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Innere Sicherheit als Thema parteipolitischer Auseinandersetzung | Innere Sicherheit | bpb.de

APuZ Editorial Innere Sicherheit als Thema parteipolitischer Auseinandersetzung Soziale Tatsachen. Eine wissenssoziologische Perspektive auf den "Gefährder" Siegeszug der Algorithmen? Predictive Policing im deutschsprachigen Raum Ausnahmefall Deutschland. Die Debatte um einen Einsatz der Bundeswehr im Innern Autonome und Gewalt. Das Gefahrenpotenzial im Linksextremismus Objektive und subjektive Sicherheit in Deutschland Streit um die streitbare Demokratie.

Innere Sicherheit als Thema parteipolitischer Auseinandersetzung

Bernhard Frevel Bernhard Rinke

/ 17 Minuten zu lesen

Im "Superwahljahr 2017" mit den Landtagswahlen im Saarland, in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen sowie der anstehenden Bundestagswahl hat sich die innere Sicherheit zu einem zentralen Thema entwickelt. Einmal mehr stehen die politischen Parteien damit vor der Herausforderung, auf diesem Politikfeld Handlungs- und Durchsetzungsfähigkeit zu beweisen und sich in den Augen ihrer potenziellen Wählerschaft als glaubhafte Sicherheitsgaranten zu profilieren.

Vordergründig scheint dabei weitgehend Einigkeit darüber zu herrschen, dass Sicherheit im Wesentlichen durch den Staat gewährleistet werden soll und die Sicherheitsbehörden zur effektiven Wahrnehmung ihrer Aufgaben über hinreichend Personal, Ausstattung und Kompetenzen verfügen müssen. Die Bewertungen der Gefahren und Risiken, die Einschätzungen der Ursachen und Wirkungen von Kriminalität sowie der Anforderungen an die staatliche Sicherheitsgewährung und die Aufgaben von Polizei, Nachrichtendiensten und Justiz gehen im politischen Spektrum jedoch stark auseinander. Kontroversen gibt es insbesondere über die Mittel und Wege, mit denen Sicherheit möglichst effektiv gewährleistet werden kann: Braucht es mehr Kontrolle und härtere Strafen oder mehr Ursachenbekämpfung und Prävention? Darf der berechtigte Wunsch der Menschen nach Sicherheit dazu führen, dass Freiheitsrechte eingeschränkt oder Minderheiten stigmatisiert werden?

In diesem Beitrag wird zunächst der politische Handlungsbedarf im Bereich der inneren Sicherheit betrachtet. Anschließend werden die ideologischen Grundlagen der Parteien im Hinblick auf das jeweilige Staatsverständnis und die Vorstellung von Sicherheit analysiert, bevor erörtert wird, auf welchen sicherheitspolitischen Problemfeldern welche parteispezifischen Differenzen auszumachen sind.

Sicherheitslage und Sicherheitsempfinden

Den Ausgangspunkt jeglicher politischer Auseinandersetzung bilden Art, Umfang und Relevanz eines Problems, bestimmen diese Faktoren doch den Regelungsbedarf in einem spezifischen Politikfeld. Im Bereich der inneren Sicherheit stellt sich also die Frage, wie sicher es sich in Deutschland eigentlich lebt, welche Gefahren bestehen und welche Herausforderungen sich stellen. Zur Erfassung der Sicherheitslage im Innern können einerseits verschiedene Daten zu Ausmaß und Verfolgung von Straftaten herangezogen werden. Diese werden von den Sicherheitsbehörden im Rahmen von Statistiken, Berichten und Lagebildern präsentiert, die auch beispielsweise kriminologische Interpretationen enthalten. Andererseits kann die Einschätzung des Problemdrucks betrachtet werden, indem etwa das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung gemessen wird.

