Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Klimapolitik am Scheideweg | Megatrends? | bpb.de

Megatrends? Editorial "Der Horizont reicht meist nur bis zum nächsten Wahltag." Ein Gespräch Industrie 4.0 und die Digitalisierung der Produktion – Hype oder Megatrend? Klimapolitik am Scheideweg Zukunft der Mobilität: An der Dekarbonisierung kommt niemand vorbei Das Schrumpfen akzeptieren: Europas Städte im demografischen Wandel Von den Schwierigkeiten des Regierens in Zeiten der Globalisierung Mode, Hype, Megatrend? Vom Nutzen wissenschaftlicher Zukunftsforschung

Klimapolitik am Scheideweg

Oliver Geden Silke Beck

/ 16 Minuten zu lesen

In der internationalen Klimapolitik vollzieht sich ein Paradigmenwechsel: Das Augenmerk liegt nicht mehr auf dem ökologisch Wünschbaren, sondern auf dem politisch Machbaren. Eine Chance, Blockaden zu überwinden?

Der Klimawandel wird in den kommenden Jahrzehnten zum ständigen Begleiter werden – in Politik und öffentlicher Verwaltung, im Wirtschaftsleben, im privaten Alltag. Er ist der "Megatrend" unserer Zeit. Aufgrund der langen Wirkungsdauer der Treibhausgase gilt dies selbst dann, wenn der UN-Klimagipfel im Dezember 2015 in Paris (COP 21) wider Erwarten drastische Emissionsminderungen verabschieden würde und die beteiligten Staaten anschließend auch rasch Maßnahmen zur Umsetzung dieser Beschlüsse ergreifen würden. Allein die weltweit bislang schon emittierten Treibhausgase dürften einen Temperaturanstieg um etwa 1,5 Grad Celsius (im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter) zur Folge haben. Nach dem Pariser Klimagipfel wird sich wahrscheinlich die Erkenntnis durchsetzen, dass selbst das Einhalten der vereinbarten Zwei-Grad-Obergrenze mit herkömmlichen Mitteln nicht mehr realistisch ist.

Offen ist allerdings, wie die Staatenwelt damit umgehen wird, dass die Auswirkungen des Klimawandels immer stärker spürbar werden und ein Überschreiten der bislang gesetzten Grenze zum gefährlichen Klimawandel droht. Wird die internationale Klimapolitik am Versuch einer umfassenden "Lösung" des Klimaproblems festhalten, selbst wenn dazu Geoengineering-Technologien eingesetzt werden müssten, mit denen man gezielt in das Klimasystem interveniert? Oder wird die Politik einen pragmatischen Weg einschlagen, der sich auf eine "Bearbeitung" des Klimaproblems konzentriert, etwa auf Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel, verbunden mit einer bestmöglichen Begrenzung des Temperaturanstiegs?

Klimawandel

Eine wichtige Grundlage für die UN-Klimaverhandlungen bilden die Berichte des Weltklimarates (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC). Eine seiner wesentlichen Errungenschaften besteht im Nachweis, dass der Klimawandel bereits im Gange ist und dass sich dies maßgeblich auf menschliches Handeln zurückführen lässt. Seit seiner Gründung 1988 hat der Rat fünf umfassende Berichte veröffentlicht, in denen sich der klimawissenschaftliche Konsens abbildet. Laut dem jüngsten Sachstandsbericht, der in mehreren Teilen 2013 und 2014 veröffentlicht wurde, hat der Klimawandel bereits heute Auswirkungen auf allen Kontinenten und in allen Ozeanen. Nahezu alle Gletscher der Welt schmelzen. Es sei sehr wahrscheinlich, dass Hitzewellen künftig häufiger auftreten und länger anhalten. In vielen Regionen sei zudem mit häufigeren und heftigeren Extremniederschlägen zu rechnen.

Und auch wenn die Folgewirkungen in gemäßigten Klimazonen nicht so stark ausfallen werden wie in vielen Entwicklungsländern, so wird der Klimawandel doch auch in Deutschland immer deutlicher spürbar werden. Der jüngste Monitoringbericht zur Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel nennt unter anderem stärkere Ertragsschwankungen in der Landwirtschaft oder die Ausbreitung von Tier- und Pflanzenarten aus wärmeren Klimazonen. Dazu zählt etwa die Asiatische Tigermücke, die Krankheiten wie Malaria oder Dengue-Fieber übertragen kann.

