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"Eine lange Bank in der Fußgängerzone – das ist ein gutes Zeichen" - Interview | Wohnungslosigkeit | bpb.de

Wohnungslosigkeit Editorial Was bedeutet es, zu wohnen? Ein Recht auf (menschenwürdiges) Wohnen? Wohnungslosigkeit in Deutschland aus europäischer Perspektive Eine Geschichte der Obdachlosigkeit im 19. und 20. Jahrhundert "Unangenehm", "arbeitsscheu", "asozial". Zur Ausgrenzung von wohnungslosen Menschen Wohnungslosigkeit als heterogenes Phänomen. Soziale Arbeit und ihre Adressat_innen "Eine lange Bank in der Fußgängerzone – das ist ein gutes Zeichen" - Interview

"Eine lange Bank in der Fußgängerzone – das ist ein gutes Zeichen" - Interview

Gerhard Roden

/ 11 Minuten zu lesen

Wie ist Wohnungslosenhilfe auf lokaler Ebene organisiert, welche Herausforderungen stellen sich für die in der Sozialen Arbeit Tätigen? Gerhard Roden, Leiter der Wohnungslosenhilfe der Caritas Bonn, spricht über die Situation in der Bundesstadt.

Wir treffen Gerhard Roden, den Leiter der Wohnungslosenhilfe der Caritas Bonn, im Prälat-Schleich-Haus, einer (Not-)Unterkunft für wohnungslose Männer. Schnell sind wir im Gespräch über die Wohnungssuche in Bonn und der Region.

Gerhard Roden – Ich habe 1990 in Köln eine Wohnung gesucht, kurz nach dem Mauerfall, da war die Situation ähnlich wie heute, nur trat die plötzlich ein, als viele Menschen hier rüber wanderten. Wir haben uns damals aufgeregt über Mietpreise von 6 Mark den Quadratmeter, 10 Mark war überhaupt nicht vorstellbar. Wir hatten eine Wohnkostenbelastung von 20 Prozent des Nettoeinkommens.

Heute spricht man von mehr als 40 Prozent des Einkommens, die ärmere Haushalte teilweise für die Miete aufbringen müssen.

Das Thema Armut darf man nicht nur entlang des Einkommens denken, man muss es auch entlang der Fixkosten denken. Wohnkosten sind Fixkosten, und viele Kosten zur Teilhabe sind heute Fixkosten und deutlich teurer geworden. Und obwohl jemand als Facharbeiter tätig ist, hat er plötzlich einen Fixkostenanteil von 70 Prozent, darunter einen Wohnkostenanteil von 50 Prozent. Vor 25 Jahren hätte kein Vermieter bei einer solchen Wohnkostenbelastung vermietet, das können Haushalte nur sehr schwer stemmen. Da baut sich ein riesengroßes Problem auf. Die Menschen gehen dorthin, wo Arbeit ist. Wenn ich in der Eifel preiswert wohnen kann, habe aber keinen Job, hilft mir das auch nicht weiter.

Zugleich fallen in den Städten Sozialwohnungen aus den Bindungen heraus und werden nicht genug neue gebaut.

Ich stoße mich am Begriff "Sozialwohnungen". Dieser Begriff drückt meines Erachtens etwas Falsches aus. Er drückt aus, dass die Ursache für diese Förderung bei der sozialen Schwäche der potenziellen Mieter liegt. Aber tatsächlich liegt die Ursache für die Notwendigkeit dieser Förderung darin, dass man mit einem üblichen Einkommen nicht so viel Geld hat, irgendeinen Investor dazu zu motivieren, Wohnungen zu bauen. Wir haben heute in Bonn eine Situation, dass geschätzt 40 bis 50 Prozent der Bevölkerung vom Grundsatz her einen Anspruch auf eine "Sozialwohnung" haben. Viele würden auch gerne für 6,80 Euro den Quadratmeter irgendwo ordentlich wohnen. Wenn die in der Zeitung lesen, dass sie jetzt auch zu den "sozial Schwachen" zählen, wie fühlt sich so jemand, der jeden Tag arbeiten geht, Maurer ist, Facharbeiter ist, Angestellte ist? Wir diskreditieren die Hälfte der Bevölkerung, wenn wir diese Terminologie unreflektiert übernehmen.

