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Energie für die Zukunft | Lausitz | bpb.de

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Energie für die Zukunft Das Kombinat "Schwarze Pumpe" und die sozialistische Wohnstadt Hoyerswerda

Stefan Wolle

/ 16 Minuten zu lesen

1955 wurde der Bau des Kokskombinates "Schwarze Pumpe" beschlossen und das nahe gelegene Hoyerswerda zu einer sozialistischen Wohnstadt für die Arbeiter des Kombinats. Vom Mythos "Schwarze Pumpe" ist nicht viel übrig geblieben.

Inmitten endloser Kiefernwälder an der Fernstraße zwischen Spremberg und Hoyerswerda befand sich seit langer Zeit schon der Gasthof "Zur Schwarzen Pumpe". Der seltsame Name, so will es eine Legende, stammte aus dem Dreißigjährigen Krieg. Um die schwedische Soldateska von Plünderungen abzuhalten, hatten die Bewohner des Gehöfts die Pumpe mit schwarzer Farbe bestrichen. Dies war das übliche Zeichen dafür, dass in der Gegend die Pest hauste. So war es damals gelungen, die fremden Söldner fernzuhalten. Das Straßendorf in der Trattendorfer Heide blieb für lange Zeiten einer jener Orte, von denen der Volksmund meint, dass sich hier Fuchs und Hase "Gute Nacht" sagen. Dies sollte sich Mitte der 1950er Jahre auf dramatische Weise ändern.

Gasthof "Schwarze Pumpe" 1957 (Brück & Sohn Kunstverlag Meißen [CC BY-SA Externer Link: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0 ]) Lizenz: cc by-sa/3.0/de

An einem Frühlingstag im Jahre 1955 betrat ein Fremder den Schankraum des Gasthofes, berichtet eine Reportage drei Jahre später. Der Ankömmling, der mit dem Bus vom Bahnhof Spremberg gekommen war, setzte sich an einen freien Tisch und bestellte ein Bier. In die abgelegene Gegend verirrte sich nur selten ein auswärtiger Gast, zumal einer mit Anzug und lederner Aktentasche, wie sie damals höhere Angestellte oder Funktionäre der Partei mit sich führten. In der Kneipe wurde es nun mucksmäuschenstill. In letzter Zeit war einiges durchgesickert. In den Wäldern der Umgebung hatte man Autos mit Berliner Kennzeichen und Vermessungstrupps gesehen. Also sprachen die Leute den Fremden an, um herauszufinden, was in der Gegend vor sich ging. Laut der Reportage von 1958 entwickelte sich die Unterhaltung zu einer Art erster Informationsveranstaltung über die großen Pläne, die Partei und Regierung der DDR mit der Region hatten. Offenbar waren die Bewohner der Region weder informiert noch gefragt worden. Über solche Nebensächlichkeiten gingen die Entscheidungsinstanzen der jungen Republik hinweg wie die Bulldozer über die Heidelandschaft der Lausitz. Für die Partei zählte nur, die Energiebasis für die großen Aufbaupläne zu schaffen. Alles andere hatte dahinter zurückzustehen.

Noch am gleichen Tag wurde dem Wirt mitgeteilt, dass in seine Gaststätte der Aufbaustab des geplanten Energiekombinats einziehen würde. Die beiden Gästezimmer wurden sofort bezogen. Im Tanzsaal, der Schankstube und dem Vereinszimmer eröffnete das Büro sein vorläufiges Hauptquartier. Die Mitarbeiter meldeten sich am Telefon mit: "Hier Aufbaustab Schwarze Pumpe …". So wurde der Gasthof in der Trattendorfer Heide Namensgeber des größten Energiekombinats der DDR.

Energiebasis für die Volkswirtschaft

Seit dem ersten Fünfjahrplan von 1951 bis 1955 war der Aufbau der Schwerindustrie das vorrangige Ziel der Wirtschaftsentwicklung. Zugunsten der Stahlproduktion und des Maschinenbaus wurden andere Bereiche der Wirtschaft stark vernachlässigt. Das betraf auch solche in Mitteldeutschland traditionell starke Industriezweige wie Textilindustrie, Elektrotechnik, Feinmechanik und Optik. Das Dogma vom Primat der Schwerindustrie folgte dem sowjetischen Vorbild und war deswegen nicht zu hinterfragen. Selbst der massive Unwille der Bevölkerung über die schlechte Versorgung, wie er bei dem Volksaufstand am 16./17. Juni 1953 zum Ausdruck kam, änderte diese wirtschaftspolitische Orientierung nur zeitweilig.

