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Vorgezogene Parlamentswahl in den Niederlanden

Redaktion

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Am 29. Oktober wurde in den Niederlanden ein neues Parlament gewählt. Für eine Überraschung sorgte das starke Abschneiden der sozial-liberalen Partei D66. Doch die Regierungsbildung wird schwierig.

Wahlplakate auf dem Lange Vijverberg, ein Hofteich im Zentrum von Den Haag, im Vorfeld der bevorstehenden Parlamentswahl in den Niederlanden. (© picture-alliance, ANP | Remko de Waal)

Hinweis

Der Text wurde am 28.10.2025 veröffentlicht und am 03.11.2025 aktualisiert.

Am 29. Oktober wurde in den Niederlanden ein neues Parlament gewählt. Über das gesamte Parteienspektrum gab es erhebliche Verschiebungen des Wählerzuspruchs. Die sozial-liberalen Democraten 66 (D66) kommen nach Auszählung fast aller Stimmen auf 26 Sitze im Parlament. Sie können die Zahl ihrer Mandate demnach im Vergleich zur Wahl vor knapp zwei Jahren mit damals neun Sitzen beinahe verdreifachen. Gleichauf mit D66 liegt bei der Zahl der Mandate mit 26 Sitzen die Partei für die Freiheit (Partij voor de Vrijheid, PVV) von Geert Wilders. Sie verliert den vorläufigen Zahlen zufolge elf Mandate im Vergleich zu 2023. Noch vor wenigen Wochen hatten die Demoskopen damit gerechnet, dass die die Interner Link: rechtspopulistische bis rechtsradikale Partei mit Abstand stärkste Kraft werden könnte.

Auf 22 Mandate und damit zwei weniger als noch 2023 kommt den Angaben zufolge die liberal-konservative Volkspartei für Freiheit und Demokratie (Volkspartij voor Vrijheid en Democratie, VVD). Die bislang stärkste Oppositionskraft, das Bündnis PvdA/GL, verliert Stimmen: Das aus der sozialdemokratischen „Partei der Arbeit“ und der „GrünLinks“-Partei bestehende Bündnis kommt laut den vorläufigen Zahlen auf 20 Mandate. Wie bereits 2023 (25 Sitze) traten sie mit einer gemeinsamen Liste an.

Ein weiterer Gewinner der Wahl ist der Christlich-Demokratische Aufruf (Christen-Democratisch Appèl, CDA). Voraussichtlich 18 Abgeordnete der Partei und damit 13 mehr als noch vor zwei Jahren werden ins Parlament einziehen. Einen massiven Zuwachs verzeichnete auch die rechtskonservative Partei JA21: Sie wird diesmal wohl neun statt wie noch 2023 nur einen Sitz im Parlament besetzen. Insgesamt haben nach Auszählung fast aller Stimmen 15 Parteien den Einzug in das niederländische Unterhaus geschafft – darunter auch die BauerBürgerBewegung BBB. Die Regierungsbeteiligung scheint der noch relativ jungen Partei geschadet zu haben. Sie verlor drei ihrer 2023 noch sieben Sitze. Die erst 2023 gegründete Mitte-Rechts-Partei NSC (Nieuw Sociaal Contract), die sich selbst als Anti-Establishment-Partei versteht, verliert derweil offenbar sämtliche ihrer 20 Sitze.

Zersplittertes Parteiensystem

Auch bei der Wahl 2023 hatten 15 Parteien den Einzug ins Parlament geschafft, 2021 waren es 17. Die Zersplitterung des Parteiensystems ist in der äußerst niedrigen Zugangshürde begründet. Auch dieses Mal dürften Mehrheitsbildungen schwierig werden, ein erneutes Vierer-Bündnis könnte die Wahrscheinlichkeit für politisch instabile Verhältnisse erhöhen. Das Mitte-Links-Lager versuchte daher im Wahlkampf zu punkten, indem es den Wählern mehr Stabilität versprach.

