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Indiens Nehru-Gandhi-Dynastie | Indien | bpb.de

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Indiens Nehru-Gandhi-Dynastie Seit vier Generationen prägt eine politische Familie den Kurs des Landes

Rasheed Kidwai

/ 10 Minuten zu lesen

Vom ersten Premierminister zum politischen Hoffnungsträger der Gegenwart: Seit der Unabhängigkeit 1947 beeinflusst und prägt die Familie Nehru-Gandhi die Geschicke Indiens. Neben beachtlichen Erfolgen gab es immer wieder schwere Rückschläge – politisch wie persönlich. Bislang allerdings konnte die Dynastie Macht und Einfluss bewahren.

Sonia Gandhi (2. von rechts) mit Sohn Rahul (links) und Tochter Priyanka Gandhi Vadhera (rechts) bei einer Wahlkampfveranstaltung im Jahr 2004. (© AP)

Der asiatische Eroberer Tamerlan (oder Timur der Lahme) soll sich einmal mit dem berühmten Historiker und Soziologen Ibn Chaldun über das Schicksal von Dynastien ausgetauscht haben. Chaldun habe dargelegt, dass eine Dynastie selten länger als vier Generationen bestehe. Die erste Generation sei mit Eroberungen beschäftigt, die zweite mit Ausbau und Konsolidierung der Macht. Die dritte Generation habe dann – weitgehend befreit von administrativen Aufgaben – das Vergnügen, sich an Errungenschaften und Geld der Vorfahren sowie am kulturellen Leben zu erfreuen. Für die vierte Generation bleibe schließlich nicht mehr viel übrig von der einstigen Tatkraft und vom Reichtum. Deshalb sei der Fall eines jeden Königshauses bereits mit dessen Aufstieg besiegelt. Glaubt man Chaldun, dann kann sich niemand diesem Prozess entziehen.

In der Geschichte des demokratischen Indiens scheinen sich die Vorhersagen des Gelehrten am Beispiel der Nehru-Gandhi-Familie zu bewahrheiten. Jawaharlal Nehru (1889-1964) war der Architekt. Er kämpfte an der Seite Mahatma Gandhis für die Unabhängigkeit des Landes vom britischen Imperialismus. Seine Tochter Indira Gandhi (1917-1984) baute die Macht aus, gewann Kriege (gegen Pakistan, der zur Gründung Bangladeschs führte) und entwickelte sich zu einer der einflussreichsten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts.

Ihr Sohn Rajiv Gandhi (1944-1991) wurde ebenfalls Premierminister, experimentierte viel und musste teuer dafür bezahlen. Heute führt Rajivs Witwe Sonia Gandhi die Kongresspartei, Indiens einflussreichste politische Kraft. Die vierte Generation der Familie repräsentiert Rahul Gandhi, Sohn von Rajiv und Sonia. Von vielen wird er als künftiger Premierminister gehandelt, doch trotz guter Absichten kommen die Dinge für ihn nicht richtig in Schwung.

Interessanterweise gibt es keine verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen der Nehru-Gandhi-Familie und dem indischen Unabhängigkeitshelden Mahatma Gandhi. Nehrus Tochter Indira heiratete im Jahr 1942 der Politiker und Journalisten Feroze Gandhi, der zufällig denselben Nachnamen wie Indiens spiritueller Führer hatte. Deshalb tragen auch Sohn Rajiv, Schwiegertochter Sonia und Enkel Rahul den traditionsreichen Namen.

Jawaharlal Nehru: Erster Premierminister nach der Unabhängigkeit

Gandhi und Jawaharlal Nehru während einer Tagung des All-India Congress Committee, August 1944

Die Nehrus stammen aus Kaschmir und führten ursprünglich den Nachnamen Kaul. Im Jahr 1716 wurden die Gelehrtenfamilie von Großmogul Farrukh Siyar, der einen Sinn für Bildung und Literatur hatte, an den Hof von Delhi geladen. Dort bezog sie ein Haus an einem Kanal. Im Persischen heißt Kanal nahar, in Urdu wird daraus nehar. Die Nachbarn sprachen das Familienoberhaupt dann auch bald als "denjenigen, der am Kanal lebt" an – oder eben Nehru.