Dabei war die Ausgangslage für die Schwerindustrie alles andere als günstig. Während die Bundesrepublik 1949 über 121 meist moderne Hochöfen verfügte, waren es in der DDR nur vier veraltete Anlagen. Stahl- und Walzwerke fehlten völlig. Diesen Rückstand galt es aufzuholen. Durch den Verlust von Oberschlesien und der Unterbrechung der Verbindungen zum Ruhrgebiet lagen die herkömmlichen Standorte der deutschen Kohle- und Erzförderung sowie der Stahlproduktion außerhalb der DDR. Auch Importe aus der Sowjetunion, Polen und der Tschechoslowakei vermochten den Bedarf langfristig nicht zu decken. Die DDR hatte allerdings eines im Überfluss: Braunkohle. Und sie hatte hervorragende Wissenschaftler und Techniker, die sich daran machten, Verhüttungsverfahren auf Braunkohlenbasis zu entwickeln. Auf der Grundlage älterer Versuchsreihen entwickelte das Institut für technische Brennstoffverwertung der Bergakademie Freiberg zwischen 1945 und 1951 ein Verfahren zur Verkokung von Rohbraunkohle zu Braunkohlen-Hochtemperaturkoks (BHT). Nach ersten Erfolgen in Lauchhammer beantragte der Minister für Schwerindustrie, Fritz Selbmann, im September 1953 den Produktionsbeginn. Doch bald schon wurde klar, dass die Kapazitäten in Lauchhammer nicht ausreichen würden.

Auf dem IV. Parteitag der SED, der vom 30. März bis 6. April 1954 in Berlin tagte, wurden die Weichen für die weitere Entwicklung der Volkswirtschaft gestellt. Im Bericht des Zentralkomitees der SED heißt es dazu: "Die wichtigste Aufgabe in der Industrie ist die Entwicklung der Brennstoffindustrie, vor allem des Braunkohlebergbaus, der Energieerzeugung und einiger Zweige der chemischen Industrie. Diese Zweige müssen in den nächsten Jahren solch ein Entwicklungstempo erhalten, ihnen müssen solche Investitionen gewährt werden, dass das Zurückbleiben der Brennstoff- und Energiebasis der Deutschen Demokratischen Republik hinter den Erfordernissen der Wirtschaft und der Bevölkerung beseitigt wird und dass sie einen Entwicklungsvorsprung gegenüber den anderen Zweigen der Volkswirtschaft unserer Republik erhalten."

In erstaunlich kurzer Frist wurde ein Projekt für ein riesiges Energiekombinat fertiggestellt und die Standortentscheidung für das Areal im Niederlausitzer Braunkohlerevier gefällt. Rohkohlegewinnung und Brikettproduktion sollten hier zusammen mit der Veredelung in Elektroenergie, Gas und Koks in einem vernetzten Betrieb stattfinden. Ein Riesenwerk sollte förmlich aus dem Boden gestampft werden, ebenso alle dazugehörigen Einrichtungen, von den Verkehrsanbindungen über die Wasserversorgung bis hin zu den Unterkünften für die Werktätigen mit Schulen, Kindergärten, Polikliniken und Kultureinrichtungen.

"Gewaltige Perspektiven"

Am 23. Juni 1955 setzte der Stellvertretende Vorsitzende des Ministerrates seine formelle Unterschrift unter das Projekt. Am 29. Juli berichtete das "Neue Deutschland" auf der ersten Seite über den Bau des Kokskombinates "Schwarze Pumpe". "Gewaltige Perspektiven unserer Braunkohlenindustrie im zweiten Fünfjahrplan", jubelte das Zentralorgan der SED. Auch von der sozialistischen Stadt bei Hoyerswerda war bereits die Rede. Der Artikel zitierte aus der Rede von Selbmann vor den Abgeordneten des Bezirkstages Cottbus: "Die DDR ist der größte Braunkohlenproduzent der Welt. In diesem Jahr wird die Fördermenge erstmals 200 Millionen Tonnen übersteigen. Im Jahre 1936 betrug die Förderung dagegen nur 97,5 Millionen Tonnen. Diese gewaltige Entwicklung unserer Braunkohlenindustrie im ersten Fünfjahrplan wird auch in den folgenden Fünfjahrplänen fortgesetzt werden."