Die vorgezogene Parlamentswahl am 29. Oktober war notwendig geworden, weil die bisherige Regierung Anfang Juni ihre Mehrheit verloren hatte. Aus den Interner Link: Wahlen im November 2023 war Wilders' PVV als stärkste Kraft hervorgegangen. Nach über einem halben Jahr andauernder Verhandlungen hatte sich die PVV mit drei anderen Parteien auf ein gemeinsames Regierungsbündnis geeinigt: Mit der VVD, der NSC und der BBB nahm die Koalition am 2. Juli 2024 ihre Arbeit auf.

Premierminister des Mitte-Rechts-Regierungsbündnisses wurde Dick Schoof. Der parteilose, ehemalige Chef des Geheimdienstes folgte auf den zuvor knapp 13 Jahre als Regierungschef amtierenden Mark Rutte von der VVD. Sowohl VVD als auch NSC hatten darauf bestanden, dass keinesfalls der PVV-Vorsitzende Geert Wilders Regierungschef würde. Dieser ist u.a. wegen seiner fremdenfeindlichen Äußerungen äußerst umstritten. Nach einem für die Koalitionspartner nicht annehmbaren 10-Punkte-Plan zur Migrationspolitik von Wilders, verließ dieser im Juni dieses Jahres die Regierungskoalition. Ende August verließ dann auch die Partei NSC die Koalition, nachdem sie keine Unterstützung für schärfere Sanktionen gegen Israel erhalten hatte. Mit der übrig gebliebenen VVD und der BBB wäre die Fortführung einer Minderheitsregierung zwar grundsätzlich möglich, diese aber kaum handlungsfähig gewesen.

So wird in den Niederlanden gewählt

Die Interner Link: Niederlande sind eine konstitutionelle Monarchie mit parlamentarischem Regierungssystem. Das Parlament des Landes besteht aus zwei Kammern mit Sitz in Den Haag. Die erste Kammer ist eine Länderkammer, bedingt vergleichbar mit dem Bundesrat. Deren 75 Mitglieder werden nicht direkt vom Volk gewählt, sondern von den Parlamenten der zwölf niederländischen Provinzen bestimmt. Die Zweite Kammer mit 150 Sitzen wird alle vier Jahre vom Volk gewählt. Wahlberechtigt sind alle niederländischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, die zum Wahltag mindestens 18 Jahre alt sind. Die Zweite Kammer verfügt über die Gesetzgebungsbefugnis. Die Erste Kammer muss die Gesetze bestätigen.

Gewählt wird die Zweite Kammer nach dem Interner Link: Verhältniswahlrecht. Jede und jeder Wahlberechtigte hat eine Stimme, die für einen Kandidaten oder eine Kandidatin abgegeben wird. Die Listen der 19 Wahlkreise können sich unterscheiden, sind aber oft deckungsgleich. Die Sitze werden nach dem Interner Link: Proporz der landesweit erzielten Stimmergebnisse verteilt. Formell gibt es eine Sperrklausel. Die Hürde für den Einzug ins Parlament liegt allerdings lediglich bei einem Sitz, also 0,67 Prozent der gültigen Stimmen. Diese niedrige Sperrklausel führte zuletzt mehrfach zu einer starken Zersplitterung des Parlaments.

Eine Besonderheit des politischen Systems der Niederlande ist die Unvereinbarkeit von Abgeordnetenmandat und Regierungsamt, das heißt Parlamentsabgeordnete, die ein Regierungsamt bekleiden wollen, müssen vor ihrer Ernennung ihr Mandat niederlegen. Es soll die Unabhängigkeit des Parlaments stärken.

