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TikTok im Überblick | Lernen mit – und über – TikTok | bpb.de

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TikTok im Überblick

Marcus Bösch

/ 6 Minuten zu lesen

(© picture-alliance, Xinhua News Agency | Liu Jie)

Am 8. April 2021 wird ein Video auf der Plattform TikTok hochgeladen. Die 30-sekündige Produktion wird in den kommenden zwei Jahren über 243 Millionen mal angeschaut. Zu sehen ist ein Glas auf einem Tisch und zwei Kabelbinder. Zwei Hände befestigen die Kabelbinder oben und unten am Glas. Ergänzend wird ein dritter Kabelbinder hinzugefügt, der nun eine Art Henkel bildet. Eine nicht abgebildete Person schenkt eine Dose Cola in das Glas und hebt dieses mit Hilfe des selbstgebastelten Plastikhenkels. Dazu läuft der 2021 veröffentlichte Song „Memories“ der Band Maroon 5. Umschnitt bei Sekunde zehn. Ein junger Mann sitzt in einer Küche an einem Tisch und schaut in die Kamera. Wortlos und ohne Musik im Hintergrund beginnt er Wasser aus einer Plastikflasche in ein Glas zu füllen. Er stellt die Flasche zurück, schaut in die Kamera, hebt seine Hand und führt sie zum Glas und umschließt dieses. Er trinkt aus dem Glas, setzt das Glas ab und deutet noch mal auf seine Hand und umschließt das Glas erneut. Sein Gesichtsausdruck teilt uns nonverbal mit: Ist das echt euer Ernst? Ihr habt eine Hand, benutzt sie doch einfach zum Umschließen und Heben eines Glases! Muss ich Euch das erklären?

TikTok-Account von Kabhane Lame. (© Externer Link: khaby.lame. (Zuletzt abgerufen am 23.06.2023).)

Der junge Mann heißt Khaby Lame. Der aus dem Senegal stammende Lame hat Mitte 2020 begonnen Videos bei TikTok zu posten, nachdem er seinen Job in einer Fabrik in der Nähe von Turin verloren hat. Khaby Lame ist die Person mit den meisten Follower/-innen auf TikTok. Seinen Kanal haben über 157 Millionen Menschen abonniert. Seine Videos wurden über 2,3 Milliarden Mal geliket. Ein Like (auf deutsch „Gefällt mir“) ist eine Möglichkeit für Nutzer/-innen, ihre Wertschätzung für ein Video durch das Antippen eines Herzsymbols auszudrücken. Als Währung auf der Plattform sind sie noch wichtiger als Follower/-innen. Lames Videos sind ein guter Einstieg in die Welt von TikTok. Auf den ersten Blick banal, beinhalten sie doch ein „komplexes Geflecht von Internetpraktiken“ die im vorliegenden Dossier näher beleuchtet werden sollen. Durch die überraschende ironische Gegenüberstellung von vermeintlichen Lebenshilfevideos und dem „gesunden Menschenverstand“ liefert Lame nicht nur ein kurzweiliges Video aus dem endlosen Strom von TikTok Videos, er bietet einen Kommentar gleich mit an – wortlos und damit über Länder- und Sprachgrenzen universal verständlich.

TikTok hat sich in den vergangenen Jahren zu einer der beliebtesten Plattformen der Welt entwickelt. Die Zahlen rund um die App des chinesischen Unternehmens ByteDance sind imposant: Die App TikTok wurde mehr als drei Milliarden Mal heruntergeladen, sie hat über eine Milliarde monatlich aktiver Nutzer/-innen . In Europa sind zwischen 100 und 150 Millionen Menschen auf der Plattform aktiv. In Deutschland nutzen TikTok nach jüngsten Zahlen monatlich über 19 Millionen User/-innen, meist Jugendliche und junge Erwachsene bis etwa 25 Jahre . Diese verbringen auf TikTok mehr Zeit als auf anderen Plattformen. Die durchschnittliche tägliche Nutzungsdauer beträgt 95 Minuten . Laut SensorTower ist das mehr als das Vierfache der durchschnittlichen Verweildauer auf Snapchat, diese beträgt 21 Minuten, mehr als das Dreifache der Zeit, die auf Twitter verbracht wurde (29 Minuten), und fast doppelt so viel wie auf Facebook (49 Minuten) und Instagram (51 Minuten). Die kostenlose App enthält viele Funktionen, die verschiedenen Plattformen gemeinsam sind, wie z. B. Benutzerprofile, Kommentare und den „Gefällt mir“ Knopf . Gleichzeitig gibt es auf anderen Apps aufbauende Merkmale wie den starken Fokus auf Sound, eine algorithmische Kuratierung der Inhalte und die Möglichkeit zum Weiterverwenden fremder Inhalte die TikTok zu einer einzigartigen und inzwischen von anderen Unternehmen unter anderem von Instagram (Reels) und YouTube (Shorts) häufig kopierten Medienumgebung machen.

