Klassen: ab 8. Klasse / Vertiefungsvorschlag 2 ab 11. Klasse
Fächer: Politik, Sozialkunde/Gesellschaftskunde, Ethik/Religion/Philosophie, Deutsch
Methodisch-didaktischer Kommentar:
Seit Jahrzehnten ist in Hessen der Ausbau der A 49 in Planung. Ebenso alt ist der Protest gegen das Bauprojekt. Mit den Aufgaben im Material werden die verschiedenen Formen des Protests im Dokumentarfilm „Die Autobahn – Kampf um die A 49“ sowie Grenzen der Legalität von Protest und Widerstand herausgearbeitet. Die Lernenden werden ermutigt, eine eigene Meinung zur Rolle von Protest in der Demokratie zu entwickeln und sich auch mit extremeren Formen des Protests, etwa der „Letzten Generation“ auseinanderzusetzen.
1. Formen des Protests
1. a) Filmausschnitte analysieren: Welche Protestformen kommen im Film vor?
Schaut euch neun kurze Filmausschnitte an. Beantwortet dazu folgende Fragen:
Welche konkreten Ziele benennen die Aktivistinnen und Aktivisten?
Welche verschiedenen Protestformen gegen die Autobahn werden gezeigt oder benannt?
Könnt ihr Kategorien bilden und die Protestformen einordnen? (z. B. Aktionen, Kunst …)
Macht euch zunächst während des Schauens Notizen und sammelt eure Ergebnisse anschließend gemeinsam an der Tafel oder am Flipchart.
1. b) Weitere Protestformen, Grenzen des Legalen
Nach der Sichtung der Ausschnitte
Beantworte folgende Fragen:
Was meinst du: Welche der eingesetzten Protestformen sind legal, also gesetzlich erlaubt, und welche nicht (illegal)?
Welche anderen Formen von Protest und Meinungsäußerung kennst du?
Recherchiere im Internet zu folgenden Fragen:
Welche Protestformen sind in Deutschland gesetzlich erlaubt, was ist nicht erlaubt? Prüfe deine Vermutungen (oben), korrigiere und ergänze sie mit deinen Rechercheer-gebnissen. Nutze dafür Suchmaschinen und evtl. Chatbots, weitere Informationen findest du in diesen Beiträgen:
Was bedeutet der Begriff „Ziviler Ungehorsam“?
Lies dir dazu die folgenden Beiträge durch:
Interner Link: Artikel „Widerstand und Protest“ (nur den Text)
2. Diskussion: Welche Protestformen sind angemessen? Was würdest du tun?
Diskutiert in Kleingruppen oder im Plenum folgende Fragen:
Welche Formen der Meinungsäußerung und des Protests findet ihr angemessen, um sich gegen einen Autobahnbau einzusetzen? Warum? Warum nicht?
Heiligt der Zweck (Umwelt- und Klimaschutz) alle Mittel? Wie stehst du zum Einsatz von Gewalt – gegen Dinge und gegen Personen?
Hast du selbst schon einmal für oder gegen etwas demonstriert oder protestiert? In welcher Form? Gegen welche Missstände würdest du protestieren? Wofür wür-dest du dich einsetzen?
3. Protest in der Demokratie
3. a) Was ist der Unterschied zwischen Protest und Widerstand?
Schaut euch das
Was ist der Unterschied zwischen Protest und Widerstand?
Protest | Widerstand | Ziviler Ungehorsam | |
---|---|---|---|
Bedeutung | |||
Formen | |||
Weitere Informationen | |||
3. b) Die Rolle von Protest in der Demokratie
Diskutiert folgende Fragen:
Welche Rolle spielt Protest, auch in radikaler Form, in einer Demokratie?
Welche historischen Beispiele für einflussreiche Protestbewegungen gibt es?
Welche prominenten Beispiele für zivilen Ungehorsam gibt es?
Falls nötig, recherchiert zunächst Hintergrundinformationen zu den Fragestellungen. Informationen zum Thema ziviler Ungehorsam findet Ihr unter anderem in dem folgenden Textausschnitt. Ihr könnt weitere Hintergründe im Internet recherchieren.
Wie schätzt Ihr die Informationen ein? Entwickelt eine eigene Position zur Frage, welche Rolle Proteste in der Demokratie spielen. Bezieht dabei auch Eure Gedanken zu den Protesten gegen die A49 ein.
