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Preppen | Bevölkerungsschutz | bpb.de

Bevölkerungsschutz Editorial Katastrophenangst. Momente der Kulturgeschichte Zwischen Apokalypse und Alltagsunfall. Zur Geschichte des Bevölkerungsschutzes in der Bundesrepublik Deutschland Strukturen, Akteure und Zuständigkeiten des deutschen Bevölkerungsschutzes Stabsarbeit vor neuen Herausforderungen. Zur Einsatzführung im Bevölkerungsschutz Preppen. Private Krisenvorsorge zwischen Bürgerpflicht, Lebensstil und Staatsskepsis Opfer der Moderne. Geschädigte von Technikkatastrophen in Gesellschaft und Medien Das internationale humanitäre System. Eine Einführung

Preppen Private Krisenvorsorge zwischen Bürgerpflicht, Lebensstil und Staatsskepsis

Julian Genner

/ 15 Minuten zu lesen

Preppen ist ein aus den USA kommender Trend, der sich seit etwa 2010 auch in Deutschland zunehmender Beliebtheit erfreut. Im Zentrum von Preppen, abgeleitet vom Englischen "to prepare" (vorbereiten), steht die Vorbereitung auf zukünftige Krisenereignisse. Die Krisenszenarien variieren stark, sie umfassen beispielsweise Blackouts, Industrieunfälle und Naturkatastrophen, aber auch Terroranschläge oder Bürgerkriege. Obwohl sie sich stark unterscheiden und ihr Realitätsgehalt in den einschlägigen Portalen mitunter kontrovers diskutiert wird, zeichnen sich die Krisenszenarien durch ein ähnliches Muster aus: Ein Ereignis setzt eine Kettenreaktion in Gang, die in kurzer Zeit zu einem vorübergehenden oder dauerhaften Zusammenbruch der Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs und der öffentlichen Ordnung führt. Die entworfenen Szenarien erfordern eine umfassende Krisenvorsorge, die es erlaubt, auf einen Schlag alles zu ersetzen, was für viele Menschen in ihrem Lebensalltag selbstverständlich ist – eine funktionierende Infrastruktur, die die Versorgung mit Wasser, Strom und Lebensmitteln sicherstellt, und Institutionen, die den Zugang zu medizinischer Versorgung und die Wahrung der öffentlichen Sicherheit gewährleisten. Preppen umfasst daher nicht nur Vorratshaltung, sondern auch die Aneignung von überlebenswichtigen Fähigkeiten. Vorbereitet zu sein, ist in diesem Sinne auch kein Hobby, sondern eine Haltung, die alle Lebensbereiche prägt.

Die intensive Beschäftigung mit Krisenszenarien und -vorsorge hat Preppern den Ruf als irrationale Weltuntergangsfanatiker eingebracht. Die Leidenschaft und Konsequenz, mit der Prepper sich mit Krisenvorsorge befassen, ist in der medialen Öffentlichkeit auch Quelle der Faszination. In Deutschland stehen Teile der Prepper-Szene seit 2017 unter Beobachtung durch den Verfassungsschutz, nachdem ein rechtsextremes Netzwerk aufgedeckt wurde, das den Sturz der Regierung am "Tag X" geplant haben soll. In den Medien erscheint der Prepper folglich als ambivalente Figur: als paranoider Spinner, als faszinierender Exot und als rechtsextremer Gefährder. Gemeinsam ist diesen stereotypen Darstellungen, dass sie Prepper als eine von der Restgesellschaft losgelöste Randgruppe begreifen.

In Abgrenzung zu diesen Stereotypisierungen verorte ich in diesem Beitrag Preppen in einem breiteren gesellschaftlichen Kontext. Zunächst werden verschiedene Facetten der Krisenvorsorge von Preppern beschrieben, bevor das ambivalente Verhältnis der umfassenden Krisenvorsorge von Preppern zum staatlichen Katastrophenschutz problematisiert und abschließend die Popularität von Preppen auch vor dem Hintergrund von Abstiegsängsten in Teilen der Mittelschicht diskutiert wird. Die präsentierten Erkenntnisse stammen aus einem laufenden Forschungsprojekt, in dessen Rahmen ich Gespräche und Interviews mit Preppern führe, an Prepper-Aktivitäten teilnehme und den Diskussionen von Preppern in einschlägigen Online-Portalen folge, und sind daher vorläufiger Art.