Jawaharlal Nehru wurde am 14. November 1889 geboren. Einen Teil seiner Ausbildung absolvierte er an der Internationsschule Harrow in London. Von dort wechselte er ans Trinity College nach Cambridge, wo er einen Abschluss in Naturwissenschaften machte. Nehru besuchte dort auch Vorlesungen von George Bernand Shaw und diskutierte mit Kommilitonen nächtelang über Friedrich Nietzsche. Anschließend studierte er zwei Jahre lang Rechtswissenschaften in London. Als Nehru im August 1912 per Schiff zurück nach Bombay reiste, beschrieb er sich selbst als eine "schräge Mischung aus Ost und West, die überall fehl am Platze und nirgendwo zu Hause" sei.

Nach einer kurzen juristischen Laufbahn hängte Nehru den Anwaltsberuf an den Nagel und schloss sich der indischen Unabhängigkeitsbewegung an. Am Ende des Ersten Weltkrieges war er unter Gandhis Führung zu einer einflussreichen Persönlichkeit in der Kongresspartei geworden. Nehru profilierte sich als visionärer Denker und Anführer, der das alte wie auch das neue Indien verstand. Im Buch The Discovery of India (sinngemäß: Die Entdeckung Indiens), das er während eines Gefängnisaufenthaltes von 1942 bis 1946 schrieb, beschreibt er Indien überzeugend als historisch gewachsene Nation mit einem Recht auf Souveränität.

Nachdem Indien am 15. August 1947 in die Unabhängigkeit entlassen worden war, wurde Nehru erster Premierminister des nun freien Landes. Auf diesem Posten blieb er bis zu seinem Tod im Mai 1964. Nehru trieb moderat sozialistische Wirtschaftsreformen voran und förderte die Industrialisierung des Landes. Er wurde zu einer der prägenden Figuren der Bewegung der Blockfreien Staaten, die als ehemalige Kolonien neuen Abhängigkeiten von den Großmächten USA und Sowjetunion vermeiden wollten. Trotz der Bemühungen um guten Beziehungen zu den Nachbarn eskalierte 1962 ein Grenzkonflikt mit China zum Krieg. Nehru und seine Regierung waren darauf nicht vorbereitet und die indischen Truppen wurden geschlagen.

Indira Gandhi: Politischer Scharfsinn und Gespür für Realpolitik

Indira Gandhi (© Public Domain)

Seine Tochter Indira hatte Nehru nicht gezielt als Nachfolgerin aufgebaut. Trotzdem wurde sie nach seinem Tod zu einer mächtigen Führungsfigur innerhalb der Kongresspartei. Im Amt des Premierministers folgte Nehru zunächst Lal Bahadur Shastri, der Indira Gandhi zur Informationsministerin machte. Shastri starb im Januar 1966, kurz nachdem er in Taschkent einen Friedensvertrag mit dem Nachbar Pakistan unterzeichnet hatte, der Indien zuvor in einen Krieg um die Region Interner Link: Kaschmir verwickelt hatte.

Indira Gandhis Berufung als Shastris Nachfolgerin erfolgte nicht ohne Widerspruch. Eine einflussreiche Gruppe innerhalb der Kongresspartei hatte eine Abstimmung unter den Mandatsträgern der Partei durchgesetzt, die Indira Gandhi jedoch mit 355 zu 169 Stimmen gegen ihren Rivalen Morarji Desai für sich entscheiden konnte. Gründe dafür gab es mehrere. Als Nehrus Tochter wurde sie als Politikerin für das ganze Land gesehen. Auch war sie nicht als verbissene Anhängerin einer bestimmten Religion bekannt, was ihr im multireligiösen und multikulturellen Indien ebenfalls zugute kam. Zudem hatte sie weitreichende internationale Kontakte und war gleichzeitig mit den Problemen der einfachen Menschen vertraut.

Ein Krieg gegen Pakistan, der 1971 zur Gründung des Staates Bangladesch führte, stärkte Indira Gandhis Popularität und Macht im Land. Im selben Jahr gewann sie die Wahlen mit deutlicher Mehrheit. Im Wahlkampf hatte sie mit dem inzwischen berühmten Slogan Garibi Hatoa (Beseitigt die Armut) für sich geworben. Die Indira-Ära war aber auch geprägt von einer Radikalisierung des politischen Programms und des Führungsstils. Dabei zeigt sie außergewöhnlichen politischen Scharfsinn und ein Gespür für Realpolitik. Sie spielte Kongress-Politiker gegeneinander aus und versetzte den Konservativen einen herben Schlag, als sie unter anderem Banken verstaatlichte und die staatlichen Zahlungen an die 565 ehemaligen königlichen Familien des Landes (Privy Purse) einstellte.

