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Wettkampf-Gaming: Sport oder Spielerei? | Gaming | bpb.de

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Wettkampf-Gaming: Sport oder Spielerei?

Robin Streppelhoff

/ 17 Minuten zu lesen

Im aktuellen Koalitionsvertrag von 2018 wurde vereinbart, E-Sport als eigene Sportart anzuerkennen und zu unterstützen. Doch die ausbleibende Umsetzung zeigt, dass das Thema gesellschaftlich und politisch noch immer stark umstritten ist.

"Vom Schmuddelkind zum Shootingstar" – so betitelte der Norddeutsche Rundfunk 2016 eine Fernsehdokumentation für die ARD-"Sportschau" über die Entwicklung des E-Sports/eSports in Deutschland. Der Film zeigt einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel im Hinblick auf digitale Spiele, der sich auch in den Koalitionsverträgen zwischen CDU, CSU und SPD aus den Jahren 2005 und 2018 deutlich widerspiegelt: 2005 fanden Videospiele vor dem Hintergrund von Amokläufen junger Täter vor allem mit Bezug zum Jugendschutz Eingang in den Koalitionsvertrag. So hieß es dort unter dem Punkt "Aufwachsen ohne Gewalt", dass in der Großen Koalition ein "Verbot von Killerspielen" erörtert werden solle. 13 Jahre später setzten dieselben Koalitionspartner Videospiele erneut auf ihre Agenda, nun allerdings unter dem Punkt "Besseres Leben durch Fortschritt" mit einer ganz anderen Stoßrichtung – und mit einem Bezug zum traditionellen Sportverbandswesen: "Wir erkennen die wachsende Bedeutung der E-Sport-Landschaft in Deutschland an. Da E-Sport wichtige Fähigkeiten schult, die nicht nur in der digitalen Welt von Bedeutung sind, Training und Sportstrukturen erfordert, werden wir E-Sport künftig vollständig als eigene Sportart mit Vereins- und Verbandsrecht anerkennen und bei der Schaffung einer olympischen Perspektive unterstützen."

Ein erstaunlicher Wandel. Im Folgenden werde ich zeigen, wie sich die Diskussion um Videospiele entwickelt hat, wer sich daran in welcher Art und Weise beteiligt und vor allem, wie sich die politische Meinungsbildung mit Bezug zur Sportkultur vollzogen hat.

Vielfalt und Imagewandel

Die Gaming-Szene ist enorm vielfältig. Lernspiele für Körper und Geist gibt es ebenso wie solche zum reinen Zeitvertreib. "Gezockt" wird in Deutschland meistens auf dem Handy, aber auch am PC oder an einer Konsole. Zentraler Interessenvertreter für die Entwicklung digitaler Spiele ist in Deutschland der Game – Verband der deutschen Games-Branche. Seine Vorläufer, der Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware (BIU) und der GAME – Bundesverband der deutschen Games-Branche, hatten 2011 die Stiftung Digitale Spielekultur ins Leben gerufen, zu deren Partnern mehrere Bundesbehörden zählen, zuvorderst das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI), aber auch das Auswärtige Amt, die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien oder das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Zu den Aktivitäten des Game gehören unter anderem die jährliche Verleihung des Deutschen Computerspielpreises und die Förderung der Deutschen Games Schulmeisterschaft, an der sich seit der ersten Veranstaltung 2006 über 1.700 Schulen beteiligt haben.

Für viele Menschen gehören digitale Spiele heute zum Alltag – je nach Statistik oder Schätzung haben 2018 zwischen 34 und 44 Millionen Deutsche "gegamt", wie es bereits im Duden steht. Gegenüber 2017 ist das eine Steigerung zwischen 10 und 20 Prozent. Eine ähnlich hohe Steigerungsrate wurde 2018 auch beim Branchenumsatz erwartet: je nach Quelle auf 3,3 bis 4,1 Milliarden Euro. Damit ist Deutschland hinter China, den USA, Japan und Südkorea der fünftgrößte Markt für Computerspiele.

