Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Medienkompetenz und Jugendarbeit | Medienkompetenz in einer digitalen Welt | bpb.de

Medienkompetenz in einer digitalen Welt Editorial Wandel medialer Techniken Historische und theoretische Perspektiven auf Medienkompetenz Zur Geschichte der Medienkompetenz Dimensionen von Medienkompetenz Medienkompetenz und Medienbildung Medienkompetenz und Kontexte der Mediensozialisation Medienkompetenz und Familie Frühe Medienbildung und Medienkompetenzförderung in Kindertagesstätten Medienkompetenz und Schule Medienkompetenz und Jugendarbeit Aktuelle Herausforderungen und Diskurse Jugend und soziale Medien Vertrauenskrise des Journalismus Fake News, Misinformation, Desinformation Chancengerechtigkeit und digitale Medien Gesellschaftlicher Zusammenhalt und mediale Öffentlichkeit Jugendmedienschutz Glossar Gesamtes Literaturverzeichnis Impressum
Informationen zur politischen Bildung Nr. 335/2023

Medienkompetenz und Jugendarbeit

Sonja Ganguin Uwe Sander

/ 4 Minuten zu lesen

Neben der Schule und Familie bildet die Jugendarbeit ein weiteres Erziehungsfeld. Auch sie muss sich dem medialen Wandel anpassen und Strukturen zur Medienkompetenzförderung schaffen.

Neben der Schule kann auch die Jugendarbeit Medienkompetenz an Jugendliche vermitteln: Computer-Workshop im Cafe Netzwerk des Kreisjugendrings in München im Januar 2016. (© SZ Photo | Robert Haas )

Jugendarbeit als eigenständiges Erziehungsfeld und als weitere Sozialisationsinstanz neben dem Elternhaus, der Peergroup und den Institutionen des schulischen und beruflichen Bildungswesens ist nach § 11 Achtes Sozialgesetzbuch (SGB VIII) heute Teil der Kinder- und Jugendhilfe. Dort ist das Recht von Kindern und Jugendlichen auf Erziehung verankert, und dieses ist auf das Ziel verpflichtet, die persönliche und soziale Entwicklung Heranwachsender zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu fördern. An die Interessen und Bedürfnisse der jungen Menschen anknüpfend gilt es, ihnen Lernfelder zu eröffnen, damit Heranwachsende lernen, selbstbestimmt politische und gesellschaftliche Prozesse zu verstehen und zu gestalten.

Die Angebote der Jugendarbeit, die ihnen dafür zur Verfügung gestellt werden, sollen sich explizit an alle jungen Menschen richten, also im Unterschied zu anderen Feldern der Jugendhilfe nicht problemgruppenorientiert strukturiert sein. Öffentliche und freie Träger nehmen die Aufgaben der Jugendarbeit wahr, wobei hinsichtlich Trägern, Inhalten, Arbeitsformen und Methoden eine große Vielfalt vorzufinden ist. Eine zentrale Stellung nimmt die Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur e.V. (GMK) ein, die sich für die Förderung einer ganzheitlichen, umfassenden Medienpädagogik und Medienkompetenz einsetzt.

Erikson Stufenmodell: psychosoziale Entwicklung in acht Stufen (© Eigene Darstellung Ganguin/Sander)

Da die Teilnahme an den Angeboten der Jugendarbeit freiwillig ist und in der Freizeit von Heranwachsenden stattfindet, gilt es, Erfahrungs- und Lernfelder zu bieten, für die sich junge Menschen begeistern (lassen). Allerdings wird seit einigen Jahren kritisiert, dass die Jugendarbeit aufgrund konkurrierender Freizeit-Veranstalter an Attraktivität verliert. Eine weitere Ursache für das (scheinbar) sinkende Interesse Jugendlicher an Angeboten der Jugendarbeit wird darin gesehen, dass der Alltag Heranwachsender neben der Schule häufig sehr durchgetaktet ist. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach den heutigen Bedürfnissen und Interessen Jugendlicher. Welche Themen bewegen die Jugendlichen und welche Orte des selbstbestimmten Austauschs sind ihnen daher in einer sich wandelnden Gesellschaft bereitzustellen, um ihnen Teilhabe und die Bewältigung von Entwicklungsaufgaben zu ermöglichen? Diese Entwicklungsaufgaben sind Anforderungen, so der US-amerikanische Psychologe Erik Erikson (1902–1994), die Menschen im Laufe ihres Lebens bewältigen müssen, um sich körperlich, geistig und sozial weiterzuentwickeln. Diese Aufgaben sind eng mit den Herausforderungen und Chancen verbunden, die im jeweiligen Lebensabschnitt auftreten.

