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Die Europäische Union als sicherheitspolitischer Akteur | Indien | bpb.de

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Die Europäische Union als sicherheitspolitischer Akteur Indische Ansichten

Samir Saran

/ 10 Minuten zu lesen

Indien würde aus mehreren Gründe eine stärkere Rolle der Europäischen Union im sicherheitspolitischen Bereich begrüßen. Bislang allerdings wird die EU in Asien nicht als Sicherheitsakteur wahrgenommen. Das liegt neben den unterschiedlichen politischen Ansichten innerhalb der Gemeinschaft vor allem an den fehlenden Machtinstrumenten und damit der fehlenden Handlungsfähigkeit Europas.

Was ist ein Sicherheitsakteur? Was unterscheidet ihn von einer Großmacht? Diese Fragen sind von Bedeutung, um die mangelnde Anerkennung der Europäischen Union (EU) als sicherheitspolitischer Akteur in Indien und in anderen Teilen Asiens zu verstehen. Der Gebrauch des Begriffs "Sicherheitsakteur" durch Institutionen der EU ist dabei vermutlich eine bewusste Verwässerung des Begriffs "Großmacht". Das zeigt auch das ambivalente Verhältnis der EU zu Macht, ungeachtet der Tatsache, das Europa in der Vergangenheit einige Großmächte hervorgebracht hat. Dieser Zwiespalt und die zögerliche Akzeptanz der europäischen Rolle im Sicherheitsbereich, prägen die gegenwärtige Debatte in Asien.

Um die indische Perspektive zu können, sind drei Punkte von Bedeutung.

  1. Verfügt die EU über die notwendigen Institutionen, um Sicherheitsakteur sein zu können?

  2. Hat sie die Fähigkeit und ist sie belastbar genug, um eine solche Rolle wahrnehmen zu können?

  3. Sieht sich die EU selbst oder zumindest ein wichtiger Teil der Gemeinschaft als Sicherheitsakteur?

Institutionen: Wen muss ich anrufen?

Die EU ist Wirtschaftsmacht und von zentraler Bedeutung beim Bau einer polyzentrischen Weltordnung. Trotzdem wird sie nicht als Sicherheitsakteur wahrgenommen. Einen Grund dafür lieferte der frühere US-Außenminister Henri Kissinger, der in einem berühmt gewordenen Interview mit dem Magazin Der Spiegel fragte: Wen muss ich anrufen, wenn ich mit Europa sprechen will? Obwohl die EU inzwischen über sicherheitspolitische Strukturen verfügt, hat sich die europäische Politik nicht in einer Art und Weise entwickelt, um auf dem Gebiet der internationalen Sicherheit selbst gestalterisch wirken zu können.

Entscheiden dafür ist die Integration (unterschiedlicher Ansichten). Die EU insgesamt sieht sich als zivile und wirtschaftliche Macht, die den Einsatz militärischer Mittel allenfalls als letzte mögliche Option bei der Lösung von Konflikten in Betracht zieht. Die EU-Mitglieder Frankreich und Großbritannien haben indes einen andere Ansatz, bei dem die Anwendung von Gewalt oder die Drohung damit als wichtige Handlungswerkzeuge gelten. Staaten wie Deutschland sind dagegen zurückhaltend bei Entscheidungen über den Einsatz von Gewalt.

Das hat Folgen, wie etwa die französische Position zeigt, seinen ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen behalten und diesen nicht in einen Sitz für die gesamte EU umwandeln zu wollen. Frankreich hat zudem die Wirksamkeit des UN-Vetos abgelehnt, wenn sich etwa eine humanitäre Krise anbahnt (wie im Fall von Syrien). Diese Positionen haben bei anderen EU-Mitgliedern Enttäuschung und Beunruhigung hervorgerufen. Es ist tragisch, dass unlängst die Krim-Krise diese Spaltung untermauert hat, denn eine koordinierte Reaktion der EU gegenüber Moskau gab es nicht. Stattdessen haben einzelne Staaten das russische Vorgehen verurteilt, während andere dazu geschwiegen haben.

In der Wirtschaftspolitik verfolgen die EU-Staaten inzwischen ähnliche Ansichten, denn Handel und Wirtschaft sind gut integriert und vernetzt. Dieser starke Zusammenhalt gibt der EU enormes Gewicht in internationalen Handelsrunden. Im Gegensatz dazu unterscheiden sich die politischen Positionen innerhalb er EU zum Teil erheblich. Die Dissonanz zwischen einer geschlossenen Wirtschaftsunion und einer in sich gespaltenen politischen Union hat Auswirkungen auf die Wahrnehmung der EU in einer Region wie Asien, in der die Dinge eher rational betrachtet werden. Die EU wird hier als "hyper-erfolgreicher" regionaler Handels- und Wirtschaftsverbund gesehen, aber nicht als geeinter Sicherheitsakteur oder gar als "Großmacht". Mit Skepsis wird auch der gewaltige Beamtenapparat betrachtet, der am laufenden Band strategische und sicherheitspolitische Ziele formuliert, jedoch ohne nach den notwendigen Machtinstrumenten (Hard Power) zu streben, um diese auch durchzusetzen.

