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Vor 25 Jahren: Der Schengen-Raum wird Realität

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Am 26. März 1995 schafften die ersten europäischen Staaten die Kontrollen an ihren Binnengrenzen ab. Gleichzeitig verstärkten sie die Kooperation von Polizei und Justiz sowie den Schutz der Außengrenzen. Wegen der Corona-Pandemie führen derzeit viele Länder wieder Grenzkontrollen durch.

Grenzkontrollen statt Reisefreiheit: Zur Eindämmung der Corona-Pandemie wird derzeit an fast allen Binnengrenzen im Schengen-Raum kontrolliert – wie hier an der deutsch-französischen Grenze in Großrosseln (Saarland). (© picture-alliance, Oliver Dietze/dpa)

Vor 25 Jahren feierten viele Europäerinnen und Europäer den Wegfall von Grenzkontrollen: Am Interner Link: 26. März 1995 setzten sieben Staaten – Belgien, Deutschland, Frankreich, Luxemburg, die Niederlande, Portugal und Spanien – das Schengener Durchführungsübereinkommen in Kraft. Heute umfasst der Schengen-Raum insgesamt 26 Staaten: 22 der 27 EU-Mitgliedsstaaten sowie die Nicht-EU-Mitglieder Island, Liechtenstein, Norwegen und die Schweiz. Neben der Abschaffung der Personenkontrollen an den Binnengrenzen des Schengen-Raums sieht das Abkommen auch eine verstärkte Zusammenarbeit von Polizei und Justiz, eine gemeinsame Visa-Politik sowie gemeinsame Regeln für die Kontrollen an den Außengrenzen vor.

Seit 2015 führen einzelne Schengen-Staaten wieder Personenkontrollen an Binnengrenzen durch. Deutschland begründete die temporären Grenzkontrollen zunächst als Reaktion auf den starken Anstieg der Flüchtlingszahlen, später als Maßnahme zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Im März 2020 hat der Großteil der Schengen-Mitgliedsstaaten die Reisefreiheit zur Eindämmung der Interner Link: Corona-Pandemie eingeschränkt.

Enge Kooperation der Polizei- und Justizbehörden

Schon 1984 hatten Deutschland und Frankreich den kontrollfreien Grenzverkehr zwischen beiden Staaten vereinbart, vor allem, um damit die Begeisterung für ein weiteres Zusammenwachsen Europas zu wecken. Im luxemburgischen Ort Schengen im Dreiländereck mit Deutschland und Frankreich unterzeichneten ein Jahr später Belgien, Deutschland, Frankreich, Luxemburg und die Niederlande ein Interner Link: Abkommen, das den schrittweisen Abbau von Personenkontrollen an den gemeinsamen Grenzen vorsah.

1990 folgte das Schengener Durchführungsübereinkommen, mit dem sich die Vertragsstaaten eine einheitliche Grenzpolitik innerhalb ihrer Territorien zum Ziel setzten: Für die Einreise und kurzfristigen Aufenthalte von Personen aus anderen Ländern sollten einheitliche Vorschriften gelten, die Zuständigkeit für die Anträge von Asylsuchenden sollte nach festgelegten Regeln bei jeweils einem Mitgliedstaat liegen. Außerdem war die engere grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Polizei und Justiz ein Kernbestandteil des Durchführungsübereinkommens; die Behörden sollten beim Vorgehen gegen Kriminalität, insbesondere gegen den grenzüberschreitenden Drogenhandel, besser kooperieren.

Dafür war der Aufbau gewisser technischer Infrastrukturen, etwa von Fahndungsdatenbanken, nötig. Als alle technischen und rechtlichen Voraussetzungen erfüllt waren, wurden die Regelungen des Schengen-Raums ab dem 26. März 1995 implementiert und fortan angewendet. Mittlerweile waren auch Portugal und Spanien dem Abkommen beigetretenen. Damit gehörten Kontrollen an den Binnengrenzübergängen der Unterzeichnerstaaten der Vergangenheit an. Zugleich ging damit ein Teil der EU einen Schritt in Richtung einer gemeinschaftlichen Interner Link: Rechts- und Innenpolitik.

Der Schengen-Raum wächst

In den darauffolgenden Jahren wurde der Geltungsbereich des Schengen-Abkommens erweitert: die EU-Mitgliedstaaten Italien und Österreich (1997), Griechenland (2000), Dänemark, Finnland und Schweden (2001) traten ihm bei. Ebenfalls 2001 folgten die Nicht-EU-Mitglieder Island und Norwegen. 2007 kamen die Interner Link: inzwischen zur EU gehörenden mittel- und osteuropäischen Staaten Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn sowie Malta hinzu. Ein Jahr später folgte die Schweiz, zuletzt 2011 Liechtenstein.

