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Rechtsstaat und Grundrechte im Wandel des modernen Freiheitsverständnisses | APuZ 29/1966 | bpb.de

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APuZ 29/1966 Artikel 1 Kritik am 20. Juli Eine Auseinandersetzung mit den dokumentarischen Dramen von Hans Hellmut Kirst und Wolfgang Graetz Rechtsstaat und Grundrechte im Wandel des modernen Freiheitsverständnisses

Rechtsstaat und Grundrechte im Wandel des modernen Freiheitsverständnisses

Hans Maier

I. Entstehungsbedingungen

Die Entwicklung der Menschen-und Bürger-rechte, der Rights, Liberties, Freedoms, wie sie sich seit der Höhe der vernunftrechtlichen Epoche des 18. Jahrhunderts entfaltet und im 19. Jahrhundert in vielen Verfassungen reale Gestalt angenommen haben, ist zwar historisch bei weitem noch nicht zureichend untersucht; gerade in Deutschland ist sie von der Forschung lange vernachlässigt worden Sie ist aber heute doch insoweit überschaubar geworden, als sie sich für unseren Blick als ein eigener geschichtlicher Zusammenhang vom Vorher und Nachher deutlich abhebt. Vorher, in der älteren vorrevolutionären Zeit, die einheitlich gefügte ständische Berufs-und Lebensordnung, in der die Aufgaben und Verantwortlichkeiten der einzelnen Glieder genau umschrieben sind: ihr Ort im ganzen ist auch ihre konkrete, niemals ausschließlich individuell gedachte, sondern rings in soziale Bezüge eingebettete „Freiheit“, deren Bild im einzelnen freilich erhebliche Unterschiede und Abtönungen aufweist Nachher, in unserer Gegenwart, gleichfalls eine stärkere Betonung des Sozialen gegenüber dem Individuum und seiner Autonomie, eine stärkere Betonung der konkreten Erscheinung und Lebenssituation des Menschen (als Arbeiter, Familienvater, Untermieter, Mann oder Frau) gegenüber dem abstrakt-naturrechtlichen „Menschen an sich" und seinem politischen Korollarium, der ständelosen rousseauschen Demokratie; aber dies nun nicht mehr im Rahmen konkreter Lebens-ordnungen und Sozialbezüge, sondern im Rahmen eines prinzipiell individualistischen Freiheits-und Rechtsverständnisses, dessen Nach einem Vortrag, der im Juni 1965 auf einer Tagung des Collegium Carolinum in Stuttgart gehalten worden ist. Für den Druck wurden einige Anmerkungen beigefügt.

Grundstruktur nur sozialstaatlich umfunktioniert, nicht aber im Kern verändert wird.

Fragen wir nach den Entstehungsbedingungen und Bildungsprinzipien jener Menschen-und Bürgerrechte des späten 18. und 19. Jahrhunderts, so stoßen wir auf zwei einander ergänzende, sich wechselseitig steigernde Grund-antriebe. Auf der einen Seite ein wachsendes Ungenügen an den alten festgefügten Lebens-ordnungen, aus denen man allerorten heraus-strebt, ob es sich nun um Zünfte handelt oder um standesmäßige Schranken, um politische Verfassungen oder um kirchliche Bindungen: ein emanzipativer Wille, getragen von der primitiven Freiheitssehnsucht eingeengter einzelner oder vom verletzten Selbstgefühl wirtschaftlich mächtiger, politisch aber unterberechtigter bürgerlicher Schichten. Auf der anderen Seite, als geistige Begründung und Motor dieser Emanzipationsbewegung, das moderne Naturrecht das nicht mehr in der pflichten-ethischen Tradition der älteren Lehre der Politik steht, also nicht mehr die Doppelheit von Recht und Pflicht im Auge hat und auch nicht mehr die konkrete Sozial-und Lebensordnung, in der der Mensch lebt, sondern einseitig von einem vorgesellschaftlich gedachten, mit „natürlichen Rechten" begabten Individuum ausgeht, das von Aufgaben und Pflichten völlig freigesetzt ist und dem Staat in reiner Anspruchshaltung gegenübersteht.

Vereinfachend kann man sagen, daß durch beide Bewegungen, die Emanzipation des Bürgertums und das Naturrecht der Aufklärung, der Grundrechts-und Rechtsstaatsgedanke der älteren Zeit — als Wille zur Schonung wohlerworbener Rechte und Verpflichtung des Staates auf den Gerechtigkeitszweck immer schon latent vorhanden — nun, am Ende des 18. Jahrhunderts, sich auch soziologisch verfestigt und zugleich juristisch im Sinne eines Gegenübers von individueller Freiheitssphäre und Staatsmacht verallgemeinert und systematisiert wird: Entstammen noch die älteren Grundrechte der Bemühung, „fundamentale menschliche Bereiche mit wirksamen Sicherungen zu umgeben" so geht man jetzt von einer naturrechtlich vorgegebenen allgemeinen Freiheitssphäre aus, in die der Staat gewissermaßen nur von außen (und auf ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung hin) einzugreifen hat, das heißt, die Grundrechte werden aus konkreten historisch entstandenen Freiheitsverbürgungen zu Spezialisierungen einer „allgemeinen Freiheit", die als Prinzip vorausgesetzt wird und die von den konkreten Lebensordnungen weitgehend unabhängig ist

Kein Zweifel, daß mit dieser Schilderhebung der abstrakten Freiheit ungeheure Kräfte individuellen Aufstiegswillens entbunden werden: Jeder ist jetzt „seines Glückes Schmied", jeder kann seine Kräfte frei regen und entwickeln, jeder trägt „seinen Marschallstab im Tornister". Aber dies alles ist auf der anderen Seite erkauft dadurch, daß man, wie F. von Hippel es formuliert hat, die „ursprüngliche wechselseitige Asozialität zum naturrechtlichen Ausgang" gemacht hat, indem man im Verhältnis von Person zu Person eine gänzliche Unverbundenheit aller Beteiligten proklamierte und eine ursprüngliche Obhuts-und Sorgepflicht für den Nächsten jedenfalls von Rechts wegen nicht gelten ließ. „Bis zum Pathologischen beginnt man sich und den anderen klarzumachen, daß die . Grundidee des Rechts'und damit auch die gesamte Rechtsgrundlage der eigenen Zunft ganz allein’ in der Anerkennung und Vereinigung der beiden Sätze beschlossen liege: , Ich bin frei’ und . Alle anderen sind auch frei’. . . Nur durch freiwillige Einigung der jeweils Beteiligten im . Vertrag’, der neben dem Delikt zum zweiten Hauptbegriffe dieses ganzen Zeitalters wird und werden muß, kann sich das von Unrechts wegen derart Getrennte ohne Freiheitsverletzung jeweils wieder zusammenfinden. Ohne eine solche zusätzliche Rechtsgrundlage aber befindet man sich wechselseitig in einem Zustande notwendiger Unverbundenheit"