Handlungsfähigkeit: Akutes Defizit

Handlungsfähigkeit ist ein Schlüsselelement, dass die Möglichkeiten der EU in Asien bestimmt. Nach Schätzungen des International Institute of Strategic Studies (IISS) in London, hat Asien bei den Verteidigungsausgaben Europa überholt, denn die EU-Mitglieder zeigen sich in diesem Bereich immer zurückhaltender. Zudem wird das Geld für Ressourcen ausgegeben, die weder von Bedeutung für den asiatisch-pazifischen Raum noch für die Schaffung von Machtinstrumenten im klassischen Sinne sind. Das liegt auch daran, dass es in der EU nur wenig politische und öffentliche Unterstützung für Verteidigungsausgaben gibt, das etwa Ausgaben im Sozialbereich eine höhere Priorität beigemessen wird.

Im Ergebnis wird die globale Handlungsfähigkeit der EU in Zukunft noch eingeschränkter sein, als sie es ohnehin schon ist. Deutlich wird das daran, dass bisherige Militäraktionen der EU immer mit Unterstützung der Vereinigten Staaten ausgeführt worden sind – selbst wenn die Gegner deutlich unterlegende Streitkräfte wie die Serbiens oder Libyens waren. Entschiede sich die EU ungeachtet ihrer Handlungsdefizite jedoch für einen militärischen Alleingang, würde das mit den unterschiedlichen Auffassungen der Mitglieder über die Rolle als Sicherheitsakteur kollidieren. Agiert sie dagegen im Rahmen der NATO, um interne Konflikte zu vermeiden, dann ist sie von den militärischen Kapazitäten der USA abhängig.

Selbstwahrnehmung: "Imperium der Normen"

Neuere Beschreibungen der EU als "Imperium der Normen" sind eine weitere Facette ihrer Betrachtung als Sicherheitsakteur. Hinter dieser Sichtweise steht die Abkehr vom traditionellen Imperium, an dessen Stelle ein Akteur tritt, der mit gutem Beispiel vorangeht, auf den Einsatz von Gewalt weitgehend verzichtet und die wirtschaftliche Kooperation in den Mittelpunkt seines Handelns stellt. Hier kann die Welt von der EU eine postmoderne Interpretation internationaler Beziehungen lernen. Außerhalb der EU hat die Euphorie nach 1989 allerdings nicht zu einer größeren Unterstützung dieses Denkansatzes geführt.

Die EU ist davon überzeugt, in der postmodernen Welt angekommen zu sein. In der Realität ist ein Großteil des gemeinsamen Handelns allerdings auf vor-moderne Situationen wie Afghanistan, Irak und Libyen ausgerichtet. Ein amerikanischen Sprichwort besagt: Wenn du die Drecksarbeit nicht machen musst, kannst du helle Kleider tragen (When you don't have dirty work to do you can be dressed in white clothes). Das heißt, wenn sich die EU auf die Machtinstrumente der USA stützt, kann sie es sich leisten, die Rolle des "Imperiums der Normen" zu spielen. Ein "moralisierendes" Indien hat in den 50er und 60er Jahren ähnlich agiert und von Europa die friedliche Koexistenz mit der Sowjetunion gefordert. Mit dieser Rhetorik versuchte Indien seine strukturellen Schwächen zu übertünchen. Heute haben Indien und Europa die Positionen getauscht, denn die Rhetorik der EU wird als Zeichen der Schwäche gewertet, was auf die besprochenen strukturellen Faktoren zurückzuführen ist.

Asiatische Sichtweise 1: Größtenteils wohlwollend

Nach dem Zweiten Weltkrieg war es das Ziel, Frieden und Stabilität zu erhalten. Daher bedurfte es Akteuren, die das garantieren konnten. Doch im 21. Jahrhundert haben sich die Voraussetzungen geändert. Die wirtschaftliche Entwicklung steht im Vordergrund. Obwohl die Welt inzwischen über die Nachkriegsfrage nach Frieden hinaus ist und sich dem Ziel einer größeren ökonomischen Dynamik verschrieben hat, lässt sich die Rolle der EU bei der Sicherung dieses Ziels nicht verleugnen. Politische Stabilität ist schließlich Voraussetzung für Wachstum und wirtschaftliches Wohlergehen. Diese Stabilität muss dabei von alten und neuen Mächten gemeinsame geschaffen und erhalten werden. Vor diesem Hintergrund blickt man in Asien größtenteils mit Wohlwollen auf die EU. Vor allem Indien könnte sich durchaus vorstellen, dass die EU eine entscheidende sicherpolitische Rolle in der Welt spielt – obwohl das Land selbst ein Vertreter des "Asiatischen Jahrhunderts" (The Asian Century) ist.

