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Mitbestimmung-eine gesellschaftspolitische Forderung der Christlich-Sozialen | APuZ 21/1966 | bpb.de

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APuZ 21/1966 Artikel 1 Eigentum als soziale Ordnungsinstitution Mitbestimmung und evangelische Sozialethik Christliche Ethik und sozialrechtliche Forderungen Mitbestimmung-eine gesellschaftspolitische Forderung der Christlich-Sozialen Anpassung der Wirtschaftsverfassung an die modernen gesellschaftlichen Erfordernisse Partnerschaft in einer freiheitlichen Ordnung

Mitbestimmung-eine gesellschaftspolitische Forderung der Christlich-Sozialen

Adolf Müller

Eine alte christlich-soziale Forderung

Die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in Betrieb und Wirtschaft ist in der letzten Zeit in den Widerstreit der Meinungen geraten, auch innerhalb der CDU. Wenn ich mich als CDU-Abgeordneter hierzu äußere, so muß ich betonen, daß meine Darlegungen als persönliche Stellungnahme aufzufassen sind und nicht den offiziellen Standpunkt der Christlich Demokratischen Union oder der CDU-Fraktion im Deutschen Bundestag wiedergeben. Es wird aber trotzdem zu versuchen sein, diesen Widerstreit der Meinungen erkennen zu lassen, um die verschiedenen Richtungen in der Frage der Mitbestimmung sichtbar zu machen.

Das Problem „Mitbestimmung" hat in den letzten Wochen zunehmend Schlagzeilen gemacht: Nein zur paritätischen Mitbestimmung — Mitbestimmung keine Lösung — CDU-Hauskrach um Mitbestimmung — Mitbestimmung und Sozialismus — das sind nur einige dieser Überschriften.

Gerade der zuletzt zitierte Titel „Mitbestimmung und Sozialismus" gibt Anlaß, zunächst einiges zur Geschichte der Forderung auf Mitbestimmung der Arbeitnehmer zu sagen. Der so überschriebene Artikel des „Industriekuriers" vom 19. 3. 1966 versucht den Eindruck zu erwecken, als sei die Forderung nach Mitbestimmung der Arbeitnehmer ausschließlich eine sozialistische Forderung. Er beruft sich dabei auf eine Schrift, die im Auftrage der damaligen Freien Gewerkschaften (ADGB) von Fritz Naphtali verfaßt und 1928 unter dem Titel „Wirtschaftsdemokratie — Ihr Wesen, Weg und Ziel" erschienen ist. Es ist unbestreitbar, daß auch in der sozialistischen Richtung der Arbeiterbewegung die Forderung nach der Demokratisierung der Wirtschaft auf-18 gestellt wurde. Es ist aber falsch, zu behaupten, die heutige Mitbestimmungsforderung ginge auf diese sozialistische Auffassung von der Wirtschaftsdemokratie zurück.

Die Forderung nach Mitbestimmung der Arbeitnehmer in Betrieb und Wirtschaft ist eine alte christlich-soziale Forderung. Der am 14. November 1944 von den nationalsozialistischen Machthabern hingerichtete Verbands-sekretär der Katholischen Arbeitervereine, Bernhard Letterhaus, hat im Jahre 1928 auf dem Internationalen Kongreß der Katholischen Arbeitervereine in Köln zur Frage des Mitbestimmungs-und Mitgestaltungsrechtes der Arbeitnehmerschaft prononciert Stellung genommen. Wörtlich sagte Bernhard Letterhaus, der einer der führenden Kopie der christlich-sozialen Bewegung vor 1933 und der Zeit des Widerstandes war: „Eine weitere Ursache der Unruhe ist darin zu suchen, daß die Arbeiter bis heute im Betrieb und in der Wirtschaft keine Möglichkeit haben, ihre besten menschlicen Kräfte über ihre Arbeitsverrichtung hinaus durch ein Mitbestimmungsund Mitgestaltungsrecht einsetzen zu können. Die Besitzer des Kapitals wollen Herr im Hause, Herr in der Wirtschaft bleiben. Lohnarbeitersind ihnen nur Werkzeuge, sind ihnen nur Hände. Nach unserer katholischen Über-zeugung hat auch der Lohnarbeiter den Gottesauftrag, die Erde zu bebauen und sich untertan zu machen. Dieser Auftrag geht über seine körperliche Arbeitsleistung hinaus. Gewiß wirkt er auch durch seine Berufsarbeit in dem Sinne, aber schöpferischer Geist in ihm muß mehr wollen. Er muß sein Denken, sein Wollen mit hineinfließen lassen können in die Leitung der Betriebe und der ganzen Wirtschaft. "