F. von Hippel hat aus der deutschen Naturrechtsliteratur des späten 18. und des frühen 19. Jahrhunderts eine Fülle von Belegen für diese Auffassung zusammengetragen. Ich führe nur einige besonders bezeichnende Stellen an: „Niemand hat ein ursprüngliches Recht auf die Person und die Güter eines andern“ (J. G. Buhle, Lehrbuch des Naturrechts, 1789). „Niemand hat ein Zwangsrecht, mir vorzuschreiben, wieviel ich von meinen Kräften zum Besten anderer anwenden und wem ich die Wohltat davon angedeihen lassen soll" (Moses Mendelssohn, Jerusalem, 1783)." „Es wird sich nun beweisen lassen, daß in dem ursprünglichen Stande der Natur ein Mensch von dem anderen mit Gewalt weiter nichts fordern könne, als daß er ihm kein Leid tue, daß also die vollkommenen Rechte und Pflichten dieses Standes alle nur negativ sind" (Joh. G. H. Feder, Lehrbuch der Praktischen Philosophie, 1770)

Gelten diese Prinzipien allgemein für Recht und Rechtsverständnis der vernunftrechtlichen Epoche, zumal im Bereich des kontinentalen Staates — auf die charakteristischen Abweichungen des angelsächsischen Rechtsbereichs kann hier nicht eingegapgen werden —, so ist für das Grundrechtsverständnis im engeren Sinne noch ein weiterer Gesichtspunkt wichtig. Die Freiheit, die hier in Anspruch genommen wird, wird weithin, ja fast ausschließlich als Freiheit vom Staat und vom Politischen, als eine apolitische Reservatfreiheit verstanden — nicht aber als Freiheit zur Teilnahme und Teilhabe an der Staatsregierung, wie in den angelsächsischen Ländern und im Bereich der alten Gemeindedemokratien Hollands und der Schweiz. So versteht zum Beispiel Ernst Ferdinand Klein, der Mitarbeiter des Svarez am Preußischen Allgemeinen Landrecht, den nach Rechtsgesetzen verfaßten Staat als bloße Garantie gegen Eingriffe in „Freyheit und Eigentum" des Bürgers (in Kleins gleichnamiger Schrift von 1790 taucht die berühmte ständische Vorbehaltsformel zum erstenmal auf); bürgerliche und politische Freiheit werden in bezeichnender Weise geschieden, die politische Freiheit als irrelevant für die bürgerliche erklärt. Niemand habe Grund, sich über den Mangel der politischen Freiheit zu beklagen, solange er die bürgerliche Freiheit genieße. „Wer also in einer Monarchie lebt, worinn die bürgerliche Freyheit gehandhabt wird, wird kein Verlangen tragen, ein Republicaner zu werden."

So wachsen die Grundrechte in Deutschland im 19. Jahrhundert unter der Decke eines formal-rechtsstaatlich fortgebildeten Obrigkeitsstaates empor, ohne daß sie — im Sinne der angelsächsischen rule of law — die Mitregierung und Mitbestimmung des Bürgers, die Teilnahme am Staat einschließen. Im Gegenteil: Die bürgerliche Bewegung gibt sich, aufs Ganze gesehen, mit privatrechtlicher oder grundrechtlicher Emanzipation vom potentiell allmächtigen Staatsapparat zufrieden. Nicht anders ist es zu erklären, daß später, im Zeitalter des Rechtspositivismus, die Grundrechte als „subjektive öffentliche Rechte", als „Unterlassungsanspruch" des Bürgers an den Staat konstruiert werden.

Ich bin mir bewußt, daß mit diesen Hinweisen nur die Hauptrichtung des Freiheits-und Grundrechtsverständnisses im 19. Jahrhundert bezeichnet ist. Eine genauere Darstellung müßte die nicht unerheblichen gegenläufigen Bewegungen gleichfalls berücksichtigen, die teils als konservative Unterströmung aus älteren Überlieferungen weiterwirken, teils aus der Bewegung der industriellen Gesellschaft im 19. Jahrhundert neu entstehen, wie die Proklamation sozialer Grundrechte, die Arbeiterbewegung, das Gewerkschaftswesen und anderes mehr. Aber im ganzen gilt doch, daß das liberale „Sozialmodell" (Wieacker) der Privatund Grundrechtsordnung durch das ganze 19. Jahrhundert hindurch, ja bis zum Ende des Ersten Weltkriegs überwiegend in Kraft geblieben ist — und mit ihm der individualistische Anspruch, die vorwiegend emanzipative Stoßrichtung der Grundrechte. In diesem Sinne war der Vorschlag der Geistlichen in der Französischen Nationalversammlung 1789, die Erklärung der Menschen-und Bürgerrechte durch eine solche der Menschen-und Bürgerpflichten zu ergänzen, ein letzter Nachklang des vorrevolutionären Sozial-und Rechtsdenkens Erfolg war diesen Bemühungen ebensowenig beschieden wie den in ähnliche Richtung gehenden Bestrebungen der Romantik, des Sozialismus und einzelner konservativer Kräfte im 19. Jahrhundert. Wohl haben derartige Bemühungen vereinzelt in der Öffentlichkeit ein Echo gefunden; aber zum Problem geworden sind die Menschen-und Bürgerrechte in ihrer alten Form erst in unserem Jahrhundert, in dem das liberale Modell bürgerlicher Autonomie und Staatsfremdheit unter dem Druck gesellschaftlicher Veränderungen sich verwandelte, ja heute im Begriff steht, sich in sein Gegenteil zu verkehren.