Bis 1960 sollte sich die Braunkohleförderung gegenüber 1955 um 127 Prozent steigern. Eine Reihe neuer Tagebaue sollten angelegt und neue Brikettfabriken errichtet werden. Im Senftenberger Revier, so der Minister für Schwerindustrie, lagerten nämlich noch ungeheure Braunkohlenvorräte. Vorläufige Schätzungen würden bis zu 30 Milliarden Tonnen gehen. Vier neue Tagebaue sollten aufgeschlossen werden. Von jährlich 61 Millionen Tonnen im ersten Fünfjahrplan würden die Senftenberger Kumpel ihre Förderung auf 107 Millionen Tonnen im zweiten Fünfjahrplan erhöhen. Die Lausitz entwickle sich damit zum größten Braunkohlenrevier der Welt, hieß es in dem Artikel stolz.

Man ging davon aus, dass die Senftenberger Kohle eine für die Verkokung günstige chemische Zusammensetzung hätte. Das ermögliche, die Produktion immer mehr von Rohbraunkohle und Briketts auf veredelte Brennstoffe, wie Koks und Gas, umzustellen. Damit würden auch die in der Braunkohle enthaltenen Kohlewertstoffe in Form von Teer und Leichtöl restlos gewonnen werden können. Deshalb war es vorgesehen, den Brikettfabriken Kokereien anzuschließen, in denen die Briketts entgast und in Koks umgewandelt werden. Im Raum zwischen Hoyerswerda und Spremberg, so sah es der Perspektivplan vor, sollte das größte Kokskombinat der Republik, "Schwarze Pumpe", entstehen. Der Bau dieses Industriegiganten, für den die Regierung 1,1 Milliarden Mark ausgeben würde, war für Mitte 1956 geplant und sollte nach drei Baustufen 1964 abgeschlossen sein. "Gewaltige Perspektiven eröffnen sich vor unserer Braunkohlenindustrie, Perspektiven, die von der ununterbrochenen Aufwärtsentwicklung der Wirtschaft unseres Arbeiter-und-Bauern-Staates künden", beschloss das "Neue Deutschland" seinen Bericht.

Die sozialistische Wohnstadt

Das Tempo war in der Tat rasant. Bereits am 31. August 1955 vollzog Minister Selbmann den ersten Spatenstich. Von der Standortentscheidung bis zum Baubeginn waren nicht einmal anderthalb Jahre vergangen. Die bis dahin abgelegene Region wurde gründlich durcheinandergewirbelt. Aus der ganzen DDR strömten Arbeitskräfte in die beschaulichen Kleinstädte der Niederlausitz, insbesondere nach Hoyerswerda.

Das kleine Ackerbürgerstädtchen mit Schloss und Renaissancerathaus entwickelte sich zu einer sozialistischen Wohnstadt für die Arbeiter des Kombinats "Schwarze Pumpe". 1955 beschloss die Regierung der DDR den Bau einer neuen Stadt mit 38.000 Einwohnern. "[D]ie Hoyerswerdaer Neustadt wird aus Arbeiterwohnungen mit allem Komfort – Zentralheizung, Müllschlucker usw. bestehen", hieß es in einem Zeitungsartikel vom 30. August 1955. Geplant waren eine Großwäscherei, Kindergärten, Kinderkrippen und andere Einrichtungen. "Im Mittelpunkt der Stadt soll ein Hochhaus entstehen. Die künftige Stadtsilhouette wird schon dadurch voll Rhythmus und Bewegung sein. Es ist weiter eine besonders interessante Aufgabe für die Architekten, dafür zu sorgen, dass das künftige Hoyerswerda, obwohl es aus der alten und der neuen Stadt bestehen wird, ein geschlossenes Ganzes bildet."

