Der Katastrophenbegriff ist in seiner allgemeinsprachlichen Verwendung relativ und somit stark kontextabhängig. Was dem einen eine Katastrophe ist, erscheint jemand anderem lediglich als Unglück, und als "katastrophal" vermag der ausbleibende morgendliche Kaffee ebenso bezeichnet werden wie der GAU eines Kernkraftwerks. Der Begriff verweist demnach nicht zwangsläufig auf das Schlimmstmögliche, sondern auf Ereignisse, die durch kommunikative Zuschreibung zur Katastrophe werden. Aus diesem Grund bietet er sich als Indikator zur Untersuchung der Gefahrenwahrnehmung historischer Akteure an.
Im Folgenden werden der sich im Laufe der bundesdeutschen Geschichte dynamisch verändernden Nutzung des Begriffs verschiedene Entwicklungsphasen des hiesigen Zivil- beziehungsweise Bevölkerungsschutzes gegenübergestellt.
Genese und Grenzen des Zivilschutzes, 1949–1961
Wenn während der Anfangsjahre der 1949 gegründeten Bundesrepublik Deutschland von einer "Katastrophe" die Rede war, verwies dies zumeist auf den Zweiten Weltkrieg sowie die dort erfahrene totale Niederlage. Dem Politikwissenschaftler Herfried Münkler zufolge betont die Verwendung des Katastrophenbegriffs, dass ein Geschehenes sich dem Wirken externer Kräfte verdankt und somit nicht intendiert wurde.
Die institutionellen Grundlagen dieses neuen Luftschutzes wurden in den 1950er Jahren geschaffen. Eine 1951 gegründete, dem Bundesinnenministerium zugeordnete Kommission zum Schutz der Zivilbevölkerung diente der Politikberatung und verließ sich hierbei auf die Expertise ausgewiesener Wissenschaftler verschiedener Fachbereiche. Diesen diente die Schutzkommission als eine Art Drittmittelpool zur Erforschung zivilschutzrelevanter Fragestellungen wie etwa des Verlaufs der Strahlenkrankheit oder der Effektivität verschiedener Schutzraumtypen. Die Aufklärung und Ausbildung der Bevölkerung in Luft- beziehungsweise Zivilschutzfragen sollte vorrangig zwei Verbänden übertragen werden. Zu diesem Zweck erhielt der ursprünglich bereits 1946 gegründete Bundesluftschutzverband (BLSV) 1957 den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. Ähnlich verfuhr man mit dem Technischen Hilfswerk (THW), das 1950 gegründet wurde und drei Jahre später die gleiche offizielle Anerkennung erfuhr. 1958 schließlich wurde die institutionelle Gründungsphase mit der Einrichtung des Bundesamtes für zivilen Bevölkerungsschutz (BzB) – dem Vorläufer des heutigen Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) – als zentrale koordinierende Einrichtung abgeschlossen.
Die Akribie dieser Organisation sollte keinesfalls mit Effektivität gleichgesetzt werden. Im Gegenteil: Aus heutiger Sicht erscheint es fast so, als ob die damalige Regierung den institutionellen Aufbau gerade deshalb zügig vorantrieb, um in Sachen Zivilschutz Aktivität vorzuweisen und die eigentliche Hauptforderung damaliger Experten – den forcierten Bau von Schutzräumen für die Zivilbevölkerung – ignorieren zu können. Ungeachtet aller zeitgenössischer Debatten zum Thema und dessen vergleichsweise großer Beachtung auch in der historischen Forschung hat es in der Bundesrepublik zu keiner Zeit einen umfassend betriebenen Schutzraumbau gegeben. Versuche, eine Baupflicht zumindest für Neubauten durchzusetzen, scheiterten wiederholt aus Kostengründen,
Allein – Deutschland war nicht die Schweiz. Der vereinzelt vorgebrachte Wunsch, dem während der 1950er Jahre sukzessive erkannten Ausmaß der atomaren Bedrohung mit einer Art "totalen Verteidigung" zu begegnen, konnte im Frontstaat Deutschland kaum überzeugen. Selbst Hardliner unter den Zivilschutzexperten mussten schließlich einsehen, dass bauliche Schutzmaßnahmen einem nuklearen Flächenbombardement, wie es etwa im NATO-Planspiel "Fallex 62" imaginiert wurde,
Von "totaler Verteidigung" zu "all hazards", 1962–1978
Zu Beginn der 1960er Jahre zeigten sich erste Anzeichen einer veränderten Ausrichtung des bundesdeutschen Zivilschutzes. Einerseits nährte der NATO-Strategiewechsel von "Massive Retaliation" zu "Flexible Response" die Hoffnung, dass Weltuntergangsszenarien, wie sie "Fallex 62" in Aussicht gestellt hatte, selbst im Falle eines Krieges vermieden werden könnten.
