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Die Verträge von Locarno | Hintergrund aktuell | bpb.de

Die Verträge von Locarno

Redaktion

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Am 1. Dezember 1925 wurden in London die Verträge von Locarno unterzeichnet. Doch die mit ihnen verbundene Hoffnung auf eine dauerhafte europäische Friedensordnung währte nur kurz.

Unterzeichnung der Locarno-Verträge im Großen Sitzungssaal des britischen Außenministeriums am 1. Dezember 1925. Reichskanzler Hans Luther unterzeichnet, links von ihm steht Sir Cecil Hurst, daneben am Tisch der deutsche Außenminister Gustav Stresemann. (© picture-alliance, / SZ Photo | Scherl)

Unter dem Eindruck des Interner Link: Ersten Weltkriegs und dessen Folgen trafen sich Regierungschefs und Außenminister mehrerer europäischer Länder im Oktober 1925 in der Schweizer Stadt Locarno. Ihr Ziel war es, gemeinsame Abkommen zur Stabilisierung des Friedens in Europa zu schließen. Das Ergebnis der Konferenz hielten die Vertreter der teilnehmenden Staaten – das Deutsche Reich, Frankreich, Großbritannien, Belgien, Italien, Polen und die damalige Tschechoslowakei – in sieben Verträgen fest. Diese völkerrechtlichen Vereinbarungen wurden am 1. Dezember 1925 in London unterzeichnet.

Die Vorgeschichte

Nach dem ersten Weltkrieg erlitt das Deutsche Reich erhebliche Gebietsverluste und musste hohe Reparationszahlungen leisten. Vom neu gegründeten Völkerbund war es zunächst ausgeschlossen. Die junge Weimarer Republik war zunächst wirtschaftlich geschwächt, innenpolitisch instabil und außenpolitisch isoliert.

Die Unterzeichnung des Interner Link: Vertrags von Rapallo 1922 markierte einen ersten Schritt aus der Isolation. Der Vertrag zwischen Deutschland und der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik stellte die diplomatischen Beziehungen wieder her und sah einen beidseitigen Verzicht auf Kriegsentschädigungen vor. Für Frankreich und Großbritannien signalisierte das deutsch-russische Abkommen eine potenzielle Abkehr von der Versailler Ordnung. Das Verhältnis zwischen den Westmächten und der Weimarer Republik verschlechterte sich daraufhin.

Als Deutschland Ende 1922 mit seinen Reparationszahlungen in Rückstand geriet, marschierten im Januar 1923 französische und belgische Truppen ins Ruhrgebiet ein. Die deutsche Bevölkerung reagierte mit passivem Widerstand, indem sie u. a. die Arbeit niederlegte. Die Besatzungsmächte antworteten mit rigorosen Maßnahmen wie Betriebsstilllegungen und Ausweisung von Beamten. Die daraus resultierenden Probleme belasteten die deutsche Wirtschaft erheblich, führten zu Versorgungsengpässen und stürzten Deutschland in eine Hyperinflation.

Stresemanns Außenpolitik

Im August 1923 übernahm Interner Link: Gustav Stresemann sowohl das Amt des Reichskanzlers als auch das des Außenministers der Weimarer Republik. Die französische Regierung verweigerte jegliche Verhandlungen, solange der passive Widerstand andauerte. Am 26. September 1923 brach Stresemann deshalb den passiven Widerstand ab. Interner Link: Der Historiker Andreas Rödder beschreibt dies als „zweite deutsche Kapitulation vor Frankreich innerhalb von fünf Jahren“. 1924 legte der spätere US-Vizepräsident Charles G. Dawes schließlich einen Finanzierungsplan vor, der darauf ausgerichtet war, die ökonomische Leistungsfähigkeit Deutschlands durch die Versailles-Verpflichtungen nicht zu überlasten.

Das Inkrafttreten des Plans, die dadurch weitgehend erfüllten wirtschaftlichen Forderungen Frankreichs und die erweiterten Handlungsspielräume der deutschen Regierung führten zu einer Verbesserung des internationalen politischen Klimas. Im Januar und Februar 1925 begann der deutsche Außenminister Gustav Stresemann geheime Verhandlungen mit Großbritannien und Frankreich über die Möglichkeit eines Sicherheitspaktes.

Die Verträge

Kernstück der Locarno-Verträge war der zwischen Deutschland, Belgien, Frankreich, Großbritannien und Italien geschlossene gegenseitige Externer Link: Garantievertrag. Darin verpflichteten sich Deutschland, Belgien und Frankreich zur Anerkennung der im Vertrag von Versailles festgelegten deutschen Westgrenzen und zur friedlichen Streitbeilegung. Deutschland erkannte zudem die Entmilitarisierung des Rheinlandes an. Großbritannien und Italien übernahmen Sicherheits- und Verteidigungsgarantien für den Fall einer Vertragsverletzung oder eines Angriffs. Der Garantievertrag wurde durch bilaterale Schiedsverträge ergänzt, die Deutschland jeweils mit Externer Link: Belgien, Externer Link: Frankreich, Externer Link: Polen und der Externer Link: Tschechoslowakei abgeschlossen hat. Diese Verträge verpflichteten die beteiligten Staaten, sich im Falle diplomatisch nicht beizulegender Streitigkeiten dem Spruch eines Schiedsgerichts oder des Ständigen Internationalen Gerichtshofs zu unterwerfen. Am selben Tag wurden darüber hinaus bilaterale Garantieverträge zwischen Frankreich und Polen sowie zwischen Frankreich und der Tschechoslowakei unterschrieben. Diese zwei Verträge wurden zwar nicht als Anlagen dem Schlussprotokoll beigefügt, aber in ihm erwähnt, sodass sie ebenfalls zu den Locarno-Verträgen gezählt werden können.