Betrachten wir zunächst die offiziellen Statistiken: Jedes Jahr im Mai stellen die Innenminister von Bund und Ländern die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) vor, die seit 1953 vom Bundeskriminalamt (BKA) herausgegeben wird. Für das jeweilige Land beziehungsweise den Bund werden die Erkenntnisse der Polizei zu Taten, Tatverdächtigen, Opfern und Schäden differenziert aufbereitet. Allerdings zeigt die PKS einen begrenzten Ausschnitt des Kriminalitätsgeschehens, denn sie bildet nur das sogenannte Hellfeld ab, also die von Bürgerinnen und Bürgern zur Anzeige gebrachten oder von der Polizei selbst erfassten und ermittelten Delikte.

Dessen unbenommen lassen sich aus der PKS für die vergangenen Jahre insgesamt keine gravierenden Veränderungen des Kriminalitätsgeschehens ablesen. Das gilt sowohl hinsichtlich der Gesamtzahl von Straftaten als auch mit Blick auf die Tatverdächtigenstruktur. 2016 registrierte die Polizei etwa 6,37 Millionen Straftaten. Das war gegenüber 2015 ein geringer Anstieg, liegt aber noch unter dem Niveau der Jahre 2002 bis 2005. Große öffentliche Aufmerksamkeit erfährt das Delikt des Wohnungseinbruchs, obwohl es mit rund 150.000 Fällen "nur" etwa 2,4 Prozent der Gesamtkriminalität ausmacht – 2015 war die Anzahl der Fälle mit rund 167.000 in den vergangenen Jahren am höchsten, 2006 mit rund 106.000 am niedrigsten. Bei der Gewaltkriminalität zeigt die PKS für 2016 gegenüber dem Vorjahr eine deutliche Steigerung von dramatisch anmutenden 6,7 Prozent, doch die absolute Zahl von rund 193.500 Taten liegt deutlich unter den Werten von 2006 oder 2010, als über 200.000 Taten verzeichnet wurden. Die sogenannte Straßenkriminalität, zu der etwa Taschendiebstahl, Raub oder Sachbeschädigung gehören, ist seit 2007 fast durchgängig rückläufig und von über 1,5 Millionen auf rund 1,3 Millionen Fälle gesunken.

Für die deutschen Tatverdächtigen sind in den vergangenen 15 Jahren moderate Rückgänge festzustellen. Die Zahl der nichtdeutschen Tatverdächtigen war von 2002 bis 2004 ebenfalls rückläufig, stieg zwischen 2010 und 2013 moderat und von 2014 bis 2016 wieder deutlicher. Hier müssen jedoch neben der Tatsache, dass bestimmte Delikte wie beispielsweise illegale Einreise oder Verstöße gegen das Asylrecht nur von "Nichtdeutschen" begangen werden können, andere Faktoren berücksichtigt werden. Denn hohe Kriminalitätsbelastungen zeigen Jüngere im Vergleich zu Älteren, Männer im Vergleich zu Frauen, Ärmere im Vergleich zu Reicheren, großstädtische Räume im Vergleich zu ländlichen, und die Sozialstruktur von Migrantinnen und Migranten ist männlicher, jünger, ärmer und urbaner als die der deutschen Kernbevölkerung. Zudem ist die informelle und formelle soziale Kontrolle von Migranten intensiver, was zu einer höheren Entdeckung kriminellen Verhaltens in dieser Bevölkerungsgruppe führt.

Über politisch motivierte Kriminalität sowie Aktivitäten und Entwicklungen, die sich wie politischer Extremismus gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung richten, informieren die ebenfalls jährlich erscheinenden Verfassungsschutzberichte. Insbesondere der Rechtsextremismus wurde in den vergangenen Jahren intensiv beobachtet. Die öffentliche Inszenierung rechter Gesinnung, die Verzahnung mit populistischen Demonstrationen (Pegida) und die gesuchte Nähe zur AfD rückten diesen Bereich in den Fokus. Hinzu kommt die deutliche Zunahme der aus diesem Spektrum begangenen politisch motivierten Straftaten – 2016 waren es rund 22.500. Mit etwa 12.100 gewaltorientierten Rechtsextremisten wurde 2016 der höchste Stand erreicht, seitdem diese Zahl erhoben wird. Gewaltorientierte Linksextremisten zählten die Sicherheitsbehörden 2016 rund 8.500. Zwar entsprach das einer massiven Zunahme um zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahr, aber bei den von ihnen ausgehenden politisch motivierten Straftaten wurden 2016 mit rund 5.200 Fällen weniger gezählt als 2015 (5.600).

Die größte Bedrohung für die innere Sicherheit sehen die Behörden im islamistisch motivierten Terrorismus, der 2016 mit den Attacken in einem Regionalzug in Würzburg und auf einen Berliner Weihnachtsmarkt erstmals auch Deutschland traf. Innerhalb der islamistischen Szene, für die 2016 von einem Personenpotenzial von rund 24.400 ausgegangen wurde, stellen die Verfassungsschützer eine Verschiebung hin zum gewaltorientierten Spektrum fest. 680 "Gefährder" werden derzeit genauer beobachtet, um Anschlagsvorbereitungen frühzeitig zu erkennen und Terrorakte zu verhindern – das sind so viele wie nie zuvor. Dass darunter sowohl konvertierte Deutsche und hier aufgewachsene Migranten als auch jüngst Zugewanderte sind, rückt insbesondere den Prozess der Radikalisierung in den Fokus, der sich mitunter sehr schnell über soziale Medien vollzieht.

Bei der Vorstellung der Kriminalstatistiken und Verfassungsschutzberichte versuchen die Innenminister meist zwei grundsätzliche Botschaften zu vermitteln: Einerseits sei Deutschland weiterhin ein sicheres Land, in dem sich Politik und Sicherheitsbehörden erfolgreich um die Gewährung von Sicherheit und Schutz bemühen. Andererseits bestehen Gefahren und Risiken, die mit Sorge betrachtet werden und die Kompetenz des Staates und seiner Organe fordern, Kriminellen, Extremisten und Terroristen mit aller Entschiedenheit entgegenzutreten. Die Darstellung der Sicherheitslage durch die Politik changiert also zwischen Beschwichtigung einerseits und Gefahrenbeschwörung andererseits.

Die Parteien versuchen ihrerseits aus der Interpretation der Daten zur Sicherheitslage politisches Kapital zu ziehen. Je nach politisch-ideologischem Standort und ihrer Rolle in Regierung oder Opposition wird kritisch hinterfragt oder gelobt. So sagte der AfD-Vorsitzende Alexander Gauland mit Verweis auf die PKS 2016: "Die von den Altparteien verantwortete Massenzuwanderung hat zu einer eklatanten Erosion der inneren Sicherheit in Deutschland geführt. Mancherorts ist das Gewaltmonopol des Staates faktisch nicht mehr existent." Derweil reklamierte die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, dass "sich eindrucksvoll [zeige], dass die Union in all den Jahren stets für starke Sicherheitsbehörden und effektive Befugnisse stand und steht", während der SPD-Vorsitzende und Kanzlerkandidat Martin Schulz für einen "umfassenden Ansatz" warb: "Sicherheit entsteht erst im Zusammenspiel von Prävention, Stärkung des inneren Zusammenhalts der Gesellschaft und der Arbeit von Polizei, Staatsanwaltschaft und Justiz."

Gerade weil die Parteien stets um Wählerstimmen konkurrieren, müssen die politischen Akteure jenseits der Darlegung des politischen Handlungsbedarfs auf Grundlage offizieller Statistiken immer auch auf die gesellschaftliche Wahrnehmung der Sicherheitslage antworten. Dies gilt momentan umso mehr, als diese bei den Bürgerinnen und Bürgern von gestiegener Sorge und wachsendem Unsicherheitsempfinden geprägt ist. Entsprechende Studien zeigen deutlich gestiegene Unsicherheitswerte mit Blick auf Terrorismus, Extremismus, Spannungen durch den Zuzug von Ausländern und eine Überforderung von Behörden und Gesellschaft durch Asylsuchende, obwohl es dafür kriminalstatistisch keinen Anlass gibt. Die deutliche Diskrepanz zwischen den berechenbaren Risiken, Opfer einer Straftat oder eines Terrorangriffs zu werden, und der "gefühlten" Sicherheit lässt sich zwar schon seit Jahrzehnten in kriminologischen Studien nachweisen, es fällt jedoch auf, dass sie in den vergangenen Jahren immer größer geworden ist.