Von dem Hochhaus und der dynamischen Skyline war später nicht mehr die Rede. Der Wohnungsbau hatte absolute Priorität. Entlang einer Hauptverkehrsstraße zum Bahnhof sollten sieben Wohnkomplexe mit einem jeweils gleichen funktionalen Aufbau entstehen, noch im selben Jahr erfolgte die erste Grundsteinlegung. Zunächst wurden Ziegelbauten errichtet. Das Tempo reichte aber längst nicht aus. Ein erheblicher Teil der Erbauer des Werks war immer noch in Barracken untergebracht und konnte seine Familien nicht nachkommen lassen. Gute Wohnungen waren eine Voraussetzung, um Arbeitskräfte aus anderen Teilen der DDR in die wenig attraktive Gegend zu locken. Also musste das Baugeschehen vorangetrieben werden. Dadurch entwickelte sich Hoyerswerda zum Experimentierfeld für die damals modernsten Methoden der Großblockbauweise, die später in allen Bezirken der DDR übernommen wurden und bis heute das Gesicht der Städte prägen.

Am 15. Juni 1957 erfolgte im Wohnkomplex I in der damaligen John-Schehr-Straße, der heutigen Otto-Damerau-Straße, die Grundsteinlegung des Blocks 2 bis 10 durch den Minister für Aufbau der DDR, Heinz Winkler. Erstmals wurde die Großblockbauweise in Anwendung gebracht, das heißt, vorgemauerte Blöcke wurden mit dem Kran versetzt. Doch in Hoyerswerda entstand praktisch eine ganz neue Stadt von Großplattenhäusern. Im gleichen Jahr begann in der Nähe die industrielle Produktion von Großplatten. Das Werk hatte eine Jahreskapazität von 700 Wohnungen. Die Platten verließen das Werk bereits verputzt. Fenster und Türen waren schon eingesetzt. Auch Treppen, Decken, Keller und Balkone waren vorgefertigt. Die neue Bauweise kam auch in anderen Städten zum Einsatz, auch in Ost-Berlin. Später sprach man landläufig von "Altneubauten", denn die Wohnungen waren recht klein und einfach in der Ausstattung. Die neuen Wohnkomplexe von Hoyerswerda bestanden ausschließlich aus solchen Neubauten. Seit den 1960er Jahren entstanden noch höhere Plattenbauten mit sogenannten Vollkomfortwohnungen. Insgesamt lebten rund 90 Prozent der Einwohner der Stadt in der Platte, wie man damals sagte.

Die Industrialisierung des Bauens war bei allem Stolz auf die hohen Produktionsziffern auch das Problem. Die Wohngebiete waren mitsamt der Kindereinrichtungen, Schulen und Kaufhallen von extremer Eintönigkeit. Selbst die praktischen kurzen Wege zwischen Wohnung, Einkaufsmöglichkeit, Ambulatorium und so weiter konnten nicht darüber hinwegtrösten, dass die Stadt vor allem Trostlosigkeit ausstrahlte, genauer gesagt, dass es gar keine richtige Stadt war, sondern eine Aufreihung von durchgeplanten Wohnkomplexen, von denen es schließlich zehn gab.

1955 lebten 7.555 Menschen in Hoyerswerda, 1981 erreichte die Bevölkerungsentwicklung mit 71.124 Einwohnern ihren Höhepunkt. Bis in die 1980er Jahre wurden vier Neubaugebiete mit insgesamt 2.998 Wohnungen in die Kiefernwälder der Umgebung gesetzt. Parallel entstanden Kindergärten, Schulen, Kaufhallen, Badestellen, Schwimmbäder und gastronomische Einrichtungen. Am 1. Mai 1984 öffnete ein Haus der Berg- und Energiearbeiter im Stil des Berliner Palastes der Republik seine Pforten. Neben Eisenhüttenstadt, dem früheren Stalinstadt, entstand so ein zweites Denkmal sozialistischen Städtebaus mit all seinen funktionalen Vorteilen und in all seiner beklemmenden Monotonie.

Das Kombinat

In drei Bauabschnitten sollten bis 1963 zwei Großraumhochbunker mit einem Fassungsvermögen von jeweils 24.000 Tonnen Braunkohle, eine Aufbereitungsanlage für Braunkohlenhochtemperaturkoks (BHT-Koks), drei Großkraftwerke und drei Brikettfabriken entstehen. Am 30. April 1959 konnten die wichtigsten Objekte der ersten Baustufe, die Brikettfabrik und das Kraftwerk West, in Betrieb genommen werden. Damit war ein gutes Drittel der offenbar zeitlich viel zu knapp geplanten Vorhaben erfüllt. Es folgten die beiden weiteren Ausbaustufen, die 1973 mit ungefähr zehn Jahren Verzögerung abgeschlossen wurden. "Schwarze Pumpe" lieferte nun einen beträchtlichen Teil der für die Wirtschaft und die Haushalte notwendigen Energie in Form von Briketts, Gas, Strom und Koks. Nach den Maßstäben einer wirtschaftlichen Rechnungsführung war der Betrieb aber wohl immer unrentabel.