Sozialethische Begründung

Bernhard Letterhaus führte dann weiter aus, daß die katholischen Arbeiter sicherlich nicht die Arbeitsdisziplin untergraben und die Eingliederung der Arbeiter in Betrieb und Wirtschaft beseitigen wollten. Man wisse, daß es eine Leitung und eine Ausführung, daß es ein oben und ein unten geben müsse. Die Anerkennung der Eingliederung heiße aber nicht, der Entfaltung der besten menschlichen Kräfte Hemmnisse entgegenzusetzen. Im Gegenteil: man müsse dieses Mitgestaltungsrecht fordern, weil man wisse, daß sich das Höchste im Menschen, das der Schöpfer in seine Brust gelegt habe, entwickeln könne.

Worauf stützt sich nun die Forderung auf Mitbestimmung der Arbeitnehmer?

Schon aus den Worten Letterhaus’ geht hervor, daß es sich um eine sozialethische Forderung handelt. Für die Christlich-Sozialen, die in der CDU politisch ihre Heimat gefunden haben, ist die Forderung nach Mitbestimmung eine gesellschaftspolitische Forderung, die auf den Grundprinzipien von Freiheit und Ordnung beruht. Diese beiden Prinzipien zu verwirklichen, ist die grundlegende Zielsetzung der Christlich-Sozialen. Die Christlich-Sozialen wollen das größtmöglichste Ausmaß der Freiheit. Sie sehen die Freiheit aber in ihrer Bindung an die unveräußerlichen Werte des Menschen; denn Merkmal der Freiheit ist die Menschenwürde. Sie bekennen sich zur Freiheit als ein Geschenk an den einzelnen und als Voraussetzung der gesellschaftlichen Gruppierung. Sie fordern diese menschenwürdige Freiheit, die dem sinnvollen Fortschritt und Wohlstand dient und das Recht aller Gruppen schützt. Daraus ergibt sich, daß der Mitbestimmung eine gesellschaftspolitische Bedeutung zukommt, die nur mit der Einführung des Tarifvertragswesens oder auch der Sozialversicherung zu vergleichen ist.

In einer Gedenkstunde für Karl Arnold am 28. März 1965 sagte der Vorsitzende des Bundeswirtschaftsausschusses der CDU, Franz Etzel, nachdem er das christlich-soziale Ordnungsbild Karl Arnolds entworfen hatte, aus dem Wert der Einzelpersönlichkeit folge das Recht auf Mitbestimmung, wobei das Sozialprodukt eine wesentliche Bereicherung erfahre. Karl Arnold habe definiert: „Mitbestimmung ist keine arbeitsrechtliche Forderung der Arbeiterschaft, sie ist auch keine Klassenforderung. Das Mitbestimmungsrecht ist in seiner gesellschaftspolitischen Wirkung die Garantie der Sicherheit, daß sich in unserem Volke das bürgerliche Element in Freiheit und eigener Schaffenskraft erhalten und entfalten kann."

Hier wird deutlich, mit welcher sozialethischen Begründung die CDU in den Wiederaufbau-jahren das Mitbestimmungsgesetz bei Kohle und Stahl, die qualifizierte Mitbestimmung, verabschiedet hat. Der Vorsitzende der Sozialausschüsse der CDU, Hans Katzer, sagte in der gleichen Gedenkstunde: „Im schroffen Gegensatz zum Marxismus und Sozialismus bekannten sich die Christlich-Sozialen zur Idee der Partnerschaft. Den Klassenkampfgedanken der Marxisten lehnten sie ebenso entschieden wie wirkungsvoll ab. Diese Idee der Partnerschaft, verbunden mit dem Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmer, war für die Union der Christlichen Demokraten das gesellschaftliche Leitmotiv, und mit dieser Idee ist es ihr gelungen, den gesellschaftlichen Aufbau glück-haft zu gestalten."