Insofern ist der Ruf nach "Mehr Sicherheit" eine von den Bürgerinnen und Bürgern formulierte Reaktion auf die "Unsicherheit als Begleiterscheinung der Moderne", die wiederum von politischen Entscheidungsträgern und Sicherheitsakteuren aufgegriffen wird. Eine zunehmende Betrachtung sozialer Phänomene wie Migration, Armut sowie Alkohol- und Drogenkonsum aus der Sicherheitsperspektive verändert die Welt- und Wirklichkeitsdeutung der Bürgerinnen und Bürger, erzeugt wachsende Erwartungen an den Staat und beeinflusst die Auswahl der politischen und administrativen Wege zur Behandlung der Probleme – häufig zugunsten polizeilicher Maßnahmen der Kontrolle und zunehmender Kriminalisierung.

Ideologische Grundlagen der Parteipositionen zur inneren Sicherheit

Vor dem Hintergrund der Sicherheitslage, dem wachsenden Unsicherheitsgefühl der Bevölkerung und einer veränderten Wertigkeit von Sicherheit stehen die Parteien also unter dem Druck, sich zu Fragen der inneren Sicherheit zu positionieren. In den jeweils gefundenen Antworten spiegeln sich in besonderem Maße stets auch die politischen Ideologien wider, mit denen spezifische Staats- und Menschenbilder verbunden sind. Diese prägen nach wie vor die Grundausrichtungen der Parteien in Deutschland und wirken sich auf deren Verständnis der Methoden staatlicher Sicherheitsgewährung aus.

In durchaus starker Vereinfachung lassen sich folgende Strömungen typologisieren: Der Konservatismus ordnet den Staat, der das Gemeinwohl kennt und verfolgt, der Gesellschaft über. Da die Menschen tendenziell geneigt seien, sich abweichend zu verhalten, bedürfe es eines gewissen Maßes an Kontrolle und Sanktion, um das geordnete Gemeinwesen zu erhalten. In eher konservativen Positionen treten die individuellen Rechte also häufig hinter den kollektiven Rechten der Gemeinschaft zurück, und der Polizei werden weitreichende Eingriffs- und Kontrollrechte zuerkannt.

Der Liberalismus stellt hingegen die Freiheit des Individuums sowie die Selbstregelungskräfte der Gesellschaft in den Mittelpunkt und zeichnet sich durch eine kritische Haltung gegenüber dem Obrigkeitsstaat aus. Der Staat soll in erster Linie eine Schutzfunktion erfüllen, die dem durch die Gesellschaft formulierten Schutzbedürfnis entspricht, und der Wahrung der Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger dienen. Durch umfassende rechtsstaatliche Vorkehrungen soll staatlichem Machtmissbrauch vorgebeugt werden.

Der Sozialismus betont die Wechselbeziehung von Staat und Gesellschaft und schließt aus der sozialen Fürsorgefunktion des Staates auf seine allgemeine, relativ weitgehende Steuerungsfunktion. Entsprechend wird in eher sozialdemokratischen Vorstellungen abweichendes Verhalten häufig als Folge sozialer Probleme und Ungleichheiten aufgefasst, die der Staat bekämpfen muss. Der politische Ansatz auf dem Feld der inneren Sicherheit basiert daher auf einer präventiven und intervenierenden Sozialpolitik, flankiert von einer repressiven Polizeistrategie, die Täter jedoch nicht stigmatisieren und ausgrenzen soll.