II. Heutige Problematik

Wie es zu diesem Umschwung gekommen ist braucht dem Zeitgenossen, der den Wandel der gesellschaftlichen Verfassung und die sprunghafte Vermehrung der Staatstätigkeiten am eigenen Leibe kennengelernt hat, nicht im einzelnen auseinandergesetzt zu werden Soziale Kämpfe zwischen den verschie) denen Berufsständen und Gruppen des Volkes, die den Staat zum Eingreifen zwangen und in die Rolle eines Zwangsschlichters der verfeindeten Sozialparteien drängten, Kriegsund Notzeiten, die zum Ausbau und zur Kontraktion des staatlichen Verwaltungsapparates führten, vor allem aber die steigende Isolie-rung und Bedürftigkeit des einzelnen im massentümlichen Dasein — dies alles hat zu einem jähen Ansteigen der Staatsaufgaben, zu einer Neuverteilung der Lebensrisiken zwischen dem einzelnen und der Gesellschaft geführt.

In Deutschland hat diese Entwicklung — nach deutlichen Vorspielen im Vormärz — mit voller Intensität erst in den sechziger-und siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts eingesetzt. Die großen, im Zuge der Industrialisierung und des organisierten Hervortretens der Arbeiterbewegung nötig werdenden Sozialreformen — obwohl sie in der von Bismarck geschaffenen Form noch nicht auf eine einseitige Staatsintervention hinausliefen — stellten bereits einen massiven Einbruch in die Vorstellung einer immanent ablaufenden Ordnung der bürgerlichen Wirtschafts-und Erwerbsgesellschaft dar. Im 20. Jahrhundert haben sich Breite und Stärke dieser Bewegung mit unerwarteter Schnelligkeit gesteigert. Dem umfangreichen Verwaltungsapparat der Sozialversicherung stellte sich von 1914 an der nicht minder ausgedehnte der (vom Krieg hervorgerufenen und ihn überdauernden) Kriegswirtschaftsverwaltung an die Seite — eine Erscheinung, die sich vor, in und nach dem Zweiten Weltkrieg wiederholte und in den umfassenden Maßnahmen zur Verteilung der Kriegsfolgelasten nochmals eine Steigerung erfuhr.

Die staatliche Mitwirkung an der Gestaltung der Arbeitsvertragsverhältnisse, erzwungen durch die verschärfte soziale Reibung der Vertragspartner und die in der Massenarbeitslosigkeit liegenden politischen Gefahren, führte zum Aufbau einer eigenen Arbeitsverwaltung. Die Sicherung elementarer Bedürfnisse des in der Großstadt lebenden Menschen, die Nötigung, den im arbeitsteiligen Prozeß immer mehr schrumpfenden „beherrschten Lebensraum" (Forsthoff) von außen zu ergänzen, ließ die Aufgaben der Verkehrs-, Städte-und Landesplanung sprunghaft anwachsen und zum Teil neu entstehen und erzwang die Entwicklung eines weitverzweigten Versorgungsnetzes für Wohnraum, Wasser, Gas, Elektrizität, Kanalisation und Müllabfuhr. Eingriffe des Staates in den Wirtschaftsablauf zwecks Verhütung wirtschaftlicher Machtballungen und die Ausdehnung der in die Privatautonomie eingreifenden sozialpolitischen Schutzbestimmungen, vor allem im Bereich des Miet-und Tarifrechts, kamen hinzu. Nimmt man noch die in die gleiche Richtung weisende Vermehrung der genehmigungspflichtigen Rechtsgeschäfte dazu, so zeigt sich eine äußerst weitreichende und folgenschwere Ausdehnung der staatlichen Tätigkeiten. Zugleich verlagerte sich der Schwerpunkt des Staatshandelns aus dem Be-reich der normsetzenden Legislative in den der unmittelbar handelnden, den Einzelfall regelnden Verwaltung, so daß man gegenüber dem „Gesetzgebungsstaat" gegenüber dem nurgewährleistenden Rechtsstaat von einem gewährenden Staat der „Daseinsvorsorge" sprechen konnte.

Der Vorgang muß aber auch von der anderen Seite gesehen werden: von der einer zunehmenden Ermattung und Entmächtigung der autonomen privaten und gesellschaftlichen Gestaltungskräfte. Denn dem Zuwachs an öffentlicher Planung, Leitung und Fürsorge entspricht in den meisten Fällen ein ebenso tiefgreifender Verlust an unmittelbarer Autonomie und Selbstverantwortung der kleineren Lebenskreise, ob es sich nun um einzelne oder um Familien und Gemeinden handelt. Es liegt auf der Hand, daß mit dem Aufbau einer staatlichen Arbeits-und Sozialverwaltung ein großer Teil der Lebensrisiken vom einzelnen und der Familie auf den Staat übergeht — mit allen Folgen revolutionärer Bedrohung dieses Staates im Falle des Versagens seiner Daseinsvorsorge. Gleichzeitig erfordern die in den industriellen Ballungsräumen notwendig werdenden Planungen weitgehende Eingriffe in Eigentum und Baurecht, und mit dem Vordringen staatlicher Lenkungsmaßnahmen im Bereich der Boden-, Wohnungs-und Eigentumsordnung, ja selbst der Familienpolitik wird ein Gutteil der Privatautonomie im traditionellen Sinn stillschweigend oder ausdrücklich ad acta gelegt Nicht nur, daß der Staat in einem der liberalen Epoche noch unvorstellbarem Maß als Lenker, Verteiler und Schlichter auch im privaten Bereich auftritt: umgekehrt erscheint auch die private Existenz immer mehr sozialbezogen und in öffentlich-rechtliche Aufgaben und Pflichten hinein verspannt. Die Lockerung des individualistischen Sozialmodells der Privatrechtsordnung macht es möglich, an die Stelle mühsamer und oft an privatem Egoismus scheiternder individueller Kooperation die ausschnitthafte Planung ganzer Sozialbereiche mit den Mitteln des öffentlichen Rechts zu setzen — mit allen Vorteilen reibungslosen Funktionierens, die sich daraus ergeben, aber zugleich mit allen Risiken eines schrankenlosen, den Menschen funktionalisierenden und leicht in totalitäre Willkür entartenden „planning law".