Bewährung der Mitbestimmung im Montanbereich

Wie verhält es sich mit den Formen der Mitbestimmung und ihrer Bewährung in der Praxis? Der Wiederaufbau der Wirtschaft, vor allem der Industrien, die unter die qualifizierte Mitbestimmung fallen, also der Montanindustrie, ist im Zeichen der Mitbestimmung vor sich gegangen. Wenn heute davon gesprochen wird, der Wiederaufbau sei trotz der Mitbestimmung erfolgt, dann ist das sicherlich eine böswillige Verdrehung der Tatsachen. Es ist Ludwig Rosenberg recht zu geben, wenn er sagt, daß nirgendwo in der Welt eine wirtschaftliche Leistung solchen Ausmaßes so schnell, wirkungsvoll, imponierend und friedlich vollbracht worden ist als da, wo die volle Mitbestimmung der Arbeitnehmer wirksam gewesen ist. Die Arbeiterschaft hat sich im Zeichen der Mitbestimmung verständnisvoll und interessiert gezeigt, sie hat am Aufbau teilgenommen, und zwar gerade dort, wo sie mitbestimmen und mitverantworten konnte. Besonders bewähren mußte sich die Mitbestimmung in den letzten Jahren, als durch Strukturveränderungen bei Kohle und Stahl Zusammenlegungen und Stillegungen erforderlich waren. Denken wir in dem Zusammenhang an die jüngste Entwicklung des Stein-kohlenbergbaus. Vergleichen wir die Unruhen im belgischen Steinkohlenbergbau, die Erbitterung der sich um ihren Arbeitsplatz sorgenden Arbeitnehmer mit der disziplinierten Haltung des deutschen Bergarbeiters, der weiß, daß die Männer seines Vertrauens aus dem Betrieb und aus seiner Gewerkschaft bei den Maßnahmen der Wirtschaftspolitik mitgewirkt haben, die zur Gesundung des Steinkohlenbergbaus notwendig sind. Das schließt nicht aus, daß auch sie Sorge um ihren Arbeitsplatz haben, und ihre Sorge ist berechtigt. Aber durch die Mitarbeit der Arbeitnehmer und ihrer Vertreter in den Mitbestimmungsorganen der Kohle-gesellschaften ist für die notwendigen Strukturmaßnahmen eine Form gefunden worden, die sie auch dem Arbeitnehmer verständlich machen. Wie schnell so etwas ins Gegenteil umkehren kann, wenn die Arbeitnehmer nicht oder nicht rechtzeitig über ihre Vertreter von bevorstehenden Maßnahmen unterrichtet werden, zeigt die Reaktion anläßlich der Stilllegung der Zeche Bismarck. Wie sich hier zeigte, ist es nicht selbstverständlich, daß sich alles in geordneten Bahnen vollzieht. Um so dankbarer aber sollte man den Arbeitnehmern, insbesondere den in der Mitbestimmung tätigen Arbeitnehmern sein, daß sie so viel Verständnis für die Situation der Wirtschaft und der Betriebe aufgebracht haben. Hier hat sich die Mitbestimmung bewährt. Hier zeigten sich, um mit Bernhard Letterhaus zu sprechen, die günstigen Auswirkungen der Mitverantwortung und Mitgestaltung der Arbeitnehmer. Hier erwies sich, daß das Ziel, die Arbeitnehmer in eine sinnvoll geleitete Wirtschaft einzugliedern und ihre Kräfte für die gemeinsamen Aufgaben freizumachen, erreicht wurde. Das für die Kohle Gesagte gilt in gleicher Weise für die notwendige Umstrukturierung der Stahlindustrie, wo dank der Mitbestimmung unliebsame soziale Auswirkungen notwendiger Zusammenlegungs-und Stillegungsmaßnahmen durch gut überlegte Sozialpläne vermieden wurden.

Betriebsverfassungsgesetz ungenügend genutzt

Das Betriebsverfassungsgesetz löste das Kontrollratsgesetz Nr. 22 ab und ist praktisch Nachfolger des Betriebsrätegesetzes aus der Weimarer Republik. Aber bei dem Betriebsverfassungsgesetz ging man neue Wege. Es regelt nicht nur die Wahl und Zusammensetzung des Betriebsrates, sondern auch die Zusammenarbeit von Betriebsvertretung mit der Unternehmensleitung in personellen, sozialen und wirtschaftlichen Fragen. Neu war an diesem Gesetz, daß ein Wirtschaftsausschuß im Betrieb gebildet wurde, der paritätisch aus Arbeitnehmern und Vertretern des Arbeitgebers besetzt wurde.

