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15 Jahre Unabhängigkeit Montenegros | Hintergrund aktuell | bpb.de

15 Jahre Unabhängigkeit Montenegros

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Am 3. Juni 2006 erklärte das Parlament von Montenegro offiziell die Unabhängigkeit. Zuvor stimmte eine knappe Mehrheit in einem Referendum für die Loslösung von Serbien.

Unterstützerinnen und Unterstützer der montenegrinischen Unabhängigkeit feiern in der Hauptstadt Podgorica, nachdem die Mehrheit der Bevölkerung für die Unabhängigkeit Montenegros gestimmt hatte. (© picture-alliance/ dpa/dpaweb | epa Koca Sulejmanovic)

Von 1946 bis 1992 war Montenegro eine der sechs Teilrepubliken der Interner Link: Föderativen Volksrepublik Jugoslawien. Als die anderen Teilrepubliken sich für unabhängig erklärten und in der Folge die Jugoslawienkriege ausbrachen, gründeten Serbien und Montenegro im April 1992 die Bundesrepublik Jugoslawien. 2006 spaltete sich Montenegro von Serbien ab.

Der Weg zur Unabhängigkeit

Der Abspaltungsprozess Montenegros setzte bereits Mitte der 1990er-Jahre ein. Im Jahr 1996 gewann die bis dahin von Staatspräsident Momir Bulatović geführte "Demokratischen Partei der Sozialisten" (montenegrinisch: Demokratska Partija Socijalista Crne Gore, DPS) die montenegrinische Parlamentswahl. Unter Bulatović verfolgte die DPS eine enge Bindung an das zu dieser Zeit von Slobodan Milosević regierte Serbien. Im Vorfeld der montenegrinischen Präsidentschaftswahl 1997 kam es jedoch zum Bruch in der DPS: Bulatović wurde als Parteichef der DPS abgesetzt und trat zur Präsidentschaftswahl gegen den ebenfalls der DPS angehörigen Ministerpräsidenten Milo Đukanović an, der wiederum eine Abkehr von Serbien propagierte. Đukanović gewann die Wahl mit knappem Vorsprung und forderte zunächst Reformen ein, die auf eine gleichberechtigte Stellung Montenegros gegenüber Serbien zielten. Doch spätestens mit dem Interner Link: Kosovo-Krieg, bei dem sich Montenegro neutral verhalten hatte, verstärkte sich in Montenegro die Diskussion über die Unabhängigkeit.

Nachdem Serbien als Reaktion auf die Abspaltungstendenzen eine Wirtschaftsblockade gegen Montenegro verhängte, zog sich das Land aus den Unionsorganen in Belgrad zurück und brach die Verbindung schließlich ganz ab. Die Regierung der Teilrepublik Montenegro in Podgorica beschloss außerdem eine unabhängige Zoll-, Devisen- und Außenhandelspolitik einzuführen, die Deutsche Mark zur offiziellen Währung zu erheben und Ausländerinnen und Ausländer aus dem Westen von der Visumspflicht zu entbinden.

Verzögerte Sezession

Bei den Parlamentswahlen im Herbst 2002 erreichte das Wahlbündnis "Demokratische Liste für ein Europäisches Montenegro" die absolute Mehrheit – ein Ausdruck der wachsenden Zustimmung zur Unabhängigkeit. Auf Druck der Europäischen Union, die weiteren Desintegrationsprozessen auf dem Balkan entgegenwirken wollte, kam es jedoch zunächst nicht zur Abspaltung.

Stattdessen wurde am 4. Februar 2003 der bestehende Staatsverband der Bundesrepublik Jugoslawien nach einem Parlamentsbeschluss durch die lockere, föderale Staatenunion "Serbien und Montenegro" ersetzt. Auf institutioneller Ebene bedeutete dies: ein gemeinsames Parlament und fünf gemeinsame Ministerien.

