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Vor 100 Jahren: Unterzeichnung des Vertrags von Rapallo

Redaktion

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Am 16. April 1922 unterzeichneten Vertreter des Deutschen Reichs und der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik in der italienischen Stadt Rapallo einen Vertrag zur Aufnahme wirtschaftlicher und diplomatischer Beziehungen.

Vertrag v. Rapallo/dt.-sowj.Unterhändler. Vertrag von Rapallo zur Regelung der dt.-russ. Beziehungen, 16. April 1922. - Reichskanzler Joseph Wirth (Mitte, im Profil), der sowjetische Volkskommissar für Außenhandel Krassin (3.v.r) und der Volkskommissar des Äußeren Tschitscherin (2.v.r.), während der Konferenz. Foto, 16. April 1922. (© picture-alliance, akg-images)

Am 16. April 1922 unterzeichneten Vertreter des Deutschen Reichs und der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik den sogenannten Externer Link: Vertrag von Rapallo. Zuvor hatten Delegationen beider Länder am Rande einer Weltwirtschaftskonferenz über dessen Inhalt verhandelt. Der Vertrag sah den gegenseitigen Verzicht auf Reparationszahlungen in Folge des Interner Link: Ersten Weltkriegs vor. Russland nahm dadurch das in Externer Link: Artikel 116 des Versailler Vertrags festgeschriebene Anrecht, von Deutschland die Erstattung von Kriegsschäden einzufordern, nicht in Anspruch. Im Gegenzug verzichtete das Deutsche Reich auf alle Ansprüche für deutsches Eigentum, dass in Russland von Verstaatlichungen betroffen war.

Wirtschaftliche und diplomatische Zusammenarbeit

Zudem einigten sich die Vertragspartner in dem Externer Link: Dokument auf die sofortige Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen, welche 1918 abgebrochen worden waren. Beide Seiten vereinbarten in dem vom deutschen Außenminister Walther Rathenau und seinem sowjetischen Kollegen Georgi Tschitscherin unterzeichneten Schriftstück außerdem, ihre Handelsbeziehungen auszubauen. "Die beiden Regierungen werden den wirtschaftlichen Beziehungen der beiden Länder in wohlwollendem Geiste entgegenkommen", heißt es in Artikel 5. Eine ökonomische Zusammenarbeit war für das Deutsche Reich wichtig, weil verschiedene westliche Staaten, deutsche Waren nach dem Ersten Weltkrieg boykottierten. Das Deutsche Reich unterstützte Russland in der Folge bei der Errichtung von Industrieanlagen für die Ölproduktion, um so unabhängiger von westlichen Rohstoffimporten zu werden.

Teilansicht der deutschsprachigen Kopie des "Vertrages von Rapallo", unterzeichnet von dem damaligen deutschen Außenminister Walter Rathenau (r) und dem sowjetrussischen Außenminister Georgi Tschitscherin (l). Bild vom 22.04.2016. Die Kopie des Vertrages hängt in dem damaligen Verhandlungssaal im Imperiale Palace Hotel in Santa Margherita (Italien). Der deutsch- russische Freundschaftsvertrag wurde am 16. April 1922 im Imperiale Palace Hotel in Santa Margherita bei Rapallo (Italien) unterzeichnet. (© picture-alliance, Rolf Haid)

Offiziell sah der Vertrag von Rapallo keine militärische Zusammenarbeit vor, de facto intensivierte sich die Kooperation beider Staaten auf diesem Gebiet jedoch. In Artikel 5 heißt es: Externer Link: "Die deutsche Regierung erklärt sich bereit, die ihr neuerdings mitgeteilten, von Privatfirmen beabsichtigten Vereinbarungen zu unterstützen und ihre Durchführung zu erleichtern."

Schritt aus der internationalen Isolation

Der Vertrag zielte auf die Normalisierung der deutsch-russischen Beziehungen und war für die beiden Länder ein großer Schritt, sich aus ihrer internationalen Isolation zu befreien. Deutschland war nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg international geächtet. Der Interner Link: Versailler Vertrag war für die junge Interner Link: Weimarer Republik eine große Bürde. Das Land hatte Gebietsverluste zu verzeichnen, musste die alleinige Kriegsschuld anerkennen, seine Armee massiv verkleinern, Teile des deutschen Staatsgebiets waren besetzt. Zudem musste das Deutsche Reich hohe Reparationszahlungen an die Westalliierten leisten.