Das waren die zentralen Themen im Wahlkampf

Der Wahlkampf in den Interner Link: Niederlanden drehte sich im Wesentlichen um eine Handvoll Themen. Angesichts der zuletzt massiv angestiegenen Immobilienpreise und Mieten – von denen insbesondere junge Menschen und Menschen mit niedrigem Einkommen betroffen sind –, gehörte der schwierige Wohnungsmarkt zu einem zentralen Wahlkampfthema. Das Bündnis PvdA/GL etwa will den staatlichen Wohnungsbau ankurbeln und den Anstieg der Mieten bremsen. Auch der CDA setzte auf Staatsgelder beim Wohnungsbau. Die seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine stark gestiegenen Lebenshaltungskosten waren ein weiteres Wahlkampfthema, ebenso die Zukunft des Sozialstaats, für den mehr Geld für den Ausbau der Öffentlichen Daseinsvorsorge sowie der Infrastruktur gefordert wurde.

Ein zentrales und zugleich polarisierendes Thema blieb die Migrations- und Asylpolitik. Schon die Vorgängerregierung wollte die Asyl- und Zuwanderungszahlen stärker reduzieren. „Wegen der Emotionalität ist hier der Mobilisierungsfaktor wohl am größten“, so Daniel Mügge, Professor mit dem Schwerpunkt Politische Ökonomie an der Universität von Amsterdam. Im Wahlkampf der liberal-konservativen, rechtskonservativen und rechten Parteien spielte das Thema die entscheidende Rolle. Die PVV warb damit, die Migration massiv zu begrenzen, Flüchtlinge sollen an der Grenze zurückgewiesen werden. Im Vergleich zu den Vorjahren ging die Zahl der Asylsuchenden in den Niederlanden 2025 bislang zwar insgesamt zurück, die Parteien stritten im Wahlkampf aber auch über die richtigen Konzepte bei der Integration der bereits im Land lebenden Geflüchteten. Vor allem die Unterbringung und Verteilung von Asylsuchenden galt hier als Problem. Parteien im rechten Spektrum setzten in diesem Zusammenhang auch auf das Thema der Sicherheitslage in den Niederlanden. Auch wenn die Kriminalitätsrate weit geringer ist als noch in den 2000er- oder 2010er-Jahren, ging Mügge vor der Wahl davon aus, dass das Thema Wähler mobilisieren könnte.

Wie in anderen europäischen Staaten spielte auch der russische Angriff auf die Ukraine 2022 und die damit zusammenhängende Finanzierung der Interner Link: NATO-Verteidigungsausgaben eine Rolle. Ein NATO-Austritt ist bei den großen Parteien kein Thema, der Großteil will auch an den Militärhilfen für die Ukraine festhalten. Ein weiteres Thema in der öffentlichen Debatte war der Nahost-Konflikt. Zuletzt gingen viele Menschen für einen dauerhaften Frieden in Palästina und einen härteren Kurs gegenüber Israel auf die Straße. Das Thema sei nicht wahlentscheidend, helfe der politischen Linken aber bei der Mobilisierung ihrer Anhängerschaft, so die Einschätzung Mügges.

Wie geht es nach der Wahl weiter?

Die Koalitionsbildung dürfte grundsätzlich schwierig werden. Ein Mitte-Rechts-Bündnis aus PVV, VVD, CD, JA21 und BBB hätte zwar theoretisch eine Mehrheit im Parlament. Doch eine Koalition aus PVV und VVD ist derzeit kaum vorstellbar, da die VVD eine erneute Zusammenarbeit mit der PVV im Vorfeld ausschloss. Auch diverse andere Parteien wollen kein Bündnis mit Wilders eingehen. Möglich wäre eine Koalition von Mitte-Rechts- bis Mitte-Links-Parteien. Rechnerisch hätte aktuell eine Koalition aus D66, VVD, GL/PvdA sowie CDA mit weit mehr als 80 Mandaten eine komfortable Mehrheit. Der D66-Vorsitzende und frühere Vize-Premier Rob Jetten hat nach Ansicht von Beobachtern gute Chancen, künftiger Premierminister der Niederlande zu werden. Schließlich ist D66 stärkste Partei in einem möglichen lagerübergreifenden Bündnis ohne die PVV.

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