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Eigentum als soziale Ordnungsinstitution | APuZ 21/1966 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 21/1966 Artikel 1 Eigentum als soziale Ordnungsinstitution Mitbestimmung und evangelische Sozialethik Christliche Ethik und sozialrechtliche Forderungen Mitbestimmung-eine gesellschaftspolitische Forderung der Christlich-Sozialen Anpassung der Wirtschaftsverfassung an die modernen gesellschaftlichen Erfordernisse Partnerschaft in einer freiheitlichen Ordnung

Eigentum als soziale Ordnungsinstitution

Anton Rauscher SJ

In dieser Ausgabe wird die in Nr. 16/66 vom 20. April 1966 begonnene Diskussion der gewerkschaftlichen Forderung nach Ausweitung der qualifizierten Mitbestimmung mit Beiträgen von Persönlichkeiten aus den beiden christlichen Kirchen und von Abgeordneten der drei im Bundestag vertretenen Parteien fortgesetzt. Neben Dr. Anton Rauscher SJ sollte von katholischer Seite Professor Dr. Oswald v. Nell-Breuning SJ zu Wort kommen, der jedoch seinen Aufsatz aus gesundheitlichen Gründen nicht rechtzeitig fertig-stellen konnte, ihn aber für einen späteren Zeitpunkt zugesichert hat.

Bei der Diskussion um die Mitbestimmung könnte man fast den Eindruck gewinnen, als ob einzig die sogenannte qualifizierte Mitbestimmung, wie sie für den Montanbereich gesetzlich bestimmt wurde, die Integration des Arbeitnehmers in die fortgeschrittene Industriegesellschaft bewerkstelligen könne. Nur diese Art der Mitbestimmung sei — nicht selten wird dies stillschweigend unterstellt — in der Lage, den Arbeitnehmer aus seiner immer noch gegebenen Objektsituation zu befreien, seine Unterordnung unter das Kapital und die Kapitalinteressen aufzuheben und ihm die seiner Personwürde und freien Verantwortung adäquate Subjektstellung im wirtschaftlichen Geschehen zu geben. Allein die paritätische Mitbestimmung in den wirtschaftlichen Angelegenheiten der Unternehmungen werde der erforderlichen Gleichberechtigung von Arbeit und Kapital gerecht.

Erschwerte Diskussion

Diese einseitige Zuspitzung der Fragestellung arbeitet bisweilen mit Kategorien, die die Wirklichkeit unserer gesellschafts-wirtschaftlichen Verhältnisse bewußt oder unbewußt verfälschen, und gefährdet dadurch die sachliche Klärung.

Erstens versperrt sie den Blick dafür, in welchem Maße doch die einstige Objektstellung des Arbeitnehmers bereits überwunden wurde. Dank des gewerkschaftlichen Zusammenschlusses und der damit errungenen gesellschaftlichen Macht, durch die umfassende Ausgestaltung des Arbeitsrechts und durch die vielfältigen sozialpolitischen Einrichtungen ist der Arbeitsvertrag nicht mehr eine bloß juridisch, sondern zu einer auch faktisch freien Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer geworden. Hierin liegt gerade die Voraussetzung dafür, daß von beiden Seiten heute der Versachlichung der Gewinn-und Lohnpolitik das Wort geredet wird.

Zweitens erzeugt sie eine völlig verschobene Perspektive, als ob die in der Bundesrepublik bestehenden und gesetzlich erschlossenen Möglichkeiten der Mitwirkung und auch Mitbestimmung der Arbeitnehmer gar nicht die Bezeichnung „Mitbestimmung" verdienten. Der Begriff Mitbestimmung ist jedoch viel zu komplex, um für eine bestimmte Art in Beschlag genommen zu werden. Offenbar soll dadurch die Bedeutung des Betriebsverfassungsgesetzes, das bereits eine weitgehende Mitbestimmung — auch in wirtschaftlichen Angelegenheiten — eröffnet, möglichst heruntergespielt werden.