Eine der wichtigsten Innovationen im fünften IPCC-Sachstandsbericht ist das Konzept des globalen Emissionsbudgets, das in der Klimadebatte inzwischen einen zentralen Platz einnimmt. Das Budgetkonzept ermöglicht es, zu bestimmen, wie viele Treibhausgase insgesamt weltweit überhaupt noch ausgestoßen werden dürfen, um zum Beispiel das Zwei-Grad-Ziel einzuhalten. Damit ist es sehr viel exakter und rigoroser als die zuvor dominierenden Minderungsvorgaben. Mit einem Ziel wie "globale Emissionsminderung um 50 Prozent bis 2050" konnte die Politik sehr viel flexibler auf die Frage reagieren, bis wann die notwendige Trendwende erreicht sein müsste, um das Ziel noch zu schaffen. Der Gedanke hinter dem Treibhausgasbudget ist nun: Wird jetzt die noch mögliche Gesamtmenge der Emissionen klar definiert, schränkt das die Handlungsfreiheit von Politik und Wirtschaft deutlich ein. Je später die weltweiten Emissionen ihren Höhepunkt erreichen und je höher dieser sein wird, desto rascher muss der Treibhausgasausstoß nachfolgend sinken, um noch im Rahmen des Budgets zu bleiben.

Der IPCC-Bericht zeigt deutlich, dass der Menschheit nicht mehr viel Zeit zum Umsteuern bleibt, wenn sie das von der UN schon 2010 vereinbarte Zwei-Grad-Limit einhalten will, und dass dazu über Jahrzehnte hinweg massive Emissionsreduktionen erforderlich sein werden. Denn auf heutigem Niveau wäre das gesamte verbleibende Budget schon in rund dreißig Jahren ausgeschöpft. Bislang ist jedoch noch nicht einmal der Gipfelpunkt der globalen Treibhausgasemissionen in Sicht. Durch das enorme Wachstum der Schwellenländer haben sich die Emissionen im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts so stark erhöht wie nie zuvor, die Pro-Kopf-Emissionen Chinas liegen inzwischen schon über denen der EU. Der Ausbau der erneuerbaren Energien geht zwar zügig voran, gleichzeitig wächst aber auch der globale Energieverbrauch. Der Anteil der Erneuerbaren liegt deshalb weltweit nach wie vor unter zehn Prozent, von der im Juni 2015 beim G7-Gipfel in Elmau beschworenen "Dekarbonisierung" sind wir noch sehr weit entfernt.

Angesichts des absehbaren "Überziehens" des Emissionsbudgets kann es nicht verwundern, dass die Forschung zum Geoengineering in den vergangenen Jahren einen großen Aufschwung erfahren hat. Dafür spricht der rapide Anstieg an entsprechenden Fachpublikationen, Gutachten und Kommentaren. Innerhalb der internationalen Forschung hat sich auch eine kleine Koalition von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern herausgebildet, die nicht nur die Erforschung der Maßnahmen unter Modell- und Laborbedingungen, sondern auch die Entwicklung und Tests im Feld befürworten. Neben diesen Feldexperimenten dürften durch die Patentierung einzelner Technologien bereits Standards gesetzt werden. Dass das Thema jüngst in der "Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger" eines IPCC-Teilberichts explizit aufgegriffen wurde, verdeutlicht aber auch das wachsende Interesse zahlreicher Regierungen. Selbst hierzulande existiert inzwischen ein entsprechendes Schwerpunktprogramm der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), auch wenn sich dieses sehr stark auf Risiken und Herausforderungen konzentriert.

COP 21 in Paris als Wendepunkt

Angesichts der beunruhigenden Befunde der Klimaforschung erscheint ein Durchbruch in der internationalen Klimapolitik längst überfällig. Nach dem Scheitern eines ambitionierten Versuches auf der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen 2009 (COP 15) war die Ernüchterung zunächst groß. Doch schon im Jahr darauf, bei der Klimakonferenz in Cancún (COP 16), erreichten die Staaten eine formelle Einigung auf das übergreifende Ziel, den Temperaturanstieg gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter auf höchstens zwei Grad Celsius zu begrenzen. Bei der Konferenz in Durban 2011 (COP 17), wurde ein neuer Anlauf vereinbart, bis spätestens 2015 einen umfassenden Weltklimavertrag zu verabschieden, um das Zwei-Grad-Limit auch tatsächlich einhalten zu können.