Sanjay Gandhi: Tollkühn, impulsiv und alle Regeln missachtend

Als sich Indira Gandhi und Indien in scheinbar ruhigem Fahrwasser befanden, trat ihr jüngerer Sohn Sanjay in Erscheinung und beanspruchte immer mehr Einfluss. Dabei wurde er zu einer außerhalb des Verfassungsrahmens agierenden Autoriät, die die innerparteiliche Demokratie sowie das Recht auf abweichende Meinungen und Widerspruch immer weiter einschränkte. Ende der 70er Jahre war der Prozess der Deinstitutionalisierung der Kongresspartei nahezu abgeschlossen und die Ausrichtung auf eine Führungsfigur zementiert.

Zeitzeugen beschreiben Sanjay als tollkühn, impulsiv und alle Regeln missachtend. Er sei eine Gefahr für sich selbst und andere gewesen. Obwohl er nie ein öffentliches Amt innehatte, war es vor allem sein Einfluss, der Indira Gandhi am 26. Juni 1975 zur Verhängung des Ausnahmezustand – Emergency – veranlasste. Nach ihrer Aussage waren dies notwendig, um der "Gefahr von Gesetzlosigkeit und Anarchie" in Indien zu begegnen. In den folgenden 21 Monaten kamen Tausende ins Gefängnis, Parlamente und Gerichte konnten nicht arbeiteten.

Anfang 1977 setzte Indira Gandhi die verfassungsmäßigen Rechte wieder in Kraft und ordnete Neuwahlen an. Dabei bekam sie die Wut der Inder zu spüren, die die Kongresspartei abstraften und zum ersten Mal seit der Unabhängigkeit aus der Regierung wählten. Doch die von ihrem Rivalen Morarji Desai und der Janata Party geführte Koalition blieb nicht lange an der Macht. 1980 war Indira Gandhi wieder Premierministerin. Auch Sanjay hatte erstmals einen Sitz im Parlament gewonnen und gab sich gemäßigt. Doch am 23. Juni 1980 starb er beim Absturz einer von ihm selbst geflogenen Sportmaschine. Indira war am Boden zerstört

Rajiv Gandhi: Mit Zögern in die Politik

Der indische Premierminister Manmohan Singh (rechts), Kongress-Partei Präsidentin Sonia Gandhi (links) und Rahul Gandhi (Mitte), Sohn von Sonia und Rajiv Ghandi, zollen dem ehemaligen Premierminister Rajiv Ghandi Tribut. (© AP)

Als Sanjay verunglückte, war der ältere Bruder Rajiv mit seiner in Italien geborenen Frau Sonia und den Kindern Rahul und Priyanka im Urlaub. Zunächst zögerte er, dem Ruf nach Delhi zu folgen, denn er wollte eigentlich nicht in die Politik einsteigen. Dann aber beugte er sich dem Druck – obwohl seine Frau für diesen Fall damit gedroht hatte, ihn zu verlassen. "Ich habe ihn angefleht, das nicht mit sich machen zu lassen", erinnerte sich Sonia Gandhi einmal. "Ich hatte Angst, dass er getötet wird. Er hat meine Hand gehalten, mich umarmt und versucht, mich zu beruhigen. Er habe keine Wahl, sagte er, er würde so oder so getötet werden." Allerdings räumte sie auch ein, dass sie Indira Gandhis Wunsch durchaus Verstand, ihren Sohn Rajiv als politischen Berater an ihrer Seite haben zu wollen.