Drittens erschwert sie die nüchterne Betrachtung und ein kluges Abwägen aller Für und INHALT Anton Rauscher SJ:

Eigentum als soziale Ordnungsinstitution ..................................................... S. 3 Lothar Wiedemann:

Mitbestimmung und evangelische Sozialethik ............................................. S. 9 Eberhard Müller:

Christliche Ethik und sozialrechtliche Forderungen ......................................... S. 15 Adolf Müller:

Mitbestimmung — eine gesellschaftspolitische Forderung der Christlich-Sozialen ................................................. S. 18 Hans-Jürgen Junghans:

Anpassung der Wirtschaftsverfassung an die modernen gesellschaftlichen Erfordernisse ....................................... S. 24 Hansheinrich Schmidt:

Partnerschaft in einer freiheitlichen Ordnung ................................. S. 28 Wider die qualifizierte Mitbestimmung. Falls es nämlich gelingen sollte, ihre Befürwortung als sozialen Fortschritt, ihre Ablehnung als Reaktion zu deklarieren, wäre eine wichtige Vorentscheidung gefallen. Man brauchte sich nicht mehr mit Argumenten auseinanderzusetzen. Mit bloßen Überzeugungen und mehr oder minder konstruiert anmutenden Thesen ist der Sache freilich wenig gedient. Denn es steht gerade in Frage, ob die qualifizierte Mitbestimmung einen sozialen und sozialwirtschaftlichen Fortschritt darstellt. Die Geschichte kennt genügend Beispiele, daß ein angebliches Fortschrittsrezept sich als höchst problematisch erwies.

Viertens endlich lenkt sie die Aufmerksamkeit von den vordringlicheren Problemen ab. Die für die pluralistische Gesellschaft lebenswichtige Frage der Integration betrifft beispielsweise nicht mehr in erster Linie die „Arbeitnehmer", sondern die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, die sowohl um Anteil am Sozialprodukt als auch um ihren Beitrag zur Gestaltung der politischen sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse ringen. Die „formierte Gesellschaft" ist ja nur ein anderer Ausdruck für die „überbetriebliche Ordnung", die uns heute auf den Nägeln brennt. Sie würde die Subjektstellung der Arbeitnehmer in bezug auf den ganzen Wirtschaftsablauf noch stärker zur Geltung bringen. Im folgenden sollen einige kritische sozial-ethische Überlegungen zur qualifizierten Mitbestimmung aufgezeigt werden, der gemäß Eigentümer und Arbeitnehmer paritätisch die Entscheidungen in den wirtschaftlichen Angelegenheiten zu fällen hätten. Außer Betracht bleibt hier die besondere Problematik, die durch betriebs-und unternehmensfremde Arbeitnehmervertreter aufgeworfen wird.

Die Bedeutung des Privateigentums

Das Hauptbedenken gegen die qualifizierte Mitbestimmung erwächst aus dem Privateigentumsrecht, weil und insoweit die daraus entspringende Verfügungsbefugnis des Eigentümers entscheidend tangiert bzw. paralysiert wird. Gewiß hat sich das Eigentumsrecht im geschichtlichen Wandel in den verschiedensten Formen konkretisiert. Immer aber beinhaltet es in seinem Kern das Recht der menschlichen Person, über eine Sache als die ihrige zu verfügen. Dieses Recht erstreckt sich sowohl auf Konsumgüter als auch auf Produktionsmittel. Hierbei ist zu beachten, daß das Privateigentumsrecht unmittelbar in der Herrschaftsbefugnis des Menschen über die Sachwelt begründet liegt und nicht etwa in den Funktionen und ihrer Zweckmäßigkeit.

Als Ausfluß der menschlichen Person besagt das Eigentumsrecht gerade nicht einen bloßen Sachgüterhaufen, eine bloße Vermögensunterlage oder bloße Instrumentalität gegenüber dem „eigentlichen Leben" des Menschen. Aus der Gesellschaftlichkeit der menschlichen Per-ihren son ergibt sich auch die soziale Seite des Eigentums, die soziale Pflichtigkeit des Eigentümers. Das heißt, die soziale Hinordnung des Eigentums erfolgt nicht „von außen", weder durch Sozialisierung des Eigentums noch durch Sozialisierung der Verfügungsbefugnis, sondern dadurch, daß der Eigentümer in personalem Verfügen über sein Eigentum dieses allen Gliedern der Gesellschaft dienstbar macht. Dies geschieht heute vor allem durch die Verwendung der „freien Einkünfte" zu Investitionen, wodurch neue Verdienstmöglichkeiten und eine bessere Bedarfsdeckung gewährleistet werden.