Ist die Ursache für zunehmende Wohnungslosigkeit denn immer der angespannte Wohnungsmarkt, oder kommen noch andere Faktoren hinzu?

Der Wohnungsmarkt spielt sicherlich eine große Rolle. Die Wohnungswirtschaft spricht von zwei Prozent Leerstandsquote in Bonn. Dieser Leerstand ist fluktuationsbedingt, das ist eigentlich keiner, das ist Vollauslastung. Es gibt objektiv gesehen zu wenig Wohnungen, damit alle Menschen ordentlich wohnen können. Damit gibt es auch Menschen, die sich ohne eigene Wohnung durchschlagen müssen. Manche leben in prekären Wohnverhältnissen, manche sind obdachlos. 2017 haben 1425 Menschen die Hilfe der Wohnungslosenhilfe der Caritas Bonn in Anspruch genommen. Hiervon 600 erstmalig. Und viele werden statistisch nicht erfasst: die Frau, die bei ihrem "Partner" wohnt, obwohl sie am liebsten ausziehen würde, derjenige, der im Wohnwagen lebt, der beim Kumpel auf dem Sofa schläft und gar nicht weiß, dass er wohnungslos ist, aber das irgendwann merkt, weil er keine Meldeadresse hat – auch diese Zahl ist relevant, weil diese Lebenssituationen der Teilhabe entgegenstehen und aus ihnen Obdachlosigkeit entstehen kann.

Wir groß ist die Hürde, Hilfe in Anspruch zu nehmen?

Wir haben unser System so konzipiert, dass wir auf diese Hürde Bezug nehmen. Menschen, die hier vorsprechen, sind in einer existenzbedrohenden Notlage. Wenn man sich nicht irgendwo geschützt zwischen Mauern aufhalten kann, ist man existenziell bedroht, viele haben Angst und wissen nicht, wie es weitergehen kann. Das ist die Situation, in der die Menschen sich befinden, wenn sie hier vorsprechen. Wir bieten in dieser Lebenssituation existenzsichernde Zugangsportale. Die sollen Türen öffnen und orientieren sich stringent am Bedarf in dieser Lebenssituation. Wenn jemand sagt, er braucht was zu essen, bekommt er was zu essen. Wenn jemand sagt, er braucht ein Dach über den Kopf, bekommt er ein Dach über den Kopf. Und wenn jemand sagt, ich brauche Hilfe dabei, meine Wohnung nicht zu verlieren, dann bekommt er auch diese Unterstützung. Da nehmen wir noch keinen Bezug auf die Ursachen der Probleme. Die Chance, die in dieser Phase liegt, ist, Vertrauen aufzubauen, zum Hilfesystem, zu den Menschen, die hier arbeiten. Und wenn Vertrauen wächst, dann kann sich die Hilfe dahingehend weiterentwickeln, dass die Menschen personenzentrierte Unterstützung anfragen, die auf Teilhabe hin ausgerichtet ist, auf selbstbestimmte Teilhabe.

Wie sieht die Angebotsstruktur der Wohnungslosenhilfe in Bonn aus, wie kooperieren sie mit anderen Trägern, mit der Stadt?

Wir bieten eine Menge Möglichkeiten an, anzukommen: eine Notübernachtung für Männer, Tagesaufenthalt, Fachberatung, Straßensozialarbeit, Krisenhilfe Wohnungsnot, wenn jemand von Wohnungslosigkeit bedroht ist. In Bonn gibt es auch spezielle Hilfen für wohnungslose Frauen. Um wohnungslose Familien kümmert sich die Stadt Bonn mit dem allgemeinen sozialen Dienst und dem Jugendamt. Die Familien werden dann auch teilweise, wenn sie obdachlos sind, in städtischen Unterkünften untergebracht. Wobei die Stadt sehr viel unternimmt, Wohnungslosigkeit abzuwenden. Schon bei der Prävention fangen wir an, mit den anderen Akteuren zu kooperieren, mit der Stadt, dem Jobcenter oder dem Verein für Gefährdetenhilfe [ein weiterer Träger in Bonn, Anm. d. Red.]. Wir bauen wirksame fach- und trägerübergreifende Prozessnetze auf, die verhindern, dass die Menschen abrutschen, und die das gesamte Leistungsspektrum der Sozialgesetzbücher erschließen. Wir vermeiden Parallelsysteme zu den Regelsystemen, spezielle Angebote für "Wohnungslose" oder "Obdachlose". Das würde Artikel 1 des Grundgesetzes widersprechen. Wenn ich die Kategorie Mensch "der Wohnungslose"oder "der Obdachlose" schaffe, dann verkürze ich dessen Menschenwürde. Wir hier in Bonn sind getragen vom Teilhabegedanken.