Wenige Monate vor dem bislang wichtigsten UN-Klimagipfel in Paris hat sich jedoch Ernüchterung breitgemacht. In den vergangenen Jahren hat es zwar politische Fortschritte gegeben, die aber bei Weitem nicht ausreichen werden, um das beschlossene und seither immer wieder bekräftigte Klimaziel auch tatsächlich zu erreichen. Inzwischen stellt weltweit kaum noch eine Regierung infrage, dass der Klimawandel real ist. Und gleichzeitig vollzieht sich ein grundlegender Wandel des klimapolitischen Paradigmas, also der Art und Weise, wie das Kernproblem definiert und welche potenziellen Lösungen dafür vorgesehen werden. Heute steht nicht mehr das Problem selbst ("Gefährliche anthropogene Störung des Klimasystems") im Zentrum des politischen Interesses, sondern die Akteurskonstellation im klimapolitischen Prozess.

Um zu verhindern, dass ein wiederholtes Scheitern von UN-Klimagipfeln die Klimadiplomatie endgültig diskreditiert, haben die Verhandler den Anspruch aufgegeben, eine umfassende Lösung im Klimaschutz zu erarbeiten. Selbst die EU hält es nicht länger für realistisch, alle großen Verschmutzerländer auf ambitionierte und völkerrechtlich verbindliche Emissionsreduktionen zu verpflichten. Allen voran die USA, China und Indien entscheiden souverän über ihre Minderungsziele und Maßnahmen. Insbesondere die US-Regierung unter Barack Obama, obgleich klimapolitisch sehr viel ehrgeiziger als viele ihrer Vorgängerinnen, hat wiederholt erklärt, einem UN-Klimavertrag mit völkerrechtlicher Verbindlichkeit nicht zustimmen zu können, da eine Ratifikation (mit Zweidrittelmehrheit) durch den US-Kongress auf Jahre hinaus vollkommen ausgeschlossen scheint. Aus diesem Grund bildet sich in der internationalen Klimapolitik inzwischen ein "polyzentrisches" Regime heraus, in dem die UN-Klimaverhandlungen zwar immer noch im Mittelpunkt stehen, aber nicht mehr als der einzige relevante Handlungsrahmen zur Erzielung klimapolitischer Fortschritte betrachtet werden.

Auf der Konferenz Ende 2013 in Warschau (COP 19) hatten sich alle 195 Vertragsstaaten der UN-Klimarahmenkonvention (UNFCCC) dazu verpflichtet, bis Ende März 2015 ihre "beabsichtigten nationalen Beiträge" (intended nationally determined contributions, INDC) zu einem neuen globalen Klimaabkommen zu benennen. Die EU hatte gehofft, durch Termintreue anderen Staaten ein Beispiel zu geben. Doch bis zum Stichtag hatten es der EU lediglich vier Länder gleichgetan: die Schweiz, Norwegen, USA und Mexiko. Auch in den Folgemonaten gingen die INDCs nur schleppend beim UNFCCC-Sekretariat in Bonn ein, mit einem Großteil wird erst im Herbst 2015 gerechnet. Doch schon jetzt ist klar, dass die darin angekündigten Minderungsziele zusammengenommen nicht annähernd ausreichen werden, um die Welt auf einen Zwei-Grad-Pfad zu bringen.