Vorbereitungspraktiken

Im Mittelpunkt von Preppen steht die Auseinandersetzung mit Krisenszenarien. Dabei geht es nicht so sehr um die Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Szenarios im Sinne eines kalkulierbaren Risikos. Vielmehr geht es in einem ersten Schritt darum, sich mögliche Folgen eines Krisenereignisses vorzustellen. Die Krisenszenarien sind daher spekulativer Natur und basieren auf Was-wäre-wenn-Fragen wie "Was wäre, wenn der Strom ausfiele?". Spekulative Fragen dieser Art sollen die Verletzlichkeit der Gesellschaft sichtbar machen. Sie zeigen, in welchem Maße wir uns in unserem Alltag auf Infrastrukturen und Institutionen verlassen, auf deren Funktionieren wir kaum Einfluss haben und die sich unserer unmittelbaren Kontrolle entziehen. Vor allem wird sichtbar, wie sehr wir von einer prinzipiell verletzlichen Gesellschaft abhängig und damit auch selbst verletzlich sind.

Die intensive Auseinandersetzung mit Krisenszenarien dient allerdings nicht nur dazu, sich mögliche Folgen einer Krise auszumalen, sondern es geht in einem zweiten Schritt darum, Möglichkeiten zu finden, die Folgen für sich selbst abzumildern und zu bewältigen. Krisenszenarien thematisieren daher nicht nur die potenzielle Verletzlichkeit der Gesellschaft, sondern problematisieren auch die eigene Abhängigkeit von dieser Gesellschaft. Dadurch schafft die Beschäftigung mit Krisenszenarien auch eine Perspektive zur Selbstermächtigung. Das große Versprechen von Preppen ist, dass sich diese Abhängigkeiten systematisch und umfassend reduzieren lassen. Üblicherweise setzen sich Prepper zum Ziel, Vorräte für wenigstens drei Monate zu haben. Wie viele Vorräte tatsächlich eingelagert werden, hängt von den finanziellen Möglichkeiten und den Platzverhältnissen ab.

Eingelagert werden nebst Lebensmitteln primär Medikamente, Batterien, Hygieneartikel, Gaskocher, Taschenlampen, Akkus, Kerzen, Möglichkeiten zur Wasseraufbereitung und Ausrüstung aller Art. Nach oben sind den finanziellen Investitionen prinzipiell keine Grenzen gesetzt. Vorräte und Ausrüstung für mehrere Monate kosten schnell mehrere Tausend oder auch Zehntausend Euro. Das gilt insbesondere dann, wenn es um bauliche Maßnahmen geht, beispielsweise um den Einbau von Solaranlagen, Holzöfen, Sicherheitsfenstern und dergleichen mehr. Auch das Anlegen eines Gemüsegartens ist bisweilen Teil der Krisenvorsorge, um den Grad der Selbstversorgung zu erhöhen. Für den Fall, dass sich eine Krise nicht in den eigenen Wänden aussitzen lässt, verfügen viele Prepper über sogenannte Fluchtrucksäcke. Diese enthalten das Nötigste für einige Tage, stehen oftmals fertig gepackt bereit und sollen eine schnelle Flucht aus dem Krisengebiet ermöglichen. In Prepper-Kreisen heißen diese Rucksäcke "B.O.B" für "bug out bag" oder "I.N.C.H." für "I never come home". Es gibt inzwischen auch spezialisierte Anbieter, die Fluchtausrüstung als Komplettset verkaufen. Auch hier sind der Fantasie und den Kosten keine Grenzen gesetzt. Wer es sich leisten kann, erfüllt sich den Traum von einem abgelegenen Grundstück, das im Krisenfall als Rückzugsort – als "sicherer Ort", kurz "S.O." – dienen kann. Einige Prepper verfügen auch über umgerüstete Offroad-Fahrzeuge, die ein autarkes Leben für mehrere Wochen ermöglichen sollen.