Wird das in anderen Kommunen denn anders gehandhabt?

Ich weiß nicht, ob man das schon so prägnant formuliert hat, wie ich es gerade hier tue. Die sozialrechtliche Vorgabe ist genauso, wie ich sie hier ausspreche, wenn man sie in das Gesamtkonzept aus Grundgesetz und Sozialgesetzbüchern einbettet. Es gibt faktisch gesehen keinen Grund, warum ich eine "Tafel" bräuchte, und wenn sie die Verwerfungen sehen, die darum entstehen, Machtgefälle, Unterminierung des Sozialsystems, Einflechtung dieser Struktur in verkürzte Regelsysteme – "geh doch zur Tafel, da kriegst du auch was zu essen" – das ist doch haarsträubend, da wollen wir doch nicht hin.

Nicht zuletzt durch die Diskussion um die Essener "Tafel" wurden angebliche Verteilungskämpfe unter Armen und Wohnungslosen wegen zunehmender "Konkurrenz" durch Ausländer in den Blick genommen.

Es gibt den Aspekt der Knappheit, und das ist immer auch schwierig, wenn es existenziell wird. Wir versuchen ein Angebot vorzuhalten, das ausreichend ist. Wir haben zum Beispiel hier einen Mahlzeitendienst, da können die Menschen für einen Euro essen. Und wenn wir so was machen, müssen wir für jeden, der kommt, genug Essen haben. Dann ist der "Verteilungskampf" schnell vorbei.

Sie betreiben hier die sogenannte City-Station, in der auch der Mahlzeitendienst stattfindet. Was bietet die Station noch?

Die City-Station ist im Sinne der Existenzsicherung ein Tagesaufenthalt. Da kann man einfach hingehen, ohne dass man irgendwas über sich sagen muss. Das ist eine sehr niedrige Hürde. Man kann Kaffee trinken, was essen, Karten spielen. Und sich damit sozusagen an dieses System annähern und gleichzeitig existenzsichernde Hilfe bekommen. An die City-Station angegliedert ist die Fachberatung, sodass die Menschen, die kommen, die Sozialarbeiter kennenlernen können. Im Winter, wenn die Temperaturen unter null Grad fallen, lassen wir die Station auch die ganze Nacht offen.

Wie viele Wohn- und Betreuungsplätze bieten Sie an?

Im stationären Bereich haben wir über 100 Plätze, dazu bieten wir 84 Plätze in Wohngemeinschaften und Wohnhäusern an. Dort können die Menschen so lange leben, wie sie das wünschen. Weiterhin betreuen wir gegenwärtig noch 43 Personen im Rahmen des Betreuten Wohnens in deren Wohnungen. In allen Einrichtungen finden die Menschen ein Dach über dem Kopf, aber es stecken sehr unterschiedliche Betreuungsangebote dahinter, je nachdem, wie der Hilfebedarf aussieht. Hier, im Prälat-Schleich-Haus, bieten wir beispielsweise ein befristetes stationäres Betreuungsangebot. Die Bewohner erarbeiten mit den Sozialarbeitern einen Hilfeplan, überlegen sich, wo sie hinwollen. Dieser Hilfeplan wird halbjährlich fortgeschrieben und dem zuständigen Sozialhilfeträger vorgelegt. Bei den meisten Bewohnern ist das der Landschaftsverband Rheinland. Irgendwann soll es dann in Richtung Auszug gehen. Manchmal in eine eigene Wohnung oder in eine anschließende Betreuungssituation wie Betreutes Wohnen für psychisch kranke Menschen oder in eine Rehabilitation. Im Mittel bleiben die Menschen hier 400 Tage, 65 Prozent haben 2017 die Hilfe erfolgreich beendet. Die Bewohner der Wohnhäuser und Wohngemeinschaften benötigen demgegenüber dauerhaft situationsbezogene Hilfen bei der Bewältigung des Alltags, zum Beispiel bei der Geldverwaltung. In allen Angeboten arbeiten wir bedarfsorientiert, personenzentriert als auch fach- und trägerübergreifend vernetzt.