Das fortdauernde Patt zwischen nach Schutzräumen verlangenden Zivilschutzexperten und den politischen Entscheidungsträgern hatte die allseitige Reformbereitschaft graduell erhöht. Neben der sich insgesamt entspannenden weltpolitischen Lage ebneten auch Ereignisse wie die Sturmflutkatastrophe nun endgültig den Weg zu grundlegenden Veränderungen, die ab Mitte der 1960er Jahre den westdeutschen Zivilschutz zum Bevölkerungsschutz umformten, der zivile ebenso wie militärische Szenarien in den Blick nimmt. Resultat dieser Entwicklungen war das 1968 verabschiedete Gesetz zur Erweiterung des Katastrophenschutzes (KatSG-68). Auch wenn die Verantwortlichen den tendenziell beschönigenden Titel sicher begrüßten, war der Verweis auf Katastrophen inzwischen mehr als eine rhetorische Finte. Vielmehr verknüpfte das Gesetz systematisch die unterschiedlichen Zuständigkeitsbereiche: Der Bund versprach die Unterstützung des föderalen Katastrophenschutzes, während dieser im Ernstfall eines Krieges die Bereitstellung seiner Einheiten für den Zivilschutz garantierte. Die Prämisse, dass sich der Zivilschutz im Wesentlichen aus dem vom Bund "erweiterten" Katastrophenschutz der Länder rekrutieren solle, prägte naturgemäß den Charakter der geförderten Maßnahmen. Gefragt war nicht mehr der Schutzraumbau, sondern vielmehr alles, was auch im zivilen Katastrophenschutz sinnvoll genutzt werden konnte, etwa Alarmsysteme oder Ausbildungen in Erster Hilfe. Der Einsatz von Zivilschutzeinheiten des Bundes – vor allem des THW – bei zivilen Katastrophenszenarien, der während der Sturmflut noch eher Ausnahmecharakter gehabt hatte, wurde zum Regelfall.
Die Praxis, auf möglichst generalisierbare Maßnahmen zu setzen, wird gegenwärtig oft unter dem Schlagwort all hazards subsumiert. Der Paradigmenwechsel von der Vorbereitung auf einen Krieg hin zu "allen möglichen" Gefahren hinterließ seine Spuren auch in den zentralen Zivilschutzbroschüren der 1960er Jahre, die zur Aufklärung der Bevölkerung millionenfach gedruckt und kostenlos an alle deutschen Haushalte versendet wurden.
Hier wurde der (Atom-)Krieg vollends zur Katastrophe umgedeutet, zur größten zwar, aber zur größten auf einer Skala, die bei schlichten Unglücksfällen – "Alltagskatastrophen" – begann. Zur nach wie vor nicht verschwiegenen Kriegsgefahr gesellte sich eine Vielzahl alternativer, wahrscheinlicherer und weniger vernichtender Szenarien, für die dieselben Verhaltensregeln als hilfreich ausgewiesen wurden. Aus gegenwärtiger Sicht verharmloste die "Zivilschutzfibel" das Schreckensszenario der atomaren Vernichtung somit mehr als ihr Vorgänger. Gleichwohl muss sie als Vorbote dafür gewertet werden, dass sich der bundesdeutsche Zivilschutz graduell davon verabschiedete, den Katastrophenbegriff nur als Alibi zu verwenden, sondern begann, zivile Schadenspotenziale ernst zu nehmen.
An anderer Stelle betonte die "Zivilschutzfibel", wie hilfreich eine Erste-Hilfe-Ausbildung beispielsweise bei einem Autounfall sein könne. Diese Aussage – illustriert mit einem zerstörten PKW – war mit Bedacht gewählt. Zwischen 1960 und 1980 starben jährlich über 15.000 Menschen im westdeutschen Straßenverkehr, mit einem tragischen Höhepunkt von 21.000 Verkehrstoten allein 1970 – eine siebenfach höhere Zahl als 2019, und das bei einem deutlich niedrigeren Verkehrsaufkommen.
Vom Zweiten Kalten Krieg zur Risikogesellschaft, 1979–1989
Mit dem Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan im Dezember 1979 endete die internationale Entspannung, und es begann jener Zeitabschnitt, der in der historischen Forschung gelegentlich als "Zweiter Kalter Krieg" bezeichnet wird.
Das nach wie vor geltende All-hazards-Konzept des Bevölkerungsschutzes erfuhr im emotional und ideologisch hochgradig aufgeladenen gesellschaftlichen Klima der damaligen Bundesrepublik von beiden Seiten des politischen Spektrums harte Kritik, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Die sich formierenden Friedensbewegungen betrachteten den Zivilschutz als überkommenes Relikt einer todbringenden Politik der Stärke, dessen pure Existenz einen Atomkrieg wahrscheinlicher machen konnte.
