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Vor 40 Jahren: Rechtsextremer Anschlag auf das Oktoberfest | Hintergrund aktuell | bpb.de

Vor 40 Jahren: Rechtsextremer Anschlag auf das Oktoberfest

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Am 26. September 1980 wurden bei einem Bombenattentat auf das Münchner Oktoberfest 13 Menschen getötet und mehr als 200 verletzt. Erst im Juli 2020 bewertete die Generalbundesanwaltschaft das Tatmotiv als rechtsextrem. Bis heute ist umstritten, ob der Attentäter die Tat allein verübte.

Durch einen Bombenanschlag am Abend des 26. September 1980 kamen dreizehn Menschen ums Leben, über 200 wurden zum Teil schwer verletzt. Die Bombe war in einem Abfallkorb am Haupteingang des Oktoberfests detoniert. (© picture-alliance/dpa, Frank Leonhardt)

Obwohl rechtsextreme Parteien nach 1953 nicht mehr im Bundestag vertreten waren, begleitet der organisierte Rechtsextremismus die Geschichte der Bundesrepublik. Die "Wehrsportgruppe Hoffmann" wurde am 30. Januar 1980 durch den damaligen Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) als verfassungsfeindliche Organisation verboten. Der Minister attestierte Hoffmanns Vereinigung eine "Signal- und Sogwirkung" für das gesamte rechtsextreme Lager.

Am Abend des 26. September 1980 explodierte in einem Abfallkorb an der Nordseite der Theresienwiese – am Eingangsbereich zum gerade stattfindenden Oktoberfest – eine Bombe. Zwölf Besucherinnen und Besucher sowie der Attentäter wurden getötet. Insgesamt 221 Menschen wurden verletzt, 68 von ihnen schwer. Damit gilt das Oktoberfestattentat bis heute als der blutigste Terroranschlag in der Geschichte der Bundesrepublik.

Dass die Explosion eine solch verheerende Wirkung entfalten konnte, hatte mehrere Gründe. Einerseits erfolgte sie um 22:20 Uhr, kurz vor Schließung der Festzelte. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich bereits Tausende Menschen auf dem Heimweg. Andererseits entfaltete der Sprengsatz eine große Hitze-, Druck- und Splitterwirkung. Unter den Schwerverletzten waren zahlreiche Opfer mit lebensgefährlichen Verbrennungen. Anderen mussten Gliedmaßen amputiert oder Organe entnommen werden. Trotz des schweren Anschlags öffnete das Oktoberfest am Morgen nach dem Anschlag pünktlich um 11 Uhr die Festzelte. Lediglich am Tag der Trauerfeier – Dienstag, 30. Oktober 1980 – wurde das Volksfest zum Gedenken an die Opfer für einen Tag unterbrochen.

Nur neun Tage bis zur Bundestagswahl

Die Ermittlungen der Polizei begannen noch am gleichen Abend. Sie fanden unter besonderen politischen Umständen statt: Am 5. Oktober 1980, also nur neun Tage später, sollte ein neuer Bundestag gewählt werden. Spitzenkandidat der Union war Franz Josef Strauß (CSU), damals amtierender Ministerpräsident von Bayern, der gegen den damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) antrat. Auch dadurch stieg der Druck, schnell Ermittlungsergebnisse präsentieren zu können.

Dass es sich bei der Tat um einen Terrorakt handeln könnte, wurde schnell gemutmaßt – dafür sprachen die Umstände der Tat. Wegen des Verdachts auf eine terroristische Tat übernahm der damalige Generalbundesanwalt Kurt Rebmann unmittelbar nach dem Anschlag die Ermittlungen.

Gundolf Köhler wird schnell als Täter identifiziert

Am Tatort wurde der Personalausweis des aus Donaueschingen stammenden Studenten Gundolf Köhler gefunden. Ferner wurde Köhler am Tatort von Zeugen gesehen. Seine Leiche wies Verletzungsmerkmale auf, die eine Täterschaft sehr wahrscheinlich machten. Bei der Durchsuchung von Köhlers Elternhaus wurden Chemikalien, handschriftliche Aufzeichnungen und weitere Beweismittel gesichert, die den Verdacht an Köhlers Täterschaft erhärteten. Offen war zunächst, welches politische Motiv zu der Tat geführt haben könnte und ob neben dem verstorbenen Attentäter weitere Personen beteiligt waren.