Das Eigentum als soziale Ordnungsinstitution ordnet nun den zwischenmenschlichen Verkehr in der Nutzung der materiellen Güter, die allen Gliedern in gerechter und billiger Weise zufließen müssen, damit das ursprüngliche Nutzungsrecht aller verwirklicht werde. Das Eigentum grenzt also nicht so sehr die Sphären der einzelnen gegeneinander ab, sondern ordnet das Zusammenwirken der Menschen in der Verwirklichung der Kulturziele.

Vergesellschaftung der Verfügungsmacht

Die Erkenntnis hat sich weithin durchgesetzt, daß die Marxsche Vorstellung von der Abschaffung und Sozialisierung des Privateigentums alles andere als einen sozialen Fortschritt darstellt. Wäre es die Vergesellschaftung der Verfügungsmacht? Es wird geltend gemacht, daß die qualifizierte Mitbestimmung das Privateigentum als solches nicht antaste. „Nur" die Verfügungsmacht über den Einsatz der im Eigentum verbleibenden Produktionsmittel würde paritätisch von den Eigentümern und den Arbeitnehmern ausgeübt.

Man muß sich darüber im klaren sein, daß eine solche Vergesellschaftung der Verfügungs4 macht aus dem Eigentum tatsächlich einen bloßen Besitzgüterhaufen machen und die der personalen Leistung entsprechende personale Ordnungsstruktur des gesellschaftlichen Zusammenlebens in dem so wichtigen Bereich der Nutzung der materiellen Güter entscheidend getroffen würde. Dies gälte auch dann, wenn man sagte, die Mitbestimmung erstrecke sich ja nicht auf Gründung bzw. Auflösung der Unternehmung, sondern nur auf den Produktionsablauf; denn jede wirtschaftliche Entscheidung dieser Art wirkt sich notwendig auf das Eigentum aus.

Bedenklich erscheint auch die Auflösung des Zusammenhanges von Verfügungsmacht und Haftung, da sie auf die Dauer sicherlich die Produktivität der Wirtschaft berührte. Der Eigentümer würde ja nicht mehr entscheiden, obwohl er noch die volle Haftung trüge. Darüber hinaus würde ein Weg geöffnet, von dem man nicht wüßte, wann er in die Sozialisierung der Produktionsmittel einmündete. Wenn nämlich das Eigentum keine soziale Ordnungsfunktion mehr erfüllt, könnte es gleichgültig sein, ob sich die Produktionsmittel in der Hand von Privaten oder von „der Gesellschaft" befinden. Nicht umsonst haben die Gewerkschaften in den fünfziger Jahren die qualifizierte Mitbestimmung als geeignete Stufe zur Sozialisierung betrachtet.

Soll das Privateigentum als eine der Grundlagen unserer Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung erhalten bleiben, wird man die Mitbestimmung in den wirtschaftlichen Angelegenheiten der Unternehmungen nicht auf eine Weise verwirklichen dürfen, die das Eigentum in seiner Bedeutung für die Ordnung der Gesellschaft und für die Entfaltung der menschlichen Kultur in Frage stellt.

Arbeit und Eigentum

Das Festhalten am Eigentum als Personrecht und sozialer Ordnungsinstitution besagt jedoch keineswegs, daß der Arbeitnehmer Objekt und nicht Subjekt des wirtschaftlichen Geschehens und etwa den Kapitalinteressen untergeordnet wäre. Oft wird ja die paritätische Mitbestimmung damit begründet, daß die Arbeit zum mindesten gleichberechtigt neben dem Eigentum den Gang der Dinge bestimmen müsse. Im Grunde wird hier ein „Gegenüber" von Eigentümern und Nicht-Eigentümern, von Eigentum und Arbeit unterstellt. Wäre dies wirklich der Fall, müßte man gerade vom sozialethischen Standpunkt aus die paritätische Mitbestimmung, und zwar ohne jede Einschränkung, fordern.

Aber steht die Arbeit dem Eigentum „gegenüber"? Wie so häufig schleichen sich hier beinahe unbemerkt verschiedene Begriffsinhalte ein und verwirren die Sprachregelung. In der Argumentation geht man beispielsweise davon aus, daß die Arbeit unmittelbarer Ausfluß der menschlichen Person und hauptsächliche Quelle (causa principalis) der menschlichen Wertverwirklichung ist, und alle anderen Dinge wie etwa die Produktionsmittel nur instrumentalen Charakter haben. Ohne jede Unterscheidung überträgt man dieses Verhältnis auf Arbeit und Eigentum und wechselt dann auch noch auf die Beziehung von Arbeit und Kapital über. So entsteht der Eindruck, als ob Arbeit im erstgenannten Sinne gleichbedeutend wäre mit der unselbständig gelei-steten Arbeit im modernen Produktionsprozeß und das Eigentum mit dem Kapital.