Die extreme Polarisierung blieb letztlich eine Episode. Neben der 1983 trotz aller Proteste erfolgten Stationierung US-amerikanischer Pershing-II-Raketen in Westdeutschland sowie der graduellen Öffnung der Sowjetunion unter Michail Gorbatschow als Generalsekretär des Zentralkomitees der KPdSU (1985–1991) erwies sich dabei insbesondere die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986 als entscheidend.
Nach einigen gescheiterten Anläufen wurde 1989 schließlich das Katastrophenschutzergänzungsgesetz verabschiedet. Dieses behielt die 1968 eingeschlagene Richtung eines zwischen Bund und Ländern aufgeteilten Systems wechselseitiger Hilfeleistung im Zivil- und Katastrophenschutz dezidiert bei. Gravierende Neuerungen gab es wenige. Am ehesten betroffen waren das Gesundheitswesen – so wurde zum Beispiel die Beteiligung verantwortlicher Ärzt*innen in den Katastrophenstäben garantiert
Fazit
Zunächst erscheint auffallend, dass es dem westdeutschen Zivilschutz nicht gelang, von den Krisen des Kalten Krieges zu profitieren. Das potenziell apokalyptische Ausmaß der wahrgenommenen Bedrohung erzeugte kaum Handlungsdruck, sondern lähmte die politisch Verantwortlichen eher und provozierte teils berechtigten, teils überzogenen Widerstand selbst gegen minimale Schutzmaßnahmen. In Zeiten der Entspannung jedoch richtete sich die Aufmerksamkeit verstärkt auf die tatsächlich eintretenden Szenarien. Neben der norddeutschen Sturmflut und dem Tschernobyl-Unglück sei etwa auf die Flugschau-Katastrophe der Ramstein Air Base 1988 hingewiesen, die zu Dutzenden Todesopfern und Hunderten Verletzten führte. Dem unbequemen Gedanken daran, wie viele Menschenleben man bei besserer Vorbereitung hätte retten können, vermochte der Bevölkerungsschutz letztlich ebenso wenig auszuweichen wie weite Teile seiner Kritiker*innen.
"Gescheitert" war der bundesdeutsche Zivil- und Bevölkerungsschutz zumal im internationalen Vergleich nicht; mit dem Schutzraumbau verlor sich hierzulande lediglich seine auffälligste Spielart. Die gängigen Narrative der Friedensbewegungen zeigten hingegen eine nachhaltige Wirkung: So wurde der Zivilschutz zeitweise auch von Historiker*innen mit dem Schutzraumbau gleichgesetzt, während man seine zahlreichen Überschneidungen mit dem zivilen Katastrophenschutz kaum beachtete. Die Reproduktion ehemaliger Konfliktlinien des Kalten Krieges wird dem komplexen Handlungsfeld hingegen nicht gerecht. Der bundesdeutsche Bevölkerungsschutz war staatlich ebenso wie nicht-staatlich organisiert und lebte von Behördenarbeit ebenso wie von zivilgesellschaftlichem Aktivismus. Über die Mitwirkung in Hilfsorganisationen wie dem THW oder dem Deutschen Roten Kreuz, aber auch in den Feuerwehren, bei der Polizei sowie im Notfallwesen und in der Katastrophenmedizin war und ist er zudem breitflächig in der Bevölkerung verankert und keineswegs ein Randphänomen.
Klar ist, dass die Ausgestaltung des Bevölkerungsschutzes eines Landes unmittelbar damit zusammenhängt, welche Schadensszenarien als möglich beziehungsweise wahrscheinlich imaginiert werden. Das lässt sich am wandelnden Charakter des Katastrophenbegriffs gut ablesen. Dieser diente in der Bundesrepublik während ihrer Gründungsphase oft als Chiffre für den vergangenen Zweiten und, später, einen befürchteten Dritten Weltkrieg. Im Verlauf der Zeit wurden die angenommenen Bedrohungen im Vergleich zur Atomkriegsgefahr zwar weniger vernichtend, potenzierten sich jedoch in ihrer (wahrgenommenen) Anzahl. In der heutigen globalisierten und multipolaren Welt scheint schließlich nahezu alles Katastrophenpotenzial aufzuweisen: Man spricht von "Eurokrise", "Flüchtlingskrise", "Klimanotstand", ist bedroht von gewaltsamen Ausschreitungen, Terrorismus und aktuell der Covid-19-Pandemie. Die Aufgabenfelder des Bevölkerungsschutzes sind im Zuge solcher Entwicklungen nicht kleiner geworden. Trotz einer wünschenswerten Stärkung notwendiger reaktiver Instrumente ist hingegen die Vermeidung einer Katastrophe ihrer Bewältigung stets vorzuziehen, sodass das Hauptaugenmerk von Politik und Gesellschaft darauf liegen sollte.