Wenn Männer der Wirtschaft heute davon sprechen, daß sie die Mitbestimmung im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes weiter fördern wollen, dann muß man ihnen allerdings entgegenhalten, daß es in der Macht der Arbeitgeber gelegen hätte, diesem Gesetz zu einem größeren Erfolg zu verhelfen, als es tatsächlich der Fall ist. Was weitgehend zu wünschen übrig läßt, ist die im Betriebsverfassungsgesetz geregelte Mitbestimmung in wirtschaftlichen Fragen. Das gilt besonders für die Tätigkeit des Wirtschaftsausschusses des Betriebes. In diesem Punkt ist das Gesetz in seinen Möglichkeiten noch lange nicht ausgeschöpft. Das liegt nicht am Gesetzgeber, sondern an denen, die das Gesetz handhaben, die es zum Leben erwecken müssen. Dabei ist die Arbeitgeberseite, die heute so voller Lob vom Betriebsverfassungsgesetz und seinen Mitbestimmungsmöglichkeiten spricht, der Vorwurf zu machen, daß sie diese Möglichkeiten der Partnerschaft nicht genügend genutzt hat. Auch auf Arbeitnehmerseite ist in den Betrieben von den Mitbestimmungsmöglichkeiten des Betriebsverfassungsgesetzes und der Informationsmöglichkeit durch den Wirtschaftsausschuß nicht in ausreichendem Maße Gebrauch gemacht worden. Offenbar hat sich aber die Mitbestimmung in der Montanindustrie, die qualifizierte Mitbestimmung, bewährt. Die schwächere Mitbestimmung nach dem Betriebsverfassungsgesetz wurde jedoch nicht genügend genutzt; Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben hier noch ein weites Betätigungsfeld.

Drohende Aushöhlung der Mitbestimmung

Die Frage, ob die Mitbestimmung heute bedroht ist, war das Generalthema einer Arbeitstagung des DGB-Landesbezirks Nordrhein-Westfalen im Mai 1965 in Düsseldorf. Auf dieser Tagung erklärte der Landesbezirksvorsitzende Georg Neemann, daß unabhängig von ordnungs-und letztlich machtpolitischen Fragen sich die Mitbestimmungspolitiker heute vor drei Probleme gestellt sehen: einmal der Aushöhlung und Beseitigung der Montanmitbestimmung durch die technische und wirtschaftliche Entwicklung im Bergbau sowie in der Eisen-und Stahlindustrie; zum zweiten der Förderung des Abbaus wirtschaftlicher Mitbestimmung durch ein mögliches Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das die umsatzsteuerlichen Vorteile eines sogenannten Organsdiaftsvertrages für verfassungswidrig erklärt; schließlich drittens der Bedrohung und dem möglichen Verlust des Rechts auf wirtschaftliche Mitbestimmung in den deutschen Unternehmen durch die zukünftige europäische Wirtschaftsintegration.

Einige Zahlen mögen deutlich machen, was es mit dem ersten Punkt auf sich hat. Durch die Konzentration der Montanindustrie wurde der Mitbestimmung in weiten und wichtigen Bereichen dieses Wirtschaftszweiges die gesetzliche Grundlage entzogen. Im Jahre 1954 fielen 110 rechtlich selbständige Montanunternehmen unter das Montanmitbestimmungsgesetz. Heute unterliegen diesem Gesetz rund 70 Gesellschaften und dem Montanmitbestimmungsergänzungsgesetz drei Konzernobergesellschaften. Da sich eine weitere Konzentration der Montanindustrie abzeichnet, ist zu befürchten, daß die Mitbestimmung damit auf kaltem Wege ausgehöhlt wird.

Wenn das Bundesverfassungsgericht die steuerliche Organschaft für verfassungswidrig erklärte, würden die betroffenen Konzerne vermutlich versuchen, durch eine Fusionierung die umsatzsteuerliche Mehrbelastung auszuschalten. Die Folge wäre, daß die wirtschaftliche Mitbestimmung in den bisher rechtlich selbständigen, wenn auch wirtschaftlich abhängigen Tochtergesellschaften aller Wirtschaftsbereiche eine ähnliche Entwicklung durchmachen würde wie bei der Montanindustrie. Angesichts dieser Entwicklung ist der Schluß erlaubt, daß die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bedroht ist, und zwar nicht durch gesetzliche, sondern durch wirtschaftliche und steuertechnische Maßnahmen. Zumindest aber kann man von einer Aushöhlung der Mitbestimmung sprechen. Theodor Blank sagte dazu vor dem Bundesparteitag der CDU in Düsseldorf 1965: „Aber wir sagen ebenso deutlich, die geltende Mitbestimmung darf nicht auf kaltem Wege ausgehöhlt werden. Es entspricht nicht dem Sinn der Mitbestimmungsgesetze, durch Veränderungen des Produktionsprogramms bei größeren Zusammenschlüssen das Unternehmen des Charakters zu entkleiden, auf Grund dessen es unter die Mitbestimmungsgesetze fiel. Ich bin froh, daß es in vielen Fällen gelungen ist, das abzuwehren. Sollte das aber nicht möglich sein, müßte man sich diese Frage bei einer zeitgemäßen Überprüfung der Mitbestimmungsgesetze erneut überlegen."