Die ökologisch-demokratische Denkrichtung paart eine liberale Sicht auf das bürgerschaftliche Freiheits- und Partizipationsbedürfnis sowie auf den Obrigkeitsstaat mit einem sozialdemokratischen Reform- und Regelungsverständnis. Abweichendes Verhalten wird auch hier häufig als Folge sozialer Schieflagen interpretiert, die jedoch nur bedingt durch polizeiliches Handeln zu bekämpfen sind.

Der Nationalismus schließlich kombiniert konservative Positionen mit Vorstellungen einer (vermeintlich) ebenso klar definierbaren wie homogenen kollektiven Identität und der Betonung nationaler Selbstbestimmung, was zu einer teils latenten, teils manifesten Ausgrenzung des "Fremden" mit einer besonderen Kriminalisierung von Zuwanderern führt.

In der politischen Ordnung der Bundesrepublik schlägt sich keine dieser Strömungen eins zu eins nieder, vielmehr sind sie in den Tendenzen der Justiz- und Polizeipolitik erkennbar. Das liegt unter anderem an der Grundgesetzbindung, der Entwicklungsgeschichte des Politikfelds innere Sicherheit, den sich wandelnden Sicherheitsansprüchen der Bürgerschaft, der teilweisen Anfälligkeit des Themas für populistische Zungenschläge sowie an den vielfältigen Koalitionsbindungen auf Bundes- und Landesebene. Insgesamt ist auf der (partei)ideologischen Ebene eine größere Nähe zwischen CDU/CSU und SPD festzustellen, die aus teils unterschiedlichen Gründen auf einen starken, intervenierenden Staat setzen, als zwischen den Volksparteien und ihren kleineren Koalitionspartnern, die die bürgerlichen Freiheitsrechte stärker betonen. Das zeigt sich auch an den programmatischen Vorschlägen der Parteien zur inneren Sicherheit im Vorfeld der Bundestagswahl 2017, von denen einige im Folgenden schlaglichtartig beleuchtet werden.

Vorschläge für mehr Sicherheit

Ein Fokus der aktuellen sicherheitspolitischen Diskussion richtet sich auf die Polizei als die überall präsente und weithin anerkannte Sicherheitsbehörde, die (auch bewaffnet) Schutz gewährt. Ihr kommt die besondere Funktion zu, sowohl in der Gefahrenabwehr als auch in der Strafverfolgung eine bürgernahe Sicherheitsarbeit zu leisten. Die besondere Belastung der Polizei durch zahlreiche Einsätze zum Schutz von Veranstaltungen und Gebäuden sowie bei Fußballspielen und Demonstrationen wird von allen politischen Akteuren gewürdigt. So gibt es eine große grundsätzliche Übereinstimmung zwischen den Parteien bei der Forderung nach "mehr Polizei", der sich nun auch die bislang eher polizeikritischen Grünen und Linken angeschlossen haben. Betont wird die notwendige Entlastung der Polizei von anderen Aufgaben wie der Begleitung von Schwerlasttransporten oder leichteren Amtshilfen, um sie effektiver einsetzen und ihre Präsenz im öffentlichen Raum erhöhen zu können.