Robin CelikatesZiviler Ungehorsam
Definitionsversuche (Ausschnitt aus:
Der Begriff des zivilen Ungehorsams hat eine lange und illustre Geschichte, die mit Namen wie Mahatma Gandhi und Martin Luther King verbunden ist, die auch heute immer wieder – wenn auch meist in historisch und politisch sehr verkürzender Weise – als moralische Vorbilder aufgerufen werden. Trotz dieser historisch verbürgten und abstrakt auch weitgehend anerkannten Wichtigkeit der Praxis des zivilen Ungehorsams für die Demokratie scheint es heute einige Verwirrung darüber zu geben, was mit dem Begriff eigentlich gemeint ist. So wird häufig davon ausgegangen, dass ziviler Ungehorsam in einem rein symbolischen und daher vollkommen gewaltfreien Appell besteht, mit dem Aktivist*innen gegen klare Grundrechtsverletzungen protestieren können, wenn sie alle anderen legalen Möglichkeiten der politischen Stellung- und Einflussnahme ausgeschöpft haben. Diese Sichtweise greift aber ebenso zu kurz wie die Diffamierung von zivilem Ungehorsam als Erpressung oder gar Terrorismus – eine Reaktion, die übrigens auch schon gegen Gandhi und King eingesetzt wurde. Ziviler Ungehorsam ist immer auch symbolisch, aber eben keine rein symbolische Form des Protests, denn immerhin geht er mit Formen der Intervention und auch Disruption – wie etwa Straßenblockaden – einher, die über das rein Symbolische hinausgehen. Und was genau als Gewalt und daher auch als gewaltfrei gilt, ist höchst umstritten – in Deutschland kann laut Bundesverfassungsgericht schon der rein passive und daher gemeinhin als gewaltfrei anerkannte Akt der Sitzblockade auf einer Straßenkreuzung als Nötigung mit Gewalt im Sinne des Strafgesetzbuches gelten. Hier gilt es also, genauer hinzusehen und sich vor vorschnellen und politisch durchaus gefährlichen Begriffsverkürzungen zu hüten.
Fruchtbarer scheint es vor diesem Hintergrund zu sein, die Bedeutung von zivilem Ungehorsam weniger verengt wie folgt zu verstehen: Ziviler Ungehorsam bezeichnet Protesthandeln, das absichtlich rechtswidrig (im Unterschied zu legalen Formen des Protests), prinzipienbasiert (im Unterschied zu "gewöhnlichen" Straftaten oder "unmotivierter" Randale), wesentlich, aber nicht ausschließlich symbolisch, sondern auch disruptiv und darauf ausgerichtet ist, politische, soziale und rechtliche Veränderungen herbeizuführen (im Unterschied zur Weigerung aus Gewissensgründen), ohne dabei organisierte physische Gewalt anzuwenden (im Unterschied zum militanten Aufstand). Im Einzelnen wird natürlich umstritten bleiben, was die Elemente dieser Definition genau bedeuten, insbesondere auch, weil der Gewaltbegriff notorisch schwammig und dehnbar und damit auch politisch instrumentalisierbar ist, aber im Groben sollte doch klar sein, dass zahlreiche Aktionen der Klimabewegung unter diesen Begriff fallen und damit als prinzipiell legitim gelten können, auch wenn das die Frage ihrer Rechtfertigbarkeit im Einzelfall keineswegs vorentscheidet.
Bevor wir uns der Frage der Rechtfertigung zuwenden, ist es allerdings sinnvoll, im nächsten Schritt zu fragen, welche Rolle ziviler Ungehorsam in einem demokratischen Rechtsstaat spielen kann: Haben die Bürger*innen in einer repräsentativen Demokratie nicht andere, legale Möglichkeiten, um ihre Meinung kundzutun, Einfluss zu nehmen und zu protestieren – etwa, indem sie Leserbriefe schreiben, auf angemeldete Demonstrationen gehen, NGOs beitreten, Parteien gründen? Auch wenn es diese weitgehenden Möglichkeiten des gesetzeskonformen politischen Engagements gibt und sie für eine Demokratie von zentraler Bedeutung sind, ist es doch genauso richtig festzustellen, dass zur Realisierung wesentlicher Forderungen von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie auch radikaler, das Spannungsverhältnis von Legitimität und Legalität dramatisierender Protest historisch notwendig war – und auch heute noch notwendig sein kann: Dies kann von der Einforderung und Durchsetzung individueller Rechte über die Ermöglichung demokratischer Beteiligung für ausgeschlossene und marginalisierte Gruppen bis zur Herstellung von Öffentlichkeit für vernachlässigte Themen und Perspektiven reichen – alles zentrale Achsen demokratischer Teilhabe und Inklusion. Aus dieser Perspektive sind soziale Bewegungen und radikaler Protest wesentliche Triebkräfte der Demokratisierung, da die etablierten Institutionen selbst nicht besonders gut darin sind, aus sich heraus Demokratiedefizite zu identifizieren und adäquat anzugehen. Von der Frauen- und Arbeiterbewegung bis zu antirassistischen Bewegungen und Protesten von Geflüchteten gibt es zahleiche Beispiele für diese demokratiebelebende und -begründende Rolle von Protest. Und meines Erachtens lässt sich auch die Klimabewegung in dieser Reihe nennen.