Es wäre aber falsch, Preppen mit der bloßen Anhäufung von Ausrüstung und Vorräten gleichzusetzen. Vorbereitung beginne, wie es ein Prepper im Gespräch formuliert, im Kopf. Es gehe darum, die richtige Einstellung und die richtigen Fähigkeiten zu haben. Die beste Ausrüstung hilft nichts, wenn man damit nicht umzugehen weiß. Die Aneignung von Fähigkeiten und Kenntnissen ist daher zentral, wobei es auch hier große Unterschiede zwischen Preppern gibt. Die Bandbreite möglicher Fähigkeiten ist groß, eine Auswahl ohne Anspruch auf Repräsentativität und Vollständigkeit umfasst so unterschiedliche Dinge wie Erste Hilfe, Wildpflanzenkenntnisse, Knotenkunde, Amateurfunk, Permakultur, Tarnung, Imkerei, Morsen, Kampfsport, Einwecken oder Sportschießen. Für einige meiner bisherigen Gesprächspartner besteht der Reiz des Preppens nicht zuletzt darin, sich autodidaktisch Fähigkeiten anzueignen, mit denen sie sich sonst womöglich nie beschäftigt hätten.

Obwohl Preppen mit hohem Materialaufwand verbunden ist, gilt es gemeinhin als Tugend, aus möglichst wenig möglichst viel machen zu können. Ein Tampon dient ausgerollt als Zunder, ein Kondom lässt sich zu einem Wasserbehälter oder einer Dichtung umfunktionieren, ein Nylonstrumpf kann einen gerissenen Keilriemen ersetzen – mit Sinn für Improvisation lassen sich die verborgenen Potenziale von Alltagsgegenständen für die eigene Krisenvorsorge nutzen. Das Ideal der Multifunktionalität prägt die Ästhetik von Ausrüstungsgegenständen und Kleidung im Preppen: robuste Funktionskleidung – oftmals in Olivgrün aus Army-Shops –, Messer mit integriertem Feuerstahl, Rucksäcke mit MOLLE (modular lightweight load-carrying equipment), eine Benzinlampe, die gleichzeitig auch als Teekocher dienen kann, und so weiter. Auf einschlägigen Youtube-Kanälen finden sich zahlreiche Testberichte zu verschiedenen Produkten. Das Fachsimpeln über Ausrüstung wird in Prepper-Kreisen bisweilen nicht ohne Selbstironie auch als "gear porn" ("Ausrüstungs-Porno") bezeichnet.

Aus der Perspektive von Preppern wird ein möglicher Zusammenbruch der Welt, wie wir sie kennen, zu einem technischen Problem, das sich mittels der richtigen Einstellung, der passenden Ausrüstung und den geeigneten Fähigkeiten aus eigener Kraft bewältigen lässt. Dies erfordert aber auch entsprechende Trainings. Prepper spielen Krisenszenarien nicht nur in Gedanken durch, sondern üben auch regelmäßig den Ernstfall. Einige Beispiele: Ein Gesprächspartner stellt seiner Familie einmal im Jahr Strom, Wasser und Heizung ab, um die Vorsorge "hochzufahren". Ein anderer hat für seine vierköpfige Familie Fluchtrucksäcke besorgt und übt das Tragen, um im Ernstfall ein abgelegenes Grundstück mit weiteren Vorräten zu erreichen. Ein dritter führt "Durchschlage-Übungen" durch, um sich unentdeckt, mit Infrarotschutz und Armbrust ausgerüstet, von A nach B bewegen zu können. Ein vierter hat gemeinsam mit Freunden Fluchtpläne ausgearbeitet und Treffpunkte definiert. Ein fünfter hat Plastikfässer mit Vorräten im Wald vergraben. Letztlich gibt es große individuelle Unterschiede, ob und in welcher Form und Intensität bestimmte Krisenszenarien erprobt werden. In den vergangenen Jahren hat sich zudem ein Markt für verschiedene Survival- und Prepper-Trainings etabliert. Nebst klassischen Survival-Trainings, die beispielsweise verschiedene Techniken zum Feuermachen, zum Aufbereiten von Trinkwasser oder zum Bau von Unterschlupfen aus Naturmaterialien vermitteln, gibt es auch Kurse, in denen Fluchtrucksäcke erprobt werden. Spezifische Fluchttrainings vermitteln aus der militärischen Ausbildung stammende Fähigkeiten, etwa zu Tarnung und Nahkampf. Kursleiter verfügen dementsprechend oftmals auch über einen militärischen Hintergrund.