In Wirklichkeit handelt es sich um einen ganz verschiedenen Sachverhalt. Wird die Arbeit als personale Leistung des Menschen verstanden, so erstreckt sie sich auf jede wirtschaftliche Tätigkeit. In diesem Sinne „arbeiten" selbstverständlich auch die Unternehmer. Diese Arbeit erweist sich, wie es schon H. Pesch darlegte, als Medium der personalen Entfaltung und der Beherrschung der Natur sowie als „prinzipale aktive Ursache der Produktion" und Hauptgrundlage des Erwerbs. Ein anderer Begriffsinhalt liegt vor, wenn die „Arbeit" als eigener Produktionsfaktor neben und mit dem „Kapital" aufgefaßt wird. Hier bezieht sie sich einschränkend auf die unselbständig geleistete Arbeit, die erst in Verbindung mit dem Kapital die Produktion von Gütern ermöglicht.

Allein die funktionale Trennung von Arbeit und Kapital im Produktionsprozeß, wie sie für die sogenannte kapitalistische Produktionsweise charakteristisch ist, rechtfertigt die Gegenüberstellung von Arbeitnehmern und Produktionsmittelbesitzern, von Arbeit und Kapital. Die Arbeit im ersten umfassenden Sinne aber steht nicht dem Eigentum „gegenüber". Alle wirtschaftliche Tätigkeit richtet sich — neben der Bereitstellung von Dienstleistungen — auf die Produktion von Gütern, die in gerechter Verteilung in das Eigentum der Personen übergehen und so die Bedarfsdeckung in menschlicher Weise ermöglichen. Zwischen der Arbeit und dem Eigentum waltet ein linearer finaler Sinnzusammenhang, innerhalb dessen sich auch die funktionale Kooperation der Produktionsfaktoren „Arbeit" und „Kapital" vollzieht.

Nur so ist es überhaupt verständlich, warum das Privateigentum und nicht die Arbeit als Ordnungsinstitution des gesellschaftlichen Lebens fungiert. Das Eigentum ist nämlich der gleichsam organisatorisch-körperhafte Ausdruck der menschlichen Arbeit in der finalen Betrachtung. Daraus folgt, daß jede — die selbständig und die unselbständig geleistete—Arbeit Anspruch auf Eigentum hat, auch an Produktionsmitteln. Mit allem Nachdruck muß daher heute die Beteiligung der Arbeitnehmer an der volkswirtschaftlichen Kapitalbildung durchgesetzt werden. Daraus folgt aber nicht, daß — erst heute! — die „Arbeit" neben und mit dem Eigentum gesellschaftliche Ordnungs-Institution werde. Man würde den Arbeitnehmern selbst einen schlechten Dienst erweisen, wollte man ihre personale Leistung nur noch als funktionalen Produktionsbeitrag sehen.

Im eigentlichen Sinne kann es eine paritätische Mitbestimmung nur dort geben, wo die Produktionsfaktoren „Arbeit" und „Kapital" als solche zusammenwirken: auf der über-betrieblichen, volkswirtschaftlichen Ebene. Auf der einzelwirtschaftlichen Ebene der Unternehmungen kommt notwendig das Eigentum, besser die Eigentümer ins Spiel. Hier wird eine Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten nicht die Einbettung der funktionalen Kooperation von „Arbeit" und „Kapital" in den finalen Zusammenhang von Arbeit und Eigentum sprengen und faktisch das Eigentum und die daraus resultierende Verfügungsbefugnis paralysieren oder gar aufheben dürfen.

Die Mitbestimmung als „Bedingung"

Man hat den Versuch unternommen, die Schranke des Privateigentums gegen die paritätische wirtschaftliche Mitbestimmung zu umgehen, indem man sagte, das Eigentumsrecht berechtige den Eigentümer nur zu denjenigen Verfügungen über sein Eigentum, die er allein ohne fremde Hilfe ausführen kann; bedarf er dazu fremder Hilfe, so sind die Arbeitnehmer befugt, die vollkommen gleichberechtigte Mitbestimmung als Bedingung ihrer Mitwirkung zu fordern.