Es wäre falsch, in den geschilderten Vorgängen eine Bewegung zu sehen, die heute schon ihren Höhepunkt überschritten hat oder durch die in den totalitären Systemen zutage getretenen Exzesse unvermeidlich zum Rückgang verurteilt sei. Das Gegenteil ist der Fall Selbst wenn man auf die wiedererstarkenden Kräfte individueller oder gemeindlicher Selbstverantwortung und auf die in der Privatrechts-ordnung liegenden Möglichkeiten der Selbstkorrektur eines schrankenlosen Individualis-* mus begründete Hoffnung setzen mag, an der veränderten Aufgabenverteilung zwischen dem einzelnen und der staatlichen Macht ändern solche inneren Vorgänge um so weniger etwas, als sie meist vereinzelt bleiben und daher in ihrer Wirkung begrenzt sind. Gerade die in der Bundesrepublik Deutschland in den letzten Jahren unternommenen sozialpolitischen Reformen (oder besser: ihr weitgehendes Scheitern) sprechen hier eine deutliche Sprache. Denn hier ist der Widerstand gegen den Rückzug der staatlichen Verwaltung in eine subsidiäre Rolle in der Mehrzahl der Fälle nicht vom Staat, sondern von den gesellschaftlichen Kräften selbst ausgegangen, die in dem bisherigen Berechtigungsund Verteilersystem eine Form der Partizipation am Sozialprodukt gefunden hatten, die sie nach der alten Form der Freiheit nicht mehr begierig machte.

Das berührt ein grundsätzliches Problem. Da sich für den in der Masse isolierten einzelnen Freiheit heute weniger in der Bewahrung einer (faktisch oft nur in bescheidenen Ansätzen vorhandenen) individuellen Freiheitssphäre ausdrückt als vielmehr in der Teilhabe an staatlichen Leistungen, am Fortschritt der Produktion und an den wachsenden Möglichkeiten des Konsums, wirkt das Freiheitsstreben des modernen Menschen nicht mehr in Richtung einer Entstaatlichung, sondern im Gegenteil einer Belastung des Staates mit neuen zusätzlichen Aufgaben, einer Ausdehnung und Intensivierung der staatlichen Verwaltung hin. Der private Individualismus, einst der stärkste Gegner der polizeistaatlich bevormundenden Verwaltung, hat gegenüber dem potentiell weit stärkeren modernen Staat und seiner Verwaltung seine eindämmende und regulierende Kraft fast völlig eingebüßt. Der individualistische Freiheitsgedanke wirkt nicht mehr als Schwungrad der Selbstbehauptung der einzelnen gegenüber den Mächten der Gesellschaft. Hierin liegt — neben der natürlichen Beharrungskraft der Verwaltung — der eigentliche Grund für das strukturelle Fortdauern des Verwaltungsstaates auch in einer Zeit der Normalisierung und des Nachlassens der sozialen Spannungen.

III. Konsequenzen für die Verfassungsordnung

Was bedeutet das für die Verfassungsordnung? Offenbar sehr viel. Denn die rechtsstaatliche Verfassung ist ja in ihrer ursprünglichen Grundintention — mag diese auch nie rein verwirklicht sein und gerade in Deutschland seit je bezeichnenden Einschränkungen unterliegen — an einem Gegenüber von individueller Freiheitssphäre und staatlicher Hoheitsmacht orientiert. Die rechtliche Abgrenzung staatlicher und individueller Willenssphären erscheint, wenn nicht als ihre einzige, so doch als eine ihrer wesentlichen Aufgaben Wenn nun diese Bereiche ihre ursprüngliche Spannung zueinander verlieren und sich stärker aufeinander zu bewegen, ja schließlich ineinanderschieben, erfährt auch der rechtsstaatliche Verfassungstypus zwangsläufig eine Umbildung. Diese zeigt sich in den beiden deutschen Verfassungen des 20. Jahrhunderts in je verschiedener Gestalt. 1. Der Staat der Weimarer Verfassung Jahrhunderts in je verschiedener Gestalt. 1. Der Staat der Weimarer Verfassung 19) ist trotz seines revolutionären Ursprungs und seiner programmatischen Bindungen an ein soziales Ethos im wesentlichen noch gewährleistender Rechtsstaat im klassisch-liberalen Sinn geblieben. Das Modell, das für ihn in seinem Verwaltungshandeln und in seiner Grundrechtsauffassung maßgebend war, ist das des Gegenübers von individueller und staatlicher Willenssphäre . Von einer weitgehenden Autonomie des individuell-gesellschaftlichen Lebensbereichs ausgehend, verstand sich dieser Staat als Treuhänder und Bürge, nicht als selbstmächtiger Gestalter des sozialen Lebens; dementsprechend hielt er sich grundsätzlich vor gestaltenden Eingriffen in die Sozialordnung zurück Daß die Weimarer Republik diese Abstinenz auf die Dauer nicht aufrechterhalten konnte, daß sie vielmehr angesichts der steigenden wirtschaftlichen und sozialen Zerrüttung in den Jahren der Ruhrbesetzung, der Inflation und später der Wirtschaftskrise immer mehr zum vermittelnden Eingreifen und Schlichten, zum Schutz notleidender Sozialbereiche und schließlich zu einer umfassenden Daseinsvorsorge gezwungen war — dies mußte dann freilich gerade auf dem Hintergrund des in der Verfassung fixierten Rechtsstaatsideals zu schwierigen Problemen führen.

Allerdings sind auch im Bild der Weimarer Verfassung schon zahlreiche Züge erkennbar, in denen sich eine Veränderung im Verhältnis von Staat und Individuum und dementsprechend ein stärkeres sozialpolitisches Engagement der staatlichen Verwaltung ankündigt. Die sozialprogrammatischen Artikel (Artikel 151 ff.) zeigen deutlich, daß die Schöpfer der Verfassung den Widerspruch zwischen der wesentlich auf Emanzipation gerichteten Tendenz der individuellen Freiheitsrechte und der veränderten sozialen Umwelt spürten und einer Auslegung der Grundrechte, die in ihnen nur die Sanktionierung privaten Eigennutzes und egoistischer Vereinzelung sah, durch die Betonung sozialer Pflichtbindungen vorzubeugen strebten. Ähnlich sind die zahlreichen sozialpolitischen Schutzbestimmungen (Art. 157, 158, 161, 164) sowie die Verfassungsartikel über die Verteilung von Grund und Boden (Art. 156) zu verstehen. Mit diesen Bestimmungen war die Geschlossenheit des bisherigen Grundrechtskatalogs aufgegeben. Klassische Freiheitsverbürgungen und „soziale Verfassungsrechte" traten in ein spannungsvolles Wechselverhältnis gegenseitiger Hemmungen und Verschränkung Wenn es in der Weimarer Zeit gleichwohl noch nicht zu einem deutlicheren Bewußtsein für den hier vorliegenden Gegensatz und auch nicht zu dem Versuch einer Überwindung der Spannung in einer neuen Grundrechts-und Staatsanschauung kam so vor allem deshalb, weil die sozialen Verfassungsrechte auf die Dauer keine rechtliche Wirkung zu erlangen vermochten. Im ganzen behielten die überlieferten Grundrechte vor den ergänzenden oder modifizierenden Bestimmungen die Oberhand, wie sich besonders deutlich am Schick-sal des Siedlungsgesetzes und des Sozialisierungsgesetzes zeigte

