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Das Münchener Abkommen von 1938 – der gescheiterte Versuch, Hitler zu beschwichtigen | Hintergrund aktuell | bpb.de

Das Münchener Abkommen von 1938 – der gescheiterte Versuch, Hitler zu beschwichtigen

Redaktion

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Am 29. September 1938 trafen sich die Staats- und Regierungschefs aus Deutschland, Italien, Frankreich und Großbritannien, um über das Ende der "Sudetenkrise" zu verhandeln. Eine "Appeasement-Politik" sollte den Frieden in Europa auf Kosten der Tschechoslowakei sichern. Ein historischer Irrtum.

Münchner Abkommen: (v.l.n.r.) der britische Premierminister Neville Chamberlain, der französische Premierminister Edouard Daladier, Adolf Hitler, Benito Mussolini und der italienische Außenminister Graf Galeazzo Ciano, 29.09.1938. (© picture-alliance/AP)

Als die Interner Link: Tschechoslowakei nach Ende des Ersten Weltkrieges 1918 entstand, lebten zahlreiche verschiedene Ethnien in dem neu gegründeten Staat: Tschechen und Slowaken, die vornehmlich in der Südslowakei ansässigen Ungarn, verschiedene ostslawische Völker in der Karpatenukraine und einige wenige Polen, Rumänen und Kroaten. Die größte Minderheit bildeten die rund drei Millionen Interner Link: Sudetendeutschen. Nach dem "Anschluss" Interner Link: Österreichs ans Interner Link: Deutsche Reich im März 1938 grenzten die Gebiete der Sudentendeutschen fast ausnahmslos ans Deutsche Reich.

Wie es zur "Sudentenkrise" kam

Eine Schlüsselfigur im Vorfeld der sogenannten Sudentenkrise war Interner Link: Konrad Henlein. Im Jahr 1933 hatte er die Gruppierung "Interner Link: Sudetendeutsche Heimatfront" gegründet, die sich auf Druck der tschechoslowakischen Regierung wegen der völkischen Konnotation des Namens zwei Jahre später in "Sudetendeutsche Partei" umbenennen musste. Teile der Gruppierung standen von Anfang an in Kontakt mit der Interner Link: NSDAP in Deutschland, spätestens ab 1937 bekannte sie sich offen zum Interner Link: Nationalsozialismus und forderte von der tschechoslowakischen Regierung mehr Autonomie für die Minderheit der Sudentendeutschen.

Interner Link: Hitler nutzte die "Sudentendeutsche Partei" als Instrument: Auf Anweisung der Nationalsozialisten verabschiedete die "Sudetendeutsche Partei" im März 1938 ihr "Interner Link: Karlsbader Programm", das weitgehende Autonomierechte für das deutschsprachige Siedlungsgebiet forderte. Aus Berliner Sicht war das Programm allerdings nur eine Durchgangsstufe für die angestrebte völlige Auflösung des tschechoslowakischen Staates. Die Nationalsozialisten instrumentalisierten die Spannungen zwischen der deutschen Minderheit und der tschechoslowakischen Regierung propagandistisch.

Mit Hinweis auf das "Selbstbestimmungsrecht" der deutschen Minderheit hatte Hitler immer wieder die Abtretung der sudetendeutschen Gebiete gefordert und mit militärischer Gewalt gedroht. Aus dem Interner Link: Hoßbach-Protokoll, das eine Besprechung Hitlers mit einigen seiner Minister in der Reichskanzlei am 5. November 1937 zusammenfasst, geht hervor: Hitler hatte schon frühzeitig den Plan gehabt, die Tschechoslowakei für seine territoriale Expansionspolitik nutzen zu wollen und das Land aus diesem Grund auch militärisch anzugreifen. Er rechnete damit, dass Interner Link: Großbritannien und Interner Link: Frankreich die Tschechoslowakei nicht schützen würden. Wörtlich heißt es in dem Protokoll: "An sich glaube der Führer, daß mit hoher Wahrscheinlichkeit England, voraussichtlich aber auch Frankreich die Tschechei bereits im Stillen abgeschrieben und sich damit abgefunden hätten, daß diese Frage eines Tages durch Deutschland bereinigt würde."

Bewusste Eskalationstaktik

Die "Sudetenkrise" führten die Nationalsozialisten so bewusst herbei. In seiner Abschlussrede des Reichsparteitages am 12. September 1938 unterstellte Hitler der tschechoslowakischen Regierung "unverschämte Misshandlungen" gegenüber der deutschen Minderheit und behauptete, die Sudetendeutschen seien vom Staat für "vogelfrei" erklärt worden und würden von den Tschechen "vergewaltigt und gequält". Hitler verhöhnte in seiner Rede die Demokratie in der Tschechoslowakei und kündigte unter dem Jubel der Parteitagsbesucher an, dass seiner Regierung das Schicksal der Sudetendeutschen "nicht gleichgültig" sei.

