Adoption und Kindermigration in der Geschichte der USA
Kindermigration wird oft mit Kindersoldaten, geflüchteten Kindern oder Kinderhandel assoziiert. Wer würde aus dem Ausland adoptierte Kinder als Migranten betrachten? Ein Überblick über internationale Adoptionen in den USA.
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Adoptionen aus dem Ausland in die Vereinigten Staaten (internationale Adoptionen) begannen offiziell direkt nach dem Zweiten Weltkrieg und waren ein neues Phänomen: Zwischen 1947 und 1975 adoptierten US-Bürger_innen schätzungsweise 35.000 Kinder aus Übersee. Obwohl diese Zahl im Vergleich zu inländischen Adoptionen in diesem Zeitraum niedrig war, wurden diese Adoptionen weithin publik gemacht und erhielten so große Aufmerksamkeit. [1] In dieser Zeit kamen Kinder aus vielen verschiedenen Ländern in Europa, Asien, Südamerika und der Karibik, wobei die meisten Adoptierten aus Südkorea, Südvietnam, Deutschland, Griechenland und Italien einreisten. Kriege in Europa und Asien hatten Tausende von Waisenkindern hinterlassen, von denen viele Nachkommen amerikanischer Soldaten waren. Aus Angst, die kommunistischen Mächte könnten die Krise als Versagen der Demokratie darstellen, lockerten U.S.-amerikanische Politiker_innen die Einwanderungsgesetze für diese größtenteils nicht weißen Waisen und ließen sie als Flüchtlinge in die Vereinigten Staaten einreisen. [2] Kriegswaisen und "GI-Babies" – die Nachkommen von US-Soldaten und ausländischen Frauen – erhielten in den Vereinigten Staaten die meiste Presse. Doch von Anfang an waren amerikanische Paare bereit, ausländische Kinder zu adoptieren, unabhängig davon, aus welchem Land sie kamen oder ob sie überlebende Eltern oder Verbindungen zum Militär hatten. Auch westeuropäische Länder und Australien führten einige Auslandsadoptionen aus Korea und Vietnam durch; die Zahlen waren im Vergleich zum US-Programm aber gering.
Gründe für den Anstieg von internationalen Adoptionen
Der Anstieg der internationalen Adoptionen ist auf viele Faktoren zurückzuführen. Hilfsorganisationen und Privatpersonen zogen während und nach dem Ersten Weltkrieg zunächst die Adoption von französischen und belgischen Waisenkindern in die Vereinigten Staaten in Betracht. Restriktive Einwanderungsgesetze und eine isolationistische Außenpolitik brachten diese Bemühungen jedoch zum Erliegen. [3] Anders als die Politik während des Ersten Weltkriegs erzwang die Außenpolitik des Kalten Krieges ein nationales Kulturmandat, sich anderer Nationen anzunehmen, besonders denjenigen, die anfällig für kommunistische Machtübernahmen waren. Notleidende junge Kinder berührten das kollektive Gewissen Amerikas nach dem Zweiten Weltkrieg. Nach Ansicht vieler Abgeordneter waren Waisen wegen "ihrer Jugend, ihrer Flexibilität und fehlenden Bindung an andere Kulturen" ideale Einwanderer_innen und Bürger_innen. Solche Merkmale stärkten die Überzeugung der Beamt_innen, dass Kinder mit Erfolg verpflanzt werden könnten, da "ein bedürftiges Kind nationale Grenzen nicht kennt und sich nicht dafür interessiert", wie ein Sozialarbeiter es ausdrückte. Ausländische Adoptivkinder wurden vom Senatsunterausschuss für Einwanderung (Senate Subcommittee for Immigration) als "die bestmöglichen Einwanderer" bezeichnet. Bei amerikanischen Familien waren sie so begehrt, dass das Einwanderungsrecht der USA die Definition eines Waisen im Jahr 1948 auf Kinder mit zwei lebenden Eltern ausweiten sollte. [4]Auch inländische Faktoren trugen zur wachsenden Beliebtheit der internationalen Adoption bei. U.S.