Meinungsunterschiede in einer Volkspartei nur natürlich

Die drohende Aushöhlung der Mitbestimmung durch die Konzentration der Wirtschaft und steuerjuristische Entscheidungen auf der einen Seite und das Anwachsen anderer Industriezweige, insbesondere der chemischen Industrie, auf der anderen Seite, veranlaßte die Gewerkschaften, die Forderung nach Ausdehnung der Mitbestimmung auf alle Großunternehmen zu stellen. Angesichts dieser Forderung sind Befürworter und Gegner der Mitbestimmung — oder genauer gesagt der qualifizierten Mitbestimmung — nun wieder in aller Härte aufeinandergeprallt. Nur sind anscheinend dieses Mal die Fronten der Befür-B Wörter und Gegner noch härter als bei der Debatte über die Montanmitbestimmung. Nicht nur Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände prallen mit ihren gegensätzlichen Meinungen aufeinander; der Streit wird auch innerhalb der Wissenschaft und auf kirchlicher Ebene ausgetragen.

In der CDU sind Meinungsunterschiede in den Fragen der weiteren Ausgestaltung der Mitbestimmung zweifellos vorhanden. Das ist bei einer alle Gruppen umfassenden Volkspartei aber nur natürlich. Die Sozialausschüsse der CDU, unterstützt durch die christlich-sozialen Organisationen, die im Christlich Sozialen Arbeitnehmerkongreß zusammengeschlossen sind, befürworten nach wie vor die wirtschaftliche Mitbestimmung der Arbeitnehmer als Teil der Gesellschaftspolitik. Der Einbau von gesellschaftlichen Ordnungselementen in die Wirtschaft ist immer eine Forderung der Sozialausschüsse gewesen. Sie haben immer betont, daß die Frage, ob man bereit ist, der Arbeitnehmerschaft entsprechend ihrer großen Bedeutung nicht nur eine Mitberatung, sondern eine Mitbestimmung im Betrieb und in der Wirtschaft zu geben, von entscheidender Bedeutung für die Zukunft sein wird. Alle die ernsten Probleme der Wirtschaft können nicht ohne die verantwortliche Mitarbeit der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften gelöst werden, wenn man allen Interessen gerecht werden will. Das gilt für die betriebliche Mitbestimmung, es gilt ebenso für die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in allen Bereichen der Wirtschaft.

Diese Auffassung wurde auf der 11. Bundes-tagung der Sozialausschüsse im Juli 1965 noch einmal unterstrichen. Die Sozialausschüsse verzichteten darauf, ein neues Programm zu formulieren. Sie betonten aber, daß für die Ausgestaltung der wirtschaftlichen Mitbestimmung möglichst auf Grund gemeinsamer Überlegungen mit den Unternehmern eine Form gefunden werden müsse, die den modernen Produktions-und wirtschaftlichen Organisationsformen entspricht.

Eine andere Auffassung haben Vertreter der Wirtschaft, die sich im Wirtschaftsrat der Union zusammengeschlossen haben. Dieser ist aber keine Vereinigung der Partei, und seine Aussagen haben daher keinen offiziellen Charakter. Es wäre aber töricht, anzunehmen, daß die vom Wirtschaftsrat zum Problem der Mitbestimmung geäußerten Ansichten sich nicht auch mit der Meinung eines Teiles der Wirtschaftler in den Reihen der Union deckten. Das geht auch aus einer Stellungnahme hervor, die der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU, Peter Wilhelm Brand, am 14. Oktober 1965 im Wirtschaftsfunk des WDR abgegeben hat. Man kann sie dahin gehend zusammenfassen, daß die Mitbestimmung nicht ausgedehnt werden soll und statt dessen das Betriebsverfassungsgesetz besser als bisher anzuwenden ist.