Der Generalbundesanwalt ging anfangs nicht von einer Alleintäterschaft Köhlers aus. Eine Datenabfrage ergab, dass Köhler zeitweise Mitglied der rechtsextremen "Wehrsportgruppe Hoffmann" war. Deshalb wurde diese zuerst als Urheberin der Tat vermutet. Franz Josef Strauß vermutete kurz nach dem Anschlag, dass es sich um linken Terror gehandelt haben könnte und kritisierte den damaligen Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) scharf für dessen angebliche Untätigkeit. Als sich dies als unwahr herausstellte, gab er zu Protokoll, dass er von einem Einzeltäter ausgehe.

CSU hatte Bedeutung der Wehrsportgruppe Hoffmann heruntergespielt

Für den CSU-Politiker wäre es überdies politisch unangenehm gewesen, wenn die "Wehrsportgruppe Hoffmann" den Anschlag als Organisation begangen hätte. Immer wieder hatte Strauß in den Jahren zuvor die Gefahr des Rechtsextremismus heruntergespielt. Gegenüber französischen Journalisten sagte er beispielsweise Anfang 1980 über die Aktivitäten der Wehrsportgruppe: "Mein Gott, wenn ein Mann sich vergnügen will, indem er am Sonntag auf dem Land mit einem Rucksack und mit einem mit Koppel geschlossenen Battle-Dress spazieren geht, dann soll man ihn in Ruhe lassen." Sein Innenminister Gerold Tandler kam im Jahr zuvor in der Antwort auf eine Anfrage der bayerischen SPD-Landtagsfraktion zu dem Schluss, dass "'Wehrsport' selbst nicht strafbar" sei, und dass deswegen die Aktivitäten der Organisation nicht zu unterbinden wären.

Das bayerische Landeskriminalamt stellte als ermittelnde Polizeibehörde die Untersuchungen im Mai 1981 ein. Der Generalbundesanwalt vollzog diesen Schritt im November 1982. In beiden Berichten ist die Rede davon, dass Gundolf Köhler als Einzeltäter gehandelt habe. Der Verdacht auf weitere Tatbeteiligte ließ sich nicht erhärten. Als Motive des Täters werden Hass auf seine Umwelt und persönliche Frustration angegeben.

Wiederaufnahme der Ermittlungen im Jahr 2014

In den Jahren danach kamen immer wieder Zweifel an der Alleintäterschaft Köhlers auf. So wurden etwa im Aschenbecher von Köhlers Auto, das nahe der Theresienwiese geparkt war, die Stummel von sechs verschiedenen Zigarettenmarken gefunden. Einige Zeugen sagten außerdem aus, dass sie Köhler unmittelbar vor der Tat in Begleitung anderer Personen gesehen hätten. Auch das Bild des frustrierten Einzelgängers bekam Risse: So habe Köhler noch im Sommer 1980 einen Bausparvertrag abgeschlossen. Überdies soll er auch viele soziale Kontakte gehabt haben.

Im Dezember 2014 entschloss sich der Generalbundesanwalt, die Ermittlungen zum Oktoberfestattentat noch einmal aufzurollen. Anlass waren die Angaben einer bisher nicht bekannten Zeugin. Noch einmal wurden über 1.000 Vernehmungen durchgeführt und mehr als 300.000 Seiten Akten ausgewertet. Im Juli 2020 beendete der Generalbundesanwalt die Ermittlungen. Es gebe keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Beteiligung weiterer Täter. In einem zentralen Punkt kam die Ermittlungsbehörde nun jedoch zu einem anderen Ergebnis: Köhler habe aus einem rechtsextremistischen Motiv heraus gehandelt. Sein Ziel sei es gewesen, den Ausgang der Bundestagswahl zu beeinflussen. Köhler habe einen Führerstaat nach nationalsozialistischem Vorbild angestrebt.

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