Dennoch bewachten die beiden Teilstaaten nicht nur die Grenze zueinander. Auch entfernten sie sich mit Blick auf wirtschaftspolitische Entscheidungen weiter voneinander: Während in Serbien der jugoslawische Dinar lediglich in serbischer Dinar umbenannt wurde, führte Montenegro nach der Deutschen Mark auch den Euro ein.

Als im Frühjahr 2005 das Mandat der Parlamentsabgeordneten auslief und sich beide Seiten nicht auf eine Neuwahl des gemeinsamen Parlaments verständigen konnten, kam ein Passus der Verfassung ins Spiel, auf den sich Serbien und Montenegro zuvor verständigt hatten: So hatte Montenegro das Recht, drei Jahre nach dem Zustandekommen der Staatenunion ein Referendum über die Unabhängigkeit der Teilrepublik abzuhalten.

Das Referendum

Davon machte Montenegro 2006 Gebrauch und hielt ein Referendum ab, in dem die montenegrinische Bevölkerung über die Unabhängigkeit ihres Landes entscheiden konnte. Am 1. März 2006 hatte das Parlament in Podgorica dazu ein entsprechendes Referendumsgesetz verabschiedet, das sich nach den Forderungen der EU richtete: Um ein eindeutiges Wahlergebnis zu erhalten, wurde eine Wahlbeteiligung von mindestens der Hälfte der Wahlberechtigten festgelegt. Außerdem musste der Anteil der Ja-Stimmen bei mindestens 55 Prozent liegen.

Das Referendum wurde am 21. Mai 2006 unter Aufsicht internationaler Wahlbeobachterinnen und -beobachter abgehalten. Die Wahlbeteiligung lag bei etwas mehr als 86 Prozent. Das Ergebnis fiel knapp aus, weil gerade einmal 55,5 Prozent für die Unabhängigkeit des Landes votierten. Die mehr als 200.000 Montenegrinerinnen und Montenegriner, die ihren Hauptwohnsitz in Serbien hatten, waren nicht stimmberechtigt.

Das Ergebnis des Referendums wurde nicht von allen Beteiligten begrüßt: Die oppositionellen, pro-serbischen Parteien blieben der feierlichen Sitzung des Parlaments in Podgorica fern. Auch folgten weder Serbiens damaliger Ministerpräsident Vojislav Kostunica noch Serbiens ehemaliger Präsident Boris Tadic der Einladung Đukanovićs. Tadic schickte allerdings ein Glückwunsch-Telegramm.

Am 3. Juni 2006 erklärte das montenegrinische Parlament offiziell die Unabhängigkeit der Republik Montenegro und löste damit die Staatenunion Serbien und Montenegro auf. Noch im selben Monat erkannte Serbien Montenegros Unabhängigkeit an. Der damalige EU-Außenbeauftragten Javier Solana teilte bereits nach dem Referendum mit, dass die EU den Ausgang respektieren werde. Am 12. Juni 2006 erkannte sie Montenegro offiziell als eigenständigen Staat an.

Nach der Unabhängigkeitserklärung

Inzwischen ist Montenegro völkerrechtlich weltweit anerkannt und wurde in zahlreiche internationale Organisationen aufgenommen, so auch am 28. Juni 2006 als 192. Mitglied in die Vereinten Nationen. Im Juni 2017 trat Montenegro der NATO bei.

Im Jahr 2008 beantragte Montenegro den Beitritt zur Europäischen Union. Seit Dezember 2010 gilt das Land als Bewerberstaat, seit Juni 2012 laufen die Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und Montenegro. Mittlerweile sind alle Verhandlungskapitel geöffnet. Die Kapitel "Wissenschaft und Forschung“ sowie "Bildung und Kultur“ sind bereits vollständig, das Kapitel "Beziehungen nach Außen“ vorläufig geschlossen. Damit sind die Beitrittsverhandlungen mit Montenegro unter allen Staaten der Region Westbalkan am weitesten fortgeschritten.