Aufgrund der verhältnismäßig geringen Anzahl an neuen Spielentwicklungen aus Deutschland stellt die Bundesregierung im Haushalt 2019 über das BMVI 50 Millionen Euro zur Förderung dieses Wirtschaftszweiges zur Verfügung. In Berlin befindet sich das Computerspielmuseum, und es wurden Studiengänge wie Computerspielwissenschaften (Universität Bayreuth) und E-Sports-Management (Hochschule für angewandtes Management) eingerichtet. Einen Überblick über die umfassende Forschungsliteratur zu Computerspielen im Kontext von Sport bietet eine 250 Seiten starke Bibliografie des Bundesinstituts für Sportwissenschaft. Angesichts dieser gesellschaftlichen Durchdringung, der zunehmenden ökonomischen Bedeutung und entsprechenden Forderungen verschiedener Verbände verwundert es nicht, dass sich auch politische Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger mit dem Phänomen auseinandersetzen.

Die öffentliche und politische Diskussion dreht sich seit wenigen Jahren vor allem um die kompetitiven Videospiele – das, was seit diesem Jahrtausend als E-Sport bezeichnet wird. Als Hauptansprechpartner für dieses besondere Segment der digitalen Spiele hat sich der im November 2017 gegründete eSport-Bund Deutschland (ESBD) herauskristallisiert. Er ist im Verband Game vertreten und definiert seinen Gegenstand verkürzt als "unmittelbaren Wettkampf zwischen menschlichen Spieler/innen unter Nutzung von geeigneten Video- und Computerspielen an verschiedenen Geräten und auf digitalen Plattformen unter festgelegten Regeln".

Zumeist werden E-Sport-Titel in drei Kategorien eingeteilt: Shooter, (Echtzeit-)Strategiespiele und Sport- beziehungsweise Rennsimulationen. Den größten Marktanteil – sowohl finanziell als auch im Hinblick auf die Anzahl der Spielerinnen und Spieler sowie Zuschauerinnen und Zuschauer – nehmen Echtzeit-Strategiespiele ein. Darauf folgen die Shooter und dann das Genre der Sportsimulationen, wobei in Deutschland zuletzt die Fußballsimulation "Fifa" die Rangliste der meistverkauften PC- und Konsolenspiele anführte.

Lange Zeit hatten Videospiele vor allem wegen der Gewaltdarstellung in den Shootern einen schlechten Ruf. Nach dem Amoklauf in einer Erfurter Schule 2002 wurde bekannt, dass der jugendliche Täter den Ego-Shooter "Counter-Strike" gespielt hatte. Noch im selben Jahr wurde ein Vorschlag zur Änderung des Jugendschutzgesetzes diskutiert, um "die von Videofilmen, Computer- und Videospielen und so genannten Killerspielen ausgehenden Gefährdungen" einzuschränken. Zwar bezog sich der Begriff "Killerspiele" in dem Gesetzentwurf ausschließlich auf Freizeitaktivitäten "wie Gotcha, Paintball und Laserdrome", doch wurde er zunehmend auch für Computerspiele gebräuchlich. Vor diesem Hintergrund fand sich der Terminus ohne nähere Definition schließlich im Koalitionsvertrag 2005 wieder.

Um eine ausgewogene Darstellung bemühte sich in der Folge unter anderem die Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen mit dem Film "Gamer – zwischen E-Sport und Pixelmord" (2006); und der Deutsche Kulturrat stellte 2008 in einem Sammelband vor allem Beiträge von Autorinnen und Autoren zusammen, die dem Fokus auf "Killerspiele" und deren etwaig negativen Sozialisationseffekten entgegentraten. Letztlich kam keines der angedachten Verbote zustande, stattdessen wurden Computerspiele 2008 vom Deutschen Kulturrat zum schützenswerten Kulturgut erklärt.

Mit der Entwicklung leistungsstärkerer Computer und dem Ausbau des Internets inklusive schneller DSL-Leitungen ab Anfang der 2000er Jahre wurden Online-Spiele immer beliebter. Seither muss man sich nicht mehr auf LAN-Partys zum gemeinsamen Videospielen treffen, sondern kann von Zuhause aus mit Freunden und Unbekannten aus aller Welt zocken. 2007 wurde E-Sport international institutionalisiert: In Südkorea, wo Videospielerinnen und -spieler wie Popstars gefeiert werden, gründete sich die Internationale eSport Federation (IeSF), die mittlerweile 54 Mitglieder zählt. Mit 23 nationalen Verbänden ist Asien darin am stärksten vertreten, vor Europa mit 20 Verbänden.