Sollte die EU in diesem Zusammenhang an Bedeutung gewinnen, dann würden europäische Machtinstrumente nicht zwangsläufig als Nachteil betrachtet werden. Im Gegenteil: Indien könnte damit umgehen, denn eine starke EU wäre gut für das Gleichgewicht der Kräfte und die Stabilität in Eurasien. Tatsächlich vertritt man in Neu-Delhi die Ansicht, dass eine fehlende europäische Hard Power das Gleichgewichts der Kräfte in Eurasien verändern und zu Instabilität führen könnte. Auch deshalb wird die EU weiterhin als entscheidender Akteur für die sicherheitspolitische Dynamik in Asien betrachtet. Ein Beispiel dafür ist aus indischer Sicher das Waffenembargo der EU gegen China, das – wenn man es so sagen will – zur Stabilität in Asien beiträgt.

Allerdings kritisiert Indien die EU auch als scheinheilig, da diese versucht, Gesellschaften in einen (ihr genehmen) normativen Rahmen zu pressen, den diese noch nicht zu akzeptieren bereit sind. Das kann dann ein Nachteil sein, wenn es um die Durchsetzung übergreifender Ziele wie Stabilität und Wohlstand geht. Allerdings ist das kein EU-spezifisches Problem. Jedes Land tendiert zur Scheinheiligkeit, wenn es seine Kerninteressen in Gefahr sieht. Indien etwa folgt in seiner unmittelbaren Nachbarschaft anderen Regeln als im Rest der Welt. So intervenierte das Land 1971 militärisch in Ost-Pakistan (heute Bangladesch) sowie in den 80er und 90er Jahre in Sri Lanka. Doch wo seine Kerninteressen nicht direkt auf dem Spiel stehen, vertritt Neu-Delhi oft einen ganz anderen sicherheitspolitischen Standpunkt.

Sollte sich die EU entscheiden, eine stärkere Rolle als Sicherheitsakteur zu spielen, dann wären folgende Fragen für Indien von Interesse: Wo und wie will die EU agieren? Konzentriert sie sich auf ihre unmittelbare Nachbarschaft? Oder blickt sie darüber hinaus?

Vor dem Hintergrund der Sicherheitsdynamik im Indischen Ozean und der strategischen Neuausrichtung Indiens nach 1990 würde Neu-Delhi wahrscheinlich eine Rolle der EU als ausgleichende maritime Kraft begrüßen. Deutlich wird das an der Tatsache, dass Indien die EU-geführte Operation Atalanta gegen Piraten vor der ostafrikanischen Küste begrüßt. Zudem hatte Indien 2008 keine Bedenken gegen die beeindruckende westliche Marinepräsenz im Golf von Bengalen zur Unterstützung der Opfer des Zyklon Nargis im benachbarten Myanmar. Bereits nach dem Tsunami Ende 2004 hatte die indische Marine eng mit Flottenverbänden aus den USA und Europa zusammengearbeitet.

Asiatische Sichtweise 2: Fragen von Geographie und Souveränität

Unterschiedliche Abhängigkeiten und das übergreifende Ziel der Schaffung wirtschaftlichen Wohlstands sind Gründe dafür, dass sich die europäische Kosten-Nutzen-Analyse eines Engagements in Asien erheblich von der indischen Betrachtung unterscheidet. Ökonomisch hätte die EU mehr zu verlieren als zu gewinnen, würde sich sie langfristig militärisch in Asien engagieren. Deshalb zieht sie das Mittel der Wirtschaftssanktionen vor.

Geographische Aspekte sind jedoch nicht nur für die EU von Bedeutung. Das wird daran deutlich, wie Indien 1971 die Bangladesch-Frage interpretiert hat und wie es heute die Situation in Syrien bewertet. Die Instabilität in Indiens Nachbarschaft hatte damals direkte Auswirkungen auf die demographische und sicherheitspolitische Lage im Land. Entsprechend fiel die indische Kosten-Nutzen-Analyse einer Intervention aus. In Syrien ging es für Indien dagegen vorrangig um die normative Frage, ob eine humanitäre Intervention durch die Verletzung der Chemiewaffenkonvention gerechtfertig ist.

In Asien ist auch die Achtung staatlicher Souveränität von großer Bedeutung, denn der Kontinent ist historisch von Kolonisation und Fremdherrschaft geprägt. Deshalb wird die eher lockere Interpretation von Souveränität durch die EU etwa bei der Rechtfertigung humanitärer Interventionen als durchaus beunruhigend bewertet. Mehr noch: Der selektive Interpretation von Souveränität kann der Glaubwürdigkeit der EU insgesamt schaden.