-amerikanische Kinderfürsorgeeinrichtungen bemühten sich, die Nachfrage nach adoptierbaren Kindern in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zu befriedigen. In den späten 1940er Jahren stieg die Geburtenrate in den USA sprunghaft an und leitete einen Babyboom ein. Mit der Erhöhung der Geburtenrate wurde die amerikanische Kultur entschieden pronatalistisch, was dazu führte, dass Paare, die keine Kinder bekommen konnten, große Anstrengungen unternahmen, um sich eine Familie aufzubauen. In Anhörungen im Kongress wurde häufig auf das bemerkenswerte Interesse von US-amerikanischen Paaren an der Adoption verwiesen. Um solche Paare zu unterstützen, liberalisierten Gesetzgeber auf Bundesebene die Einwanderungspolitik, beschränkten die Regulierung von Adoptionsmärkten und verstetigten Politiken, die Adoptionsvermittlungen eine größere Bedeutung verliehen. Tatsächlich haben diese Faktoren die internationale Adoption für amerikanische Familien zugänglich, erschwinglich und effizient gemacht. [5]
Wechselnde Herkunftsländer
Nach einem mehrjährigen Rückgang der Zahl internationaler Adoptionen aufgrund sich verringernder Krisenherde im Konflikt des Kalten Krieges, erreichten Adoptionen ausländischer Kinder in den USA im Jahr 1983 mit etwas über 10.000 Vermittlungen einen historischen Höhepunkt. Damit verdoppelte sich die Zahl der Adoptionen gegenüber dem vorherigen Jahrzehnt, in dem sie jährlich bei etwa 5.000 gelegen hatte. Zwar schickten Länder wie Griechenland und Vietnam keine Kinder mehr in die Vereinigten Staaten. Jedoch stieg die Zahl der Adoptionen aus Korea in den 1980er Jahren an, angetrieben durch den Druck der Regierung auf alleinerziehende Mütter, ihre Kinder wegen der schnellen Urbanisierung und Industrialisierung für eine Auslandsadoption freizugeben. In den nächsten 25 Jahren wuchsen die jährlichen Gesamtzahlen erheblich und unterschritten nur zweimal die Zahl von 1983. Als der Kalte Krieg endete, gab es eine wachsende Zahl von Kindern, die aus Waisenhäusern in Rumänien, der Ukraine und Russland adoptiert wurden. Obwohl internationale Adoptionen seit 2009 unter anderem infolge zunehmender Beschränkungen im Rahmen des Haager Übereinkommens abgenommen haben, bleibt die internationale Adoption eine wichtige Methode zur Familiengründung. Tatsächlich haben US-Amerikaner_innen seit 1999 über 271.000 Kinder aus dem Ausland adoptiert. [6]i
Das Hager Übereinkommen
Änderungen der Einwanderungsgesetze
Um internationale Adoptionen möglich zu machen, mussten die bestehenden Einwanderungsgesetze der Vereinigten Staaten geändert werden. Gemäß dem Johnson-Reed Act von 1924 (besser bekannt als National Origins Act) unterlag die Einwanderung in die USA restriktiven Quoten, die die Zahl der Einwanderer_innen, die aus Ländern in Süd- und Ostasien stammten, auf einhundert pro Land und Jahr beschränkten. Um also die Einreise ausländischer Kinder zu Adoptionszwecken zu ermöglichen, mussten die Gesetzgeber Ausnahmen gewähren. Sie verwendeten zunächst Sonderrichtlinien und konzentrierten ihre Bemühungen auf europäische Kinder. Von 1946 bis 1948 erließ Präsident Harry Truman eine Sonderrichtlinie, die