Die INDCs sind im UN-Verhandlungsprozess nie eindeutig definiert worden. Anders als von der EU beabsichtigt, dienen sie nicht in erster Linie dazu, rechtzeitig vor Paris die nationalen Klimaziele zu erfassen. Sie sind vor allem ein Vehikel, um ein umfassendes globales Abkommen für die Zeit ab 2020 voranzubringen, das allen Staaten, nicht nur den Industrieländern, eine Beteiligung an der Klimapolitik ermöglicht. Bisher waren es ausschließlich die Industriestaaten, die unter dem Kyoto-Protokoll von 1997 Emissionsreduktionsziele einhalten mussten. Schwellenländer wie China oder Indien gehörten nicht dazu. Faktisch geht es in Paris beim Klimaschutz vor allem um die Überwindung der Trennlinie zwischen Industrie- und Entwicklungsländern, obwohl diese Differenzierung nach wie vor in der UNFCCC von 1992 verankert ist (Annex-I- und Nicht-Annex-I-Staaten). Eine flexible Auslegung der INDCs seitens der Vertragsstaaten bedeutet nicht zuletzt, dass hier sehr unterschiedliche Vorstellungen über den Inhalt eines neuen Abkommens zur Geltung kommen werden. Neben Minderungszielen können die Staaten auch andere nationale Maßnahmen melden, zum Beispiel solche zur Anpassung an den Klimawandel oder sektorale Ansätze zum Klimaschutz wie etwa energiepolitische Programme.

Abschied vom Zwei-Grad-Limit?

Damit wird deutlich, dass in der Klimapolitik inzwischen ein breiter Ansatz verfolgt wird, der sehr viele Politikbereiche einbezieht. Neben Emissionsminderungen sind dies etwa Fragen der Energieversorgungssicherheit, der Entwicklungszusammenarbeit, des Risikomanagements und umfangreicher Finanztransfers von Industrieländern zu Entwicklungsländern. Für die vom Klimawandel besonders betroffenen Staaten ist die internationale Architektur der Klimafinanzierung ein weitaus wichtigeres Thema als die Minderungsziele der Industrie- und Schwellenländer. Ob in Paris ein Abkommen verabschiedet werden kann, dass alle Staaten einbezieht, hängt nicht zuletzt davon ab, ob in dieser Frage ein Interessenausgleich gelingt.

Während sich also in der internationalen Klimadiplomatie ein genuin politischer Modus durchzusetzen beginnt, rücken "problemzentrierte" Konzepte strikter Emissionsbegrenzungen oder eines verbleibenden globalen CO2-Budgets in den Hintergrund. Das neue, "akteurszentrierte" Paradigma stellt nicht mehr langfristige Klimastabilisierungsziele in den Mittelpunkt, sondern die Gestaltung des Rahmens der Klimapolitik, der es ermöglicht, möglichst alle Akteure auf Dauer in den politischen Prozess zu integrieren. Das Hauptaugenmerk liegt damit faktisch nicht mehr auf dem ökologisch Wünschbaren, sondern auf dem politisch Machbaren. Obwohl sich damit im Grunde genommen lediglich eine Angleichung an die Normalität der internationalen Diplomatie ausdrückt, mag kaum jemand offen von einem Paradigmenwandel sprechen. Dies käme nicht nur einem Eingeständnis des Scheiterns von 25 Jahren UN-Klimaverhandlungen gleich, es stünde auch in deutlichem Widerspruch zum Zwei-Grad-Ziel.

De facto vollzieht sich damit ein Wechsel von einem Top-down-Ansatz zu einem Bottom-up-Ansatz: Denn Ausgangspunkt ist nun nicht mehr das politisch vereinbarte Ziel (maximale Erwärmung um zwei Grad Celsius), von dem sämtliche klimapolitische Maßnahmen top-down abgeleitet werden, sondern aus den Maßnahmen, zu denen die Staaten bereit sind, ergibt sich bottom-up, was im Bereich des politisch Möglichen liegt. Klimadiplomaten und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) sehen darin allerdings keinen Bruch, sondern eher eine pragmatische Erweiterung und Ergänzung: Zum einen sei es dadurch möglich, die weltweit größten Verschmutzerländer einzubinden, zum anderen könne nun ein Rahmenwerk geschaffen werden, in das sich auch Initiativen substaatlicher Akteure wie Megastädte und Unternehmen integrieren lassen.