Diese Argumentation beruht auf der Voraussetzung, daß eine arbeitsteilige, gesellschaftliche Wirtschaft nicht auf dem Privateigentumsrecht aufbauen könne, insofern dieses ein Verfügen über eine Sache als die eigene besagt. Damit wird aber gerade die gesellschaftliche Ordnungskraft des Eigentums in Frage gestellt. Das Privateigentum erscheint nur noch als individueller Besitz, nicht als zwischenmenschliche Ordnungsinstitution, die gerade auch das Zusammenwirken und damit die kulturelle Entfaltung auf allen Gebieten sichert.

Die Frage hängt zusammen mit den Überlegungen zu einer neuen Unternehmensverfassung, bei der nicht mehr das „Kapital", das Sachund Geldvermögen, sondern nur noch die „Arbeit", die leitenden und ausführenden Kräfte, bestimmen. Sicherlich soll der Mensch über die Sachwelt herrschen und nicht umge6 kehrt der Produktionsapparat den Menschen regieren. Aber man wird sich hüten müssen, das Kind mit dem Bade auszuschütten, das heißt auch den Eigentümer wegzuoperieren und im Eigentum nachträglich doch noch eine Art Ursünde der Menschheit zu erblicken. Wo das Eigentum nicht mehr in seiner Bedeutung für den Menschen und eine menschliche Gesellschaft hinreichend erkannt wird, schwebt der arbeitende Mensch selbst in Gefahr, einer totalen Funktionalisierung zum Opfer zu fallen.

Im Prinzip bedingt ja auch der juridisch und faktisch frei zustande kommende Lohnarbeitsvertrag keinerlei Herrschaftsverhältnis. Er ist ein Mittel, um die Kooperation von Personen in einer arbeitsteiligen Wirtschaft funktional zu organisieren. Die Kritik freilich richtet sich in ihrer Konsequenz wiederum gegen den Eigentümer, der kraft Eigentumsrechtes den Produktionsprozeß organisiert. Aber wer sollte ihn organisieren: der Staat? die Gewerkschaft? die Arbeit? die Gesellschaft? Wenn bisher dem Eigentum diese Rolle zugefallen ist, war das sicherlich nicht eine bloße geschichtliche Zufälligkeit. Denn schließlich geht es um die Produktion von Gütern, um die Sicherstellung der kulturellen Bedarfsdeckung gerade auch durch entsprechende Vermögens-und Eigentumsbildung aller, und zwar in personaler Weise.

Die Trennung von Eigentum und Verfügungsmacht

Die bisherigen Überlegungen drängen natürlich die Frage auf, ob nicht die heute zu beobachtende „Entfunktionalisierung" des Eigentums zu einer Neuorientierung in der Bestimmung und Kontrolle des Produktionsprozesses zwinge. In der fortgeschrittenen Industriegesellschaft gewinnen diejenigen Unternehmungen immer stärker an Gewicht, die in der Rechtsform der Kapitalgesellschaft als eigene juristische Person bestehen. Hier sind es aber nicht mehr die Kapitaleigner, die die wirtschaftlichen Entscheidungen treffen, sondern das sogenannte Management. Zwar gilt das Management im Rechtssinn als von den Eigentumsbeteiligten delegiert, faktisch aber hat es sich in der Ausübung der Verfügungsmacht weitgehend verselbständigt. Hinzu kommt, daß im Aufsichtsrat als dem Kontrollorgan der Aktiengesellschaft häufig auch Nicht-Eigentümer, zum Beispiel Vertreter der Banken, sitzen. Weshalb sollten angesichts dieser Entwicklung nicht auch die Arbeitnehmer die Kontrolle mitverwalten und paritätisch mitbestimmen?

Es würde zu weit führen, diesen Fragenkomplex in seiner ganzen Breite zu behandeln. Die anonymen Kollektivformen der Verfügungsmacht, wie sie uns vor allem in den undurchsichtigen Verschachtelungen entgegentreten, werfen ohne Zweifel schwerwiegende Ordnungsfragen auf. Wollte man hier einen Ansatz für die paritätische Mitbestimmung sehen, müßte allerdings eine entsprechende Argumentation nicht allgemein von der „Arbeit“ bzw. von der — problematischen — „Doppelpoligkeit" von Arbeit und Eigentum her geführt werden, sondern von dem Funktionsverlust des Eigentums. Folglich läge der Schwerpunkt auch nicht mehr auf der Gleichberechtigung von Kapital und Arbeit oder auf dem Anliegen einer volleren Integration der Arbeitnehmer, sondern auf der durch die Trennung von Eigentum und Verfügungsmacht ausgelösten Ordnungsdefizienz.