Kein „Ostlocarno“

Deutschland erkannte zwar die bestehende Westgrenze an, behielt sich aber die Möglichkeit einer Revision der Ostgrenze vor. Mit dem Versailler Vertrag hatte das Deutsche Reich große Gebiete im Osten vor allem an Polen abtreten müssen. Schiedsverträge Deutschlands mit Polen und der Tschechoslowakei sahen allerdings vor, dass Streitigkeiten zu Grenzfragen zwischen den Ländern durch eine internationale Kommission geklärt werden sollten, deren Bildung in den Verträgen festgelegt wurde.

Innenpolitik und internationale Beziehungen nach Locarno

Die in Locarno erzielten Ergebnisse wurden sowohl von nationalkonservativen und rechtsradikalen als auch von linken politischen Kräften der Weimarer Republik kritisiert: Während die NSDAP und die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) die Verträge wegen der territorialen Zugeständnisse im Westen ablehnten, befürchtete die KPD, die Verträge könnten dazu führen, dass das Deutsche Reich mit den westlichen Staaten eine Front gegen die sozialistische Sowjetunion bilden würde. Erst nachdem die DNVP die damalige Regierung unter Reichskanzler Hans Luther (1925-1926) verlassen hatte, wurden die Verträge mit Hilfe der oppositionellen SPD im Reichstag ratifiziert.

Außenpolitisch war Locarno für Deutschland ein großer Erfolg. Nicht nur wurde das Reich 1926 in den Interner Link: Völkerbund aufgenommen, auf der Basis der Verträge kam es in der Folge auch zu einer weiteren Verbesserung des deutsch-französischen Verhältnisses. Der französische Außenminister Aristide Briand und Stresemann wurden 1926 für ihre Entspannungspolitik mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Aufgrund der Annäherungspolitik endete am 30. Juni 1930 die Interner Link: Besetzung des Rheinlands. Nicht zuletzt zu verdanken hatte Deutschland diese positive Entwicklung seiner wirtschaftlichen Stabilisierung, die durch den Dawes-Plan möglich geworden war. Dies wirkte sich auch positiv auf die bilateralen Beziehungen mit den USA aus, mit deren Unterstützung 1932 bei der Externer Link: Konferenz von Lausanne auch ein Ende der Reparationszahlungen erreicht werden konnte.

Der Anfang vom Ende – Die Nazis besetzen das Rheinland

Interner Link: Die Hoffnungen auf dauerhaften Frieden und auf Verständigung in Europa, die durch Locarno geweckt wurden, endeten spätestens am 7. März 1936, als Adolf Hitler das entmilitarisierte Rheinland besetzen ließ. Damit brach das Deutsche Reich sowohl den Versailler-Vertrag als auch die Locarno-Verträge. Hitler rechtfertigte den Bruch mit Verweis auf das deutsche Selbstbestimmungsrecht und auf den sowjetisch-französische Beistandspakt, der am 27. Februar 1936 ratifiziert worden war. Frankreich, Großbritannien und die anderen Weltmächte kritisierten die Besetzung, griffen aber nicht militärisch ein. Die vor allem von Frankreich und Großbritannien gegenüber dem nationalsozialistischen Deutschen Reich verfolgte „Interner Link: Appeasement“-Politik war spätestens mit dem von Adolf Hitler am 15. März 1938 erklärten „Interner Link: Anschluss Österreichs“, dem Interner Link: Einmarsch deutscher Truppen in Tschechien am 15. März 1939 und dem Interner Link: Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen am 1. September 1939 endgültig gescheitert.

Was bleibt von „Locarno“?

Über die zu ihrer Zeit als epochal wahrgenommene historische Bedeutung der Verträge von Locarno gehen die Meinungen auseinander. So wird der „Geist von Locarno“ auch heute noch als Beispiel für eine versöhnungsbereite Diplomatie gepriesen, die mit ihrem Fokus auf Zusammenarbeit und gegenseitiges Vertrauen, wie es der Historiker Ewald Grothe in einem Interview formuliert hat, als „geradezu symbolhaft für eine internationale Verständigungspolitik“ gesehen werden kann. Auch waren die Verträge Grundlage für den Interner Link: Briand-Kellogg-Pakt von 1928, der den Krieg als Mittel der Politik ächten sollte. Kritikerinnen und Kritiker verweisen indessen darauf, dass die Locarno-Verträge die grundsätzlichen Differenzen in Sachen Reparationen und territoriale Fragen nicht beseitigten.

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