Asylrecht, Flüchtlingspolitik und humanitäre Zuwanderung in der Bundesrepublik
Die 1951 unterzeichnete und 1954 in Kraft getretene Genfer Flüchtlingskonvention und das ergänzende Protokoll aus dem Jahr 1967 bilden die Grundlagen des internationalen Flüchtlingsrechts. In diesem Rahmen entwickeln Nationalstaaten eigene Formen des Flüchtlingsschutzes. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in der Bundesrepublik Deutschland zunächst ein generöses Asylrecht etabliert, das in der Folge aber zunehmend eingeschränkt wurde - insbesondere durch den "Asylkompromiss" 1992/1993.
Parallel zum internationalen Flüchtlingsrecht entwickelte sich in West-Deutschland unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg ein im internationalen Vergleich weit gefasstes Asylrecht. Damit markierte der Parlamentarische Rat einen bewussten Bruch mit der nationalsozialistischen Vergangenheit, die millionenfach zu Tod, Flucht und Vertreibung geführt hatte.[1] Das Asylrecht wurde 1949 in der Verfassung verankert; in Artikel 16 des bundesdeutschen Grundgesetzes stand bis 1993 ohne Einschränkung der Satz: "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht".
Entwicklung der humanitären Zuwanderung nach Deutschland
Die Kriegs- und unmittelbare Nachkriegszeit war geprägt von umfangreichen Fluchtbewegungen in Deutschland und ganz Europa. Nach Kriegsende befanden sich rund 9 Millionen Displaced Persons, Überlebende des nationalsozialistischen Arbeits-, Konzentrations- und Vernichtungslagersystems, die 20 Nationalitäten entstammten, auf deutschem Boden. In die vier Besatzungszonen Deutschlands flohen 12,5 Millionen Deutsche aus den Ostgebieten oder den deutschen Minderheitengebieten in Ost-, Südost- und Osteuropa oder wurden von dort bis 1949 vertrieben. Im Zeitraum 1949 bis zum Mauerbau 1961 kamen mindestens 2,7 Millionen Zuwanderer aus der DDR in die Bundesrepublik.i
Vietnamesische Boatpeople
* Kleinschmidt (2013).
Bereits ab Ende der 1970er Jahre versuchten Bund und Länder, durch Steuerungsmaßnahmen und Beschleunigungsgesetze auf die steigenden Antragszahlen und den Verfahrensstau einzuwirken. So wurde z. B. der Instanzenweg gegen negative Asylentscheidungen erschwert, für einige der Hauptherkunftsländer eine Visapflicht eingeführt, ein Arbeitsverbot für die ersten zwölf Monate des Asylverfahrens verordnet und Sozialleistungen durch Einführung des Sachleistungsprinzips gekürzt. Auch die Unterbringung in Sammelunterkünften und die Einführung der Residenzpflicht dienten letztlich dem Ziel, die Bundesrepublik als Asylstaat unattraktiver zu machen. Dennoch stieg die Zahl der Asylanträge ab 1988, als 103.100 Asylanträge gestellt wurden, sprunghaft an. Die Anerkennungsquoten sanken jedoch, z.T. bedingt durch die restriktivere Rechtsauslegung, auf unter zehn Prozent. Dennoch blieben viele abgelehnte Asylbewerber oder Flüchtlinge, die keinen Asylantrag gestellt hatten, im Lande, da sie aufgrund von internationalen menschenrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik oder fehlender Identitätsdokumente nicht abgeschoben werden konnten (sogenannte de-facto Flüchtlinge). Dieser Widerspruch gab dem politischen Streit um die Asylpolitik zusätzlichen Zündstoff.[3]
Nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs stiegen die Asylzahlen weiter an und erreichten 1992 mit 438.200 Asylanträgen ihren bis heute nicht mehr erreichten Höhepunkt. Damals wurden rund drei Viertel aller Asylanträge in der EU in Deutschland gestellt. Besonders viele Flüchtlinge kamen Anfang der 1990er Jahre aus Rumänien und Jugoslawien. Allein aus dem zerfallenden Jugoslawien kamen rund 350.000 Bürgerkriegsflüchtlinge nach Deutschland, nicht zuletzt aufgrund bereits bestehender Netzwerke zu Einwanderern, die als "Gastarbeiter" in den 1960er und 1970er Jahren gekommen waren. Einige stellten einen Asylantrag, die Mehrzahl wurde lediglich geduldet.[4] Die politische Debatte – auch im Kontext hoher Zuzugszahlen von Aussiedlern – spitzte sich immer mehr zu. In den frühen 1990er Jahren kam es sowohl in den alten als auch den neuen Bundesländern vermehrt zu ausländerfeindlichen und gewalttätigen Übergriffen (z.B. in Solingen, Mölln, Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen) mit zahlreichen Todesfällen.
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Jüdische Kontingentflüchtlinge
* BAMF (2015b), S.114.
Einschränkung des grundgesetzlichen Schutzversprechens: Der "Asylkompromiss"
Vor dem Hintergrund dieser aufgeheizten Debatten und Entwicklungen einigten sich SPD, FDP und Unionsparteien Anfang Dezember 1992 auf eine grundlegende und restriktive Reform des deutschen Asylrechts, den sogenannten Asylkompromiss. Vertreter von CDU und CSU hatten bereits seit Mitte der 1980er Jahre darauf gedrängt, das im Grundgesetz verankerte Asylrecht einzuschränken; SPD und FDP hatten ihre Zustimmung zu einer dafür notwendigen parlamentarischen Zweidrittelmehrheit aber verweigert. Am 6. Dezember 1992 wurde indes die erforderliche verfassungsändernde Mehrheit durch einen Parteienkompromiss gesichert, so dass wenige Monate später per Bundestagsbeschluss das Asylrecht deutlich eingeschränkt wurde. Fortan erschwerten insbesondere die Einführung der Konzepte der "sicheren Drittstaaten" und der "sicheren Herkunftsstaaten" die Beantragung von Asyl in Deutschland (siehe Infobox Sichere Drittstaaten und sichere Herkunftsstaaten). Daneben führte der Asylkompromiss das sogenannte Flughafenverfahren ein, bei dem Asylanträge in einem Eilverfahren im Transitbereich von Flughäfen durchgeführt werden können (§ 18a AsylVfG). Darüber hinaus wurde mit der Einführung des Asylbewerberleistungsgesetzes ein eigenständiges Sozialleistungssystem mit deutlich verringertem Leistungsniveau für den Asylbereich geschaffen.[5]i
Sichere Drittstaaten und sichere Herkunftsstaaten
Sichere Herkunftsstaaten sind Staaten, bei denen die grundsätzliche Vermutung besteht, dass dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet (§ 29a AsylVfG). Sichere Herkunftsstaaten sind derzeit die Mitgliedstaaten der EU, Ghana, Senegal, Serbien, Mazedonien sowie Bosnien und Herzegowina. Für Antragsteller aus diesen Staaten kommt ein vereinfachtes und schnelleres Asylverfahren mit eingeschränkten Rechtsmitteln zur Anwendung. Bundestag und Bundesrat beschließen, welche Staaten in die Liste aufgenommen werden.
Dieser Text ist Teil des Kurzdossiers Deutsche Asylpolitik und EU-Flüchtlingsschutz im Rahmen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems.