Die Flüchtlingsaufnahme wird eine zentrale politische Herausforderung für Deutschland bleiben. Für 2015 geht das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge von 230.000 Asylanträgen in Deutschland aus
Die größte gesamteuropäische Herausforderung im Hinblick auf Asylfragen bleibt derzeit jedoch, die Vorgaben aus dem EU-Recht, der GFK und der EMRK zum humanitären Schutz wirksam und flächendeckend durchzusetzen. Hier besteht für die Mitgliedsländer, aber auch für die EU als Ganze ein hohes Maß an Verantwortung Schutzsuchenden in aller Welt gegenüber. Das GEAS II ist dabei ein Schritt in die richtige Richtung, denn es verspricht, die in einigen EU-Staaten bislang nur geringen Schutzstandards deutlich anzuheben.
Seenotrettung im Mittelmeer
Nachdem am 3. Oktober 2013 bei einer Schiffskatastrophe vor Lampedusa mehr als 350 Menschen, die von der libyschen Küste aus nach Europa gelangen wollten, ums Leben gekommen waren, rief die italienische Regierung die humanitäre Seenotrettungsaktion "Mare Nostrum" ins Leben. Für rund ein Jahr patrouillierte die italienische Marine nahezu flächendeckend im südlichen Mittelmeer und rettete nach eigenen Angaben über 100.000 Personen.
Zugang zum Flüchtlingsschutz in der EU
Die EU-Grundrechtecharta gewährt zwar ein Recht auf humanitären Flüchtlingsschutz, im gemeinsamen Asylrecht gibt es jedoch keinen Mechanismus, der Asylbewerbern eine erleichterte Einreise ermöglicht. Stattdessen gelten die allgemeinen Visa-Vorschriften. Die Schutzsuchenden stammen vorwiegend aus Ländern, für die in der EU Visumpflicht besteht. Da sie jedoch oft die Voraussetzungen für die normale Visaerteilung nicht erfüllen, reisen sie überwiegend irregulär ein und setzen dabei häufig ihr Leben aufs Spiel (siehe voriger Abschnitt zur Seenotrettung). Diese Problematik hat sich mit der verstärkten Überwachung der Europäischen Außengrenze verschärft. Eine zentrale Herausforderung besteht somit für die EU darin, Flüchtlingen einen möglichst sicheren Zugang zum humanitären Schutz in Europa – auch jenseits des individuellen Asylrechts – zu bieten.
Die kommenden Jahre werden zeigen, inwieweit es der EU gelingt, das gemeinsame Wiederansiedlungs-Programm (Resettlement) in nennenswertem Umfang auszubauen. Hierbei werden in Kooperation mit dem UNHCR anerkannte Flüchtlinge, die sich in zahlenmäßig stark belasteten Drittstaaten aufhalten, in die EU umgesiedelt. Addiert man die Resettlement-Kontingente aller EU-Staaten, die ein solches Programm anbieten, kommt man für die Jahre 2010 bis 2014 auf durchschnittlich nur etwa 5.000 Plätze in der gesamten EU, wobei fast 90 Prozent auf Staaten entfallen, in denen solche Neuansiedlungsprogramme bereits seit längerem ein zentraler Bestandteil des Flüchtlingsschutzes sind (Vereinigtes Königreich, Schweden, Niederlande, Finnland, Dänemark).