Freizeitaktivitäten Jugendlicher – Digitale Medien als Sozialraum

Da Jugendarbeit den Anspruch erhebt, sich an der Lebenswelt und dem Alltag junger Menschen zu orientieren, ist es sinnvoll, bei den Freizeitinteressen von Kindern und Jugendlichen anzusetzen. Werden die wichtigsten Freizeitaktivitäten betrachtet, dann zeigt sich, dass ihr Alltag stark durch Mediennutzung dominiert wird.

Bei einem quantitativen Vergleich zwischen medialen und non-medialen Freizeitaktivitäten belegen Handy-, Internet- und Fernsehnutzung die oberen Plätze, gefolgt von persönlichen Treffen mit Freunden. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass sich diese Aktivitäten gegenseitig durchdringen. So spielt etwa beim Zusammensein im Freundeskreis das Smartphone eine bedeutsame Rolle, indem es auch als Kommunikationsmedium dient, um sich etwa zu verabreden oder auszutauschen. Gleiches gilt heute für das Internet, das nahezu vollständig in den bundesdeutschen Haushalten vorhanden ist, in denen Jugendliche leben; die Voraussetzung des sozialpädagogischen Ziels von Chancengleichheit im Netz ist demzufolge formal gegeben. In der realen Nutzung zeigen sich aber deutliche Unterschiede, die auch soziale Ungleichheiten erzeugen.

Jugendmedienarbeit braucht nachhaltige Strukturen

Das Internet ist heute ein soziokultureller Ort für junge Menschen – nicht nur ein Medium, sondern ein virtueller Lebensraum, der Teilhabe an Kultur ermöglicht. Doch die Selbstverständlichkeit, mit dem sich Jugendliche heute im Netz bewegen, bedarf auch eines kritischen Blicks. Neben den Chancen von Social-Media-Angeboten wie der Selbstpräsentation, dem Spielen mit der eigenen Identität, neuartigen Kontaktaufnahmen und der Kommunikation mit anderen Nutzer:innen gehen auch Risiken einher, die etwa mit den Fragen nach der informationellen Selbstbestimmung (dies ist ein Datenschutz-Grundrecht zur Preisgabe und Verwendung personenbezogener Daten), des Datenschutzes, des Jugendmedienschutzes und der Privatsphäre verbunden sind.

Diese Probleme zeigen sich beispielsweise dann, wenn Online-Dienste den Nutzer:innen nicht das Recht zugestehen, Informationen über sich zu löschen. Weiterhin ergeben sich Risiken, wenn persönliche Informationen ausgespäht werden oder wenn ein unsensibler, unreflektierter Umgang mit persönlichen Daten. Dies geschieht etwa durch Veröffentlichung individueller Vorlieben, der Telefonnummer oder den Missbrauch des Internets, um andere junge Menschen zu belästigen und zu nötigen, wie es beim Cyberbullying und -mobbing der Fall ist.

So sind Nutzen und selbstbestimmtes, kritisches Handeln nicht gleichzusetzen. Jugendliche bedürfen mehr und mehr der Förderung eines medienkompetenten Umgangs. Das heißt, die Neugier von Kindern und Jugendlichen auf Kommunikation so zu wecken, dass sie autonom und zugleich sozial verantwortlich in eine gemeinsame Gesellschaft hineinwachsen.

Da Jugendarbeit sich an den gesellschaftlichen Veränderungen zu orientierten hat, muss auch eine verstärkte Jugendmedienarbeit stattfinden. Obwohl von der Politik seit Jahren der Erwerb einer umfassenden Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen gefordert wird, mangelt es zurzeit an der finanziellen Unterstützung, bildungspolitischen Umsetzungen und an nachhaltigen Strukturen. In diesem Sinn gilt es, neben der wichtigen Integration der Förderung von Medienkompetenz in die schulische Bildung auch den außerschulischen Bereich der Pädagogik gleichberechtigt einzubeziehen.

QuellentextGewalt im Netz: Immer ein offenes Ohr für Kinder und Jugendliche haben

Wir stehen als Erwachsene ziemlich hilflos da, wenn wir sehen, was unsere Kinder sich alles im Internet angucken können. Vor Kurzem gab es zum Beispiel einen Großbrand in Flensburg mit zwei Toten. Da haben sich Smartphone-Videos von Menschen, die skrupellos mit dem Handy draufgehalten haben, rasant über die sozialen Netzwerke verbreitet, vor allem bei Kindern und Jugendlichen, die danach zum Teil psychologische Hilfe brauchten.

Herr Schröder, was beobachten Sie, wovor müssen wir unsere Kinder schützen? […]

Schröder: Lehrerinnen und Lehrer müssen grundsätzlich eine Offenheit und eine Zuwendung hin zur Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen mitbringen. Denn nur wenn ich die mitbringe, dann kann ich verstehen, womit Schülerinnen und Schüler in ihrer Alltagswelt konfrontiert sind. Wenn wir über soziale Netzwerke reden, dann funktionieren diese Netzwerke nach einer Aufmerksamkeitsökonomie, die auch eine wesentliche Funktion für das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen hat – in dem Maße, dass wir in der heutigen Zeit nicht nur Konsument*innen von Medieninhalten sind, sondern in einer zunehmenden Weise auch zu Produzent*innen von Medieninhalten werden. Sprich: Die Art und Weise, wie ich mich zu einem vorgefundenen Inhalt verhalte, verrät etwas darüber, wer ich bin. Like ich etwas? Kommentiere ich etwas? Teile ich etwas? Oder bin ich aktiv darin, selbst erstellten Content zu produzieren? Das gibt Jugendlichen einen sehr starken Aufschluss darüber, wer sie sind, was sozusagen ihre digitale und auch ihre damit sehr stark verwobene Identität ausmacht.

Wenn Sie sagen, dass die Lehrer sich da auch rein lesen müssen, das alles anklicken müssen, das sehen müssen, fragt man sich natürlich: Wann sollen die das noch machen? Die haben natürlich auch einen ganz vollen Plan. Sollten da ganz neue Schwerpunkte gesetzt werden?

Schröder: Ich denke, dass die Art und Weise, wie wir heute zusammenkommen in der Schule, einmal grundsätzlich auf den Prüfstand gehört. Ich habe die Vorstellung von einer Schule, die einer modernen Bibliothek entspricht, wo Schülerinnen und Schüler situativ zusammenkommen können und anhand von praktischen Aufgaben projektbezogen zusammenarbeiten können, anstatt auf Prüfung hingerichtet zu lernen. Auf diese Weise schaffen wir Erfahrungsräume, in denen es gelingen kann, ein Gefühl für die eigenen Stärken und Schwächen zu bekommen. Und sich vor allem aber auch ohne den Druck einer Prüfung mit selbstgewählten Themen zu beschäftigen, die einen ganz anderen Zugang ermöglichen, als das in den traditionellen Unterrichtsformen möglich ist, in denen – und das ist weiterhin ja gängige Praxis in Schulen – Schülerinnen und Schüler immer wieder in diese passive Rolle hereingedrängt werden, Lerninhalte konsumieren und reproduzieren zu müssen. Es geht darum, die Handlungs- und Gestaltungskompetenz junger Menschen zu fördern. Sie haben es hier mit Anwendungsmöglichkeiten zu tun, die natürlich digitale Medien beinhalten. Sie haben es aber auch mit ethischen Fragen zu tun, bei denen es darum geht, ein Gefühl dafür zu bekommen, wer ich bin, wer ich sein möchte und was von mir erwartet wird in einer Gesellschaft. So unterstützen wir Jugendliche dabei, einen moralischen Kompass dafür zu entwickeln, was in Ordnung ist, was ich teilen kann, oder wo ich vielleicht aber auch mal innehalten müsste.

Sie haben den moralischen Kompass gerade angesprochen, für den sich ja auch Eltern eigentlich zuständig fühlen, die gerne ihren Kindern etwas mitgeben möchten. Was sollen wir denn da tun? Sollen wir verbieten? Sollen wir kontrollieren? Was hilft?

Schröder: Grundsätzlich kann ich sagen, dass es nicht möglich ist, zu verbieten, dass Kinder und Jugendliche solche Inhalte sehen. Wichtig ist auch, hier empathisch zu sein, die Jugendlichen nicht dafür zu bestrafen, was sie gesehen haben. Denn wenn man mit Sanktionen reagiert, produziert man damit eigentlich nur eine Haltung, die es das nächste Mal verhindert, dass Kinder und Jugendliche sich offen an ihre Eltern wenden werden. Vielmehr ist hier gefragt, ein offenes Ohr für die Sorgen der Kinder und Jugendlichen zu haben und ansprechbar zu sein. Dabei behilflich zu sein, zu reflektieren, was gerade gesehen wurde und was es bedeuten würde, das zu teilen.