Deutliche Unterschiede zwischen den Parteipositionen gibt es hingegen mit Blick auf die Befugnisse der Polizei, wie etwa an den Positionen zur Videoüberwachung des öffentlichen Raumes deutlich wird. Der traditionellen Rechts-Links-Dichotomie des politischen Spektrums folgend, zeigen sich an diesem Beispiel Abstufungen von der völligen Zustimmung über Zurückhaltung bis hin zur offenen Ablehnung. So fordert die AfD die Möglichkeit, an kriminalitätsneuralgischen Orten eine Überwachung mit Gesichtserkennungssoftware einsetzen zu können. Die CDU beklagt die ihrer Ansicht nach bisher mangelhafte Videokontrolle: "Es kann und darf nicht sein, dass die Polizei bei Amokläufen und Terroranschlägen auf Handyvideos und -fotos von Zeugen angewiesen ist, um Täter zu identifizieren und den Ablauf der Ereignisse zu rekonstruieren." Auch die SPD und die FDP lehnen das Instrument der Videoüberwachung des öffentlichen Raumes nicht ab. Rhetorisch etwas zurückhaltender positionieren sich derweil die Grünen, die dem Instrument bescheinigen, eine "unterstützende Maßnahme" sein zu können. Lediglich Die Linke wendet sich mit Verweis auf den Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung gegen deren Einsatz. Bürgerrechtsorientiert stellen sich FDP, Grüne und Linke gegen die Ausweitung der sogenannten Vorratsdatenspeicherung, während die CDU diese weiterhin fordert und die SPD ihr zustimmt – ergänzt allerdings um den Wunsch nach Schutzmaßnahmen für die Privatsphäre.

Weit auseinander gehen die Einschätzungen der Parteien zur Rolle der Nachrichtendienste sowie der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, die in den zurückliegenden Jahren in Skandale verstrickt waren. So wies der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages den Verfassungsschutzämtern im Zusammenhang mit ihren jahrelangen erfolglosen Ermittlungen schwere Fehler nach; und 2013 wurde bekannt, dass der Bundesnachrichtendienst ohne Kenntnis des Geheimdienstkoordinators der Bundesregierung und des zuständigen Parlamentarischen Kontrollgremiums in großem Umfang Daten aus der eigenen Fernmeldeaufklärung an die National Security Agency der Vereinigten Staaten übermittelte.

Die SPD betont vor diesem Hintergrund die Notwendigkeit rechtsstaatlich legitimierter, leistungsfähiger Nachrichtendienste mit umfassender parlamentarischer Kontrolle. Einen ganz anderen Akzent setzen die Grünen, die nichts Geringeres als einen Neustart beim Verfassungsschutz fordern: "Statt des Bundesamtes für Verfassungsschutz in seiner ineffektiven aktuellen Form wollen wir ein personell und strukturell völlig neues Bundesamt zur Gefahrenerkennung und Spionageabwehr gründen, das mit nachrichtendienstlichen Mitteln klar abgegrenzt von polizeilichen Aufgaben arbeitet." Hingegen möchte die Union die Kompetenzen der Verfassungsschutzämter auch auf bislang polizeiliche Felder wie die Kontrolle der organisierten Kriminalität ausweiten, während Die Linke die Abschaffung der Geheimdienste als "Fremdkörper in einer Demokratie" fordert.

Eine weitere sicherheitspolitische Baustelle ist die Ausgestaltung beziehungsweise Neuordnung der komplexen, unübersichtlichen Sicherheitsarchitektur, die inzwischen weithin als reformbedürftig angesehen wird. So führen die sich teils überlappenden, teils strikt voneinander getrennten Strukturen und Kompetenzen der Sicherheitsakteure, die sich etwa in der föderalismusbedingten Pluralität der Polizei, der Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten sowie der Unterscheidung von innerer und äußerer Sicherheit niederschlagen, zu Kompetenzstreitigkeiten und Zuständigkeitslücken, die eine effektive Kriminalitätsbekämpfung be-, wenn nicht gar verhindern. Das verdeutlichte etwa der Fall des Tunesiers Anis Amri, der trotz frühzeitiger Warnungen und zwischenzeitlicher Festnahme 2016 beim Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt 13 Menschen tötete. Wie eine effektivere und effizientere Sicherheitsarchitektur erreicht werden kann, ist unter den Parteien jedoch umstritten.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) etwa forderte Anfang 2017 unter anderem die Stärkung des BKA und die Weiterentwicklung der Bundespolizei zu einer "echten Polizei" sowie die Abschaffung der Landesverfassungsschutzämter. Der Bund brauche eine Steuerungskompetenz über alle Sicherheitsbehörden. Auch möchten die Unionsparteien das Gemeinsame Terrorabwehrzentrum stärken und ausbauen. Eine Verlagerung von Länderkompetenzen auf den Bund beziehungsweise eine Stärkung der Bundesbehörden wird von der AfD mit der Forderung nach der Überführung der Bereitschaftspolizeien der Länder in die Bundespolizei unterstützt. Demgegenüber lehnen die anderen Parteien eine solche Verlagerung ab. Stattdessen plädieren sie für eine verbesserte Koordination der Sicherheitsbehörden. Hier betont die SPD beispielsweise die Rolle des BKA, während die FDP eine engere Zusammenarbeit, einen leichteren Informationsaustausch sowie den Abbau von Doppelzuständigkeiten fordert. Für den Einsatz der Bundeswehr im Innern setzen sich bislang nur die Unionsparteien ein, während die anderen Parteien die Trennung der Zuständigkeiten der Bundeswehr für die äußere und der Polizei für die innere Sicherheit beibehalten wollen.

