Am 23. September ist der Internationale Tag der Gebärdensprachen. Die Vereinten Nationen haben den Tag ins Leben gerufen, um auf die wichtige Bedeutung der Gebärdensprachen für Menschen mit Hörbehinderung sowie auf die Rechte von Gehörlosen aufmerksam zu machen.
Was sind Gebärdensprachen?
Gebärdensprachen sind visuelle Sprachen - das bedeutet, dass sie nicht gehört, sondern gesehen werden. Worte werden mit den Händen gebildet und durch Mimik, Bewegungen des Oberkörpers und die Bewegung des Mundes unterstützt. Gebärdensprachen sind eigenständige Sprachen mit einer eigenen Grammatik und Ausdrucksweise. Für viele Menschen mit Hörbeeinträchtigung sind sie nicht Zweit-, sondern Muttersprache.
Historie und Dialekte
Manche Fachleute gehen davon aus, dass Gesten und Gebärden schon vor der Lautsprache als Kommunikationsform genutzt wurden. Aber auch, dass es unter gehörlosen Menschen schon immer eine Form der Gebärdensprache gegeben haben muss. So formten sich im Laufe der Zeit einfache Gebärden zu einer strukturierten Abfolge, einer Grammatik. Dadurch, dass die gehörlosen Menschen in kleinen Gruppen überall verstreut waren, entwickelten sich unabhängig voneinander unterschiedliche Gebärdensprachsysteme an verschiedenen Orten. In einem spanischen Kloster unterrichtete ein Mönch 1570 erstmals die gehörlosen Kinder der Adeligen mithilfe des Fingeralphabets. Im Jahr 1771 gründete der Geistliche Abbé de L’Epée in Paris die erste Schule für gehörlose Kinder. L’Epée entwickelte für seinen Unterricht ein Zeichensystem, das sich später in ganz Frankreich und Europa verbreitete und als Grundlage für die American Sign Language (ASL) diente. In Deutschland gründete Samuel Heinicke im Jahre 1778 die erste staatliche Gehörlosenschule in Leipzig. Er stand im engen Austausch mit Abbé de L’Epée, setzte aber anders als L’Epée in seiner Didaktik ganz auf die Lautsprache. Erst sein Nachfolger Ernst-Adolf Eschke testete die Gebärdensprache im Unterricht und reformierte das Konzept der Schule. Einen ganz anderen Weg beschloss jedoch wenig später der „Zweite internationale Taubstummen-Lehrer-Kongress“ 1880. Hier erklärten die überwiegend hörenden Delegierten die Gebärdensprache für ungeeignet und legten die Lautsprache als alleinige Unterrichtsmethode für gehörlose Kinder fest. Die betroffenen Kinder waren fortan gezwungen, das Lippenlesen zu erlernen und Sprachübungen zu absolvieren – häufig verbunden mit großem Aufwand und ohne nennenswerte Bildungserfolge. Gehörlose Lehrerinnen und Lehrer, die selbst Gebärdensprache verwendeten, konnten und durften nicht mehr unterrichten. Im Jahr 1884 wurde auch in Deutschland beschlossen, im Unterricht für Gehörlose allein die Lautsprachmethode zu nutzen. Die Entscheidung von Mailand hatte weitreichende Folgen, die bis Mitte des 20. Jahrhundert reichten. Sie führten zu erheblichen Bildungsnachteilen, sozialer Ausgrenzung und einem tiefen Einschnitt in die Gehörlosenkultur.
Erst durch den amerikanischen Linguisten William Stokoe erlangte die Gebärdensprache in den 1960er Jahren wieder größere Bedeutung. Stokoe belegte mit seiner Forschung die linguistische Vollwertigkeit der Amerikanischen Gebärdensprache. Diese Erkenntnisse gelangten auch nach Deutschland und ebnete den Weg dafür, dass die Gebärdensprache nach und nach wieder im Bildungsbereich Einzug hielt. Heute existieren weltweit über 300 verschiedene Gebärdensprachen. Innerhalb der Deutschen Gebärdensprache (DGS) gibt es mehrere regionale Dialekte. 2002 wurde die Deutsche Gebärdensprache durch das Behindertengleichstellungsgesetz als eigene Sprache anerkannt. Seit 2017 haben gehörlose Menschen Anspruch auf bezahlte Dolmetscherdienste in wichtigen Lebensbereichen wie Gerichtsverfahren. Im Jahr 2021 wurde die DGS in das bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes eingetragen.
Zahl der Gehörlosen in Deutschland und weltweit
Der Deutsche Gehörlosen-Bund sowie der Sozialverband VdK schätzen, dass hierzulande rund 80.000 gehörlose Menschen leben. Allerdings gibt es neben tauben Menschen, auch Beeinträchtigte, deren Hörvermögen mehr oder weniger stark eingeschränkt ist. Das Bundessozialministerium geht mit Verweis auf Zahlen des Bundesamts für Statistik von 307.480 Personen mit „Taubheit / Schwerhörigkeit“ für das Jahr 2023 in Deutschland aus. Das entspricht etwa 0,4 Prozent der Bevölkerung. Dies ist jedoch nur der Anteil der aufgrund ihrer Hörbeeinträchtigung offiziell als schwerbehindert anerkannten Personen – die Zahl der Menschen mit weniger stark beeinträchtigtem Gehör oder einer nicht diagnostizierten Hörschwäche ist wahrscheinlich weit höher.
Viele Gehörlose von funktionalem Analphabetismus betroffen
Schreiben und Lesen lernen Kinder meist, indem Laute in ein Schriftsystem übertragen werden – und umgekehrt. Das geschriebene Wort basiert auf der Lautsprache. Deshalb ist der Schriftspracherwerb für Gehörlose mit hohen Hürden verbunden und viele von ihnen sind von
Noch immer viele Barrieren für Gehörlose
Aus Sicht des Deutschen Gehörlosen-Bunds bestehen trotz des eigentlich existierenden Rechtsanspruchs auf Inklusion durch die UN-Behindertenrechtskonvention „in nahezu allen Lebensbereichen“ für Gehörlose nach wie vor „erhebliche Barrieren“ – so etwa in den Bereichen
UN-Behindertenrechtskonvention und Behindertengleichstellungsgesetz
Mit der
Gebärdensprache in den visuellen Medien
Das Internet als Ort, der Kommunikation und Information auch unabhängig von Sprache und Hörvermögen ermöglicht, stellt viele Werkzeuge zur Verfügung, die den Alltag von Gehörlosen erleichtern können. Andreas Bittner ist Dozent am Deaf-Studies-Lehrstuhl der Humboldt-Universität in Berlin und erklärt, dass „das Internet Gehörlosen eine stärkere Individualisierung ermöglicht und somit auch Unabhängigkeit schafft.“ Es gibt Video-Telefonie, kulturelle Angebote wie Deaf Poetry Slams oder Online-Museumsführungen und Streams mit Gebärdensprachenübersetzung. Trotz vieler Entwicklungen auf diesem Gebiet und dem Aufstieg von visuellen Plattformen wie TikTok und Instagram, ist das Netz noch kein barrierefreier Ort. Laut einer Studie der Rheinischen Fachhochschule Köln fühlen sich 76 Prozent der Gehörlosen eingeschränkt, wenn es um audiobasierte Inhalte im Netz geht, da diese nicht überall mit Untertiteln, bzw. Gebärdenübersetzung verfügbar sind. Zudem bilden sich analog wie online getrennte Kommunikationswelten, die Gehörlose und Hörende voneinander abgrenzen.