Vorbereitet zu sein, ist letztlich kein Zustand, sondern erfordert eine kontinuierliche Beschäftigung mit der Materie. Umfangreiche Vorräte bringen einen gewissen Wartungsaufwand mit sich. Ein Gesprächspartner, der über Vorräte für zwölf Monate verfügt, führt jedes Jahr eine Revision durch, um den Zustand von Vorräten und Ausrüstung zu überprüfen. Da es unendlich viele Eventualitäten gibt, die man bedenken könnte, ist die Beschäftigung mit der eigenen Krisenvorsorge ein endloser Prozess. Es gibt theoretisch immer etwas zu tun und zu optimieren. Eine nicht unerhebliche Herausforderung im Preppen besteht daher darin, sich trotz nie schwindender Optimierungsmöglichkeiten gut vorbereitet zu fühlen. Das bringt es in der Regel mit sich, dass das Ideal einer guten Vorbereitung den vorhandenen Möglichkeiten und Ressourcen angepasst wird. Überspitzt ausgedrückt: Wer sich keinen Bunker leisten kann, wird ein Szenario verwerfen, das einen Bunker erfordert. Da ein – aus Prepper-Perspektive – "gutes" Krisenszenario Möglichkeiten zur eigenen Selbstermächtigung aufzeigen soll, orientieren sich die Krisenszenarien letztlich immer auch an den vorhandenen Möglichkeiten, Ressourcen und Interessen.

Ambivalentes Verhältnis zum Staat

Preppen steht in einem ambivalenten und widersprüchlichen Verhältnis zum Staat. Die Ambivalenz resultiert daraus, dass die umfassende Krisenvorsorge zwischen Bürgerpflicht und Staatsskepsis oszilliert. Zum einen ist ein persönlicher Notvorrat ein wesentliches Element staatlicher Krisenstrategien. Nach dem Kalten Krieg etwas in Vergessenheit geraten, haben in den vergangenen Jahren verschiedene Länder – unter anderem auch Deutschland – die Empfehlungen für den privaten Notvorrat aktualisiert und versucht, die breite Öffentlichkeit wieder für das Thema zu sensibilisieren. Die 2017 präsentierte Zivilschutzstrategie empfiehlt einen Notvorrat für zwei Wochen. Sinn und Zweck des Notvorrats ist es, im Krisenfall die Zeit bis zum Anlaufen staatlicher Hilfe zu überbrücken und dadurch die Einsatzkräfte zu entlasten. Zum anderen geht die Krisenvorsorge von Preppern weit über diese Empfehlungen hinaus. In ihr manifestiert sich ein Misstrauen gegenüber der Fähigkeit des Staates, Krisen erfolgreich zu meistern. In den typischen Szenarien von Preppern besteht das eigentliche Problem nicht so sehr in einem katastrophalen Ereignis, sondern in der davon ausgelösten Überforderung der Gesellschaft und ihrer Institutionen. Die Mängel des staatlichen Katastrophenschutzes sind seit Jahren ein wiederkehrendes Thema in Politik und Medien. Der nationale Warntag am 20. September 2020, an dem bundesweit alle Sirenen hätten heulen sollen, sorgte zuletzt prominent für negative Schlagzeilen. Denn vielerorts blieben die Sirenen stumm. Hinzu kommt, dass viele Städte und Kommunen die entsprechenden Anlagen abgebaut haben. Kurz: Man braucht kein Prepper zu sein, um an der Tauglichkeit behördlicher Krisenvorsorge zu zweifeln.