Auffällig ist bei der Betrachtung der parteipolitischen Diskurse zur inneren Sicherheit, dass für die "harten" Aspekte wie Kompetenzen und Ausstattung der Sicherheitsbehörden die Konflikt- und Argumentationslinien relativ klar sind. Deutlich blasser sind hingegen die Haltungen zur Prävention. In der Berliner Erklärung der Innenminister der Union erscheint der Begriff nur einmal und wird nicht weiter ausgeführt, im Bundestagswahlprogramm kommt er im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Fluchtursachen einmal vor. Die AfD verwendet ihn gar nicht. Die FDP verweist auf die Präventionsbedarfe unter dem Aspekt der Radikalisierung, aber nicht zu anderen Feldern der inneren Sicherheit, und Die Linke fordert sie bei der Drogenpolitik und der internationalen Sicherheit. Lediglich die Grünen und die SPD stellen in fast allen Bereichen der inneren Sicherheit, also Alltagskriminalität, Terrorismus, Radikalisierung, Extremismus, Gewalt und Diskriminierung immer wieder auch die Notwendigkeit von Prävention heraus.

Im tagespolitischen Geschäft wird in diesem Zusammenhang bei aufsehenerregenden Straftaten häufig der parteiübergreifende Ruf nach härteren und höheren Strafen laut, wie etwa nach Unfällen durch illegale Straßenrennen im Frühjahr 2017. Dieser Verweis auf die legislative Kompetenz soll Handlungswillen dokumentieren, doch nur in wenigen Fällen werden entsprechende Gesetzesinitiativen eingeleitet. Vielfach scheitern solche Ansätze an den Argumenten, dass die existierenden Strafmaßrahmen von der Justiz nicht ausgeschöpft werden und eine Verbrechensbekämpfung durch höhere Strafandrohungen rational handelnde Täter voraussetzt, sodass die angestrebte Generalprävention bei Affekttaten sowie bei Einfluss von Drogen und Alkohol nicht greift.

Jenseits solcher anlassbezogenen kriminalpolitischen Auseinandersetzungen sind in diesem Teilbereich der Politik der inneren Sicherheit deutliche Unterschiede zwischen den Parteien auszumachen. So will die AfD etwa mit der Herabsetzung der Strafmündigkeit auf zwölf Jahre das Jugendstrafrecht verschärfen, während die anderen Parteien auf erzieherische Maßnahmen setzen. Die Linke setzt sich für eine deutliche Verschärfung des Wirtschaftsstrafrechts ein und fordert eine konsequente Verfolgung etwa bei Behinderungen von Betriebsräten oder Steuerdelikten, die FDP hingegen will den Trend des "ständig wachsenden Verwaltungs- und Wirtschaftsstrafrechts" stoppen. Die eher justizpolitischen Debatten um Strafformen schlagen sich wahlprogrammatisch nicht nieder.