Doch solche Bilanzen waren angesichts der planwirtschaftlich geleiteten volkseigenen Betriebe reine Zahlenspielereien, Gewinn und Verlust in der Planwirtschaft nur theoretische Größen. Zudem wurden seit den 1970er Jahren immer neue Betriebe aus der ganzen DDR dem Stammbetrieb "Schwarze Pumpe" zugeordnet. Auf der Grundlage eines Ministerratsbeschlusses vom 20. Oktober 1969 wurde mit Wirkung vom 1. Januar 1970 das "Gaskombinat Schwarze Pumpe" (GSP) gegründet. Die Kombinatsbildung sollte damals die Entscheidungsprozesse konzentrieren. Dies war die Antwort auf die Politik des Neuen Ökonomischen Systems (NÖS) der 1960er Jahre, die sich die Verlagerung von Verantwortung auf die untere Ebene zum Ziel gesetzt hatte. In einer nach der Wende von ehemaligen Ökonomen und Ingenieuren der "Schwarzen Pumpe" verfassten Darstellung der Betriebsgeschichte heißt es dazu lapidar: "[D]ie besonders in den achtziger Jahren zunehmende Hinwendung zur zentralistischen Leitung und Planung fügte aber den Kombinaten und seinen Betrieben erheblichen ökonomischen Schaden zu und engte die potentiellen Möglichkeiten und den Spielraum für die Gestaltung der erweiterten Reproduktion ein."

Den Kern des neu gebildeten "Gaskombinat Schwarze Pumpe" (GSP) bildete das Kohleveredelungkombinat, also der alte, 1955 gegründete Betrieb. Er hatte sich ökonomisch und organisatorisch stabilisiert und übernahm nun die Rolle des Stammbetriebes des GSP. Hier lag die Verantwortung für die Deckung des volkswirtschaftlichen Bedarfs an Stadtgas, Erdgas und Produkten der Kohleveredelung wie Teere und Öle. Zum Stammbetrieb gehörten nun auch alle Ferngasleitungen und Untergrundspeicher, die über das gesamte Gebiet der DDR verteilt waren. Die Projektierung und der Bau von Ferngasleitungen sowie das Institut für technische Brennstoffverwertung der Bergakademie Freiberg waren ebenfalls dem GSP angeschlossen. Das Ausbleiben von Lieferungen zwang auch das Kombinat "Schwarze Pumpe", mit hohen Kosten Ersatzteile selbst zu produzieren. "Da es aber zur Gewährleistung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts unerlässlich war, die Betriebe ständig zu modernisieren und zu rationalisieren, wurde auch das Kombinat Schwarze Pumpe gezwungen, einen eigenen Rationalisierungsmittelbaubetrieb, im Prinzip einen Maschinenbaubetrieb aufzubauen, um fehlende Zulieferungen auszugleichen."

Ein zusätzliches Problem entstand durch eine zentrale Festlegung der Parteiführung, die alle Produktionsbetriebe der DDR verpflichtete, Konsumgüter zu produzieren. Dafür sollten zwei Prozent der Kapazität freigestellt werden. Mit dieser an sich gut gemeinten Maßnahme sollte die Versorgung der Bevölkerung mit Waren des täglichen Bedarfs verbessert werden. Die Versorgungslücken waren vor allem durch die überstürzte und ökonomisch unsinnige Verstaatlichung von Privatbetrieben 1972 entstanden. Nun sollten durch administrative Maßnahmen diese selbstverschuldeten Defizite ausgeglichen werden. Für ein Gaskombinat mit einer Jahresproduktion von acht Milliarden Mark war es schwierig, zwei Prozent der Produktionskapazität auf Konsumgüter umzustellen. Dennoch schaffte man es, in den betriebseigenen Werkstätten Pkw-Anhänger und Wohnwagen in hoher Qualität herzustellen. Der Wohnanhänger "Lausitz 310" wurde im Einzelhandel angeboten und fand reißenden Absatz. Allerdings war die Produktivität gering, die Kosten zu hoch und die Produktion von Pkw-Zubehör somit unrentabel.