Gegründet wurde TikTok von ByteDance, einem chinesischen Techkonzern mit Sitz in Peking – eine Neuheit im Feld der sozialen Medien, in dem bislang Firmen aus dem Silicon Valley dominierten. Im November 2017 kaufte ByteDance den US-Konkurrenten Musical.ly und ließ ihn im August 2018 mit seiner eigenen Kurzvideo-App TikTok fusionieren. Binnen weniger Monate entwickelte sich TikTok zu einem globalen Phänomen. Mit einem geschätzten Wert von mehr als 100 Milliarden Dollar gilt ByteDance heute als wertvollstes Startup der Welt. In China betreibt ByteDance seit 2016 eine nahezu identische App namens Douyin. TikTok hingegen ist für den Rest der Welt bestimmt. Der chinesische Ursprung der App hat in den vergangenen Jahren immer wieder zu Debatten über Datensicherheit und Einflussmöglichkeiten der chinesischen Regierung geführt. Tatsächlich sammelt TikTok eine beträchtliche Menge an Daten. Laut der Datenschutzerklärung für Nutzer/-innen im „europäischen Wirtschaftsraum“ gehören dazu neben Geburtsdatum, E-Mail-Adresse und Telefonnummer auch private Nachrichten, die Nutzer/-innen in der App verschicken, der Standort anhand der IP-Adresse und der Browserverlauf. Sobald Nutzer/-innen dies freigeben, kann die App auch auf das Adressbuch und die dort gespeicherten Kontakte sowie die Liste der Facebook-Freund/-innen zugreifen. Das Verhalten wird ebenfalls erfasst: Wer hat wann und wie lange welches Video angeschaut oder geliket? Eine Kombination dieser Daten erlaubt es, detaillierte persönliche Profile einzelner Nutzer/-innen zu erstellen. TikTok sammelt Daten aus dem gleichen Grund, aus dem auch Facebook, Instagram und andere kostenlose Apps Daten horten: Sie dienen dem Geschäftsmodell. TikTok will Nutzer/-innen möglichst oft und lange in der App halten und ihnen maßgeschneiderte Werbung ausspielen. Bislang konnte weder die US-Regierung noch sonst jemand eine staatliche Spionage oder Einflussnahme durch die App nachweisen. Allerdings gibt es dokumentierte Fälle, bei denen sich Mitarbeiter/-innen von ByteDance unrechtmäßig Zugriff auf die IP-Adressen und Benutzer/-innendaten von Journalist/-innen verschafften, die über das Unternehmen berichteten, um herauszufinden, ob sie sich an denselben Standorten aufgehalten hatten wie ByteDance-Mitarbeiter/-innen. Analyst/-innen des Australian Strategic Policy Institute weisen zudem darauf hin, dass ByteDance als Unternehmen, das seine Geschäfte nach wie vor in China macht, nicht in der Position sei, sich Forderungen der chinesischen Regierung zu widersetzen – unter anderem weil die chinesische Regierung auch im Aufsichtsrat vertreten ist . Die Rechtslage sei eindeutig und zwinge das Unternehmen zur Kooperation . Recherchen von Netzpolitik.org zeigen, dass TikTok missliebige Inhalte offenbar unterdrückt. Nutzer/-innen der Platform sähen wenig von der Unterdrückung der Uiguren in China. Unter den Top-Beiträgen unter dem Schlagwort #Xinjiang, befände sich beispielsweise ein Propaganda-Video, das idyllische Landschaften aus der chinesischen Provinz Xinjiang zeige und keine kritischen Beiträge, die es ebenfalls gäbe. In der überwiegend muslimischen Provinz Xinjiang geht die chinesische Zentralregierung mit großer Härte gegen die Minderheit der elf Millionen Uiguren vor. Die Verbrechen wurden von mehr als 40 Ländern als Menschenrechtsverletzungen anerkannt.

Eine aktuelle Verbotsdebatte wird derzeit (Juni 2023) in den USA mit noch offenem Ausgang geführt. Im Februar 2023 haben die Europäische Kommission und der Europäische Rat die TikTok-Nutzung auf offiziellen Geräten verboten .

Länder wie Indonesien und Bangladesch haben die App aus Bedenken im Zusammenhang mit pornografischen Inhalten verboten, während andere wie Armenien und Aserbaidschan Beschränkungen eingeführt haben, um die Verbreitung von Informationen mit Konfliktpotential zu verringern .

Weitere Inhalte

Marcus Bösch ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der HAW Hamburg und forscht zu TikTok, politischer Kommunikation und Desinformation. Er veröffentlicht den wöchentlichen Newsletter Externer Link: Understanding TikTok.