Zwar wurde das Top-down-Paradigma als klimapolitisches Ideal noch keineswegs aufgegeben, in der politischen Praxis aber erodiert es zusehends, sodass jeder Staat letztlich nur das macht, was er für vertretbar hält, was in der Summe wohl nicht zu einem Zwei-Grad-kompatiblen Pfad führen wird. Dieses latente Spannungsverhältnis manifestiert sich auch in den widersprüchlichen Erwartungen, die klimapolitisch progressive Akteure wie die EU oder NGOs an die Pariser Klimakonferenz knüpfen. Im Lichte des nur schleppend vorangehenden Verhandlungsprozesses würde es schon als historischer Erfolg angesehen, wenn es überhaupt zu einem Abkommen käme, das alle UN-Staaten einzubinden vermag. Doch im Gegensatz zur Entscheidung der Konferenz in Durban 2011 wird es in Paris allenfalls gelingen, das Zwei-Grad-Ziel "in Reichweite zu halten". Um die Welt auf einen Zwei-Grad-Pfad zu bringen, sollen dort auch Mechanismen zur kontinuierlichen Ambitionssteigerung vereinbart werden, die nach 2020 greifen sollen. Derartige Mechanismen sind häufig Gegenstand internationaler Klimaabkommen, doch sie werden in der anschließenden Praxis nur selten mit Leben gefüllt. In der Regel dienen sie dazu, politisch enttäuschende Ergebnisse von UN-Klimagipfeln in einem freundlicheren Licht erscheinen zu lassen und die Hoffnung auf eine ehrgeizigere Klimapolitik aufrechtzuerhalten.

Nachdem es in einem Vierteljahrhundert internationaler Klimapolitik nicht gelungen ist, eine Senkung der globalen Treibhausgasemissionen zu erreichen, sieht sich die Welt vor Paris mit einem fundamentalen Zielkonflikt konfrontiert. Was ist im Zweifelsfall wichtiger: die Einbeziehung möglichst aller Staaten in die internationale Klimapolitik oder das Ambitionsniveau eines neuen Klimavertrags? Faktisch hat sich die Klimadiplomatie bereits entschieden, dem Abschluss eines möglichst "inklusiven" Abkommens Priorität einzuräumen. Dies beruht auf der nachvollziehbaren Einschätzung, dass es langfristig wenig hilfreich ist, gemeinsam immer wieder ehrgeizige Ziele zu beschwören, deren konsequente Verfolgung dann aber regelmäßig unterbleibt.

Die Wissenschaft hat zwar den Nachweis für die Existenz des Klimawandels erbracht, doch hat dies nicht zu wirkungsvoller Politik geführt, was viele in zunehmendem Maße enttäuscht. Die Kluft zwischen dem, was aus wissenschaftlicher Perspektive eigentlich notwendig wäre, und dem, was politisch umgesetzt wird, klafft mit jedem Jahr weiter auseinander.

"Lösung" oder "Bearbeitung" des Klimaproblems?

Im günstigsten Fall kann Paris den Einstieg in ein Regime bringen, mit dem das bislang größte Manko der internationalen Klimapolitik behoben werden kann: der Mangel an gegenseitigem Vertrauen. Wenn es gelingen sollte, ein breites Paket zu schnüren, dessen Umsetzung hohen Standards an Transparenz und Verlässlichkeit folgt, dann kann es dem gegenseitigen Verdacht den Boden entziehen, dass sich andere Staatengruppen nicht an ihre Zusagen halten und somit den anhaltenden Zustand der klimapolitischen Lähmung durchbrechen. Doch was klimapolitisch ein nicht zu unterschätzender Schritt in die richtige Richtung wäre, steht im Widerspruch zur naturwissenschaftlich geprägten Logik, die den klimapolitischen Diskurs in Deutschland und der EU in den vergangenen 25 Jahren geprägt hat.

Wenn sich in den kommenden Jahren immer deutlicher herauskristallisiert, dass top-down und bottom-up im Kern nicht kompatibel sind, wird sich die Welt entscheiden müssen, welchem klimapolitischen Paradigma sie Vorrang einräumt – der bisher gültigen "Entweder/Oder-Logik", die der Durchsetzung und Einhaltung des Zwei-Grad-Limits unbedingte Priorität beimisst, oder einer "Je-weniger-desto-besser-Leitlinie", die für das Bemühen steht, die Emissionen und damit den Temperaturanstieg bestmöglich zu minimieren. Das Top-down-Paradigma legt die Vorstellung nahe, dass es so etwas wie einen gordischen Knoten gibt, den man mit einem Schlag lösen kann. Die Erwartung, dass dieser Schlag auf dem nächsten UN-Gipfel gelingen wird, ja gelingen muss, wird von Konferenz zu Konferenz weitertransportiert und trägt maßgeblich zu einer Überhitzung der Debatte bei. Diese Konstellation führt zu einem Schaukeleffekt: Politik, die sich nicht den Realitäten fügt, neigt in Bezug auf ihre Möglichkeiten dazu, zwischen Selbstüberschätzung und Resignation hin- und herzupendeln.