Bei der besagten Trennung wird man überdies vorsichtig sein müssen. Denn erstens ist der Grad der Trennung sehr unterschiedlich bei den einzelnen Unternehmungen und zweitens besteht auch bei den Kapitalgesellschaften die, wenn auch beschränkte, Haftungsfunktion der Anteilseigner, woraus eine letzte, bleibende Verantwortlichkeit für die Bestellung von Aufsichtsrat und Vorstand fließt.

Das Betriebsverfassungsgesetz hat bereits die unterschiedliche Situation bei Inhaberunternehmen und Kapitalgesellschaften berücksichtigt. Ob bei letzteren — einmal abgesehen von dem Problem der Haftung — die Ausweitung der einfachen zur paritätischen Mitbestimmung die Ordnungsdefizienz überwinden könnte, erscheint höchst zweifelhaft. Die diesbezüglichen Bedenken erwachsen unter anderem aus der „Parität" selbst. Die Notwendigkeit des „neutralen Mannes" deutet nämlich darauf hin, daß die Interessenspannung zwischen Arbeit und Kapital unmittelbar in die wirtschaftlichen Entscheidungen hineingetragen würde und ein Interessenausgleich nur begrenzt erreicht werden könnte. Ob aber der beständig zu erwirkende „Kompromiß" gerade in den wirtschaftlichen Entscheidungen für das Unternehmen — und damit auch für die beschäftigten Arbeitnehmer! — günstig ist, dieser Nachweis dürfte schwer fallen.

Die Integration der Arbeitnehmer

Die Bundesrepublik gilt als ein Land, in dem die soziale Befriedung mit die größten Fortschritte gemacht hat. Die Gewerkschaften anerkennen diese Tatsache ebenso wie die Unternehmer, auch wenn man sich jeweils selbst das Hauptverdienst daran zuschreibt. In der Mitbestimmungsdiskussion jedoch werden zuweilen Töne angeschlagen, als ob die Integration der Arbeitnehmer erst gerade am Anfang stände und sie einzig davon abhinge, ob die paritätische Mitbestimmung durchgesetzt werde oder nicht. Man sollte ruhig die kapitalistische Klassengesellschaft von einst dort lassen, wo sie hingehört, und sie nicht gewaltsam aus dem Grabe hervorzerren.

Was die Rechtsstellung des Arbeitsnehmers angeht, kann von einer Objektsituation nicht mehr die Rede sein. Woran heute dem Arbeitnehmer gelegen ist, hängt nicht von der paritätischen Mitbestimmung ab. Er will in seinem Beitrag zur Produktion, also in seiner Arbeitsleistung als Mitmensch und nicht als Befehls-empfänger behandelt werden. Er will sein berufliches Können, seine Initiative und Verantwortung in der Gestaltung des Arbeitsvollzugs entfalten. Es geht vornehmlich um den weiten Bereich der personellen und sozialen Angelegenheiten, um das Arbeitsklima und die partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen den leitenden und ausführenden Kräften. Die institutionell bereits gebotenen Möglichkeiten sind in der Praxis oft noch nicht verwirklicht, geschweige denn ausgeschöpft. Der Arbeitnehmer will auch informiert sein über den Sinn getroffener Entscheidungen und über die wirtschaftliche Lage des Unternehmens. Ein Ausbau des Betriebsverfassungsgesetzes im Hinblick auf das betriebliche Vorschlagswesen, auf das Beschwerderecht, auf die Möglichkeiten der beruflichen Weiterbildung, auf einen verbesserten Kündigungsschutz und auf eine eventuelle rechtzeitige Umschulung würde die Situation des Arbeitnehmers im Betrieb und im Unternehmen weiter stärken.

Die Frage der vollen Integration des Arbeitnehmers in die Gesellschaft stellt sich vor allem auf der überbetrieblichen Ebene. Hier, wo es um die gesamtwirtschaftliche Weichen-stellung geht, ist der Ort vollkommener Gleichberechtigung der sozialwirtschaftlichen Gruppen „Arbeit" und „Kapital".