Die CDU in ihrer Gesamtheit hat zu dem Problem der weiteren Ausgestaltung der Mitbestimmung noch keine bindenden Beschlüsse gefaßt. Die zur Zeit gültige Auffassung ist das Ergebnis der Verhandlungen des Arbeitskreises Wirtschaft und Soziales des Bundespartei-tages Düsseldorf 1965, das durch den Berichterstatter Hans Katzer in der abschließenden Plenarsitzung unter dem Beifall des ganzen Hauses in folgende drei Punkte gefaßt wurde: Die Mitbestimmung hat sich bewährt;

sie darf nicht weiter ausgehöhlt werden;

über eine weitere Ausgestaltung der Mitbestimmung müssen Arbeitnehmer und Arbeitgeber in der Union gemeinsam sprechen.

Zusammenarbeit trotz aller Interessengegensätze

„Mitbestimmung durch Miteigentum" ist ein weiterer Gedanke, der in der Mitbestimmungsdebatte neuerdings eine Rolle spielt. Der Gedanke, die Mitbestimmungsfrage durch Miteigentum der Arbeitnehmer zu lösen, ist sozialethisch gesehen zu begrüßen, aber anscheinend leider nicht so zu verwirklichen. Die bisherige Praxis in der Berücksichtigung (oder besser Nichtberücksichtigung) von Arbeitnehmern in den Beschlußorganen sozial-privatisierter Betriebe zeigt das sehr deutlich. Was also kann aus der Sicht der CDU in der Frage der Mitbestimmung getan werden?

Beim Betriebsverfassungsgesetz wird man zu prüfen haben, ob die bisherigen gesetzlichen Bestimmungen für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit von Kapital und Arbeit, von Unternehmern und Arbeitnehmern ausreichen. Unabhängig von den gesetzlichen Regelungen sind die Sozialpartner im Sinne der Partnerschaft aufgerufen, dem Betriebsverfassungsgesetz eine größere Chance zü geben als bisher. Hinsichtlich der qualifizierten Mitbestimmung wird zu prüfen sein, welche Maßnahmen notwendig sind, um ihre weitere Aushöhlung durch wirtschaftliche Konzentration oder steuertechnische Entscheidungen unmöglich zu machen. Die Ausgestaltung der Mitbestimmung sollte im Sinne der 11. Bundestagung der Sozialausschüsse der Christlich Demokratischen Union Inhalt gemeinsamer Überlegungen mit den Unternehmern in der Union sein. Für sie sollte eine Form gefunden werden, die den modernen Produktionsund wirtschaftlichen Organisationsformen entspricht. Ein solches Gespräch sollte möglich sein, wenn man die These 99 des Wirtschaftstages der CDU/CSU 1965 vom 8. und 9. Juli liest, in der es heißt: „Zur Sicherung einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung und eines steigenden Wohlstandes für alle müssen in einer formierten Gesellschaft alle gesellschaftlichen Gruppen zusammenwirken.

Das gilt insbesondere auch von Unternehmern und Arbeitnehmern, die im gegenseitigen Verständnis und in Anerkennung ihrer besonderen Funktionen die gemeinsame Verantwortung für die Leistungsfähigkeit von Wirtschaft und Gesellschaft tragen."

Wenn die in der Union zusammenwirkenden gesellschaftlichen Gruppen unseres Volkes über das Problem der Mitbestimmung unvoreingenommene Gespräche führen, dann wird es sicherlich auch gelingen, eine wirtschaftliche Neuordnung zu vollenden, die endgültig und unwiderruflich den Menschen zum Mittelpunkt der Wirtschaft macht.

Hier böte sich ein Weg zu zeigen, daß bei aller Interessengegensätzlichkeit Möglichkeiten der Zusammenarbeit im Interesse des Gemeinwohls gefunden werden können.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Adolf Müller, MdB (CDU), seit 1947 Fachsekretär für Arbeitsrecht und Sozialpolitik beim DGB in Remscheid, 1953 geschäftsführender Vorsitzender des DGB-Ortsausschusses Remscheid, 1955 Mitglied des Landesbezirksvorstandes, 1958 stellvertretender Landesbezirksvorsitzender des DGB Nordrhein-Westfalen, geboren 13. Mai 1916 in Remscheid-Lennep.