Das Abkommen von Paris ist de facto ein weiterer Schritt zu einem pragmatischen, polyzentrischen Klimaregime. So lange aber am Top-down-Ideal festgehalten wird, besteht die Gefahr, dass selbst drastische "Lösungen" noch eine Chance auf Realisierung haben. Schon heute gehen die klimaökonomischen Modelle davon aus, dass eine strikte Einhaltung des Zwei-Grad-Limits nur dann möglich sein wird, wenn in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts durch das Entziehen von CO2 aus der Erdatmosphäre in großem Umfang "negative Emissionen" generiert werden können. Carbon dioxide removal wurde noch vor zehn Jahren beinahe einhellig als Geoengineering klassifiziert, heute ist es implizit schon Bestandteil der globalen Klimaschutzstrategien. Bei der weit überwiegenden Mehrheit der im IPCC-Bericht verwendeten Modelle wird angenommen, dass hauptsächlich eine großtechnologische Kombination des Anbaus von rasch wachsender Biomasse, deren Verfeuerung in Kraftwerken und schließlich der Abscheidung und unterirdischen Speicherung des freigesetzten CO2 zum Einsatz kommen sollte. Schon der heute angenommene Umfang würde am Ende des Jahrhunderts etwa 500 Millionen Hektar zusätzliche Biomasse-Anbaufläche erfordern, was der anderthalbfachen Landfläche Indiens entspräche. Die Frage, wie mit den sich daraus ergebenden Landnutzungskonflikten umzugehen wäre, ist nicht einmal ansatzweise erforscht, geschweige denn politisch diskutiert worden.

Noch weitaus problematischer wäre es, wenn ernsthaft der Einsatz von Geoengineering-Technologien erwogen würde, mit denen die Strahlungsbilanz der Erde verändert werden könnte, also durch Methoden des solar radiation management (SRM) wie etwa dem gezielten Eintrag von Schwefelpartikeln in die Stratosphäre. Geht man davon aus, dass die Bemühungen um drastische Emissionsminderungen in den kommenden Jahren nur schleppend vorankommen werden und dass sich früher oder später angesichts immer stärker spürbarer Klimawandelfolgen die Haltung durchsetzt, dass dringend gegengesteuert werden muss, dann ist der Beginn einer hektischen Suche nach "schnellen Lösungen" nicht das unwahrscheinlichste Szenario. Da selbst zügige Emissionsreduktionen nur einen deutlich verzögerten Einfluss auf das Klimasystem haben, könnte der Einsatz von SRM-Technologien vielen Staaten unausweichlich erscheinen. Die Injektion von Schwefelpartikeln in die Stratosphäre, mit der man die temperaturdämpfenden Effekte von Vulkanausbrüchen nachzubilden versucht, wäre zwar vergleichsweise kostengünstig, brächte aber nicht nur das Risiko nicht beabsichtigter ökologischer Nebenfolgen mit sich, sondern auch das massiver zwischenstaatlicher Konflikte. Da der Eintrag von Schwefelpartikeln in die Stratosphäre weltweit sehr unterschiedliche Wetterveränderungen nach sich ziehen würde, eine eindeutige kausale Zuordnung aber kaum möglich wäre, käme es in der Folge zur Politisierung eines jeden Extremwetterereignisses, da der Verdacht nicht ausgeräumt werden könnte, regional auftretende Unwetter und Dürren seien die Folge von Klimamanipulationen einzelner Staaten.