Blieb also die Verfassung, zumal in der herrschenden Auslegung des Positivismus, dem überlieferten Schema eines Gegenübers von staatlicher Hoheitssphäre und bürgerlichgesellschaftlicher Autonomie verhaftet, so machte sich andererseits im Bereich der Verwaltung der eben geschilderte Prozeß der Ausweitung und Intensivierung staatlicher Tätigkeiten im Lauf der Zeit immer stärker fühlbar. Hier kam es, ohne daß sich die Gesetzesbindung der Verwaltung änderte, einfach durch die Zunahme ihrer leistenden Funktionen, zu einer inneren Umwandlung der verfassungsmäßigen Ordnung. In der Krise um 1929 und den ihr folgenden revolutionären Erschütterungen stiegen die öffentlichen Leistungs- und Umverteilungsaufgaben auf ein solches Maß, daß die neutrale Rolle des Staates als eines bloßen Bürgen des gesellschaftlichen Status quo, wie sie der rechtsstaatlichen Verfassungstypik vorschwebte, immer illusorischer wurde.

Wie weit die Umwandlung des „Gesetzgebungsstaates" in einen „Verwaltungsstaat" bereits im Endstadium der Weimarer Republik vorangeschritten war, zeigen die einleitenden Bemerkungen eines Vortrags, den Johannes Popitz im Oktober 1930 im Steuerausschuß des Reichsverbands der Deutschen Industrie über den Finanzausgleich hielt Aus ihnen geht hervor, daß die öffentliche Wirtschaft (Reich, Länder, Gemeindeverbände, Gemeinden, öffentliche Betriebe, soziale Versicherungsträger, Reichsbahn und Reichspost) im Jahre 1930 etwa 53 % des Sozialprodukts kontrollierte, gegenüber nur etwa 29°/o im Jahre 1913. Bei der Verteilung des größeren Teiles des Volkseinkommens war an die Stelle des Marktmechanismus ein, wie Popitz feststellte, grundsätzlich außerwirtschaftlicher Wille, nämlich der Wille des Staates, getreten Das Anschwellen der staatlichen Verwaltungstätigkeit, das sich in diesen Zahlen zeigt, ging Hand in Hand mit einer Veränderung in der Struktur der Verwaltung. In der großen, ja überwiegenden Zahl der Fälle trat die Verwaltung jetzt dem Bürger nicht mehr — wie im Modell der klassischen rechtsstaatlichen Ordnung — mit „Eingriffen in Freiheit und Eigentum", sondern als Spenderin höchst erwünschter und vielfach unentbehrlicher Leistungen gegenüber — ein Unterschied, der für die ältere Verwaltungsrechtslehre noch unerheblich war und der erst jetzt in seinen weitreichenden dogmatischen Konsequenzen aufgedeckt wurde. Von dieser Strukturveränderung der Verwaltung wurde das gesamte Gefüge des Rechtsstaats betroffen. An die Stelle des unbedürftig-autarken Individuums der alten Grundrechtstheorie das vor staatlichen Eingriffen in Freiheit und Eigentum geschützt werden mußte, war ein bedürftiges, auf Staatshilfe nicht nur rechnendes, sondern dringend auf sie angewiesenes Individuum getreten — ein Wesen, das über die sozialen Voraussetzungen, mit denen die rechtsstaatlichen Verfassungen rechneten, meist gar nicht mehr verfügte. Die Freiheitsverbürgungen, welche die Verfassung in ihrem Grundrechts-teil bot, stießen hier gewissermaßen ins Leere. In der revolutionären Lage der dreißiger Jahre ist dieses Problem zwar erkannt, aber nicht mehr gelöst worden — wenigstens nicht mehr auf dem Boden der geltenden verfassungsmäßigen Ordnung. Vielmehr begann die Dynamik, die von der steigenden sozialen Not und den sich überkreuzenden Strömungen gesellschaftlicher Radikalisierung und „totaler" staatlicher Gegenwehr ausging, die Verfassung selbst zu ergreifen und die rechtsstaatliche Legalität immer mehr auszuhöhlen und aufzulösen. Die Verfassung verlor ihre integrierende, zusammenordnende Kraft Gesetzgebungsstaat und Verwaltungsstaat begannen auseinanderzubrechen. Von hier aus erschien es konsequent, entweder nach der verfassungsmäßigen Komplettierung der aus der gesellschaftlichen Auflösung entstandenen „totalen Verwaltung" in einem „totalen Staat" zu rufen (C. Schmitt) oder doch das Verfassungsprinzip der Verwaltung nicht mehr im grundrechtlichen Schutz gegen Eingriffe in Freiheit und Eigentum, sondern in einem öffentlichen Recht der „Daseinsvorsorge" zu suchen (E. Forsthoff). Beide Forderungen führten mit Notwendigkeit aus der Verfassungsordnung der Weimarer Republik heraus 2. Im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland scheint auf den ersten Blick eine ähnliche Antinomie von Verfassungsnorm und Verwaltungsrealität vorzuliegen, wie wir sie in der Weimarer Verfassung feststellten. Auf der einen Seite ist hier zwar der klassische Grundrechtskatalog fast vollständig wiederhergestellt worden — im Hinblick auf die Erfahrungen mit dem nationalsozialistischen Unrechtsstaat sogar in einer besonders nachdrücklichen, Gesetzgebung und Rechtsprechung unmittelbar verpflichtenden Form. Auf der anderen Seite standen die Verfassungsschöpfer aber vor der Realität einer weit ausgedehnten, durch Kriegsfolgen und neue Erfordernisse technisch sozialer Planung immer noch sich steigernden Leistungsverwaltung, die den Bereich der grundrechtlich verbürgten Freiheiten vielfach empfindlich einschränkte. So begegnen wir denn im Grundgesetz einem ähnlichen Nebeneinander rechts-und sozial-staatlicher Bestimmungen wie in der Weimarer Verfassung. Beide Momente stoßen am schärfsten im Punkt der Eigentumsgarantie zusammen (Art. 14 GG). Eigentum und Erbrecht werden vom Grundgesetz garantiert, aber zugleich unter soziale Pflichtbindungen gestellt (Art. 14 Abs. 2), dem Staat ein Recht auf Enteignung, wo es „zum Wohl der Allgemeinheit" dient (Art. 14 Abs. 3) bzw. ein noch weitergehendes Sozialisierungsrecht (Art. 15) — freilich unter Gesetzesvorbehalt und mit der Pflicht zur Entschädigung — eingeräumt. Eine ähnliche Spannung zeigt sich in der einzigen sozialprogrammatischen Normierung, die das Grundgesetz enthält, der Kenn-Zeichnung der Bundesrepublik als eines „sozialen Rechtsstaates" (Art. 28 Abs. 1) oder „sozialen Bundesstaates" (Art. 20 Abs. 1). Auch hier stoßen freiheitsverbürgende und sozial-gewährende Programmatik in Form einer, wie es scheinen könnte, „antinomischen Relation" (Forsthoff) aufeinander.