In das Leben der Nehru-Gandhi-Familie zog allmählich wieder Normalität ein – bis zum 31. Oktober 1984. Zwei von Indira Gandhis Leibwächtern eröffneten im Garten ihrer Residenz das Feuer auf die Premierministerin und töteten sie. Die Männer, beide Angehörige der religiösen Minderheit der Sikhs, waren erbost über Indira Gandhis Entscheidung, die Armee den Goldenen Tempel von Amritsar – das wichtigste Heiligtum der Sikhs – stürmen zu lassen, wo sich bewaffnete Separatisten verschanzt hatten. Die Ermordung Indiras machte Rajiv zum Premierminister. Als er noch dabei war, sein Kabinett zusammenzustellen, erschütterten schwere Anti-Sikh-Pogrome mit mehr als 3000 Toten das Land.

Rajiv, geboren 1944, war ein Mann in Eile. Er brachte die wirtschaftliche Restrukturierung Indiens auf den Weg, förderte privates Unternehmertum und Technologieprogramme. Das Wahlalter senkte er von 21 auf 18 Jahre. Seine Ansichten zur nuklearen Abrüstung und zum Anti-Apartheid-Kampf in Südafrika sowie die Entspannungspolitik mit den Nachbarn China und Pakistan fanden auch im Ausland viele Bewunderer.

Doch innenpolitisch war Rajiv Gandhi in ein Netz aus Korruptionsvorwürfen verstrickt. Regierungsmitgliedern und Beamten wurde vorgeworfen, vom schwedischen Rüstungskonzern Bofors für die Vergabe eines 15 Milliarden Dollar schweren Großauftrags Bestechungsgelder in Millionenhöhe angenommen zu haben. Ein italienischer Geschäftsmann und Freund der Gandhis soll das Geschäft eingefädelt haben. Rajiv hat das stets bestritten, doch der Bofors-Skandal kostete ihn 1989 die Wiederwahl.

Im Mai 1991, als er seine Rückkehr ins Premierministeramt vorbereitete, wurde er bei einer Wahlkampfveranstaltung in Südindien von einer Selbstmordattentäterin mit in den Tod gerissen. Die Frau handelte im Auftrag der separatistischen Befreiungstiger von Tamil Eelam aus Sri Lanka, die sich dafür rächten, dass Rajiv Gandhi Ende der 80er Jahren in den dortigen Bürgerkrieg eingegriffen und indischen Truppen in den Inselstaat entsandt hatte.

Sonia Gandhi: Pflichtgefühl und persönliche Opfer

In der Stunde der Trauer wandte sich die Kongresspartei an Sonia Gandhi. Doch die Witwe weigerte sich, Führungsaufgaben zu übernehmen. In den folgenden sechs Jahren – von 1991 bis 1997 – hielt sich Sonia abseits des politischen Betriebs. Erst 1998 ließ sie sich davon überzeugen, an die Spitze der politisch massiv geschwächten Partei zu treten.

Sonia Gandhis Leben verlief außergewöhnlich. Geboren in der kleinen italienischen Stadt Orbassano, führte sie ihr Interesse an Sprachen nach Cambridge. Dort traf sie 1965 im Alter von gerade einmal 18 Jahren auf Rajiv Gandhi, damals ein 21-jähriger Student. "Soweit ich mich erinnere, war es Liebe auf den ersten Blick", schrieb sie später. Als sich die beiden im griechischen Restaurant The Varsity erstmals begegneten, wusste Sonia von Indien nur, dass dieses Land "mit Schlangen, Elefanten und Dschungel irgendwo auf der Welt existierte". Sie hatte auch keine Ahnung von der Herkunft ihres zukünftigen Ehemanns – nicht zuletzt weil Rajiv kaum jemandem erzählte, dass er Nehrus Enkel und Indira Gandhis Sohn war.

Kritiker werfen Sonia vor, innerhalb der Kongresspartei eine dynastische Kultur zu pflegen. Sie selbst beschreibt ihren Einstieg in die Politik mit Verantwortungsbewusstsein. "In meinem Büro habe ich Fotografien meines Ehemannes und meiner Schwiegermutter", sagte sie in einem Interview. "Jedes Mal wenn ich an diesen Bildern vorbeigegangen bin, habe ich gespürt, dass ich meiner Pflicht dieser Familie und dem Land gegenüber nicht gerecht werde. Ich wusste, dass es feige ist, nur dazusitzen und zuzusehen, wie sich die Dinge für die Partei verschlechterten, für die meine Schwiegermutter und die ganze Familie gelebt haben und auch gestorben sind. Das war der Moment, in dem meine Entscheidung fiel."

