Inhaltsbeschreibung
Flucht und Flüchtende gab es zu allen Zeiten. Enteignungen, Versklavung, wirtschaftliche Not, Kriege, Ausbeutung, Verfolgung, Umweltkatastrophen – es gibt zahlreiche, oft miteinander verflochtene Gründe, den Heimatort fluchtartig zu verlassen und nach einer neuen Bleibe zu suchen.
Johannes Siegmund lädt in seinem Essay zu einem Perspektivwechsel ein: statt Flüchtende ausschließlich in einer passiven Opferrolle zu sehen oder aber die Kosten für die Aufnahmegesellschaften in den Mittelpunkt zu stellen, sollten sie als politische Subjekte aufgefasst werden, die inmitten gewaltvoller Krisen handlungsfähig blieben und für ihre Würde und gegen Lager, Abschiebungen, Rassismus und Grenzen kämpften. Ohne gültige Einreisedokumente seien ihnen viele Wege und Möglichkeiten verschlossen. Daher müssten sie sich immer wieder neue, nicht-staatliche Strukturen und Unterstützungsnetzwerke erschaffen sowie kreative Nischen suchen und hätten dadurch zugleich ihre Zielländer in verschiedenen Epochen vielfach durch Erfindungen und Kulturtechniken verändert und bereichert. Vor allem an dem Umgang mit Flüchtenden zeige sich, wie zerbrechlich liberale Demokratien in ihren Konzepten der Freiheit und Gleichheit seien, denn immer wieder sei rassistische Flüchtlingspolitik Nährboden für rechtsextreme Gewalt gewesen und habe so den Weg für Autoritarismus oder Faschismus geebnet. Doch müssten, Siegmund zufolge, Fluchtbewegungen nicht unweigerlich zu einem Rechtsruck führen – sie könnten auch eine radikal solidarische Welt hervorbringen.