Mit der Zuordnung von Betrieben der Kohle- und Gasindustrie entstand ein zusätzlicher Bedarf an Investitionen, was sich als sehr problematisch erwies, da einige der Betriebe in der Vergangenheit auf Verschleiß gefahren worden waren. Sie waren nicht mehr in der Lage, die einfache Reproduktion ihrer Anlagen zu gewährleisten. Beispielsweise erhielt der Braunkohleveredelungsbetrieb Espenhain über viele Jahre keine ausreichenden Mittel für die Erneuerung seiner Produktionsanlagen. Der Betrieb sollte sogar stillgelegt werden, musste dann aber trotz dramatischer Umweltbelastungen weiterarbeiten. Die DDR stand in den 1980er Jahren mit dem Rücken zur Wand. Sie kämpfte verzweifelt gegen eine gewaltige Schuldenlast an. Gleichzeitig durfte der Lebensstandard der Bevölkerung aus Sorge um die politische Stabilität nicht angetastet werden. Deswegen wurden die Modernisierung der Infrastruktur, die Grundlagenforschung, die Denkmalpflege und der Umweltschutz sträflich vernachlässigt.

Noch folgenschwerer waren die wirtschaftspolitischen Grundsatzentscheidungen zur Primärenergie. Seit den beginnenden 1960er Jahren hatte die DDR auf sowjetisches Öl und Gas gesetzt. Diese Grundstoffe sollten in den modernen Chemiewerken der DDR in exportfähige Fertigprodukte verwandelt werden. Angesichts der steigenden Weltmarktpreise, die auch die Sowjetunion seit Beginn der 1980er Jahre forderte, stieß diese Wirtschaftspolitik an ihre Grenzen. Neuerlich wurde wie in den 1950er Jahren auf die einheimische Braunkohle gesetzt, die 1989 fast 70 Prozent Anteil an allen Energieträgern aufwies. Zum Vergleich: In der Bundesrepublik waren es 1989 nur 8,5 Prozent.

Die daraus resultierenden Umweltschäden waren dramatisch. Nur 52 Prozent der im Zeitraum 1949 bis 1989 durch Tagebaue zerstörten Flächen waren wieder nutzbar gemacht worden. Statt wirtschaftlicher Effizienz oder gar Umweltschutz zählten nur die absoluten Produktionsziffern. Die Braunkohleindustrie erreichte nur 45 Prozent der Arbeitsproduktivität vergleichbarer Werke in der Bundesrepublik. Dieser Raubbau ging nicht zuletzt auf Kosten der 15016 Mitarbeiter, die unter schwersten Bedingungen dafür sorgten, dass die Energieversorgung der Industrie und der Haushalte bis zum bitteren Ende aufrechterhalten blieb.

Zerstörung eines Mythos

"Schwarze Pumpe" war von Anfang an mehr als nur ein Industriebetrieb. Das Werk war Teil der großen mythologischen Erzählung vom Heldenzeitalter der jungen Republik. Der Mythos handelte davon, wie aus dem kargen Sandboden der Niederlausitz Großbetriebe und neue Städte gestampft wurden. Das war der Stoff, aus dem Legenden gewoben wurden. Doch es ging nicht allein um die Goldgräberstimmung der ersten Jahre. In den volkseigenen Kombinaten und den angeschlossenen Wohnsiedlungen sollte eine neue Welt mit neuen Menschen geschaffen werden. "Sozialistisch arbeiten, sozialistisch leben, sozialistisch lernen" lautete die Losung. Auf dem Reißbrett der Technokraten und Ideologen entstand eine Zukunftsvision. Noch in den 1960er Jahren schien auf der Basis von Wissenschaft und Technik alles möglich. Die schöne neue Welt des Kommunismus entstand nach den Vorstellungen der Partei auf den Großbaustellen des Landes, die Arbeit dort wurde in Büchern und Filmen verherrlicht. Das war zum Teil reine Agitation. Doch ohne Zweifel fiel der utopische Anspruch insbesondere bei Intellektuellen auf fruchtbaren Boden.