vertriebenen Waisenkindern eine "Vorzugsbehandlung" bei der Visa-Vergabe einräumte und es 1.387 europäischen Waisenkindern erlaubte, in erster Linie bei Verwandten untergebracht zu werden. Im Jahr 1948 nahm der Kongress dann Bestimmungen über Waisenkinder in den Displaced Persons Act auf, die 3.000 nicht den Quoten unterliegende Visa für verwaiste europäische Kinder bereitstellten. Im Gegensatz zu den Sonderrichtlinien wurden im Rahmen dieser Adoptionen Kinder bei Fremden untergebracht und gaben US-Familien Hoffnung, dass sie ein Kind aus dem Ausland adoptieren könnten.Bis zu diesem Zeitpunkt galten Einwanderungsbestimmungen für aus dem Ausland adoptierte Personen nur für Kinder aus europäischen Ländern. Aber im Jahr 1950 dehnte das Public Law 717 die Möglichkeit des Staatsbürgerschaftserwerbs auf Kinder von ausländischen Frauen und US-Streitkräften aus, unabhängig von der "Rasse" (race). Zusammen mit dem McCarran-Walter Act von 1952, der den jahrzehntelangen Ausschluss asiatischer Migration und Einbürgerung beendete, begründeten diese Gesetze die Möglichkeit für US-Bürger, Kinder aus Asien zu adoptieren. Dennoch behielt das Gesetz von 1952 kleine Quoten für asiatische Länder bei. Der Kongress umging diese Beschränkungen durch das Flüchtlingsgesetz (Refugee Relief Act) von 1953. Dieses erlaubte es 4.000 Adoptivkindern ungeachtet des Ursprungslandes in die Vereinigten Staaten einzureisen.
Bis 1961 stufte das amerikanische Einwanderungsgesetz ausländische Waisenkinder als Flüchtlinge ein. Zu einer Zeit, als der "traditionelle" Flüchtling ein europäischer Antikommunist war, der vor politischer und religiöser Verfolgung floh, ordneten Beamt_innen die Definition des Flüchtlings neu, sodass sich ausländische Waisenkinder aus "befreundeten" Ländern wie Irland, Westdeutschland und Südkorea qualifizierten. Dass die politischen Entscheidungsträger auf Bundesebene das Flüchtlingsrecht nutzten, war kein Zufall. Flüchtlingspolitik spiegelt politische und diplomatische Privilegien wider. Durch eine weitreichendere Flüchtlingspolitik konnten wohlwollende Gesetzgeber das bestehende, "rasse"basierte Quotensystem umgehen, das unter dem McCarran-Walter Act von 1952 bestehen blieb. Wenn die Zahl der südkoreanischen Adoptivkinder durch das Einwanderungsquotensystem gesteuert worden wäre, wäre sie auf einhundert pro Jahr beschränkt gewesen – eine Zahl weit unter der Nachfrage US-amerikanischer Familien. [7]
Aber Adoptierte blieben keine Flüchtlinge. Nachdem die internationale Adoption breite Anerkennung und Unterstützung gefunden hatte, wurde sie 1961 ein fester Bestandteil des Einwanderungsrechts. Ausländische Adoptivkinder wurden fortan als Einwanderer_innen klassifiziert – wenn es sich bei ihnen auch um Migrant_innen handelte, die keinen Quoten oder Obergrenzen unterlagen. Keine anderen Einwanderer_innen genossen solche Privilegien, denn der Hart-Celler-Act von 1965 erhielt ein weltweites Quotensystem von 20.000 Einwanderern pro Land und eine jährliche Obergrenze von 290.000 Einwanderern aufrecht. Praktisch erklärten die Vereinigten Staaten durch dieses Gesetz, dass sie so viele ausländische Waisenkinder aufnehmen würden, wie US-amerikanische Paare adoptieren wollten. [8]