Was fordern Sie von der Politik? Kann von der Seite etwas kommen? Zum Beispiel Verbote, überhaupt solche Inhalte zu zeigen – oder irgendwelche Regulierungsvorschläge?

Schröder: Als Gesellschaft sollten wir die Anbieter der sozia­len Netzwerke noch stärker in die Verantwortung neh­men. Ich kann Ihnen sagen, dass, wenn wir über Gewaltdarstellungen in sozialen Netzwerken reden, die Anbieter in der Pflicht sind, diesen Content zu moderieren.

Was sie aber zum Teil nicht tun.

Schröder: Beispielsweise im Fall von Missbrauchsdarstellungen tun sie das, indem sie sehr eng mit Datenbankbetreibern zusammenarbeiten, die geflaggten Content auf ihrer Seite oder in ihren Datenbanken registriert haben. Wenn wir allerdings über spontane Ereignisse reden – wie den von Ihnen erwähnten Großbrand – und unmittelbar danach Gewaltdarstellungen im Internet landen, dann ist es schwierig für solche Programme zu reagieren. In einer so schnellen Informationsökonomie hier ein Verbot zu fordern, das würde dem gleichkommen, in den Informationsfluss direkt einzugreifen. Ich denke, dass hier das Risiko besteht, dass die freie Meinungsäußerung sehr stark darunter leiden würde. Denn wie könnte man so etwas machen? Durch technische Lösungen. Allerdings: Wie erkennt man es in einer Rauchsäule, ob eine Person darin ist? Es ist nun schwer umzusetzen. Dann würde man sich dieses Verbot dadurch erkaufen, dass man massenhaft Kommunikationsdaten filtern müsste.

Was würden Sie sagen? Ist es fünf vor oder schon fünf nach zwölf?

Schröder: Wenn man das Thema analog zur Lesekompetenz begreift, dann sehen wir, glaube ich, auch die Tragweite, wie Medienkompetenz uns unser Leben lang im Prinzip begleiten wird. Und je eher wir also die Grundsteine für ein medien- und digitalkompetentes Leben legen, desto besser können wir davon profitieren.

Das Gespräch führte Julia Westlake.

Marcel Schröder, Referent für Medien und digitale Partizipation bei der Aktion Kinder und Jugendschutz in Schleswig-Holstein, erklärt, wie man Kinder schützt und ihnen Handwerkszeug an die Hand gibt.

„Gewalt im Netz: Wie vermitteln wir unseren Kindern Medienkompetenz?“, in: ndr.de vom 22. Mai 2023. Online: Externer Link: https://www.ndr.de/kultur/kulturdebatte/Gewalt-im-Netz-Wie-vermitteln-wir-unseren-Kindern-Medienkompetenz,medien240.html

Umfrage: Wer vermittelt welche Kompetenzen? Online-Befragung von 2069 14- bis 24-Jährigen im November und Dezember 2022 Quelle: Vodafone Stiftung Deutschland (© picture-alliance, dpd/dpa-infografik GmbH)

Umfrage: Digitale Kompetenzen, Online-Befragung von 2069 14- bis 24-Jährigen im November und Dezember 2022 Quelle: Vodafone Stiftung Deutschland (© picture-alliance, dpd/dpa-infografik GmbH)

Prof.‘in Dr. Sonja Ganguin ist Professorin für Medienkompetenz- und Aneignungsforschung am Institut für Kommunikation- und Medienwissenschaft und Direktorin des Zentrums für Medienproduktion an der Universität Leipzig. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Medienkompetenz, Medienkritik, digitale Spiele und digitales Lernen.
E-Mail-Adresse: E-Mail Link: sonja.ganguin@uni-leipzig.de

Prof. Dr. Uwe Sander ist Professor (i.R.) für Medienpädagogik an der Fakultät für Erziehungswissenschaft der Universität Bielefeld. Seine Forschungsschwerpunkte sind Mediennutzung und Medienforschung sowie Jugend und Jugendkultur.
E-Mail-Adresse: E-Mail Link: uwe.sander@uni-bielefeld.de