4. Protestformen der „Letzten Generation“
4. a) Positionierung zu Protestformen
Lies den Beitrag:
- Externer Link: Die umstrittenen Proteste der "Letzten Generation"
(Deutschlandfunk, 26.5.2023)
Höre dir dazu ergänzend auch folgenden Radiobeitrag an:
- Externer Link: Interview mit Jakob Beyer, Letzte Generation
(Deutschlandfunk, 2.11.2022)
Beantworte dazu folgende Fragen:
Welche Ziele verfolgt die Gruppe "Die Letzte Generation"?
Welche Protestformen wendet "Die Letzte Generation" an?
Positionslinie: Einsatz für den Klimaschutz
Positioniert euch im Raum auf einer gedachten Linie zwischen den Polen „JA / Stimme voll und ganz zu“ und „NEIN / Stimme überhaupt nicht zu“ zu folgenden Aussagen:
Sind die Maßnahmen, die die Bundesregierung bisher zum Klimaschutz ergriffen hat, aus deiner Sicht ausreichend?
Sollte ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen eingeführt werden?
Sollte es ein 9-Euro-Ticket für den gesamten deutschen Nahverkehr geben?
Braucht es in Deutschland mehr Bürgerbeteiligung?
Würdest du selbst für den Klimaschutz auf Reisen mit dem Flugzeug verzichten?
Würdest du für den Klimaschutz weniger oder gar kein Fleisch mehr essen?
Würdest du für den Klimaschutz bewusst weniger Klamotten, Schuhe, Dinge kaufen?
Würdest du für Klimaschutz demonstrieren?
Findest du die Aktionen der „Letzten Generation“ gut und richtig?
Findest du, dass es okay ist, mit illegalen Mitteln Aufmerksamkeit für das Thema Klimaschutz zu erzeugen?
4. b) Die Letzte Generation – eine kriminelle Vereinigung? (Vertiefung)
Am 24. Mai 2023 wurden im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens der Generalstaatsanwaltschaft München bundesweit Hausdurchsuchungen bei Mitgliedern der Letzten Generation durchgeführt. Hiergegen legten elf Betroffene Beschwerde ein. Ende November 2023 wies das Landgericht München diese Beschwerden gegen die Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse zurück. Die Beschlüsse und damit auch die Durchsuchungen seien „verhältnismäßig“ gewesen. In einer Pressemitteilung begründete das Landgericht seine Entscheidung damit, dass ein Anfangsverdacht für die Bildung einer kriminellen Vereinigung im Sinne des § 129 StGB durch die Letzte Generation bestehe.
Recherchiert online den Wortlaut des § 129 StGB (Strafgesetzbuch). Erläutert in einfachen Worten: a.) Was ist laut Gesetz eine "Vereinigung" und b.) Was macht eine "Vereinigung" zu einer "kriminellen Vereinigung"?
Lest die Externer Link: Begründung des Landgerichts München, warum es einen Anfangsverdacht sieht, dass die "Letzte Generation" eine kriminelle Vereinigung sein könnte. Diskutiert in Kleingruppen, was gegen und was für die in der Begründung vorgebrachten Argumente spricht und notiert Stichpunkte zu eurer Diskussion.
Schaut euch das Video "Externer Link: Letzte Generation – eine kriminelle Vereinigung? Zwei Juristen im Streitgespräch" aus der Reihe ZDFheute live vom 24. Mai 2023 in Auszügen an (bis 14:44 Min.) und vergleicht eure Stichpunkte mit den Argumenten der beiden Juristen im Video.