E-Sport auf der politischen Agenda

Die (sport-)politische Diskussion in Deutschland wurde 2016 unter anderem von Hans Jagnow ins Rollen gebracht. Der heutige ESBD-Präsident war seinerzeit Mitarbeiter der Piratenpartei im Abgeordnetenhaus von Berlin und wird gelegentlich auch als ein "Geburtshelfer" der institutionalisierten E-Sport-Szene bezeichnet. Gemeinsam mit Bündnis 90/Die Grünen forderte seine Partei im Februar 2016, E-Sport als Sportart anzuerkennen und entsprechend zu fördern. Wenige Wochen später legte der Wissenschaftliche Parlamentsdienst ein Gutachten vor, in dem klargestellt wurde, dass E-Sport "nach derzeitiger Rechtslage nicht als Sport im rechtlichen Sinne anzusehen und deshalb rechtlich nicht als Sportart anerkennungsfähig" sei. Darüber hinaus wurde an mehreren Stellen die Autonomie des organisierten Sports beziehungsweise des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) betont. Deshalb forderte die Piratenfraktion den Berliner Senat per Antrag auf, "sich auf Bundesebene für eine Änderung des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung und/oder der Abgabenordnung einzusetzen, damit eSport als gemeinnützige Sportart im Sinne der steuerrechtlichen Förderung auf Bundesebene anerkannt wird".

Rückendeckung erhielt diese Forderung aus der Gaming-Branche: Mehrere große Unternehmen wie Electronic Arts, Microsoft, Nintendo, Sony und Ubisoft schlossen sich in der Vereinigung eSport.BIU zusammen. Auch der international führende Kölner E-Sport-Veranstalter ESL (Turtle Entertainment) und der Marketing-Spezialist Freaks 4U Gaming zählten zu den Unterstützern, ebenso die damalige Staatssekretärin im BMVI, Dorothee Bär (CSU). Neben der Anerkennung als Sport gab eSport.BIU die vereinfachte Vergabe von Visa für Top-Spieler als Ziel aus. Etwa ein Jahr später veröffentlichte die Vereinigung einen Report unter dem programmatischen Titel "BIU Fokus: eSports. Aus der Nische ins Stadion". Neben der eindrucksvollen Entwicklung des Wirtschaftsmarktes wurden darin die verschiedenen Baustellen der Bewegung beschrieben: Es gebe kaum E-Sport-Vereine; zudem behindere "die fehlende rechtliche Anerkennung als legitimer Sport die Entwicklung von eSports in Deutschland deutlich". Die "größte Hürde" für diese Entwicklung sei jedoch die ausbleibende Anerkennung als Sport durch den DOSB.

Mittlerweile hatte die Diskussion auch die Bundespolitik erreicht. Als netzpolitischer Sprecher der SPD wies Lars Klingbeil im April 2017 in einem Gastbeitrag für "Die Zeit" auf die Vorteile einer Anerkennung des E-Sports hin: "Die E-Sport-Szene in Deutschland würde von einem Akzeptanzgewinn profitieren und wäre gleichzeitig angehalten, größere Anstrengungen zu unternehmen, um seiner neu gewonnenen gesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden." Gleichzeitig betonte er: "Die Entscheidung darüber liegt richtigerweise bei den Sportverbänden selbst", was die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages kurz darauf in einer Zusammenfassung der bisherigen Diskussion bestätigten. Als weiterer Fürsprecher einer Anerkennung von E-Sport als Sport trat ab seiner Gründung im November 2017 nun auch der ESBD mit großem kommunikativem Engagement und Jagnow als Präsident in Erscheinung.

Als im März 2018 der besagte Passus zur Anerkennung des E-Sports als Sport, der unter anderem von Dorothee Bär, Lars Klingbeil und dem heutigen Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) erarbeitet worden war, durch den Koalitionsvertrag zur offiziellen Regierungslinie wurde, reagierte der DOSB deutlich: "Dies kann man als klaren Angriff der Fachpolitiker im Bereich Digitales, ohne die Sportpolitiker oder gar den DOSB als Dachorganisation des organisierten Sports in Deutschland zu beteiligen, auf die Autonomie des Sports verstehen."