Freilich erlaubt das Grundgesetz nicht, bei der Feststellung einer solchen Antithetik einfach stehenzubleiben oder sich mit einem Hinweis auf den parteiideologischen, daher letztlich unverbindlichen Charakter sozialprogrammatischer Äußerungen zu begnügen. Hiergegen sprechen sowohl verfassungsrechtliche wie politische Gründe. Schon die Bindung der vollziehenden Gewalt an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3) — worunter nach Art. 1 Abs. 3 auch die Grundrechte zu rechnen sind — und die Unterstellung des gesamten Verwaltungshandelns unter die Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4) machen es unmöglich, die leistende Verwaltung als einen gleichsam extrakonstitutionellen Bereich anzusehen, der vom Grundgesetz nur de facto anerkannt, nicht aber normativ geformt und „verfaßt" wird Eine Verfassung, die dem Bürger gegen alle Akte der Verwaltung den Rechtsweg freigibt, kann umgekehrt auch die Verwaltung nicht ohne Normen für die verfassungsmäßige Gestaltung ihres Handelns lassen Aber auch politisch wäre es bedenklich, eine grundsätzliche Intransigenz des rechtsstaatlichen Verfassungsgefüges gegenüber sozialstaatlichen Forderungen zu behaupten, wie dies heute vor allem Forsthoff, aber auch ein Teil der Zivilistik tut: würde doch der Verzicht auf soziale Gerechtigkeit unter den gegebenen Umständen ein Todesurteil über den Rechtsstaat schlechthin bedeuten

Auf der Suche nach verfassungsmäßigen Nor-men für die Tätigkeit der Verwaltung hat sich die Diskussion in den letzten Jahren vor allem auf den Begriff des „sozialen Rechtsstaates" konzentriert. Trotz einer umfangreichen und immer noch anschwellenden Literatur zu diesem Thema ist es freilich bis heute noch zu keiner abschließenden Klärung über Sinn und Bedeutung dieser Formel gekommen. Zwar ist, seitdem H. P. Ipsen auf der Göttinger Staatsrechtslehrertagung 1951 aus den in Art. 20 und Art. 28 niedergelegten Normen des Grundgesetzes eine „Bereitschaft und Verantwortung, Aufgabe und Zuständigkeit seines Staates zur Gestaltung der sozialen Ordnung gefolgert hatte nicht mehr bezweifelt worden, daß auch der Staat des Bonner Grundgesetzes im Besitz wesentlicher Ordnungsfunktionen zur Gestaltung des sozialen Lebens ist. Wieweit aber diese Gestaltungsmacht in die private Sphäre hineinreicht, in welchem Verhältnis sie zu dem in der Verfassung geschützten Freiheitsbereich steht, ist bis zur Stunde umstritten geblieben.

IV. Zur gegenwärtigen Diskussion

Die hier vorliegende Problematik zeigt deutlich, daß ein befriedigender Ausgleich freiheitlicher und sozialer Grundrechte, autonomer Freiheit des Individuums und gesellschaftlicher Bindungen auch im Grundgesetz noch nicht gefunden wurde. Man wird auch zweifeln dürfen, ob er gefunden werden kann, solange man — in der Begriffswelt des Liberalismus verharrend — Individuum und Staat, Freiheitsanspruch und Leistungsbedürfnis des einzelnen oder gar rechtsstaatliche Verfassung und sozialstaatliche Verwaltung einander wie geschlossene, logisch unvereinbare Blöcke gegenüberstellt. Wirkt doch in diesen Gegenüberstellungen unverkennbar die eingangs geschilderte historische Spannungslage des späten 18. Jahrhunderts nach — jenes emanzipative Freiheitsverlangen angesichts einer drückend gewordenen älteren Sozialverfassung, dem die Grundrechte als Katalog, System und Verfassungsanspruch ihre Entstehung verdanken. Lassen sich aber Freiheit und Grundrechte nur in jener prinzipiell vom individuellen Eigenrecht, vom Anspruch und der Position persönlicher Unverpflichtetheit des einzelnen gegenüber anderen ausgehenden Weise denken?

Mir scheint, daß diese Frage heute bei uns in zunehmendem Maße die Forschung zu beschäftigen beginnt: nicht nur im Bereich der Grundrechtstheorie im engeren Sinne, sondern auch im Bereich der politischen Wissenschaft und der Rechts-und Verfassungsgeschichte. So sind wir durch die Untersuchungen von Welzel, Conze und Koselleck auf die Ursprünge des modernen emanzipatorischen Freiheitsbegriffs aufmerksam geworden 38), dessen Zusammenhänge mit dem aufklärerischen Naturrecht und dem Systematisierungswillen der Kodifikationen wiederum von Wie-acker und C. J. Friedrich in helles Licht gerückt worden sind Die sozialgeschichtlichen Bemühungen um die Erschließung der „altständischen Ordnung" und ihres Anspruchs-und Pflichtenordnung zusammenfassenden „So-zialrechts" haben gleichfalls dazu beigetragen, unseren Blick für die eigentümliche historische Bedingtheit der modernen Grundrechts-und Rechtsstaatstheorie zu schärfen, und nicht zuletzt haben die Arbeiten von Scheuner, Conrad, Hennis und Ehmke zur Frühgeschichte des Rechtsstaats und zur neueren deutschen Staatsanschauung gezeigt, daß die mit dem Rechtspositivismus eingetretene Verengung des Rechtsstaatsbegriffs auf ein System rechtstechnischer Gewährleistungen des sozialen Status quo (ohne ändernde Eingriffe gestaltender Natur) vorbereitet ist in jenem Gedanken einer staatsfreien Sphäre des Individuums, in den die bürgerliche Bewegung in Deutschland die politische Freiheitslehre des Westens im späten 18. und 19. Jahrhundert abgewandelt hat.