Perspektiven

Nähme die Welt Abschied von der Vorstellung, dass es eine allumfassende Lösung für das Klimaproblem gibt, wäre dies keineswegs gleichbedeutend mit dem Ende aller klimapolitischen Bemühungen. Eine solche Entwicklung entspräche eher einer "Politisierung" der Klimapolitik, die bei den realen Handlungsspielräumen und -beschränkungen der wichtigsten Akteure ansetzt. Pragmatische Fortschritte, auch wenn sie hinter dem zurückbleiben, was Wissenschaftler als notwendig erachten, würden dann wichtiger als wohlklingende Globalziele und "optimale" Politikdesigns, die die Regierungen bislang zwar häufig beschlossen, aber selten umgesetzt haben. In gewisser Weise würde sich die Klimapolitik noch stärker der Praxis der Entwicklungspolitik annähern, die schon seit Jahrzehnten mit den Mühen der Ebene konfrontiert ist. In der Entwicklungszusammenarbeit wird schon lange kein übergreifendes Politikziel mehr diskutiert, sondern – wie ehedem bei den Millennium Development Goals (MDG) und den 2015 noch zu beschließenden Sustainable Development Goals (SDG) – lediglich eine Vielzahl sektoraler Teilziele. Die SDG werden sich nur bedingt konsistent zueinander verhalten, die Interpretation mehrdeutiger Unterziele wird noch jahrelang umstritten sein. Die Vielzahl von Politikarenen ermöglicht den Akteuren unterschiedliche Schwerpunktsetzungen und Bündnisstrategien.

Eine ähnlich gelagerte Klimapolitik scheint heute bereits am Horizont auf. Klimapolitik wird nicht mehr nur im UN-Rahmen gemacht, sondern auch in kleineren Staatenbündnissen (etwa zwischen China und den USA), sektoralen Organisationen (etwa der Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien, IRENA) oder substaatlichen Arenen (etwa der C40-Initiative von Megastädten). Neben Fragen der Emissionsminderung werden Fragen der Anpassung zunehmend wichtiger. Das Thema Klimafinanzierung rückt immer stärker in den Mittelpunkt, mit allen Implikationen, die wir bereits aus der Entwicklungspolitik kennen. Die Vielfältigkeit der Konstellationen bringt auch eine Vielfalt an politischen Optionen mit sich. Das ist ein nicht zu unterschätzender Vorteil.

Wenn nicht mehr einfach nur ein globaler "Masterplan" umgesetzt werden soll, wird es den Regierungen dieser Welt leichter fallen, Optionen zu finden, die in den jeweiligen nationalen, regionalen oder lokalen Kontexten auch anschlussfähig und damit umsetzbar sind. Gerade weil die langfristigen Folgen von klimapolitischen Entscheidungen unbekannt sind und sich ihre Rahmenbedingungen ständig verändern, kann sich die politische Diskussion nicht frühzeitig auf einen Lösungsansatz festlegen. Stattdessen wird es wichtig, ein breites Spektrum an Optionen ins Auge zu fassen und Wahlmöglichkeiten offen zu halten. Um die politischen Instrumente gegebenenfalls nachjustieren zu können, gilt es zudem, sämtliche Maßnahmen selbstkritisch zu überwachen und regelmäßig zu evaluieren. Eine "politisierte" Klimapolitik hat die Chance, die stetig größer gewordene Kluft zwischen Langfristzielen und alltäglicher politischer Praxis schrittweise wieder schrumpfen zu lassen. Durch den Einbezug möglichst vieler Akteure kann es nicht nur zu einem Wettbewerb der besten Instrumente, sondern auch zu einer Stärkung des gegenseitigen Vertrauens kommen, der es allen Regierungen erleichtern wird, in die Zukunft zu investieren. Und dennoch: Dass die internationale Klimapolitik bislang nur schleppend vorangekommen ist, dass die globalen Treibhausgasemissionen in den vergangenen 25 Jahren um 40 Prozent gestiegen sind, wird nicht ohne Folgen bleiben. Die Welt des 21. Jahrhunderts wird sehr stark vom Klimawandel geprägt sein. Bislang ist sie darauf nicht einmal ansatzweise vorbereitet.

Fussnoten

Fußnoten

  1. COP 21 steht kurz für 21st Conference of the Parties, womit die Vertragsparteien der Klimarahmenkonvention gemeint sind.

  2. Vgl. Silke Beck, Das Klimaexperiment und der IPCC: Schnittstellen zwischen Wissenschaft und Politik in den internationalen Beziehungen, Marburg 2009.