Die Partei schickte in jenen Jahren ihre Künstler auf den sogenannten Bitterfelder Weg. Namensgebend für diesen kulturpolitischen Kurs war eine Schriftstellerkonferenz im Kulturhaus der Chemiearbeiter in Bitterfeld im April 1959 gewesen. Die Dichter sollten sich unter die Arbeiterklasse mischen und sich dort geistig befruchten lassen. Die Arbeiter ihrerseits sollten die Höhen der Kultur erstürmen und Schriftsteller dabei erste Hilfestellung leisten. So machte sich 1959 das junge Schriftstellerpaar Brigitte Reimann und Siegfried Pitschmann auf den Weg nach Hoyerswerda. Sie begannen, in "Schwarze Pumpe" zu arbeiten, und verpflichteten sich, einen Zirkel Schreibender Arbeiter zu gründen. Brigitte Reimann, die, wie ihre Aufzeichnungen zeigen, ansonsten durchaus kritisch reflektierte, schrieb am 12. September 1959 in ihr Tagebuch: "Vorige Wochen waren wir in Hoyerswerda; (…) H. ist überwältigend, das Kombinat von einer Großartigkeit, dass ich den ganzen Tag wie besoffen herumlief. Beschreibungen will ich mir hier versagen – H. und das Kombinat werden noch oft genug – falls dies literarisch überhaupt zu bewältigen ist – in Erzählungen oder sogar einem Roman auftauchen." Einige Monate später liest sich das schon ganz anders. Am 21. Januar 1960 vertraut sie ihrem Tagebuch an: "Diese ganze Stadt Hoyerswerda war mir unsympathisch in ihrer aufdringlichen Neuheit (obgleich ich recht gut weiß, was die schönen und komfortablen sonnigen Wohnungen für unsere junge Stadt und für die Bewohner bedeuten, die zum größten Teil aus engen und beengenden Verhältnissen kommen); sie hat keine Tradition, keine Atmosphäre, sie ist nur modern." So schwankte Brigitte Reimann zwischen Enthusiasmus und kritischer Distanz.

Bis zum frühen Tod der Schriftstellerin 1972 und dem Erscheinen des nachgelassenen und von der Zensur verstümmelten Romanfragments "Franziska Linkerhand" 1974 war es noch ein weiter Weg. Bereits der Literaturzirkel war eine Enttäuschung. Es erschienen nur vier Leute. In "Schwarze Pumpe" wie auch anderswo erhob sich die Arbeiterliteratur kaum über das Niveau von Brigadetagebüchern oder gereimten Leitartikeln. Doch das war es nicht allein. Die junge Frau wurde von den SED-Dogmatikern verdächtigt und verleumdet. Ihr Mann wurde nach der Vorlage seines ersten Romanentwurfs durch die vernichtende Kritik der SED-Funktionäre in einen Selbstmordversuch getrieben. Auch Hoyerswerda als Stadt verlor mit dem sinkenden politischen Enthusiasmus in den Augen der Dichterin an Schönheit. Die Wohnblocks ähneln nun "einer Bienenwabe … vollgestopft mit bedrohlich fremden Menschen". So wurde der Roman "Franziska Linkerhand" zu einer Geschichte der Desillusionierung. "Es muss sie geben, die kluge Synthese zwischen Heute und Morgen, zwischen tristem Blockbau und heiter lebendiger Straße, zwischen dem Notwendigen und dem Schönen, und ich bin ihr auf der Spur, hochmütig und ach, wie so oft, zaghaft, und eines Tages werde ich sie finden". Dies sollte sich als Illusion erweisen. Es gab diese Synthese nicht – weder in Hoyerswerda noch anderswo.