In Großbritannien fand die Idee einer Politik des "Appeasement" (deutsch: Beschwichtigung) in Premierminister Neville Chamberlain derweil einen prominenten Anhänger. Dahinter steckte die Annahme, dass es in der Außenpolitik Deutschlands ein Zusammenspiel zwischen friedlichen "Moderaten" und kriegerischen "Extremisten" gäbe. Mit einer Politik der Zugeständnisse wollte Chamberlain die eher "Moderaten" in ihrer politischen Auseinandersetzung mit den "Extremisten" bestärken.

Verhandlungen ohne die Tschechoslowakei

Noch während Chamberlain erste Gespräche über eine Lösung der "Sudetenkrise" führte, besetzten sudetendeutsche Freikorps die grenznahen Städte Eger und Asch. Am 22. September 1938 bot Chamberlain auf der Godesberger Konferenz an, Hitlers Forderung nach einer Abtretung der Gebiete, in denen mehrheitlich Deutsche lebten, nachzugeben. Hitler aber weitete seine Forderungen aus, u.a. sollte die Räumungsfristen der Sudentendeutschen-Gebiete verkürzt werden. Frankreich und die Tschechoslowakei reagierten mit militärischer Mobilisierung. Und auch Deutschland ließ Divisionen vorrücken. Die Gefahr eines Krieges lag erneut in der Luft.

Auf Vermittlung Italiens trafen sich daraufhin Hitler, Chamberlain, Interner Link: Benito Mussolini und der französische Premierminister Edouard Daladier am 29. September zur Münchener Konferenz, auf der in der Nacht zum 30. September das Münchener Abkommen unterzeichnet wurde. Die Tschechoslowakei, über deren Zukunft verhandelt wurde, war nicht eingeladen.

Das Abkommen war eine gemeinsame Vereinbarung zwischen Deutschland, Großbritannien, Interner Link: Italien und Frankreich über die Prinzipien der, so wörtlich, "Abtretung des sudetendeutschen Gebiets" an das Deutsche Reich. Viele Sudetendeutsche waren begeistert, sie empfanden, im neu gegründeten Staat massiv benachteiligt worden zu sein. Die von der tschechoslowakischen Regierung versprochene Selbstverwaltung wurde tatsächlich nie gewährt, im öffentlichen Dienst wurden zahlreiche deutschsprachige Beamte durch Tschechen ersetzt, die Arbeitslosigkeit war im Sudetengebiet besonders hoch.

Weitere Gebietsforderungen

Bereits am 1. Oktober 1938 hatte die "Räumung" des Sudetenlandes zu beginnen (Artikel 1). Italien, Großbritannien und Frankreich vereinbarten, dass diese "Räumung" durch die tschechoslowakische Regierung bis zum 10. Oktober abzuschließen sei, und zwar "ohne die Zerstörung irgendwelcher bestehenden Einrichtungen" (Artikel 2).

Das Münchener Abkommen war der Anfang vom Ende der ersten tschechoslowakischen Republik. Bereits am 2. Oktober besetzte Interner Link: Polen das Olsagebiet rund um Teschen. Die wirtschaftlich bedeutende Stadt (polnisch: Cieszyn, tschechisch: Těšín) war nach dem Zerfall des Interner Link: Habsburgerreichs und einem kurzen Grenzkrieg zwischen Polen und der Tschechoslowakei geteilt worden.

Interner Link: Ungarn wiederum beanspruchte die Südslowakei und die Karpatenukraine für sich. Deutschland machte sich die Forderungen zu Nutze und vermittelte gemeinsam mit Italien den so genannten "Ersten Wiener Schiedsspruch" vom 2. November 1938, in dem die Aufteilung der Slowakei und der Karpatenukraine beschlossen wurde: Jene Gebiete, die bei der letzten österreich-ungarischen Volkszählung von 1910 eine ungarische Bevölkerungsmehrheit aufwiesen, sollten von der Tschechoslowakei abgetreten werden.

Es dauerte nur sechs Monate, bis das Münchener Abkommen gebrochen wurde

In Deutschland gab es indes zu diesem Zeitpunkt bereits Pläne, die "Rest-Tschechei" militärisch zu besetzen. Am Morgen des 15. März 1939 marschierten deutsche Truppen unter Bruch des Münchener Abkommens in Tschechien ein und entwaffneten die dortige Armee.

Die Besetzung der "Rest-Tschechei" markiert zugleich das Scheitern der britischen Appeasement-Politik: Hitler hatte sich keineswegs durch Zugeständnisse besänftigen lassen.

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