Wenn es etwa um Rüstungsgeschäfte wie dem Verkauf von Kampfflugzeugen vom Typ Rafale (Frankreich), Gripen (Schweden) oder Eurofighter (Deutschland u.a.) geht, dann werden Verhandlungen und Geschäft unter der jeweiligen Nationalflagge abgewickelt. Stehen allerdings unbequeme Entscheidung wie das Waffenembargo gegen China an, dann wird die EU als Schutzschild genutzt, was einer Politik nach dem Motto "zu mehreren ist man sicherer" gleichkommt. Es bedeutet aber auch, dass von einzelnen EU-Mitgliedern auf bilateraler Ebene erzielte Erfolge nicht der ganzen EU zugute kommen. Misserfolge und ein daraus resultierendes negatives Image wirken sich dagegen auf die ganze Gemeinschaft aus.

Zusammenfassung: Blick nach vorn

In Zukunft könnten vier strittige Aspekte das Verhältnis zwischen Indien und Europa beeinflussen. Der erste betrifft Sprachkenntnisse und Informationsquellen, die das indische Verständnis von Europa und der EU prägen. Indiens verhältnismäßig kleiner Auswärtiger Dienst verfügt nicht über genug Experten, die in europäischen Sprachen ausgebildet sind, um Primärdaten sammeln und auswerten zu können. Das bedeutet, ein Großteil der Analyse erfolgt mit Hilfe von Sekundärquellen aus den euroskeptischen englischsprachigen Medien. Auch haus diesem Grund sind der indischen Öffentlichkeit etwa die Prozesse zur Entscheidungsfindung innerhalb der EU bis heute ein Rätsel geblieben.

Der zweite Punkt ist, dass die EU (aus bereits diskutierten Gründen) von Indien nicht als Sicherheitsakteur wahrgenommen wird. Fakt ist, dass etwa die humanitären Interventionen der EU in jüngerer Vergangenheit von Regierungen in Asien als gefährliche Präzedenzfälle bewertet wurden, die die Sicherheitsdynamik in der Region verändern und neue Sicherheitsprobleme schaffen, mit denen die EU aufgrund ihrer fehlenden Handlungsfähigkeit nicht umgehen kann. Hier sind Indien und die EU auf Kollisionskurs. Indien möchte, dass sich die EU ihrer "harten" sicherheitspolitische Rolle bewusst wird. Zudem wünscht sich Indien, dass sich die EU aufkommenden Sicherheitsfragen und neue Konflikten stellt.

Der dritte Aspekt steht im Zusammenhang von Global Governance. Europäische Institutionen tendieren dazu, wirtschaftliche und soziale Leistungen unter sicherheitspolitischen Gesichtspunkten zu bewerten. Dieser Ansatz mag sinnvoll sein, wenn es darum geht, die öffentlich Meinung der Euro-Atlantischen Gemeinschaft wachzurütteln. In Asien allerdings, wo sich Gesellschaften noch entwickeln und die Balance zwischen politische und militärischem Diskurs erst gefunden werden muss, ist dieser Ansatz kontraproduktiv. Wenn etwa in Südasien über Probleme wie Wasser, Umweltschutz und Handel vor dem Hintergrund sicherheitspolitische Fragen diskutiert würde, dann wäre das ein Nullsummenspiel. Zudem verringert das Übergewicht des Militärischen in einigen dieser Länder die Bedeutung und Rolle demokratische Institutionen und ziviler Regierungen. Das wiederum steht den liberalen demokratischen Werten entgegen, die die EU vertritt.

Die entscheidende Trennlinie zwischen Indien und der EU ist jedoch die Tyrannei der Sprache (Tyranny of Grammar). Europa verfolgt seine Interessen in einer ideologisch unterfütterten Sprache der Werte. Auch Indien hat seine strategischen Interessen immer wieder in einer eigenen Sprache der Moral formuliert. Bis jedoch eine neue gemeinsame Sprache gefunden ist, in der beide Seiten ihre Interesse (ohne ideologisch zu predigen) miteinander verhandeln können, gehen die Gemeinsamkeiten (auf Basis von Kerninteressen wie Wohlstand, Wachstum und liberale Marktwirtschaft) zu Lasten von unnötigen Auseinandersetzungen über vermeintliche Werte verloren.

Weitere Inhalte

ist Vizepräsident der Observer Research Foundation, Indiens führendem politischen Think Tank. Zu den Schwerpunkten seiner Forschungsarbeit gehören unter anderem die Süd-Süd-Kooperation, die Rolle von BRICS, Internet Governance sowie wirtschaftliche und politische Fragen des Klimaschutzes.