Tatsächlich umgesetzt wurde dieser Punkt der Koalitionsvereinbarung bislang jedoch nicht, und mit Blick auf die Verbandsautonomie verwies die Bundesregierung Ende August 2018 auf die geltende Rechtslage: "Es gibt kein Anerkennungsverfahren für Sportarten durch die Bundesregierung." Angesichts dieser Lage konstatierte der digitalpolitische Sprecher der SPD-Fraktion Jens Zimmermann im Frühjahr 2019 auf einer Veranstaltung: "Ich war in der Nacht dabei, als wir das im Kanzleramt da reingeschrieben haben – da waren wir vielleicht ein bisschen euphorisch, das gebe ich zu." Eine andere zentrale Forderung der Games-Branche wurde indes erfüllt: Mit der Aktualisierung seines Visumhandbuches im Juli 2018 hat das Auswärtige Amt die Einreisebestimmungen für Profispieler erleichtert.

Positionsbestimmungen

Für den ESBD steht fest: E-Sport ist Sport, weil die vom DOSB geforderte "eigene, sportartbestimmende motorische Aktivität" gegeben sei. Gestützt wird der ESBD durch den Trainingswissenschaftler Ingo Froböse – zumindest in der Hinsicht, dass der Professor der Sporthochschule Köln E-Sportlerinnen und E-Sportlern eine enorme physische Anstrengung sowie exzellente motorische Fertigkeiten attestiert. Für die Anerkennung als Sport greife das zu kurz, wendet die Sportsoziologin Carmen Borggrefe ein. Sie definiert Sport als "Kommunikation körperlicher Leistungen, die keinen Zweck außer sich selbst haben", sodass E-Sport keinesfalls Sport sei. Eine Anerkennung als Sport würde dem E-Sport einen aus ihrer Sicht nicht gerechtfertigten gesellschaftlichen Legitimationsschub bescheren, wodurch das gute Image des Sports insgesamt als gesundheitsförderlich und pädagogisch wertvoll aufs Spiel gesetzt werde. Für Sportphilosoph Volker Schürmann ist der Begriff "E-Sport" das erfolgreiche Produkt einer Wirtschaftslobby. Schließlich gehörten "E-Games den Unternehmen, die aus privatwirtschaftlichen Interessen spielen lassen. Sport dagegen wäre Gemeineigentum." Skeptisch zeigt sich auch der Sportpädagoge Thomas Wendeborn, der zwei strategische Ansätze des E-Sport-Verbandes ausmacht: Erstens verfolge der ESBD gemeinsam mit dem Verband Game politisch-ökonomische Interessen, zweitens versuche er, über einen diffusen Sportbegriff negative Konnotationen wie Bewegungsarmut, motorische Defizite, Spielsucht und Gewalt zu vermeiden. Für den Aspekt der Bewegungsarmut bestätigt selbst Froböse, dass E-Sportler mehr sitzen als Nicht-E-Sportler und dass dies ungesünder sei.

Eine staatliche Förderung vornehmlich sitzender Tätigkeiten steht indes im Widerspruch zu den "Nationalen Empfehlungen für Bewegung und Bewegungsförderung", die das Bundesgesundheitsministerium 2016 erstmals veröffentlichte, um dem zunehmend inaktiven Lebensstil vieler Bürgerinnen und Bürger entgegenzutreten. Für Kinder und Jugendliche wird demnach die Schule als zentraler Ort für die Bewegungsförderung angesehen. Kernempfehlungen für Bewegungsförderung in Schulen lauten deshalb: "Die Zeit für Bewegung im Schulalltag wird erhöht. Das bedeutet mehr Sportunterricht und zusätzliche Bewegungsangebote, zum Beispiel Bewegungspausen. Die Qualität der Bewegungsangebote und der Lehrmethoden im Sportunterricht wird verbessert." Konsequenterweise wird ergänzend empfohlen, die Förderung von Bewegung besser in Lehrplänen zu verankern. Vor diesem Hintergrund sprechen sich auch viele Sportlehrerinnen und Sportlehrer gegen E-Sport als Teil des Sportunterrichts aus.