Noch deutlicher sind die Anzeichen für eine Neubesinnung auf die konstituierenden Momente von Rechtsstaat und Grundrechten innerhalb der Rechtswissenschaft, vor allem im öffentlichen Recht, aber auch in einzelnen Bereichen des Privatrechts 43). So läßt es aufhorchen, wenn heute in der Grundrechts-theorie vielfach von einem institutioneilen Charakter der Grundrechte (Hans Huber) oder einem im jeweiligen Freiheitsgrundrecht verborgenen institutionellen Gehalt (Peter Lerche) gesprochen wird; wenn die Betrachtung nicht mehr nur von dem in seinem Recht geschützten Individuum ausgeht, sondern zugleich von der Bedeutung der Grundrechte für den staatlichen Zusammenhalt; wenn Grundrechte als „Ordnungen“, „Lebensbereiche", „Lebensverhältnisse" verstanden werden. Prägnanten Ausdruck hat das „neue Denken" im Bereich der Grundrechtstheorie bei Peter Häberle gefunden, der sich in seiner Arbeit über die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG — auf die institutioneile Rechtstheorie Haurious und E. Kaufmanns zurückgreifend — um den Nachweis bemüht, daß die Grundrechte des Grundgesetzes einen doppelten verfassungsrechtlichen Gehalt haben. „Einerseits weisen sie eine individualrechtliche Seite auf; sie verbürgen den Grundrechtsberechtigten ein subjektives öffentliches Recht; sie sind Personenrecht. ... Andererseits sind sie durch eine institutionelle Seite gekennzeichnet. Sie bedeuten die verfassungsrechtliche Gewährleistung freiheitlich geordneter und ausgestalteter Lebensbereiche, die ihrer objektiv-institutionellen Bedeutung wegen sich nicht in das Schema individuelle Freiheit — Schranke der individuellen Freiheit einfangen lassen, sich nicht auf die eindimensionale Relation Individuum—Staat zwingen oder allein auf das Individuum radizieren lassen." Und an anderer Stelle: „Das so oft vereinseitigte Verhältnis des Individualrechtlichen und der Freiheit zum Institutionell-Objektiven ist das Verhältnis einer Korrelation. Die Freiheit ist kein Gegenbegriff, sondern Korrelatbegriff zum Institutionellen. Der institutioneile Charakter der Grundrechte ist weder Umbau, wie dies einer verräumlichenden Sicht erscheinen mag, noch Folge, weder konnex noch komplementär zum individualrechtlichen Gehalt der Grundrechte; noch steht er zu dieser in einer Alternative; er ist vielmehr in ihr selbst angelegt. ... Der Institutionalisierung der Grundrechte geht kein Verblassen der individuellen Freiheit parallel, im Gegenteil, sie bezweckt und bewirkt eine Stärkung der Freiheit. In dieser Sicht der Grundrechte wird dem . unvermeidlich Institutionellen'im Recht ebenso Rechnung getragen wie dem Personalen. Aus dem Verhältnis der Gleichrangigkeit und der Wechselbeziehung beider Grundrechtsseiten folgt für den Gesetzgeber die Unantastbarkeit der institutionellen Seite der Grundrechte um der Grundrechte als subjektiver Individualrechte willen und umgekehrt. In den so verstandenen Grundrechten vollzieht sich das Leben der einzelnen und der Gesamtheit." Man könnte diese Stimmen noch um zahlreiche andere vermehren. Ich führe sie hier nur an, um zu zeigen, daß sich gegenwärtig bei uns ein neues, die liberalen wie die sozialstaatlichen Vereinseitigungen überwindendes Grundrechtsdenken zu entfalten beginnt, über den Erfolg dieser Bemühungen kann heute noch nichts Endgültiges gesagt werden. Dafür sind Zeit und Wirkung noch zu kurz. Ihre weittragende Bedeutung scheint mir aber außer Zweifel zu stehen; denn hier ist nicht nur ein Weg zum besseren Verständnis der vom Postulat des „sozialen Rechtsstaats" geprägten Verfassungssituation eröffnet, sondern zugleich eine Möglichkeit der Anknüpfung an ältere Traditionen des deutschen politischen Denkens gegeben, die im 19. Jahrhundert verschüttet oder verdrängt worden sind

Die Eigenart unserer modernen Staats-und Verfassungsprobleme hat zahlreiche Berührungen mit dem vorliberalen und vorkantischen Staatsdenken, die lange Zeit verloren schienen, wiederhergestellt. Die Fragen des „sozialen Rechtsstaates" und des älteren vor-liberalen Wohlfahrtsstaates treffen heute, im Zeichen der Rückkehr des Staates zur „wohlfahrtsfördernden Verwaltung" (Forsthoff), vielfach in einer echten Problemkongruenz zusammen. Aber nicht die institutioneile Typenverwandtschaft des spätabsolutistischen und des modernen Staates ist das Entscheidende, so sehr die öffentliche Statuierung von Pflichten, die zweckhafte Planung in sozialen Lebensbereichen, in denen die privatrechtlichen Steuerungsmechanismen versagen, Schicksal und Aufgabe des heutigen Gesetz-gebers geworden ist. Entscheidend für die Anknüpfung an die Tradition ist vielmehr die Tatsache, daß die ältere Rechts-und Staats-auffassung in einem ethischen Sozialprinzip begründet war und noch nicht in bloßem Anspruchsdenken aufging, daß sie ihren „naturrechtlichen Ausgang" von der Hilfs-und Ergänzungspflicht des Menschen nahm, nicht von einem „rein diesseitig und sozial-egoistisch aufgefaßten Individuellen" (F. von Hippel). Es scheint, daß die heutige Grundrechts-und Rechtsstaatdiskussion — bemüht vom Menschen, nicht vom abstrakten Individuum her zu denken — sich dem Punkte nähert, wo die Besinnung auf eine materiale Rechtsethik unausweichlich wird — eine Ethik, in der Anspruchs-und Pflichtenordnung ineinander verwoben sind und die einseitige Blickrichtung auf den Staat, die für die liberale Epoche typisch war, überwunden ist. Ob und inwieweit die ältere politische Tradition unser heutiges Denken und Handeln bei dieser Bemühung leiten kann — das ist die Frage, die sich am Ende unseres raschen Ganges durch die Wandlungen des modernen Rechtsstaatsund Grundrechtsverständnisses aufdrängt. Es ist die Frage nach der Bewahrung der personalen Freiheit und der mitmenschlichen Hilfspflicht unter den Bedingungen der Industriegesellschaft und unter dem Druck des massentümlichen Daseins.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die wichtigsten Beiträge seit Jellineks grundlegendem Aufsatz von 1895 liegen jetzt gesammelt vor in dem Band Zur Geschichte der Erklärung der Menschenrechte (= Wege der Forschung XI), hrsg. von R. Schnur, Darmstadt 1964. Vgl. ferner C. J. Friedrich, Grundrechte, Bürgerrechte, Freiheiten (Rights, Liberties, Freedoms) (1942), jetzt in: Zur Theorie und Politik der Verfassungsordnung, Heidelberg 1963, S. 48 ff., und G. Oestreich, Die Idee der Menschenrechte in ihrer geschichtlichen Entwicklung, Berlin 1963.