Die Machtordnung der Großunternehmen

Die Forderung auf paritätische Mitbestimmung entzündet sich nicht zuletzt an der Bedeutung der Größt-und Großunternehmen für die Volkswirtschaft und die ganze Gesellschaft. Ihre Sonderstellung —-man denke nur an den beträchtlichen Beitrag zum Sozialprodukt, an die große Zahl der beschäftigten Personen, an die Abhängigkeit ganzer Regionen — bewirkt, daß die wirtschaftlichen Entscheidungen nicht nur das Wohl des Großunternehmens betreffen, sondern in erheblichem Maße das Gemeinwohl selbst berühren.

Im Grunde handelt es sich hier um eine Frage der Machtordnung, aber nicht um unternehmens-bzw. betriebsinterne Probleme, also um diejenigen Belange, die gerade das über-betriebliche Gemeinwohl tangieren. Wäre die paritätische wirtschaftliche Mitbestimmung in der Lage, diese Problematik in den Griff zu bekommen?

Niemand wird im Ernst behaupten wollen, daß die Belegschaften dieser Unternehmen als solche oder die Gewerkschaften als Interessen-organisationen Träger und Wahrer des Gemeinwohls sind. Mit gleichem Recht könnten ja auch die anderen Gruppen wie beispielsweise die Lieferanten und Abnehmer der Großunternehmen oder die Kommunen „Mitbestimmungsrechte " fordern und ihre berechtigten Interessen als Erfordernisse des Gemeinwohls deklarieren. Das Gemeinwohl ist aber niemals die bloße Summe des Privatwohls und der Partikularinteressen. In dem Maße, als das Großunternehmen spezifische Erfordernisse des Gemeinwohls berührt, bedarf es schon einer wirklich „öffentlichen" Kontrolle. Die Banken und Kreditanstalten wurden wegen ihrer eigenartigen volkswirtschaftlichen Funktion einer besonderen Regelung unterworfen. Weshalb nicht die Großunternehmen? Das paritätische Mitbestimmungsrecht jedenfalls ginge am Kern der Sache vorbei und würde die Situation höchstens komplizieren und verschärfen.

Abschließend sei die Frage erlaubt, in welche Richtung die paritätische Mitbestimmung in den wirtschaftlichen Angelegenheiten der Unternehmungen weist. Schon heute wird die Ansicht vertreten, daß es sich hierbei eigentlich gar nicht um paritätische Mitbestimmung handele, sondern um sehr viel weniger. Wird der nächste Schritt unter Berufung auf die Gleichberechtigung von Arbeit und Kapital nicht nur die Verfügungsbefugnis, sondern auch das Rest-„Eigentum" an Produktionsmitteln selbst unter die Formel der Parität zwingen wollen? Aber auch dies scheint schon überholt, wenn erklärt wird, letzten Endes sei eine Ordnung anzustreben, bei der nicht das Eigentum, sondern die Arbeit das entscheidende Ordnungsprinzip sowohl der Unternehmen als auch der gesamten Wirtschaft und Gesellschaft wäre. Wird dann die Gesellschaft jedem nach seinen Bedürfnissen zuteilen und der arbeitende Mensch endlich zu sich selber kommen? Die sichtbar gewordenen Tendenzen sind eine Warnung. Die Besinnung auf den finalen Zusammenhang von Arbeit und Eigentum tut not. Der Arbeitnehmer muß Eigentümer werden, das ist die Konsequenz. Zwischen Mitbestimmung, die sicherlich zu bejahen ist und auch im Betriebsverfassungsgesetz grundgelegt ist, und paritätischer Mitbestimmung liegt eine Zäsur: das Eigentum als personale Ordnungsstruktur. Wir haben die kapitalistische Klassengesellschaft überwunden, möge uns das Arbeitsparadies östlicher Prägung erspart bleiben.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Anton Rauscher SJ, Dr. theol., Komiss. Leiter der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle in Mönchengladbach. Veröffentlichungen: Subsidiaritätsprinzip und berufsständische Ordnung, in: Quadragesimo anno, 1958; verschiedene Beiträge in: Ordo socialis, Jahrbuch des Instituts für Christliche Sozialwissenschaften, Ordo, Stimmen der Zeit, Staatslexikon, Katholisches Soziallexikon.