Der DOSB, der mittlerweile mehrere Szenarien zum Umgang mit der E-Sport-Bewegung entwickelt hat, lehnt den Begriff "E-Sport" grundsätzlich ab und unterscheidet stattdessen zwischen "Virtuellen Sportarten" (Sportsimulationen) und "E-Gaming", womit alle anderen Gattungen wie Shooter, (Echtzeit-)Strategiespiele oder auch virtuelle Kartenspiele gemeint sind. Während der Verband "die Bedeutung elektronischer Sportartensimulationen für die Weiterentwicklung des Sports und der Sportverbände" anerkennt und "die systematische Ausarbeitung von Strategien zur Entwicklung von Sportarten im virtuellen Raum und von passgenauen Instrumenten zur Vereinsberatung und -entwicklung in den Verbänden" empfiehlt, geht er "davon aus, dass eGaming in seiner Gesamtheit nicht den zentralen Aufnahmekriterien entspricht, die das Sport- und Verbändesystem unter dem Dach des DOSB konstituieren und prägen". E-Gaming sei zwar Teil einer modernen Jugend- und Alltagskultur, aber keine eigenständige sportliche Aktivität.

Analog zu dieser Terminologie führte der Deutsche Fußball-Bund (DFB) den Spartenbegriff "E-Soccer" ein. Einzelne Profifußballvereine unterhalten im kommerziellen Interesse eigene E-Sport-Teams, wobei nicht alle nur Mannschaften für Fußballsimulationen, sondern auch für Strategiespiele aufbieten. Im Gegensatz zum E-Soccer wurde öffentlich auch schon über "E-Sailing" und "E-Cycling" gesprochen. Diese Begriffe stehen allerdings für eine Simulation von realen Streckenprofilen, die mit echten Sportgeräten ohne Fortbewegung absolviert werden können, um die Anstrengungen und Herausforderungen körperlich nachvollziehen zu können beziehungsweise dafür zu trainieren. Für den ESBD sind diese Trainingsarten oder Simulationen wiederum kein E-Sport. Der Deutsche Behindertensportverband (DBS) hat sich der Terminologie des DOSB zwar nicht angeschlossen, bleibt sachlich aber auf derselben Linie: "Für den DBS ist eSport grundsätzlich kein Sport. Sportsimulationen mit aktiven Bewegungselementen der spielenden Person selbst können unter den Sportbegriff gefasst werden." Gleichzeitig erkennt der DBS das Inklusionspotenzial des E-Sports an und unterstützt die Aufnahme eines entsprechenden Angebotes in den Sportvereinen, solange es sich um Sportsimulationen handelt.

Um sich einen Überblick über die verschiedenen Positionen zu verschaffen, ließ sich der Sportausschuss des Deutschen Bundestages im Februar 2019 von den jeweiligen Interessenvertreterinnen und -vertretern informieren. Bei der öffentlichen Anhörung zeigte sich die DOSB-Vorstandsvorsitzende Veronika Rücker dem ESBD-Präsidenten Jagnow gegenüber zwar grundsätzlich gesprächsbereit, erteilte seinem Anliegen, einen Dialog auf Augenhöhe zwischen Sportverband und Sportverband zu führen, angesichts der unterschiedlichen Größenordnungen jedoch eine klare Absage. Während der DOSB über 27 Millionen Mitgliedschaften in etwa 90.000 Vereinen vertritt, zählt der ESBD etwa 30 Mitgliedsorganisationen mit knapp 1.000 Mitgliedern.