Im Mai 2004 wählte Indien die von Sonia Gandhi geführte Kongresspartei an die Spitze einer Koalitionsregierung. Alle Augen ruhten auf ihr, doch sie verzichtete auf das Amt der Regierungschefin und machte den Ökonomen Manmohan Singh zum Premierminister. Das war eine politische Meisterleistung, denn Entsagung ist ein wichtiger Aspekt der indischen Kultur: diejenigen die auf Macht und Einfluss verzichten, werden verehrt. Ihr Pflichtgefühl und ihre persönlichen Opfer haben die Nehru-Gandhi-Dynastie in einer Art und Weise gestärkt, wie es Rajiv und Indira Gandhi nie gelungen war. Im Wahlkampf 2009 unterstrich Sonia ihre Zugkraft noch einmal, als sie ihrer Partei zu einem noch deutlicheren Sieg führte. Heute ist sie die dienstälteste Vorsitzende in der Geschichte der 1885 gegründeten Partei.

Im Jahr 2011 verunsicherte Sonia Gandhis Gesundheitszustand ihre Anhänger. Gemäß ihrer zurückhaltenden Natur ließ die Politikerin jedoch keine Einzelheiten verlauten. Ein Aufenthalt in einer New Yorker Spezialklinik nährte jedoch Spekulationen über eine mögliche Krebserkrankung. Nach einer Operation und zahlreichen medizinischen Tests ist Sonia inzwischen wieder bei einigermaßen guter Gesundheit. Gleichwohl war diese Episode ein wesentlicher Grund für den plötzlichen politischen Aufstieg ihres Sohnes Rahul.

Rahul Gandhi: Mangel an Erfahrung und Charisma

Rahul Gandhi übernahm das politische Tagesgeschäft von seiner Mutter und wurde 2013 Vizepräsident der Partei. In Christopher Kremmers Buch Inhaling the Mahatma erzählt er, dass er die Entscheidung, in die Fußstampfen seiner Vorfahren zu treten, bereits im Mai 1991 kurz nach der Ermordung seines Vaters getroffen habe. Trotzdem hat er es seit seiner erstmaligen Wahl ins Parlament 2004 vermieden, ein Ministeramt zu übernehmen. Stattdessen konzentrierte er sich darauf, die Jugendorganisation der Kongresspartei wiederzubeleben. Vor seinem Gang in die Politik hatte Rajiv Gandhi als Wirtschaftsberater in London gearbeitet.

Inzwischen hat die Kongresspartei wieder an Rückhalt in der Bevölkerung eingebüßt, denn während ihrer Regierungszeit von Interner Link: 2004 bis 2014 sah sie sich bis in höchste Regierungsämter mit massiven Korruptionsvorwürfen konfrontiert. Gleichzeitig gewann die Interner Link: hindunationalistische Bharatiya Janata Party (BJP) an Statur und Popularität zurück. Auch die Redekunst des BJP-Spitzenmannes Narendra Modi sowie dessen administrative Fähigkeiten und Erfahrung spielen dabei eine wichtige Rolle.

Dem 1970 geborenen Rahul Gandhi fehlt es dagegen an Erfahrung und Charisma. Die Partei hat auch unter seiner Führung immer mehr an Boden gegenüber der politischen Konkurrenz aus BJP, der neu gegründeten Aam Admi Party (sinngemäß: Partei der einfachen Leute, AAP) sowie starken Interner Link: Regionalparteien verloren. Einige Kongress-Politiker setzen deshalb ihre Hoffnungen in Rahuls jüngere Schwester Priyanka Gandhi, der sie eine weitaus größere Ausstrahlung und Anziehungskraft attestieren. Priyanka engagiert sich zwar im Wahlkampf für ihre Mutter und ihren Bruder, auch trägt sie öffentlichkeitswirksam die Saris ihrer Großmutter Indira. Aber sie dementiert Gerüchte, selbst in die Politik einsteigen zu wollen. Deshalb muss Rahul liefern – und die Prophezeiung von Ibn Khaldun Lügen strafen.

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ist Journalist, Buchautor, politischer Analyst und Kommentator. Zu seinen Spezialgebieten gehört die Berichterstattung über die Kongresspartei. Derzeit arbeitet er als leitender Redakteur für die in Kolkata erscheinende Tageszeitung "The Telegraph".