Themen Mediathek Shop Lernen Veranstaltungen kurz&knapp Die bpb Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen Mehr Artikel im

Genfer Protokoll zum Einsatzverbot chemischer und biologischer Waffen | Hintergrund aktuell | bpb.de

Genfer Protokoll zum Einsatzverbot chemischer und biologischer Waffen

Redaktion

/ 6 Minuten zu lesen

Am 17. Juni 1925 wurde das Genfer Protokoll unterzeichnet und damit der Einsatz chemischer und biologischer Kampfstoffe im Krieg verboten. Bis heute haben sich dem Vertrag 146 Staaten angeschlossen.

In Münster bereiteten Mitarbeiter der „Gesellschaft zur Entsorgung von chemischen Kampfstoffen und Rüstungsaltlasten“ (GEKA) 2014 die Sprengung von Kampfstoffen vor. (© picture-alliance)

36 Staaten unterzeichneten am 17. Juni 1925 in der Schweiz das Externer Link: Genfer Protokoll über das „Verbot der Verwendung von erstickenden, giftigen oder anderen Gasen sowie von bakteriologischen Mitteln im Kriege“. Das bis heute gültige Protokoll verbietet den Kriegseinsatz chemischer und biologischer Waffen. Diese zu entwickeln, herzustellen und zu besitzen, verbietet dieses Protokoll aber nicht.

Das Genfer Protokoll gehört zu den seit 1864 stetig weiterentwickelten völkerrechtlichen Regelungen zur Kriegsführung. Ein erstes Verbot von „Gift oder vergifteten“ Waffen enthielt bereits die Externer Link: Haager Landkriegsordnung von 1899. Dennoch wurden chemische und biologische Massenvernichtungswaffen zu Beginn des 20. Jahrhunderts in immer größerem Ausmaß entwickelt und verbreitet.

Was sind chemische und biologische Waffen?

Unter chemischen Waffen versteht man künstlich hergestellte Kampfmittel, die schädlich auf den menschlichen Körper wirken. Sie haben eine erstickende, lähmende oder giftige Wirkung auf den menschlichen oder tierischen Organismus. So gibt es blutschädigende Gifte sowie Haut-, Lungen-, und Nervengifte. Chemische Waffen gehören zu den Interner Link: ABC-Waffen und können als Massenvernichtungswaffen eingesetzt werden. Dazu werden feste, flüssige oder gasförmige Substanzen, also der chemische Kampfstoff, mit einem Trägersystem in Verbindung gebracht. Trägersysteme können Minen, Handgranaten, Granaten, Bomben, Sprühtanks oder Raketensprengköpfe sein.

Interner Link: Chemische Kampfstoffe wurden zum ersten Mal im Ersten Weltkrieg eingesetzt. Lungenkampfstoffe wie Chlorgas, Senfgas und Phosgen griffen die Lungen an und führten zum Ersticken. Unter der NS-Diktatur wurde in Deutschland ein neuer Typ von chemischen Kampfstoffen entwickelt – die „Nervenkampfstoffe“. Dazu zählen beispielsweise Sarin und Tabun. Sie können sowohl über die Luft als auch über die Haut aufgenommen werden und wirken auf die Nervensynapsen. Eine mögliche Folge ist etwa Tod durch Atemlähmung. Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelten sowohl die USA (VX) als auch die Sowjetunion (Nowitschok) eigene Nervenkampfstoffe, die zum Teil noch tödlicher und langlebiger sind.

Außerdem gibt es Chemikalien, die sowohl friedlichen Zwecken dienen, als auch zur Herstellung von chemischen Waffen missbraucht werden können. Diese heißen „dual use chemicals“, also Chemikalien mit einem doppelten Verwendungszweck.

Zu den biologischen Waffen zählen Krankheitserreger wie Viren, Bakterien oder Pilze und natürlich hergestellte Giftstoffe von Organismen, sogenannte Toxine. Diese können eingesetzt werden, um bei Menschen, Tieren oder Pflanzen Krankheiten auszulösen oder sie zu töten. Interner Link: Biologische Waffen zählen zu den Massenvernichtungswaffen. Etwa 200 Viren oder Bakterien können als Waffe benutzt werden. Zu den gefährlichsten Krankheitserregern zählen Pocken, Pest und Milzbrand. In der jüngeren Vergangenheit gibt es keine Nachweise für den militärischen Einsatz biologischer Waffen.