Insofern die Szenarien von Preppern aber oftmals davon ausgehen, dass eine Krise kurzerhand zur Auflösung der bestehenden Ordnung führt, rechnen sie mit einem völligen Staatsversagen. Mehr noch, in der Krise, so die Annahme vieler Prepper, brechen Menschlichkeit und Solidarität komplett weg, und die dunklere Natur des Menschen – der Mensch als des Menschen Wolf – bricht hervor. Auch deshalb versinkt in den Krisenszenarien vieler Prepper die Welt, wie wir sie kennen, in bürgerkriegsähnlichen Zuständen, in denen der unvorbereitete Nachbar plötzlich als brandschatzender Plünderer durch die eigene Wohngegend zieht. Viele Prepper sind daher bestrebt, ihre Krisenvorsorge möglichst geheim zu halten.

Das Misstrauen lässt sich auch dahingehend steigern, dass der Staat nicht nur für unfähig, sondern vor allem für gar nicht erst willens gehalten wird, die eigene Bevölkerung zu schützen. In entsprechende Szenarien finden Verschwörungserzählungen Eingang, die von einem gezielten und heimtückischen Komplott des Staates und geheimer höherer Mächte gegen die eigene Bevölkerung ausgehen. Entsprechende Szenarien sehen Deutschland wahlweise kurz vor der "Umvolkung", der entscheidenden Schlacht gegen "Asylinvasoren", der Errichtung einer "Gesundheitsdiktatur", der Durchsetzung einer "Neuen Weltordnung" und so weiter. Das dem Preppen innewohnende Misstrauen ist daher auch anschlussfähig an "rechtsradikale[n] Kulturpessimismus" und rechtsterroristische Umsturzfantasien.

Rechtsextreme Prepper-Netzwerke

Im Frühjahr 2017 kam der Fall Franco A. ins Rollen. Eigentlich Bundeswehrsoldat, hatte er sich 2015 unter einer falschen Identität als syrischer Flüchtling registriert. Die Generalbundesanwaltschaft wirft ihm vor, unter Verwendung dieser Tarnidentität Terroranschläge geplant zu haben. Im Umfeld von Franco A. brachten investigative journalistische Recherchen und Ermittlungen zwei rechtsextreme Prepper-Netzwerke ans Licht, die beide vom KSK-Soldaten Andre S. gegründet worden waren. Es handelt sich zum einen um das sogenannte Hannibal-Netzwerk, ein Chat-Netzwerk, das aus verschiedenen Chatgruppen bestand und die Machtübernahme am "Tag X" geplant und vorbereitet haben soll. 2017 veranlasste der Generalbundesanwalt Hausdurchsuchungen bei Angehörigen der Untergruppe "Nordkreuz". Zum anderen geht es um den Verein Uniter, der sich selbst mutmaßlich als eine Art Geheimbund versteht und paramilitärische Trainings organisierte.

Sowohl im Verein als auch im Chat-Netzwerk sind beziehungsweise waren zahlreiche Mitglieder auch Angehörige von Sicherheitsbehörden. Die Enthüllungen beförderten somit auch die öffentliche Diskussion um rechtsextreme Netzwerke innerhalb von Bundeswehr und Polizei. Als unmittelbare politische Folgen der Ermittlungen und Enthüllungen können unter anderem die 2020 angestoßene Reform des Kommando Spezialkräfte, der Rücktritt des Mecklenburgischen Innenministers Lorenz Caffier im November 2020 und der Wechsel an der Spitze des Militärischen Abschirmdiensts im September 2020 gelten. Dennoch besteht – auch aufgrund von Ermittlungspannen und fehlendem politischen Willen – wenig Hoffnung, dass die juristische Aufarbeitung in absehbarer Zeit zu einer umfassenden Aufklärung führen wird, zumal sich bereits abgeschlossene Verfahren eher auf einzelne Delikte und Personen konzentrierten und nicht auf die größeren Zusammenhänge und Strukturen.