  3. Vgl. Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), Climate Change 2014: Impacts, Adaptation, and Vulnerability, Part B: Regional Aspects, Contribution of Working Group II to the Fifth Assessment Report of the IPCC, Cambridge–New York 2014.

  4. Vgl. Umweltbundesamt, Monitoringbericht 2015 zur Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel, Bericht der Interministeriellen Arbeitsgruppe Anpassungsstrategie der Bundesregierung, Dessau–Berlin 2015.

  5. Vgl. IPCC, Climate Change 2014: Mitigation of Climate Change, Contribution of Working Group III to the Fifth Assessment Report of the IPCC, Cambridge–New York 2014.

  6. Vgl. BP Statistical Review of World Energy 2015, Externer Link: http://www.bp.com/en/global/corporate/about-bp/energy-economics/statistical-review-of-world-energy.html (9.7.2015).

  7. Siehe hierzu auch den Beitrag von Weert Canzler in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.).

  8. Vgl. IPCC, Summary for Policymakers, in: Climate Change 2013: The Physical Science Basis, Contribution of Working Group I to the Fifth Assessment Report of the IPCC, Cambridge–New York 2013.

  9. Vgl. Arthur C. Petersen, The Emergence of the Geoengineering Debate Within The IPCC, Geoengineering Our Climate? Working Paper and Opinion Article Series, 9.9.2014, Externer Link: http://wp.me/p2zsRk-bp (9.7.2015).

  10. Vgl. die Website des DFG-Schwerpunktprogramms "Climate Engineering", Externer Link: http://www.spp-climate-engineering.de (9.7.2015).

  11. Vgl. Daniel H. Cole, From Global to Polycentric Climate Governance, EUI/RSCAS Working Paper 30/2011.

  12. Vgl. Susanne Dröge/Oliver Geden, Die EU und das Pariser Klimaabkommen. Ambitionen, strategische Ziele und taktisches Vorgehen, SWP-Aktuell 42/2015.

  13. Vgl. David Victor, Copenhagen II Or Something New, in: Nature Climate Change, 4 (2014), S. 853ff.

  14. Vgl. Oliver Geden, Climate Advisers Must Maintain Integrity. As Global Negotiations Fail on Emissions Reductions, Scientific Advisers Need to Resist Pressure to Fit the Facts to the Failure, in: Nature, 521 (2015), S. 27f.

  15. Vgl. David Victor, Global Warming Gridlock. Creating More Effective Strategies for Protecting the Planet, Cambridge 2011.

  16. Vgl. Oliver Geden, Das Ende der Klimapolitik, wie wir sie kannten, in: Volker Perthes/Barbara Lippert (Hrsg.), Ungeplant ist der Normalfall. Zehn Situationen, die politische Aufmerksamkeit verdienen, SWP-Studie 32/2011, S. 19–22.

  17. Vgl. Niklas Luhmann, Ökologische Kommunikation. Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen?, Opladen 1986.

  18. Vgl. Sabine Fuss et al., Betting on Negative Emissions, in: Nature Climate Change, 4 (2014), 850–853.

  19. Vgl. Susanne Dröge, Geoengineering auf dem Vormarsch. Klimafolgenabwehr durch die USA und China, in: V. Perthes/B. Lippert (Anm. 16), S. 15–18.

  20. Wichtige Teilziele, wie der schon 1970 auf UN-Ebene getroffene Beschluss, dass die Geberländer von Entwicklungshilfe jährlich 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens bereitstellen sollen, wurden bis heute nie erreicht.

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autoren/-innen: Oliver Geden, Silke Beck für Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de

Sie dürfen den Text unter Nennung der Lizenz CC BY-NC-ND 3.0 DE und der Autoren/-innen teilen.
Urheberrechtliche Angaben zu Bildern / Grafiken / Videos finden sich direkt bei den Abbildungen.
Sie wollen einen Inhalt von bpb.de nutzen?

Dr. phil, geb. 1971; Leiter der Forschungsgruppe EU/Europa der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Ludwigkirchplatz 3–4, 10719 Berlin. E-Mail Link: oliver.geden@swp-berlin.org

Dr. rer. soc., geb. 1966; Arbeitsgruppenleiterin am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), Permoserstraße 15, 04318 Leipzig. E-Mail Link: silke.beck@ufz.de