Denkmal der Unterzeichnung des "Schengener Abkommen" in Schengen (Luxemburg) (© picture-alliance/dpa)

Nicht alle EU-Staaten sind dem Abkommen beigetreten: Großbritannien (EU-Mitglied bis Januar 2020) und Irland haben sich für die Beibehaltung einer eigenen Visa- und Grenzpolitik entschlossen. Die EU-Mitglieder Bulgarien, Kroatien, Rumänien und Zypern gelten als Beitrittskandidaten und wenden das Schengen-Recht bislang nur teilweise an. Den vollständigen Beitritt Bulgariens und Rumäniens verhinderte bisher unter anderem die deutsche Bundesregierung, weil sie dort die Anforderungen an die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden des Schengen-Raums etwa durch Korruption unterlaufen sieht. Auch für Kroatien, Mitte 2013 der EU beigetreten, gelten wesentliche Schengen-Regelungen noch nicht. Die Staaten nehmen jedoch teilweise schon am Schengener Informationssystem teil. Zypern ist aufgrund der faktischen Teilung der Insel noch nicht Mitglied des Abkommens, ist aber ebenfalls ein Beitrittskandidat für den Schengen-Raum.

Zwischen den 26 Schengen-Staaten herrscht laut Abkommen freier Personenverkehr, allerdings muss, wer die Grenze übertritt, immer noch einen Reisepass oder einen Passersatz bei sich tragen - z.B. den Personalausweis. Die Mitgliedstaaten legen gemeinsam fest, welche Visa-Bestimmungen sie mit Drittstaaten abschließen. Erteilt ein Land einem Drittstaatsangehörigen ein Visum, so kann dieser innerhalb von 90 Tagen auch in andere Schengen-Länder reisen (“Schengen-Visum“).

"Festung Europa"?

War das Schengen-Abkommen zunächst ein Völkerrechtsvertrag zwischen seinen Unterzeichnerstaaten, so wurde es durch den Vertrag von Amsterdam (1997) zu EU-Recht. Mit dem Interner Link: Dubliner Übereinkommen bzw. der 2003 beschlossenen Dublin-II-Verordnung wurde die europäische Asylpolitik durch neue Regeln vereinheitlicht und konkretisiert: Asylsuchende dürfen nur in einem und nicht in mehreren EU-Staaten einen Antrag auf Asyl stellen – in der Regel in dem Staat, den sie bei der Einreise in die EU zuerst betreten haben.

Damit hat das Schengen-Abkommen heute zwei Kerndimensionen: Zum einen die Reisefreiheit innerhalb seines Geltungsbereichs, zum anderen die Vereinheitlichung der Grenzpolitik nach außen. Ein Übertritt der Grenze zwischen einem Schengen- und einem Drittstaat ohne Visum, früher zum Beispiel zwischen Polen und der Ukraine, ist nicht mehr möglich. Während Binnengrenzen durchlässiger wurden, haben die Staaten ein immer größeres Augenmerk auf die Sicherung der europäischen Außengrenzen gelegt. Diese sollen mithilfe von Technik und der Verlagerung von Grenzschutzaktivitäten in Drittstaaten gegen irreguläre Migration und Kriminalität abgeschottet werden. Kritikerinnen und Kritiker dieses europäischen Grenzregimes sprechen deshalb von der "Festung Europa".

Wiedereinführung von Grenzkontrollen

2013 erleichterten die Mitgliedstaaten und die EU-Institutionen das ohnehin bestehende Recht für Schengen-Staaten, in Notfallsituationen wieder Grenzkontrollen einzuführen: Wenn sich ein Staat in seiner nationalen Sicherheit oder die öffentliche Ordnung gefährdet sieht, kann er seine Grenzen zunächst bis zu 30 Tage wieder kontrollieren. Befristete Grenzkontrollen können laut Schengen-Abkommen auf eine Höchstdauer von zwei Jahren verlängert werden.

Vom Recht auf zeitlich beschränkte Personenkontrollen wurde meist im Umfeld von Veranstaltungen mit erhöhten Sicherheitsanforderungen, wie zum Beispiel Treffen von Staats- und Regierungschefs, Gebrauch gemacht. Sechs Schengen-Staaten – Deutschland, Frankreich, Österreich, Schweden, Dänemark und Norwegen – haben im Herbst 2015 als Reaktion auf die angestiegenen Flüchtlingszahlen wieder Personenkontrollen an Binnengrenzen eingeführt und langfristig beibehalten. Dafür werden die Staaten auch von Seiten der EU kritisiert.

25 Jahre nach der Abschaffung der innereuropäischen Grenzkontrollen steht der Schengen-Raum vor einer weiteren Herausforderung: In den letzten Wochen haben etliche europäische Staaten temporäre Grenzkontrollen eingeführt, um die weltweite Ausbreitung des Corona-Virus einzudämmen.

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