Über die unterschiedlichen Positionen hinaus wurden in der Sitzung vor allem drei Punkte deutlich: Erstens scheinen die Fronten zwischen den Verbänden des traditionellen Sports und des E-Sports derzeit verhärtet zu sein; zweitens gehen die Meinungen zum E-Sport innerhalb der politischen Parteien zwischen Digital- und Sportpolitikern auseinander; drittens hat sich bestätigt, dass insbesondere die Frage nach der Gemeinnützigkeit in der Debatte von entscheidender Bedeutung ist. Eine Anerkennung als Sport würde den E-Sport-Vereinen unmittelbar die Gemeinnützigkeit nach der Abgabenordnung bescheren, was ein zentrales Anliegen des ESBD ist. Bereits im Vorfeld hatten die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages einen Sachstand zur "Auswirkung von eSport-Angeboten auf die Anerkennung der Gemeinnützigkeit" vorgelegt. Für die Gemeinnützigkeit eines Vereins ist in Deutschland allerdings nicht ausschlaggebend, ob dort Sport betrieben, sondern ob mit der Arbeit des jeweiligen Vereins das Gemeinwohl gefördert wird.

Dient E-Sport dem Gemeinwohl?

Im deutschen Recht wird an vielen Stellen der Begriff "Sport" genutzt, zum Beispiel jüngst im Strafrecht mit Blick auf "Sportwettbetrug" und die "Manipulation von berufssportlichen Wettbewerben", im Bundesbaugesetz mit Bezug zu Sportanlagen oder eben im Rahmen der Gemeinnützigkeit in der Abgabenordnung. Für Letzteres hat der Bundesfinanzhof 1997 "die körperliche Ertüchtigung" als zentrales Merkmal ausgemacht. Aber: Eine rechtsverbindliche Definition von "Sport" findet sich an keiner Stelle. Lediglich im Ansatz lässt sich etwa anhand der 2017 beschlossenen Novelle der Sportanlagenlärmschutzverordnung ablesen, was der deutsche Gesetzgeber mit Sport verbindet: "Sport hat wichtige soziale, integrative und gesundheitliche Funktionen. Daher bestehen an der Ausübung von Sport nicht nur private, sondern – insbesondere an der Ausübung von Breiten- und Jugendsport – auch öffentliche Interessen." Zum Verhältnis von Computerspielen und Sport hat sich 2005 das Bundesverwaltungsgericht im Kontext des Betreibens eines Internetcafés geäußert: "Computerspiel ist selbst dann kein Sport, wenn es im Wettbewerb veranstaltet wird. Typischerweise wird ein Computerspiel nicht gespielt, um sich zu ‚ertüchtigen‘."

In der Antwort auf eine Kleine Anfrage zur "Anerkennung der Gemeinnützigkeit von eSport-Vereinen", verwies die Bundesregierung Mitte April 2019 auf die "jeweils zuständige Landesfinanzbehörde". Bislang besteht unter diesen Einrichtungen keine Einigkeit, ob E-Sport gemeinnützig ist. Eine klare Position hat allerdings der Stadtstaat Hamburg bezogen: Vor allem auf Betreiben der Hamburger Sportjugend (HSJ) hin wird in der Hansestadt E-Sport als Spiel interpretiert und im Rahmen der Jugendhilfe als gemeinnützig anerkannt. Voraussetzung der Gemeinnützigkeit ist unter anderem, dass die Sportvereine in ihren Satzungen auch die "Förderung der Jugendhilfe" verankern, da "Jugendarbeit in Sport, Spiel und Geselligkeit" das Gemeinwohl fördern. Dazu hat die HSJ Handlungsempfehlungen mit einem Prüfschema und Empfehlungen für Sportvereine erarbeitet. Demnach sollten einzelne E-Sport-Titel anhand von vier Kategorien klassifiziert werden: erstens ethisch/moralisch und inhaltlich; zweitens rechtlich mit Bezug zu den körperlichen Anforderungen im Vergleich zu anerkannten Sportarten (zum Beispiel Schach, Darts, Sportschießen); drittens mit Blick auf Körperbeherrschung und viertens hinsichtlich des Suchtpotenzials.