Was halten Sie von sogenannten Housing First-Ansätzen, die versuchen, die Menschen als erstes wieder in regulären Wohnungen unterzubringen?

Wir würden jetzt nicht hingehen und sagen, pass mal auf, du kriegst erst ein Dach über den Kopf, wenn du dich so und so benimmst. Wir sehen aber auch, dass manche Menschen objektiv gesehen massive Probleme haben, in einer Hausgemeinschaft zurecht zu kommen. Das darf ich auch nicht übersehen. Housing First hat seine Berechtigung, wenn ich in einer Großstadt in den USA bin und Tausende Menschen auf der Straße leben, weil sie sich keine Wohnung mehr leisten können, aber da sind wir zum Glück noch nicht.

Wie sieht es denn mit der Straßenobdachlosigkeit in Bonn aus?

Wir beobachten eine leicht steigende Tendenz. Wir gehen davon aus, dass regelmäßig etwa hundert Menschen auf der Straße leben. Wobei wir in Bonn keine große Szenebildung wie in anderen Städten haben. Es sind vielfach Einzelpersonen, die irgendwo draußen schlafen, sich auch dahin zurückziehen. Viele von ihnen sind psychisch krank, suchen auch manchmal den sozialen Rückzug. Auch bei der Straßensozialarbeit kooperieren wir, mit dem Verein für Gefährdetenhilfe, mit dem Ordnungsamt, mit der Polizei, mit dem sozial-psychiatrischen Dienst, und wir suchen die Menschen da auf, wo sie sich aufhalten. Das muss man sehr vorsichtig machen. Wir versuchen Kontakt aufzubauen, indem wir zum Beispiel Sachen vorbeibringen, die die Alltagsbewältigung erleichtern, wie einen Schlafsack. Wir versuchen dadurch, die Situation zu entlasten, etwas Gutes zu tun – um Vertrauen aufzubauen. Und wenn sich jemand in Bewegung setzt, dann haben wir viele Angebote, die genutzt werden können. Manchmal ist es aber auch so, dass man gemeinsam mit Ärzten oder auch mit dem Ordnungsamt überlegt, ob die Situation noch tragbar ist, gerade im Winter. Dann gilt es abzuwägen zwischen dem Recht auf Selbstbestimmung und den Einschränkungen im Rahmen des Psychisch-Kranken-Gesetzes, ob man Zwang ausüben sollte, um den Betroffenen aus seiner gefährlichen Situation rauszuholen.

Es gibt ja viele Klischees über Wohnungslose. Und wie Sie gesagt haben, ist es falsch, sie nur auf ihre Wohnungslosigkeit zu reduzieren. Gibt es denn irgendwelche Merkmale, die ihnen gemeinsam sind?

Diese Fragen sind immer die gleichen (lacht). Wenn man sich einen Prozess sozialer Ausgrenzung vorstellt, dann gibt es ganz unterschiedliche Anfangspunkte. Was alle Menschen, wie ich finde, gemeinsam haben, die wir betreuen, ist ein "voller Briefkasten". Behörden, Jobcenter schicken Briefe, und die werden nicht mehr aufgemacht. Das ist das, was für mich hängengeblieben ist über die Jahrzehnte der Berufserfahrung. Und wie kommt es dazu, dass jemand seine Briefe nicht mehr aufmacht? Weil ihm alles über den Kopf wächst und er nicht mehr die Hoffnung hat, die Probleme lösen zu können. Und das ist eigentlich das, was alle gemeinsam haben. Und warum wächst jemandem alles über den Kopf? Die Gründe sind sehr unterschiedlich. Das ist teilweise strukturell bedingt, viele negative strukturelle Faktoren kumulieren, die jemand nicht beeinflussen kann. Aber es sind natürlich auch individuelle Probleme, wenn jemand unter einer Abhängigkeit, einer psychischen Erkrankung oder einem schweren Trauma in der Kindheit leidet, dann ist er manchmal nicht in der Lage, die Situation zu bewältigen, obwohl die Schwierigkeiten bewältigbar erscheinen. Das löst manchmal Unverständnis aus. Wichtig ist, die Hintergründe für die Schwierigkeiten gemeinsam zu erarbeiten.