Die internationale Staatengemeinschaft grenzte Russland wiederum aufgrund der Interner Link: Russischen Revolution von 1917 aus. Daher lag eine Zusammenarbeit der zwei Staaten im beiderseitigen Interesse.

Teile der politischen Rechten in Deutschland waren indes gegen den Vertrag von Rapallo, da sie grundsätzlich eine Zusammenarbeit mit "Bolschewisten“ aus ideologischen Gründen ablehnten.

Reaktion der Westmächte

Aus Sicht Frankeichs und Großbritanniens drohte mit dem Abkommen eine Abkehr von der Versailler Nachkriegsordnung. Die Westmächte fürchteten, dass sich das Deutsche Reich aus seiner Abhängigkeit lösen könne und eine erneute Aufteilung Polens anstrebe.

Einerseits war der Vertrag von Rapallo für das Deutsche Reich ein erster Schritt aus der internationalen Isolation, andererseits verschlechterte sich dadurch das Verhältnis zu den Westmächten zunächst weiter. 1923 besetzten französische und belgische Truppen das Ruhrgebiet, nachdem Deutschland mit Reparationszahlungen in Rückstand geraten war.

Konferenz von London 1924

Der deutsche Außenminister Gustav Stresemann setze ab 1923 die Politik zur Überwindung der internationalen Isolation des Deutschen Reichs weiter fort. Ein wichtiges Ziel des DVP-Politikers war es, auf friedlichem Weg eine Revision des Interner Link: Versailler Vertrags und der Ostgrenze zu erreichen. Bei der Londoner Konferenz im August 1924 gelang es ihm mit Unterstützung Interner Link: der USA auf der Grundlage des sogenannten "Externer Link: Dawes-Plans" eine Neuregelung der Reparationen durchzusetzen. Die Zahlungen sollten fortan von der wirtschaftlichen Lage Deutschlands abhängig gemacht werden. In der Folge verbesserte sich auch das Verhältnis zu Frankreich, insbesondere, nachdem der auf Aussöhnung setzende Aristide Briand 1925 französischer Außenminister wurde.

Locarno-Verträge 1925 und Beitritt zum Völkerbund

Die Rückkehr Deutschlands auf das internationale Parkett gelang Stresemann mit der Unterzeichnung der Interner Link: Verträge von Locarno im Jahr 1925. Vertreter Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens, Belgiens, Italiens, Polens und der Tschechoslowakei einigten sich auf diverse Abkommen, die ein europäisches Sicherheits- und Friedenssystem begründen sollten. Frankreich, Belgien und Deutschland versicherten schriftlich, künftig auf gewaltsame Veränderung ihrer Grenzen zu verzichten. Deutschland lehnte zwar weiterhin eine Anerkennung der Grenze zu Polen ab, erkannte jedoch die im Versailler Vertrag festgelegte Westgrenze ebenso wie die Entmilitarisierung des Rheinlands an. In Locarno wurde auch der Beitritt zum Interner Link: Völkerbund beschlossen, der im September 1926 vollzogen wurde.

Die Locarno-Verträge stießen wegen der Anerkennung der Westgrenze bei weiten Teilen der politischen Rechten in Deutschland auf Ablehnung. Auch die deutschen Kommunisten machten gegen die Verträge mobil, weil sie darin ein Bündnis gegen die Sowjetunion sahen. Deutschland setzte aber mit dem im April 1926 geschlossenen "Externer Link: Berliner Vertrag" seine Politik der Annäherung gegenüber der Sowjetunion fort: Der deutsch-sowjetische Freundschaftsvertrag, der in Artikel 1 den Vertrag von Rapallo als Grundlage ihrer Beziehungen bekräftigte, sah die gegenseitige Neutralität für den Fall vor, dass einer der beiden Staaten angegriffen würde.

Ende der Reparationszahlungen 1932

Auf der Basis des Dawes-Plans und der Locarno-Verträge kam es in der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre zu einer weiteren Verbesserung des deutsch-französischen sowie des deutsch-amerikanischen Verhältnisses. Aufgrund der Annäherungspolitik endete am 30. Juni 1930 die Interner Link: Besetzung des Rheinlands. Bei Externer Link: der Konferenz von Lausanne im Juli 1932 erreichte die Reichsregierung mit Unterstützung der USA schließlich ein Ende der Reparationszahlungen.

Mehr zum Thema:

Interner Link: Reinhard Sturm: Kampf um die Republik 1919–1923

Interner Link: Dossier: Der Erste Weltkrieg

Interner Link: Dossier: Weimarer Republik

Interner Link: Versailler Vertrag (Das Politiklexikon)

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