Vor dem Hintergrund der Ermittlungen im Zusammenhang mit der Gruppe "Nordkreuz" beschloss die Innenministerkonferenz (IMK) 2017, Teile der Prepper-Szene durch den Verfassungsschutz beobachten zu lassen. In den Beschlüssen hielt die IMK allerdings bereits 2018 fest, "dass eine generelle Gefährdungslage durch Anhänger der ‚Prepper‘-Szene auf Grundlage der vorliegenden Erkenntnisse nicht gegeben ist. (…) Es liegen keine tatsächlichen Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen der heterogenen ‚Prepper‘-Szene vor, die eine Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden rechtfertigen würden. Extremisten, die sich mit ‚preppen‘ befassen, stehen jedoch stets im Fokus der Verfassungsschutzbehörden." Bei der hier gezogenen Unterscheidung zwischen Preppern und preppenden Extremisten handelt es sich um einen Kunstgriff, um die Ambiguität des Phänomens einzuhegen.

Neben dem Fall Franco A. ist bislang eine weitere rechtsextreme Terrorzelle mit Prepper-Beteiligung namens "Gruppe S." ausgehoben worden, die Anschläge geplant haben soll. Tendenziell steht im Preppen eindeutig die Bewältigung einer möglichen Krise im Vordergrund und nicht die aktive Herbeiführung bürgerkriegsähnlicher Zustände. Sowohl der Fall Franco A. als auch die Gruppe S. sind auch vor dem Hintergrund einer langen – und etwas in Vergessenheit geratenen – Tradition des Rechtsterrorismus in Deutschland zu sehen. Gleichzeitig ist zu betonen, dass sich verschiedene Prepper-Plattformen und auch viele Prepper von Extremismus jeglicher Art explizit distanzieren. Die Grenzen sind mitunter aber weniger eindeutig, als sich dies auch viele Prepper wünschen. Die teilweise vorgetragenen Distanzierungen verweisen eher auf eine unheimliche Nähe denn auf eine tatsächliche Distanz. Als ein Prepper-Portal beispielsweise während des pandemiebedingten "Lockdowns" im Frühjahr 2020 auf Facebook eine Rede des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier teilte und dazu aufrief, die staatlichen Corona-Maßnahmen mitzutragen, provozierte dies derart viele heftige und rechtlich problematische Hasskommentare, dass die Betreiber die Kommentare vollumfänglich löschten. Auch Distanzierungen von Verschwörungserzählungen provozieren jeweils heftige Kontroversen.

Die dem Preppen innewohnende ambivalente Einstellung gegenüber staatlichen Behörden und Institutionen lässt letztlich ein breites Spektrum an Positionen zu, das von Kritik am staatlichen Krisen- und Katastrophenschutz bis hin zur Ablehnung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung reicht. Preppen ist ein äußerst heterogenes und loses Phänomen, und die Frage nach dem richtigen Maß an Misstrauen birgt in der Szene hohes Konfliktpotenzial. Preppen ist zwar anschlussfähig an politische Strömungen, die das Vertrauen gegenüber staatlichen Institutionen gezielt unterminieren wollen. Gleichzeitig besteht das vorrangige Ziel im Preppen aber eher darin, in der Auseinandersetzung mit Krisenszenarien Potenziale zur eigenen Selbstermächtigung zu identifizieren und zu realisieren. Es geht darum, sich aus eigener Kraft eine gute Zukunft zu ermöglichen. Die gegenwärtige Popularität von Preppen ergibt sich auch aus einem eher pessimistischen Zeitgeist.