Würden Sie sagen, dass Menschen, die wohnungslos sind oder von Wohnungslosigkeit bedroht sind, eine Lobby in Deutschland haben?

Eine Lobby sollte die Wohlfahrtspflege sein. Und ich glaube, dass wir hier in Bonn schon eine ganz gute Arbeit machen. Ich habe nicht den Eindruck, dass wir hier ein Klima haben, dass man vom Grundsatz her den Menschen gegenüber negativ eingestellt ist. Und das beobachte ich auch in vielen anderen Städten, wie auch zum Teil ein sehr ausgeprägtes bürgerschaftliches Interesse und Engagement. Dies wird auch durch die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe befördert. Ich glaube aber, es hängt letztendlich sehr davon ab, wie man im lokalen Bezug unterwegs ist. Wie ich hier in Bonn meine Fußgängerzone organisiere, ob da noch Bänke stehen oder keine mehr stehen, das ist ein Maßstab für gelingende Lobbyarbeit. Die lange Bank hinter dem Haus der Bildung: Dass es die gibt, das ist ein gutes Zeichen. Es gibt viele Städte, die würden solche Bänke gar nicht mehr aufstellen.

Wie belastend ist die Arbeit in der Wohnungslosenhilfe? Welche Anforderungen werden an die Mitarbeitenden gestellt?

Ich glaube, wenn man hier arbeiten will, muss man die Menschen mögen. Das hört sich vielleicht laienhaft an, aber es ist wichtig, weil dies die Grundlage für eine gelingende Hilfe ist. Das heißt nicht, dass man blauäugig ist, sondern dass man sich ein Fundament schafft, überhaupt Einfluss nehmen zu können und zu unterstützen. Das ist eine hohe Anforderung. Weil es hier manchmal auch sehr unangenehm ist. Es ist wichtig, dass die Kolleginnen und Kollegen in der Lage sind, die Hintergründe für die Schwierigkeiten gemeinsam mit den Betroffenen zu erarbeiten und dabei den Menschen in seiner Menschenwürde zu respektieren. Man muss einen Sinn in der Arbeit erkennen, in dem, was man tut, und man sollte eingebettet sein in Teamstrukturen, die einen stützen. Hinzu kommt Fachlichkeit in dem Sinne, die Schwierigkeiten der Betroffenen einordnen zu können, wie beispielsweise Suchterkrankungen. Die Wohnungslosenhilfe ist nicht das, wo die Jugend hinstrebt, wenn sie sich berufliche Perspektiven vorstellt. Aber viele, die hier ein Praktikum gemacht haben, wollen auch hier arbeiten, weil die Arbeit einfach spannend, interessant und sinnvoll ist.

Wenn Sie einen Wunschzettel an die Politik hätten, was würde darauf stehen?

Das erste ist, dass wir den geförderten Wohnungsbau stärken müssen. Dass wir als Staat die Verantwortung wahrnehmen, dass jeder Mensch in Deutschland menschenwürdig wohnen kann. Die sozialrechtlichen Instrumente, um die Betreuung zu leisten, die haben wir. Das zweite, was ich mir wirklich wünschen würde, ist, dass man von gewissen Bildern Abstand nimmt, Bildern, die darauf bauen, dass jemand in die Kategorie "der Wohnungslose" oder "der Obdachlose" gedrückt wird. Dass wir stattdessen Bilder vor Augen haben, dass alle Menschen im Sinne des Artikels 1 des Grundgesetzes die gleiche Menschenwürde haben und das Kriterium "Wohnungslosigkeit" eine Lebenslage beschreibt – und nicht den Menschen. Und dass es unser gemeinsames Ziel ist, diese Lebenslage, soweit wie es eben geht, zu verhindern.

Das Interview führten Anne Seibring und Lisa Stein im Mai 2018 in Bonn.

Gerhard Roden ist Diplom-Sozialarbeiter und Leiter der Wohnungslosenhilfe der Caritas Bonn.

E-Mail Link: gerhard.roden@caritas-bonn.de