Als der Mythos "Schwarze Pumpe" starb, blieb allein die Poesie des Ortes. Der jung verstorbene Baggerfahrer und Liedermacher Gerhard Gundermann fühlte sich dieser von Braunkohlegruben und Kraftwerken gemarterten Landschaft verbunden. In dem Lied "Straße nach Norden", das er 1998 auf seinem letzten Konzert vorstellte, heißt es:

"zuerst komm ich in schwarze pumpe übern berg
und da schimmert in der sonne das nagelneue kraftwerk
das sieht aus als ob ein ufo hier gelandet wär
es glänzt wie gelogen und passt hier nicht richtig her

nebenan verdienten einst vierzehntausend ihr brot
die sind vom wind verweht und die alte dreckschleuder ist tot
vom wind verweht ist auch der russ die ganze dicke schicht
heut verheizen sie ihr giftmüll und das gift das sieht man nicht
(…)
ich hab ein schönes auto da muss ich nicht mehr drunterliegen
und das autoradio von diesem auto kann einhundert sender rankriegen
doch die songs bei denen ich meine unschuld verlor
kommen in dem autoradio nicht mehr vor
und ich seh auf der strasse nach norden"

Das Ende der "Pumpe" war für ihn ein Abschied ohne Ankunft. Die Melancholie der Erinnerung schwebt bis heute über dem Ort. Die alten Anlagen sind verschwunden und auf dem Gelände stehen blitzsaubere und umweltfreundliche Anlagen in der Landschaft "als ob ein ufo hier gelandet wär".

In Hoyerswerda begann nach der Wende der Wegzug der Einwohner. Das Werk arbeitete nun nur noch mit einem Bruchteil der alten Belegschaft. Die Arbeitslosigkeit griff noch mehr als in anderen Städten um sich, viele Bewohner zogen weg. Die Bevölkerung halbierte sich bis 2015 nahezu. Parallel vollzog sich der euphemistisch als Rückbau deklarierte Abriss von Neubauten. Die Wohnviertel aus den 1950er Jahren, auch das Haus in der Otto-Damerau-Straße, haben den Schrumpfungsprozess bisher gut überstanden. Das gesamte Wohngebiet ist erstklassig saniert. Die Bäume und Sträucher sind gewachsen und verbreiten das Flair einer Gartenstadt. Doch gegen den Eindruck der Sterilität helfen weder planwirtschaftliche Großprojekte noch marktwirtschaftliche Investitionshilfen und Steuervergünstigungen. Auch nach einem guten halben Jahrhundert schwebt über dem Wohnkomplex I immer noch der Geist der rationalisierten Planstadt.

Das nahe gelegene Spremberg, das von den Neubauplanungen der DDR weniger berührt war, hat sich den Namenszusatz "Perle der Lausitz" verliehen, und das nicht ganz zu Unrecht. Der alte Stadtkern blitzt vor Sauberkeit und Wohlstand. Sogar die Gaststätte "Schwarze Pumpe", in dem 1998 von Spremberg eingemeinden Ortsteil Terpe, hat die Zeiten überdauert. Der alte Name des Gasthofes ist unter dem neuen Anstrich verschwunden und in dem renovierten Haus befindet sich eine Automatenspielhalle. Doch es scheint sich nur selten ein Gast in die abgelegene Gegend zu verirren. Nur wenige Schritte weiter beginnt die Heidelandschaft, wo sich heute wieder Fuchs und Hase "Gute Nacht" sagen. Die abwehrende Wirkung der schwarz gestrichenen Pumpe scheint die Epochen überdauert zu haben.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Heinrich Goeres, Entdeckungsreise Schwarze Pumpe, Berlin (DDR) 1958.

  2. Bericht des Zentralkomitees auf dem IV. Parteitag der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands vom 31. März 1954, Berlin (DDR) 1954, S. 12.

  3. In Senftenberg wird größtes Kokskombinat entstehen, in: Neues Deutschland, 29.7.1955, S. 1.

  4. Ebd.

  5. Rudolf Reinhardt, Am Wirtshaus "Schwarze Pumpe" steht ein weißer Pfahl, in: Neues Deutschland, 30.8.1955, S. 3.

  6. Ebd.

  7. 50 Jahre Industriestandort Schwarze Pumpe. Aufbau und Entwicklung des Kombinats Schwarze Pumpe zu einem Kohleveredelungs- und Gaskombinat, o.O. 2005, S. 89.

  8. Ebd.

  9. Brigitte Reimann, Ich bedaure nichts. Tagebücher 1955–1963, Berlin 2000, S. 120.

  10. Ebd., S. 131.

  11. Brigitte Reimann, Franziska Linkerhand, München 2005, S. 582.

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ist promovierter Historiker und wissenschaftlicher Leiter des DDR Museums in Berlin. E-Mail Link: stefan.wolle@ddr-museum.de