Giftgasangriffe als Anlass für das Genfer Protokoll

Die Bereitschaft der Staaten, sich auf ein Verbot chemischer und biologischer Waffen zu verständigen, hat ihren Interner Link: Ursprung im Ersten Weltkrieg. In dessen Verlauf wurden Externer Link: rund 120.000 Tonnen chemischer Kampfstoffe eingesetzt, erstmals 1915 von deutschen Truppen in der Schlacht bei Ypern. In der Folge solcher Angriffe kamen im Ersten Weltkrieg nach Schätzungen etwa 80.000 bis 100.000 Soldaten ums Leben. Mehr als eine Million wurden verwundet.

Amerikanische Wache im Ersten Weltkrieg (1914–1918) mit Gasmaske zum Schutz gegen einen möglichen Gasangriff. (© picture-alliance)

Vor diesem Hintergrund diskutierten die Staaten auf einer Konferenz zur Überwachung des internationalen Waffenhandels, die im Juni 1925 in der Schweiz stattfand, über eine Ächtung chemischer Kampfstoffe. Im Laufe der Verhandlungen wurden auch biologische Waffen in das Einsatzverbot einbezogen. Zu den Erstunterzeichnern des Genfer Protokolls gehörten 36 Staaten unter anderem Deutschland, Frankreich, Japan und die USA. Das Protokoll trat am 8. Februar 1928 in Kraft. Deutschland ratifizierte es 1929. Bis heute sind dem völkerrechtlichen Vertrag 146 Staaten beigetreten.

Allerdings wies der Vertragstext des Protokolls von Beginn an Schwächen auf. Es waren weder Kontrollmechanismen für dessen Einhaltung noch Strafmaßnahmen für den Fall eines Vertragsbruchs festgelegt. Bei der Ratifizierung machten die meisten Staaten zudem Vorbehalte geltend – gegenüber Staaten, die das Protokoll nicht unterschrieben hatten, sahen sie sich nicht verpflichtet, auf den Einsatz von chemischen Waffen zu verzichten. Einige der Erstunterzeichnerstaaten, darunter die USA, wollten sich den Einsatz bestimmter Giftgase weiter offenhalten und ratifizierten den Vertrag erst in den 1970er Jahren.

Biowaffenkonvention weitet Verbot aus

Die Lücken des Genfer Protokolls wurden erst nach und nach geschlossen. Bereits seit den 1960er-Jahren bemühten sich die Vereinten Nationen um einen Nachfolgevertrag zum Verbot von chemischen und biologischen Waffen. Mitverantwortlich dafür war der Einsatz des chemischen Entlaubungsmittels Interner Link: „Agent Orange“ durch die USA im Vietnamkrieg. Millionen von Vietnamesinnen und Vietnamesen leiden bis heute unter den Spätfolgen, etwa angeborenen körperlichen Beeinträchtigungen.

Die Blockfreien Staaten und die Sowjetunion plädierten dafür, das Verbot von chemischen und biologischen Waffen in einem gemeinsamen Vertrag oder zumindest gleichzeitig zu regeln. Dies lehnten die USA und andere westliche Mächte ab. Insbesondere die USA waren – anders als bei biologischen Kampfstoffen – vom militärischen Nutzen chemischer Waffen überzeugt.

1971 machte die Sowjetunion mit ihrer Zustimmung zu einer Entkopplung des Chemie- und Biowaffenvertrages den Weg für die Externer Link: Biowaffenkonvention frei. Diese trat 1975 in Kraft und wurde bis heute von 189 Staaten ratifiziert. Sie verbietet nicht nur den Einsatz von Biowaffen, sondern auch deren Herstellung, Lagerung, Besitz und Verkauf. Vorhandene Bestände müssen vernichtet werden. Kontrollen und Strafmaßnahmen bei Verstößen sind jedoch nicht vorgesehen. Hinzu kommt, dass die Biowaffenkonvention die Erforschung potenziell waffentauglicher Erreger erlaubt, wenn diese durch „Vorbeugungs-, Schutz- oder sonstige friedliche Zwecke“ gerechtfertigt ist. Auf diese Weise kann an Abwehrmitteln wie zum Beispiel Impfstoffen geforscht werden. Gleichzeitig kann diese Reglung zur Entwicklung von neuen Biowaffen missbraucht werden.

Chemiewaffenkonvention erst nach Ende des Kalten Krieges

Das Ende des Ost-West-Konflikts machte schließlich den Weg für eine eigene Externer Link: Chemiewaffenkonvention frei. Diese wurde 1993 unterzeichnet und trat 1997 in Kraft. 193 Staaten haben sie bis heute ratifiziert. Vier Staaten sind der Konvention bisher nicht beigetreten: Ägypten, Südsudan, Nordkorea sowie Israel, das den Vertrag unterschrieben, aber nicht ratifiziert hat.

Das Abkommen verbietet den Einsatz, die Herstellung, den Besitz und die Weitergabe von Chemiewaffen und verlangt die Vernichtung bestehender Arsenale. Anders als bei der Biowaffenkonvention wurde eine Organisation eingesetzt, die die Umsetzung der Konvention kontrolliert. Die Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (Organisation for the Prohibition of Chemical Weapons, Externer Link: OPCW), erhielt 2013 für ihre Arbeit den Friedensnobelpreis. Zu dieser Zeit überwachte die OPCW neben der Vernichtung der Chemiewaffenbestände aus dem Kalten Krieg auch die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen.

Im Jahr 2023 erklärten die USA als letzter Mitgliedstaat der Chemiewaffenkonvention die vollständige Vernichtung der registrierten Bestände an chemischen Kampfstoffen. Zugleich gilt als wahrscheinlich, dass nicht alle Staaten ihre vollständigen Bestände gemeldet und vernichtet haben.

Giftgaseinsätze im 20. und 21. Jahrhundert

Trotz internationaler Abkommen wurden chemische Kampfstoffe auch im Zweiten Weltkrieg und im Vietnamkrieg eingesetzt. Darüber hinaus gab es eine Vielzahl weiterer Einsätze (Auswahl):

  • Bereits im Jahr 1923 – also noch vor der Unterzeichnung des Genfer Protokolls – setzte die spanische Armee Externer Link: in Nordmarokko während des Rifkrieges Senfgas ein, das von deutschen Chemikern entwickelt worden war. Es war der erste Lufteinsatz eines chemischen Kampfstoffes. Die Senfgaskanister wurden aus Flugzeugen abgeworfen.

  • Italien setzte Ende der 1920er- und Anfang der 1930er-Jahre – also nach Ratifizierung des Genfer Protokolls – Giftgas in Libyen ein, um Widerstand gegen die Kolonialisierung des Gebiets niederzuschlagen.

  • Die Interner Link: Streitkräfte des Mussolini-Regimes setzten ab 1935 Giftgas in Abessinien ein, dem heutigen Äthiopien. Dort führte Italien einen kolonialen Eroberungskrieg.

  • Der Irak ging im Verlauf desInterner Link: Golfkriegs von 1980 bis 1988 mit Giftgas gegen iranische Truppen und später gegen die kurdische Zivilbevölkerung im eigenen Land vor.

  • Im Jahr 2010 soll die Türkei Chemiewaffen gegen PKK-Kämpfer eingesetzt haben.

  • Im Interner Link: syrischen Bürgerkrieg setzten sowohl das Assad-Regime als auch der sogenannte Islamische Staat mehrmals Giftgas ein.

Einsätze chemischer und biologischer Waffen bei Anschlägen

Chemische und biologische Kampfstoffe wurden außerdem mehrmals bei Anschlägen eingesetzt (Auswahl):

  • Giftgasanschlag der Sekte „Aum Shinrikyo“ auf Interner Link: die U-Bahn in Tokio 1995 bei dem 13 Menschen starben und mehr als 6.000 Menschen verletzt wurden.

  • Briefe mit Milzbranderregern sorgten nach den Anschlägen vom 11. September 2001 für Panik in den USA. Diese Briefe wurden vermutlich von einem Militärforscher an mehrere Nachrichtensender und Senatoren verschickt. Fünf Menschen kamen dabei ums Leben.

  • Im Interner Link: afghanischen Bürgerkrieg sollen die Taliban wiederholt Giftanschläge auf Mädchenschulen verübt haben. Mehrere hundert Mädchen klagten über Kopfschmerzen, Schüttelfrost und Übelkeit. Auch im Iran gab es Berichten zufolge 2022 und 2023 Anschläge mit Giftgas auf Mädchenschulen.

  • Im Jahr 2018 kamen der russischstämmige Doppelagent Sergej Skripal und seine Tochter im englischen Salisbury mit dem chemischen Kampfstoff Nowitschok in Kontakt, der über die Haut oder die Atemwege aufgenommen werden und binnen Stunden zum Erstickungstod führen kann. Beide überlebten den Anschlag knapp.

  • Der inzwischen in Lagerhaft verstorbene russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny wurde 2020 Opfer eines Giftgasanschlags mit dem Nervengift Nowitschok. Auch er überlebte den Angriff knapp. Für den Mordversuch machte Nawalny den russischen Präsidenten Wladimir Putin und den russischen Inlandsgeheimdienst verantwortlich.

Chemische Kampfstoffe in Nord- und Ostsee

In den Gewässern von Nord- und Ostsee liegen laut Umweltbundesamt etwa 5.000 Tonnen chemische Kampfstoffe, die unter anderem nach dem Zweiten Weltkrieg im Rahmen der Entwaffnung Deutschlands versenkt wurden. Die Altlasten im Wasser gefährden Mensch und Natur. Da die Hüllen zunehmend rosten, gelangen die giftigen Stoffen ins Meer und es wird schwerer die Kampfstoffe zu bergen.

Auf dem Grund der Meere sind sie auch ein Hindernis für die Schifffahrt sowie den Bau von Offshore-Windanlagen und Seekabeln. Wenn eine Gefährdung für die Schifffahrt besteht, werden Munitionsaltlasten derzeit geborgen. Ist dies nicht möglich, findet eine kontrollierte Sprengung statt, trotz der Gefahr, dass Schadstoffe freigesetzt werden. Im Jahr 2019 hat die Bundesumweltministerkonferenz unter anderem beschlossen, die Daten- und Informationslage zu Munitionsaltlasten in Nord- und Ostsee zu verbessern.

Dieser Text basiert auf dem Hintergrund Aktuell-Artikel vom 15.06.2015 und wurde am 16.06.2025 umfangreich aktualisiert.

Mehr zum Thema

Weitere Inhalte

Weitere Inhalte

Dossier

Der Erste Weltkrieg

Der Erste Weltkrieg gilt als Zäsur des beginnenden 20. Jahrhunderts: Er zerstörte naive Fortschrittshoffnungen, offenbarte die Zerstörungspotentiale der industriellen Moderne und prägte als…

Hintergrund aktuell

Vor 25 Jahren: Verabschiedung der Chemiewaffenkonvention

1992 verabschiedete die Genfer Abrüstungskonvention einen Vertrag über die weltweite Vernichtung aller chemischen Waffen. Der Vertrag verbietet nicht nur den Einsatz von chemischen Waffen, sondern…

sicherheitspolitik.bpb.de

Externer Link: Massenvernichtungswaffen

Eine allgemein anerkannte oder völkerrechtlich verbindliche Definition von Massenvernichtungswaffen gibt es nicht. Hinzu gezählt werden häufig nukleare, chemische und biologische Waffen.

Hintergrund aktuell

Der Friedensnobelpreis 2013

Der Friedensnobelpreis geht in diesem Jahr an die Organisation für das Verbot von Chemiewaffen. Das Nobelpreiskomitee zeichnet die Organisation für ihr Engagement zur Vernichtung von…

Schriftenreihe
5,00 €

The Coming Wave

5,00 €

Wohin führt die jüngste Welle technologischer Entwicklungen im Bereich der KI und der synthetischen Biologie? Mustafa Suleyman gibt Einblicke in die weitreichenden Folgen ihrer Anwendung.

„Hintergrund Aktuell“ ist ein Angebot der Onlineredaktion der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb. Es wird von den Redakteur/-innen und Volontär/-innen der Onlineredaktion der bpb redaktionell verantwortet und seit 2017 zusammen mit dem Südpol-Redaktionsbüro Köster & Vierecke erstellt.

Interner Link: Mehr Informationen zur Redaktion von "Hintergrund aktuell"