Ein anderer Weg, auf dem der Gesetzgeber die Einreise ausländischer Kinder genehmigte, war die Verwendung von sogenannten parole visas. Dieses Visum wurde unter der Eisenhower-Regierung eingeführt, um einzelne politische Flüchtlinge kurzfristig aufzunehmen. Es wurde am häufigsten für den Lufttransport einer großen Zahl von Migranten eingesetzt, einschließlich für solche, die durch den Ungarischen Volksaufstand 1956 und die Kubanische Revolution 1959 vertrieben worden waren. [9] Die berühmteste Verwendung dieses Visums im Fall der internationalen Adoption stellte die Operation Babylift von 1975 dar, die am Ende des Vietnamkriegs in weniger als einem Monat 2.200 vietnamesische Kinder in die Vereinigten Staaten brachte. Da die Befugnis zur Ausstellung eines Parole-Visums nicht vom Kongress überwacht werden musste, gab sie dem Außenministerium weitreichende Autonomie. Und parole visas spielen nach wie vor eine Rolle bei der Aufnahme von Waisenkindern. Die 1.150 Kinder, die im Zuge des Erdbebens 2010 aus Haiti ausgeflogen wurden, kamen über ein solches Visum in die Vereinigten Staaten. [10]
Adoptivkinder: privilegierte Einwanderer
Vergleicht man die Migration von Kindern, die aus dem Ausland adoptiert wurden, mit dem Schicksal anderer Kindermigrant_innen, so unterstreicht dies ihre herausgehobene Stellung. Gemäß dem derzeit geltenden Einwanderungsgesetz können Kinder unter 21 Jahren, die die US-amerikanische Staatsangehörigkeit besitzen, für ihre Eltern keinen dauerhaften Aufenthalt herbeiführen. So trennten Ende der 1990er und Anfang der 2000er Jahre mehr als 100.000 Abschiebungen US-amerikanische Kinder von ihren Eltern, wodurch über eine Million Familienmitglieder einen Elternteil oder Ehepartner verloren. In jüngster Zeit hat die Trump-Regierung internationale Empörung über die Durchsetzung einer "Null-Toleranz-Politik" gegenüber Grenzgängern provoziert. Die Kriminalisierung dieser irregulär in die USA eingereisten Migrant_innen führte dazu, dass bis zur Abschiebung Kinder manchmal monatelang von ihren Eltern getrennt wurden. Unbegleitete Minderjährige haben ebenfalls nur wenige Möglichkeiten. Sie können zwar nicht unmittelbar in ihre Herkunftsländer zurückgeführt werden, aber dennoch werden sie letztendlich abgeschoben, sofern die verwaltende Behörde nicht entscheidet, dass diese Kinder verfolgt werden oder Opfer von Menschenhandel sind. Aufgrund der zunehmenden Gewalt in ihren Heimatländern Guatemala, Honduras und El Salvador stieg die Zahl unbegleiteter Minderjähriger, die die Grenze zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten überschritten, 2014 um 90 Prozent. 100.000 Kinder wurden im Jahr 2014 festgenommen; Analysten schätzen, dass 60 Prozent von ihnen schließlich abgeschoben wurden. Wie diese Beispiele zeigen, bestehen Ungleichheiten für ausländische Kinder, die in die Vereinigten Staaten einwandern. Zumindest im Hinblick auf das Einwanderungsrecht gelten aus dem Ausland adoptierte Kinder immer noch als die "bestmöglichen Einwanderer". [11]i
Und in Deutschland?
*Website der Bundeszentralstelle für Auslandsadoptionen, Zugriff am 17. August 2018, https://www.bundesjustizamt.de/; Statistisches Bundesamt: Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe. Adoptionen 2016 (Wiesbaden, 2018), Zugriff am 17. August 2018, https://www.destatis.de/
Übersetzung ins Deutsche: Vera Hanewinkel
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Dieser Artikel ist Teil des Kurzdossiers "Kinder- und Jugendmigration"