Die EU-Kommission bescheinigt Montenegro in ihren Länderberichten eine gute Entwicklung in zahlreichen Feldern der EU-Annäherung. Defizite gibt es vor allem im Bereich der Presse- und Meinungsfreiheit sowie in der Korruptionsbekämpfung. Auch im Bereich der öffentlichen Verwaltung sieht die EU-Kommission Nachholbedarf. In ihrer Westbalkan-Strategie von Februar 2018 nennt die EU-Kommission das Jahr 2025 als Zeithorizont für einen möglichen EU-Beitritt des Landes.

2019 kam es in Montenegro zu Massenprotesten gegen die seit 1991 regierende DPS. Anlass der Demonstrationen, bei denen tausende Menschen auf die Straße gingen, waren schwere Korruptionsvorwürfe gegen einen DPS-Spitzenfunktionär, der beschuldigt wurde, Geld von einem montenegrinischen Unternehmer angenommen zu haben.

Zudem regte sich massiver, von Anhängerinnen und Anhängern der serbisch-orthodoxen Kirche angeführter, Protest gegen ein im Dezember 2019 im montenegrinischen Parlament beschlossenes Religionsgesetz. Dieses sah vor, Kirchen und Religionsgemeinschaften dazu zu verpflichten, ein Register für religiöse Objekte und Immobilien zu erstellen. Dabei ging es um Gebäude und Grundstücke, die dem Königreich Montenegro gehörten, bevor das Land 1918 Teil des serbisch dominierten Jugoslawiens wurde. Falls die Kirchen keine Eigentumsnachweise für solche Immobilien erbringen könnten, sollten diese, laut des Gesetzes, in das Eigentum des Staates übergehen.

Bei den Parlamentswahlen im Jahr 2020 erhielt die seit 1991 regierende DPS und ihre Koalitionspartner erstmals keine Mehrheit. Damit erlebte der bis 2023 amtierende montenegrinische Präsident Milo Đukanović, dem Kritikerinnen und Kritiker Korruption vorwerfen, eine Niederlage – und es kam zum Regierungswechsel. Das von der pro-serbischen "Demokratischen Front" (Demokratski front, DF) geführte Bündnis "Für die Zukunft Montenegros" (Za budućnost Crne Gore, Za) bildete zusammen mit dem Bündnis "Frieden ist unsere Nation" (Mir je naša nacija, MNN) und der Bewegung Vereinte Reformaktion (Građanski Pokret Ujedinjena reformska akcija, URA) eine Expertenregierung. Seit Dezember 2020 ist der parteilose Universitätsprofessor Zdravko Krivokapić, der das rechts-konservative Wahlbündnis "Für die Zukunft Montenegros“ angeführt hatte, Premierminister des Landes.

Schwere Wirtschaftskrise im Zuge der Corona-Pandemie

Seit Ausbruch der Corona-Pandemie befindet sich Montenegro in einer schweren Wirtschaftskrise. Ein Grund dafür ist die wirtschaftliche Abhängigkeit des Landes vom Tourismus. Etwa ein Fünftel seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) erwirtschaftet Montenegro mit dem Tourismus. Laut Internationalem Währungsfonds (IWF) fiel das BIP Montenegros im Jahr 2020 um 15,2 Prozent.

Hinzu kommt, dass Montenegro laut Medienberichten Schwierigkeiten hat, die erste Rate eines im Jahr 2014 mit China vereinbarten Kredits zu bedienen. Mit dem Geld sollte eine Autobahn gebaut werden, die das 620.000-Einwohner-Land bis zur nordöstlichen Grenze zu Serbien durchquert. Die EU hat zwar Hilfe bei der Fertigstellung der Autobahn zugesagt, erklärte sich jedoch außer Stande, bei der Umschuldung des 944-Millionen-Euro-Kredits einzuspringen.

Auf dem EU-Westbalkan-Gipfel im Mai 2020 sagte die EU den Westbalkanstaaten aber 3,3 Milliarden Euro Finanzhilfe zu, um die Folgen der Corona-Pandemie zu bekämpfen und erklärte, sich wirtschaftlich stärker in der Region engagieren zu wollen.

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