Höchste Bedeutung für die Jugendarbeit hat dabei, dass der Verein der angegebenen Gemeinwohlorientierung tatsächlich nachkommt und Jugendliche wie auch Eltern im Hinblick auf pädagogische Herausforderungen, Altersfreigaben und Suchtverhalten von E-Sport-Titeln berät. Als erstes Bundesland überhaupt hat Schleswig-Holstein eine E-Sport-Förderrichtlinie verabschiedet, durch die "Einrichtungen, Maßnahmen und Projekte zur Entwicklung eines landesweiten Angebotes für eSport in Verbindung mit digitaler Kompetenz gefördert werden" sollen. Auch hier werden klare Anforderungen gestellt, die als Fördervoraussetzungen erfüllt sein müssen, darunter unter anderem "die Prävention von Online-Spielsucht und gesundheitsgefährdender Nutzung (…) elektronischer Medien und Anwendungen sowie die Prävention von sexualisierter Gewalt im Sport, im eSport und in der Kinder- und Jugendarbeit".

Derlei Präventionsforderungen werden durch die Entscheidung der Weltgesundheitsorganisation gestützt, "Gaming Disorder" – wörtlich übersetzt "Computerspielstörung" – in die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme aufzunehmen. Das Deutsche Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters geht deshalb auch in einer eigenen Broschüre auf die verschiedenen Risikofaktoren übermäßigen Computerspielens wie Schlafmangel, Fehlernährung, mangelnde körperliche Fitness oder soziale Exklusion ein. Inwiefern die Frage der Gemeinnützigkeit hierdurch beeinflusst wird, ist derzeit aber ebenso offen wie die Frage, ob E-Sport längerfristig in weiteren Bundesländern oder gar bundesweit als gemeinnützig anerkannt wird.

Ausblick

Im führenden E-Sport-Land Südkorea haben vor allem die negativen Begleiterscheinungen für Körper und Geist dazu geführt, dass bereits 2011 das sogenannte Cinderella-Gesetz zur Begrenzung von Spielzeiten für Kinder verabschiedet wurde: Kindern unter 16 Jahren ist dort zwischen Mitternacht und 6 Uhr früh das Spielen verboten. Das Internationale Olympische Komitee zeigt sich mit Blick auf die in vielen Spieltiteln präsente Gewalt zurückhaltend, was eine Anerkennung von E-Sport als Sport angeht, während das Olympic Council of Asia bei den Asienspielen 2018 Wettbewerbe im E-Sport auf das Programm setzte, wenn auch ohne Medaillenvergabe. Vor dem Hintergrund der skizzierten Potenziale und Gefahren wird weltweit kontrovers diskutiert, ob E-Sport Spielerei oder Sport ist, ob es staatlich gefördert und gar im Bildungssystem berücksichtigt werden sollte. Die Diskussion wird oft dadurch erschwert, dass nicht immer alle Beteiligten klar definieren, was genau sie mit E-Sport meinen.

In Deutschland hat der ESBD einen Teil seiner zentralen Ziele erreicht: Im Profi-Bereich erhalten E-Sportler erleichterte Visa, und für den Ausbau des E-Sports in Vereinen ist zumindest für den Nachwuchs in Hamburg eine Lösung durch die lokale Finanzbehörde herbeigeführt worden. Eine Anerkennung als Sport ist in der Politik allerdings weiterhin umstritten, und der DOSB erkennt den ESBD zwar als Diskussionspartner, nicht aber als Sportverband an.

So werden sowohl der organisierte Sport als auch der ESBD und nicht zuletzt politische Entscheidungsträger auf Landes- und Bundesebene weiterhin nach Lösungen für das gesellschaftliche Phänomen suchen: Der DOSB wird genau analysieren, ob seine Öffnung für virtuelle Sportarten dem traditionellen Vereinssport Zulauf beschert und wie sich die beiden Kulturformen hier gegenseitig beeinflussen. Der ESBD wird nach einer eigenständigen Gemeinnützigkeitsregelung streben und beobachten, ob E-Sport im Verein wirklich zu einer Basis für den Profibereich werden kann oder ob die Spitzenspieler wie bisher vor allem aus den eigenen vier Wänden rekrutiert werden. Und entsprechend dieser empirisch zu belegenden Entwicklungen wird die Politik bestrebt sein, unter Berücksichtigung des staatlichen Ziels einer psychisch wie körperlich gesunden Bevölkerung die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für die junge Massenkultur der Gamer anzupassen.

ist promovierter Sportwissenschaftler und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundesinstitut für Sportwissenschaft in Bonn. E-Mail Link: robin.streppelhoff@bisp.de