Gegenseitige Anerkennung von Asyl-Entscheidungen
Das Interner Link: GEAS II bietet zwar gute Voraussetzungen für eine Harmonierung von Asylentscheidungen, Unterbringungs- und Verfahrensstandards. Die EU-Mitgliedstaaten haben bislang aber kaum Fortschritte bei der gegenseitigen Anerkennung von Aufenthaltstiteln erzielt: Asylberechtigte und subsidiär Geschützte haben nur ein Aufenthaltsrecht für den Staat, der sie anerkannt hat. Ein Mechanismus für die gegenseitige Anerkennung nationaler Asylentscheidungen (und damit verbunden eine Übertragung der Schutzverantwortung), wenn sich ein Schutzbegünstigter in einem anderen Mitgliedstaat niederlässt, existiert nicht. Frühestens nach fünf Jahren können Flüchtlinge im Sinne der Qualifikationsrichtlinie einen EU-weiten Daueraufenthaltstitel erhalten
Fairness und Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten
Eine weitere Herausforderung besteht in der mangelnden innereuropäischen Solidarität, wenn es um die Verantwortlichkeiten geht, die ein hohes Flüchtlingsaufkommen mit sich bringen kann. Kommission, Rat und Parlament haben sich zwar mit Verweis auf den in den EU-Verträgen festgeschriebenen Grundsatz der Solidarität mehrfach für ein Asylsystem ausgesprochen, das diesem Grundsatz gerecht wird.
Legale Migration, Außenpolitik und Entwicklungszusammenarbeit
Entscheidend für die Zukunft der europäischen Asylpolitik wird daneben sein, inwieweit es gelingt, durch flankierende politische Maßnahmen die Asylsysteme zu entlasten und für eine bessere Differenzierung von Schutzsuchenden und sonstigen Migranten zu sorgen. Die Beseitigung von Fluchtursachen stellt dabei die komplexeste Herausforderung dar. Ein vielversprechender Ansatz sind sogenannte Mobilitätspartnerschaften – vertraglich abgesicherte Kooperationen mit ausgewählten Drittstaaten, die migrations- und entwicklungspolitische Ziele miteinander verbinden sollen. Im Idealfall lässt sich durch Mobilitätspartnerschaften eine "Triple-Win"-Situation erreichen:
(1) Personen aus Drittstaaten erhalten darüber eine legale Alternative zum Asylverfahren und damit die Perspektive eines zeitlich befristeten Aufenthalts in Europa;
(2) die Herkunftsländer werden in einer schwierigen Übergangssituation entwicklungspolitisch unterstützt, da durch Rücküberweisungen und Technologietransfer wirtschaftliches Wachstum gefördert wird;
(3) die europäischen Aufnahmeländer schließlich erhalten mit den Mobilitätspartnerschaften ein zusätzliches Instrument, um den Fachkräftemangel abzumildern.
Gefragt sind neben migrations- und entwicklungspolitischen auch außenpolitische sowie wirtschafts- und handelspolitische Ansätze. Vor allem gehört dazu aber auch, potenzielle Migranten über die bereits bestehenden legalen Zuwanderungswege (etwa für Qualifizierte oder Fachkräfte) besser zu informieren. Vielfach könnten dadurch illegale, gefährliche und über die Bezahlung von Schleppern auch teure Einreiseversuche zur Stellung eines Asylantrags in der EU vermieden werden.
Integrationsangebote und Potenzialerschließung
Deutschland muss wie alle Staaten der EU damit rechnen, weiterhin ein Zufluchtsgebiet für internationale Schutzsuchende zu sein – und sollte sich darauf einstellen, eine große Anzahl von Flüchtlingen für längere Zeiträume oder sogar für immer zu beherbergen. Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll, möglichst früh mit Integrationsmaßnahmen (wie Sprachkurse oder berufliche Bildung) zu beginnen und auch die Vorzüge der Zuwanderung zu erkennen: Gerade alternde Gesellschaften wie jene in der EU sollten stärker auf die Potentiale, Talente und Fähigkeiten von Flüchtlingen achten und diese fördern. Denn Flüchtlinge sind in der Regel deutlich jünger als die angestammte Bevölkerung und können – eine gelungene Integration vorausgesetzt – zur Abfederung von Fachkräftemangel und allgemeiner demografischer Risiken beitragen. Eine zentrale Herausforderung bleibt dabei, die Akzeptanz für die Aufnahme von Flüchtlingen in der Bevölkerung zu erhalten und zu stärken.
Dieser Text ist Teil des Kurzdossiers Interner Link: Deutsche Asylpolitik und EU-Flüchtlingsschutz im Rahmen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems.