Am 24. November 1941 trafen die ersten jüdischen Gefangenen als sogenanntes "Aufbaukommando" in Theresienstadt (heute: Terezín) bei Prag ein.
Theresienstadt als "Altersghetto"
Insgesamt 1.100 bis 1.200 Ghettos entstanden zur Zeit des Nationalsozialismus in den vom Deutschen Reich kontrollierten Gebieten. In ihnen wurden hauptsächlich Jüdinnen und Juden (und teilweise auch Angehörige der Sinti und Roma) gefangen gehalten, zur Zwangsarbeit gezwungen oder warteten auf ihre Deportation in ein Konzentrationslager.
In verschiedener Hinsicht ist Theresienstadt ein ungewöhnliches Ghetto. Auf der Wannsee-Konferenz im Januar 1942, auf welcher der systematisch durchgeführte Völkermord an Jüdinnen und Juden als "Endlösung der Judenfrage" diskutiert wurde, wurde auch eine andere Nutzung für Theresienstadt beschlossen: Interner Link: Der Ort sollte als Ghetto unter anderem für prominente und alte Juden und Jüdinnen propagiert werden. Ihnen wurde suggeriert, Theresienstadt sei ein Kultur- und Vorzeigelager und biete Pflege im Krankheitsfall. Ab Juni 1942 konnten sie so genannte "Heimeinkaufsverträge" abschließen und dafür zahlen, nach "Theresienbad" zu kommen, wie das Ghetto auch zynisch von den Nationalsozialisten bezeichnet wurde. Auch Juden und Jüdinnen, die Träger von hohen Kriegsauszeichnungen oder von Verwundetenabzeichen waren, konnten sich ins Ghetto Theresienstadt einkaufen. Das Ghetto wurde von der SS zudem als "jüdisches Siedlungsgebiet" mit einer "Selbstverwaltung" beworben – letzteres bezog ich auf das Amt des sogenannten "Judenältesten" und den "Ältestenrat", die das Lager unter nationalsozialistischem Befehl zwangsverwalteten.
Grundriss des Ghettos in Theresienstadt (© picture-alliance)
Grundriss des Ghettos in Theresienstadt (© picture-alliance)
Viele jüdische Menschen hatten die Hoffnung, dass sie dort ein besseres Leben haben würden als in anderen Lagern. Stattdessen erwarteten sie im Ghetto überfüllte Unterkünfte und schwierige Lebensbedingungen: Auch der Mangel an Nahrungsmitteln und Medikamenten, die Enge und fehlende Ausstattung der Unterkünfte führten dazu, dass dort im Durchschnitt 100 Menschen am Tag starben. Im September 1942 sollen über 58.000 Gefangene in dem Ghetto gelebt haben.
NS-Propaganda
Nach außen zeichneten die Nationalsozialisten jedoch ein anderes Bild vom Leben in Theresienstadt. Im Ghetto fanden kulturelle Veranstaltungen wie Konzerte und Lesungen statt. Als im Juni 1944 eine Delegation des Internationalen Roten Kreuzes (IRK) erwartet wurde, bereitete die SS das Ghetto sorgfältig vor und präsentierte die Illusion eines weitgehend normalen Lebens. Die Lagerleitung hatte die Fassaden tünchen, fiktive Geschäfte, ein Kaffeehaus und eine Bank anlegen lassen. Die Besucher ließen sich blenden: So zieht der Leiter der Delegation, Maurice Rossel, aus seinem Besuch das Resümee: "Wir werden sagen, dass unser Erstaunen außerordentlich war, im Ghetto eine Stadt zu finden, die fast ein normales Leben lebt; wir haben es schlimmer erwartet."
Wenige Wochen später drehte die SS einen Interner Link: Propagandafilm über das Ghetto Theresienstadt. Er stellt das Lager als einen Ort der Idylle dar: Die Aufnahmen zeigen die Menschen im Lager bei Handwerksarbeiten und verschiedenen Freizeitaktivitäten. Fast alle Frauen, Männer und Kinder, die gezwungen wurden, an dem Film mitzuwirken, wurden danach zusammen mit 18.000 anderen Jüdinnen und Juden nach Auschwitz deportiert.
Befreiung des Ghettos
Anfang Mai 1945, kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs, wurde das Ghetto Theresienstadt für wenige Tage unter den Schutz des Internationalen Roten Kreuzes gestellt. Wenige Tage später übernahm die Rote Armee die Leitung des Lagers.
Zwischen November 1941 und dem Untergang des Interner Link: "Dritten Reichs" 1945 wurden mehr als 140.000 Menschen in Theresienstadt gefangen gehalten und ermordet. 88.000 von ihnen wurden nach Auschwitz und in andere Konzentrationslager deportiert, 33.000 starben im Ghetto. Weniger als 20.000 von ihnen überlebten im Lager die Herrschaft der Nationalsozialisten.
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