Für einen rationalen Diskurs

In der politischen Auseinandersetzung zu Fragen der inneren Sicherheit bewegen sich die Parteien nicht nur im Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Freiheit, das zumindest in liberalen Demokratien letztlich nicht aufhebbar ist, sondern auch vor dem Hintergrund des Paradoxes, dass der Staat im Kampf gegen Kriminalität offenbar "Opfer der eigenen Erfolge wird. Indem er für grundlegende Sicherheit sorgt und somit seiner hoheitlichen Aufgabe gerecht wird, schafft er weiter reichende Sicherheitsbedürfnisse der Gesellschaft. Der Staat erscheint immer weniger in der Lage, diese komplexen Bedürfnisse zu befriedigen. Er kann sie allerdings auch nicht abweisen, ohne die eigene Legitimationsgrundlage, also explizit die Gewährleistung von Sicherheit, zu untergraben."

So sind es auch gerade die verstärkten Sicherheitsbemühungen, die neue Unsicherheiten hervorrufen. Denn im Falle einer schweren, öffentliches Aufsehen erregenden Straftat oder eines Terroranschlags werden die Signale an die Bevölkerung, dass der Staat sie schützt, umso heftiger konterkariert. Vor allem rechtspopulistische Parteien wie aktuell die AfD und früher die Schill-Partei sowie manche Medien greifen gerne Gelegenheiten auf, um den staatlichen Schutz als "unzureichend" zu bewerten und den Eindruck zu vermitteln, allein durch hartes Durchgreifen lasse sich Kriminalität effektiv bekämpfen. Auf diesem Wege werden Ängste instrumentalisiert und geschürt und "Sündenböcke" identifiziert – zum Nachteil der Bürgerinnen und Bürger, der Gesellschaft und letztlich auch des Staates. Ein sicherheitspolitisches "Hinterherhecheln" muss also geradezu scheitern. Doch getrieben von bürgerschaftlichen Erwartungen und im Zugzwang des politischen Konkurrenzkampfs folgen insbesondere Politiker der CDU/CSU, aber auch der SPD, der Idee einer staatlichen Sicherheitsgewährung durch Polizei und andere Sicherheitsbehörden.

Zweifellos ist Sicherheit ein Grundbedürfnis des Menschen – aber auch ein unstillbares Grundbedürfnis. Zweifellos ist die Gewährung von Sicherheit eine originäre Aufgabe des Staates – aber auch ein unerfüllbares Versprechen. Wie in kaum einem anderen Politikfeld bleiben die bereits vor gut hundert Jahren von Max Weber formulierten Anforderungen an den Politiker daher so aktuell wie in der Sicherheitspolitik: einerseits Verantwortungsgefühl und Augenmaß zu beweisen sowie andererseits "sine ira et studio, ‚ohne Zorn und Eingenommenheit‘ (…) seines Amtes [zu] walten".

Ein rationaler Diskurs über Bedrohungen, Risiken und Gefahren in Verbindung mit einer nüchternen Betrachtung der Möglichkeiten und Grenzen der Sicherheitsgewährung ist unverzichtbar. In einer zunehmend kurzatmigen "Aufregungsdemokratie" mag der Ruf nach Rationalität für sich genommen bereits irrational erscheinen. Wenn wir jedoch daran festhalten wollen, dass Politik auch und gerade im Feld der inneren Sicherheit mehr leisten muss, als im Ringen um Macht Schlagworte für zugkräftige Kampagnen zu liefern und damit einer weiteren "Versicherheitlichung" Vorschub zu leisten, scheint uns das Plädoyer für einen rationalen Diskurs dennoch alternativlos.

ist Professor für Sozialwissenschaften mit Schwerpunkt Polizei- und Sicherheit an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen. E-Mail Link: bernhard.frevel@fhoev.nrw.de

ist promovierter Politikwissenschaftler. Er ist Mitglied des Zentrums für Demokratie- und Friedensforschung an der Universität Osnabrück sowie Lehrbeauftragter an der Universität Osnabrück und an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen. E-Mail Link: brinke@uni-osnabrueck.de