Krisenvorsorge und Abstiegsängste

Der Wunsch, mittels einer umfassenden Krisenvorsorge die Zukunft in die eigenen Hände zu nehmen, ist vor dem Hintergrund gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen zu sehen. Im Preppen steht dabei weniger die Schaffung einer neuen, anderen Zukunft im Vordergrund als der Schutz des Bestehenden. Es gehe im Preppen, so ein Gesprächspartner, vor allem darum, den eigenen Wohlstand zu wahren. Preppen wohnt also ein konservatives Moment inne. Bewahrt wird dabei nicht nur der Wohlstand in einem materiellen Sinne, sondern auch in einem ideellen Sinne, als Erhalt der gewohnten Lebensnormalität. Viele Prepper bezeichnen ihre Vorsorge als Ver- oder Absicherung für den Fall, dass die gesellschaftlichen Stützen der eigenen Lebensnormalität versagen.

Dieses Bedürfnis nach Absicherung ist insbesondere in der Mittelschicht, namentlich dem abstiegsbedrohten Kleinbürgertum, zu verorten. Es handelt sich dabei um Milieus, in denen zwar der Wunsch nach sozialem Aufstieg stark verankert ist, die aber aufgrund beschränkter Ressourcen zur Verwirklichung ihrer Ambitionen auf gute gesellschaftliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen angewiesen sind. Auf den entsprechenden Prepper-Plattformen ist die Sorge um die wirtschaftliche Entwicklung – die Sicherheit der Renten, die Entwicklung der Löhne bis hin zur Angst vor einer großen Depression – ein wiederkehrendes Thema. Auffällig ist auch, dass der große Prepper-Boom in den USA unmittelbar im Nachgang an die Finanzkrise von 2008 einsetzte. In dem Maße, in dem Abstiegsängste immer weitere Teile der Gesellschaft erfassen, wird Preppen auch für immer mehr Menschen attraktiv. Die Wahrung der eigenen Lebensnormalität umfasst auch den Erhalt des eigenen Platzes in der Gesellschaft.

Dies schließt bestimmte Vorstellungen von Geschlechterrollen ein. Die Beschäftigung mit Krisenvorsorge ermöglicht es Männern, die traditionelle Rolle des Beschützers, Ernährers und Versorgers einzunehmen. In der Tendenz handelt es sich denn auch eher um ein Männerphänomen. Einige Familienväter erzählen, dass sie über ihre Vaterschaft zum Preppen gekommen sind. Die Krisenvorsorge ist so gesehen auch eine Form männlicher Fürsorge, die – wie etablierte Vorstellungen von Männlichkeit – gesamtgesellschaftlich vermehrt unter Druck und in die Kritik gerät. Die Krisenvorsorge stützt Wertvorstellungen, deren gesellschaftliche Verankerung erodiert.

Insofern die Aufrechterhaltung der bestehenden Normalität im Vordergrund steht, bildet Preppen einen Gegenpol zu Bewegungen und Lebensstilen insbesondere aus dem linksgrünen Spektrum, die Untergangsszenarien ins Spiel bringen, um die radikale Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse zu fordern. Im Preppen erscheint die katastrophale Zukunft nicht als Anlass für alarmistische Aufrufe zu gesellschaftlichen Lernprozessen im Hier und Jetzt, sondern eher als technisches Problem, das sich mit der richtigen Ausrüstung und den passenden Fähigkeiten bewältigen lässt.

Diesbezüglich fügt sich Preppen gut in eine Zeit, in der "Resilienz" – also die Widerstandsfähigkeit von Personen, Unternehmen und Staaten – zu einem Modewort und einer politischen Leitvokabel avanciert ist. In der Populärkultur manifestiert sich dieses Interesse an Resilienz in zahlreichen Fernsehserien, Filmen und Computerspielen, die den individuellen Kampf ums Überleben in den Fokus rücken. So folgt das Serien-Epos "The Walking Dead" einer Gruppe Überlebender in einer postapokalyptischen Welt, die von Zombiehorden heimgesucht wird. In zahlreichen Reality-TV-Formaten zeigen Experten wie Bear Grylls, Les Stroud oder Ed Stafford nicht nur, was es zum Überleben in der Wildnis braucht. Vielmehr dient die Überlebenssituation in den entsprechenden Sendungen als Sinnbild dafür, worauf es im Leben ankommt: die richtige Einstellung und Durchhaltevermögen. Indem Resilienz den Fokus auf die Steigerung der Widerstandsfähigkeit legt, umfasst sie immer auch ein Absehen von der Möglichkeit, die Umstände zu verändern. Als Konzept transportiert Resilienz also eine fatalistische Botschaft, gemäß der sich das Gute im großen Maßstab nicht realisieren und sich das Schlimmste ohnehin nicht verhindern lässt. Besser sei es also, sich gleich für das Schlimmste zu rüsten.

