dadurch entstand eine kontroverse Diskussion. Eine erste Reaktion lautete: "Deutschlandfunk für Deppen?" Mehrere Menschen widersprachen entrüstet dem Kommentar, schließlich sei Leichte Sprache eine gute Sache. Viel Zustimmung erhielt die Antwort des Deutschlandfunks: "Finden Sie das nicht ein wenig hart? Kennen Sie nicht vielleicht auch einen Menschen mit geistiger Beeinträchtigung, der am Leben teilhaben will, der auch wählen darf? Was spricht dagegen, diesen Menschen Informationen anzubieten?" Im Laufe der Diskussion zeigte es sich, dass der Teilnehmer seine Kritik weniger gegen die angesprochene Zielgruppe richtete. Vielmehr bemängelte er den Verlust von Inhalten durch Kürzungen. Damit würden Nachrichten manipulativ wirken. Diesem Vorwurf ist zuzustimmen, jedoch gleichzeitig entgegenzusetzen, dass Nachrichten immer manipulativ sind: Alles, was uns über Zeitung, Radio, Fernsehen erreicht, entspricht nie der vollkommenen Wahrheit. Außerdem haben alle Menschen ein Recht auf Information über das, was sich in der Welt abspielt. Zugleich steht die Pädagogik in der Pflicht, so früh wie möglich Medienkritik zu lehren.

Inhaltliche Verkürzungen bei Übersetzungen von der Alltagssprache in die Leichte Sprache und damit Verfälschungen sind ein häufiger Vorwurf. Deshalb wird im Regelwerk von Inclusion Europe empfohlen, ein langes Dokument bei der Übersetzung in Leichte Sprache in mehrere kurze Dokumente mit jeweils einem eigenen Unterthema aufzuteilen. Außerdem wird empfohlen, ein Zusatzangebot wie audiovisuelle Medien bereitzustellen, etwa Hörbücher, Videos, CD-ROMs oder DVDs. Das Problem der inhaltlichen Veränderung durch sprachliche Vereinfachungen bleibt hier immer noch bestehen. Das gilt allerdings auch für Übersetzungen aus Fremdsprachen, das heißt jede Übersetzung von einer Sprache in eine andere geht mit einem gewissen inhaltlichen Verlust einher. Gerade Nachrichten in den Massenmedien durchlaufen international zahlreiche Übersetzungsprozesse, in Talkshows kommen Gäste verschiedener Länder zusammen, Spielfilme werden synchronisiert und Bücher in verschiedenen Sprachen publiziert. Die Übersetzungsqualität ist immer von den übersetzenden Menschen abhängig, die darüber entscheiden, welche Inhalte vermittelt und welche weggelassen werden. Die Adressatinnen und Adressaten müssen sich der inhaltlichen Veränderungen durch Übersetzungen bewusst sein und sollten bereits im Schulalter lernen, übersetzte Inhalte kritisch zu hinterfragen.

Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass Leichte Sprache an Kindersprache erinnere. So meinte eine Facebook-Nutzerin: "Ein interessanter Ansatz, der durchaus einiges an Positivem in sich birgt. Der Erfolg bleibt noch abzuwarten, mir scheint die Nähe zu Kindernachrichten wie z.B. ‚Logo‘ doch gegeben, auch da geht es schließlich um kürzere Sätze und die vereinfachte Darstellung von komplexen Inhalten." Das hängt maßgeblich davon ab, wie Leichte Sprache in audiovisuellen Medien präsentiert wird. Internetseiten für Kinder sind bunter und schriller, die Schriftarten und Schriftgrößen ändern sich ständig, die Sprache für lesekompetente Kinder ist komplexer als Leichte Sprache. Die Sätze folgen streng den Regeln der deutschen Grammatik, während bei der Leichten Sprache etwa Bindestriche bei zusammengesetzten Namenwörtern zum Einsatz kommen. Die Sprache ist meist emotional gefärbt und hat manchmal einen "pädagogischen Klang". Kinder werden geduzt, bei erwachsenen Nutzerinnen und Nutzern der Leichten Sprache gilt immer die Anrede "Sie". Außerdem spielt auch die Auswahl des Bildmaterials eine große Rolle. Bei Leichter Sprache unterstützt das Bildmaterial den Textinhalt: Es muss einfach und klar sein sowie auf ausschmückende Details verzichten. Bildmaterial für Kinder hingegen hat vorwiegend das Ziel, Interesse an einem Text zu wecken und ihn optisch aufzulockern.

Stellenwert der Leichten Sprache in der Gegenwart

Die Ausführungen verdeutlichen, dass der Begriff Leichte Sprache nicht geschützt ist und verbindliche Regeln nötig sind. Ein Problem ist unter anderem, dass nicht klar zwischen Leichter Sprache und Einfacher Sprache differenziert wird. Der Menschenrechtsreport der BRK-Allianz im März 2013, der die Umsetzung der UN-BRK seit 2009 kritisch betrachtet, fordert eine klare Definition: "Obgleich der Staatenbericht (zur UN-Behindertenrechtskonvention, Anm. G.K.) die Wichtigkeit des Zugangs von Menschen mit Behinderungen zu Kommunikation unterstreicht, werden nur eingeschränkt Maßnahmen unternommen, um diesem Anspruch gerecht zu werden. Beispielsweise besteht bislang weder eine Definition von ‚Leichter Sprache‘ noch sind Standards eingeführt. Eine gesetzliche Verbindlichkeit, ‚Leichte Sprache‘ zu nutzen, besteht nicht" – obgleich es politische Forderungen gibt, beide Sprachformen als jeweils eigenes Zusatzangebot zur Alltagssprache zu etablieren.

Immer mehr Menschen, Organisationen und auch Hochschulen interessieren sich für das Thema Leichte Sprache. Das ist einerseits eine erfreuliche Entwicklung, andererseits besteht die Gefahr, dass der Begriff Leichte Sprache verwässert wird oder dass durch die Einvernahme insbesondere durch die Sprachwissenschaft und verwandte Fächer Forderungen der selbstbetroffenen Menschen weniger Gehör finden. Das bedeutet in der Schlussfolgerung, dass Dokumente in Leichter Sprache stets von Menschen mit Lernschwierigkeiten geprüft werden müssen, die idealerweise zugleich qualifizierte Prüferinnen und Prüfer sind. So startete im Herbst 2011 die Pilotschulung "Leichte Sprache", bei der Menschen mit Lernschwierigkeiten zu qualifizierten Prüfern ausgebildet wurden. Es ist zu wünschen, dass sich daraus offizielle Arbeitsstellen entwickeln. Sinnvoll erscheint auch die Verwendung eines einheitlichen und offiziellen Gütesiegels für Leichte Sprache. Die aktuell verwendeten Gütesiegel basieren auf verschiedenen Regeln unterschiedlicher Organisationen.

Weitere Inhalte

Behinderungen

Mit Behinderungen ist zu rechnen – ein Essay

Menschenrechtlich betrachtet rangiert die deutsche Behindertenpolitik in Sachen Barrierefreiheit und Inklusion international nur im Mittelfeld. Es gibt noch viel zu tun, meint Ottmar Mies-Paul.

Dossier

Behinderungen

Behinderung ist eine komplizierte, multidimensionale und facettenreiche Sammelkategorie. Soziale und kulturelle Normen haben einen großen Einfluss darauf, was in einer Gesellschaft als Behinderung…

M.A.; Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für empirische Soziologie, Universität Erlangen-Nürnberg. E-Mail Link: gud-kel@web.de