Die gegenwärtige Popularität von Preppen ist – wie die Popularität des Resilienzbegriffs und die verbreitete Angst vor dem sozialen Abstieg – vielleicht als Indiz dafür zu sehen, dass aktuell konsensfähige Ideen fehlen, wie eine Zukunft der Gesellschaft über die Wahrung des Bestehenden hinaus gestaltet werden könnte.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Richard G. Mitchell, Dancing at Armageddon. Survialism and Chaos in Modern Times, Chicago 2002.

  2. Für ein wohlwollendes und differenziertes Portrait vgl. ZDF, Szene Deutschland. Prepper – Leben für den Ernstfall, 18.9.2020, Externer Link: http://www.zdf.de/dokumentation/zdfinfo-doku/szene-deutschland-prepper-leben-fuer-den-ernstfall-102.html.

  3. Dabei handelt es sich um die Fallstudie "Die Zukunft überleben: Krisenimagination und Vorsorge im Kontext der Prepper-Bewegung" im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts Nr. 438183803 "Zukunft leben oder überleben?".

  4. Vgl. Stephen J. Collier, Enacting Catastrophe: Preparedness, Insurance, Budgetary Rationalization, in: Economy and Society 37/2008, S. 224–250.

  5. Vgl. Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, Ratgeber für Notfallvorsorge und richtiges Handeln in Notsituationen, Bonn 2019.

  6. Vgl. Maik Baumgärtner et al., Eine Uzi für Tag X. Innenansichten eines "Prepper"-Netzwerks, in: Der Spiegel 47/2019, S. 52f.

  7. Matthias Quent, (Nicht mehr) Warten auf den "Tag X". Ziele und Gefahrenpotenzial des Rechtsterrorismus, in: APuZ 49–50/2019, S. 27–32, hier S. 27.

  8. Vgl. das umfangreiche Dossier "Hannibals Schattennetzwerk", 2019/20, Externer Link: https://taz.de/!t5549502.

  9. Vgl. Sebastian Erb/Christina Schmidt/Daniel Schulz, Rotwein aus dem Schädel. Interne Dokumente des Vereins Uniter, 24.2.2020, Externer Link: https://taz.de/!5664632. Der Verfassungsschutz hat Uniter inzwischen als Prüffall eingestuft.

  10. Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder, Sammlung der zur Veröffentlichung freigegebenen Beschlüsse der 208. Sitzung, 11.6.2018, S. 47.

  11. Vgl. Christian Fuchs, Wie sich die Marion und der Nazi-Tony auf den Bürgerkrieg vorbereitet haben, 24.6.2020, Externer Link: http://www.zeit.de/2020/27/gruppe-s-rechtsextremismus-terrorismus-onlineplattformen-chats.

  12. Vgl. Fabian Virchow, Zur Geschichte des Rechtsterrorismus in Deutschland, in: APuZ 49–50/2019, S. 15–19.

  13. Vgl. Pierre Bourdieu, Die feinen Unterschiede, Frankfurt/M. 1987, S. 500–584.

  14. Vgl. Oliver Nachtwey, Die Abstiegsgesellschaft, Berlin 2016.

  15. Für eine Kritik am Resilienzbegriff vgl. Marc Neocleous, Resisting Resilience, in: Radical Philosophy 178/2013, S. 2–7.

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ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. E-Mail Link: julian.genner@kaee.uni-freiburg.de