  2. Vgl. K. Bosl, Die alte deutsche Freiheit. Geschichtliche Grundlagen des modernen deutschen Staates, in: Frühformen der Gesellschaft im mittelalterlichen Europa, München—Wien 1964; O. Brunner, Die Freiheitsrechte in der altständischen Gesellschaft, in: Aus Verfassungs-und Landesgeschichte (Festschrift f. Th. Mayer), Bd. I, Lindau—• Konstanz 1954, S. 293 ff; K. von Raumer, Absoluter Staat, korporative Libertät, persönliche Freiheit, in: HZ 183 (1957).

  3. Uber die ihm zugrunde liegende, von der scholastischen Naturrechtslehre gänzlich verschiedene Theorie der „natürlichen Rechte" des Individuums grundlegend L. Strauß, The Political Philosophy of Hobbes, Oxford 1936 (dt. Neuwied—Berlin 1966).

  4. So U. Scheuner, Pressefreiheit, VVDStRl Heft 22, (1964) S. 44.

  5. Mit diesem Vorgang hängt auch die Katalogisierung und die an sie anknüpfenden Versuche einer philosophischen und juristischen Systematisierung der Grundrechte seit dem Ende des 18. Jahrhunderts zusammen — ein Prozeß, der noch nicht zureichend untersucht ist.

  6. F. von Hippel, Zum Aufbau und Sinnwandel un-seres Privatrechts, Tübingen 1957, S. 47.

  7. von Hippel, a. a. O., S. 47 mit Anm. 42.

  8. E. F. Klein, Freyheit und Eigenthum, abgehandelt in acht Gesprächen über die Beschlüsse der Französischen Nationalversammlung, Berlin—Stettin 1790, S. 164; vgl. dazu H. Conrad, Die geistigen Grundlagen des Allgemeinen Landrechts für die preußischen Staaten von 1794, S. 42.

  9. K. D. Erdmann, Volkssouveränität und Kirche, Köln 1949, S. 84; H. Maier, Revolution und Kirche, Freiburg 1965 2, S. 116 mit Anm. 87.

  10. Das folgende (bis S. 20) in erweiterter Form in meinem gleichzeitig erscheinenden Buch: Die ältere deutsche Staats-und Verwaltungslehre, Neuwied—Berlin 1966, S. 314 ff.

  11. Vgl. zum folgenden H. Peters, Die Wandlungen der öffentlichen Verwaltung in der neuesten Zeit, Krefeld 1954; E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts I (Allgemeiner Teil), München—Berlin 1961 8, § 4 und Vorbemerkung zu § 19.

  12. So vor allem H. Peters in verschiedenen Arbeiten: Staatsidee und öffentliche Verwaltung (Schriften der Görres-Gesellschaft 1936, 2), Köln 1936, S. 25 ff.; Der Kampf um den Verwaltungsstaat, in: Verfassung und Verwaltung (Festschrift f. W. Laforet), München 1952, S 19 ff.; ferner die in Anm. 11 genannte Schrift.

  13. Das Wort erstmals bei E. Forsthoff, Die Verwaltung als Leistungsträger, Stuttgart—Berlin 1938 (teilweise abgedruckt in: Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, Stuttgart 1959, S. 9 ff.).

  14. Hierzu sehr prägnant bereits Forsthoff in seiner Schrift 1938: „Die Angleichung des modernen Menschen an die technisierte Welt vollzieht sich in einer formal-juristisch weniger faßbaren, aber dar-um doch nicht minder wirksamen gegenständlichen Einschränkung der rechtsgeschäftlichen Privatautonomie. In dem Maße nun, in dem sich die Privatautonomie einschränkt, wächst die soziale Bedürftigkeit des einzelnen. Und dieser sozialen Bedürftigkeit des einzelnen hat die hoheitliche Gewalt abzuhelfen ... Das heißt aber, wo die rechtsgeschäftliche Privatautonomie zurückweichen muß, rückt die Verantwortung der öffentlichen Verwaltung vor (Rechtsfragen 36)." Vgl. auch Wieacker, a. a. O., S. 20: „. . . daß die heutige Interpretation des bürgerlichen Rechts vielfach nicht mehr daran denkt, die Privatrechtsordnung ihrem ursprünglichen Sinn gemäß als ein Aggregat von subjektiven Rechten, von . Willensmacht'der Individuen anzusehen; sie betrachtet vielmehr die Rechtsverhältnisse wesentlich als Sozialfunktionen, die nach Maßgabe vorgegebener oder vertraglich übernommener Verantwortungen ausgeübt werden.“ Zum ganzen: von Hippel, wo die Zweiseitigkeit und Problematik dieses Vorgangs schärfer betont ist; vgl. bes. S. 13 f„ S. 20 ff. und S. 58 f.

  15. Kennzeichnend hierfür ist, daß die Probleme des Verwaltungsstaates heute in allen westlichen Ländern in ähnlicher Weise auftreten, auch in sol-chen mit stärkerer genossenschaftlicher Überlieferung wie Großbritannien und der Schweiz. In einer größeren historischen Perspektive kann man daher sehr wohl zu dem Urteil kommen, daß die moderne bürgerliche Gesellschaft die „Rationalität der absolutistischen Verwaltung" übernommen, ja gesteigert hat und daß „die freieren, vor allem angelsächsischen Formen, in denen sich genossenschaftliche Überlieferungen des Mittelalters weitergebildet hatten, auf dem Weg der Reform in die Führungssyteme eingeschmolzen (wurden), die für die moderne Daseinsordnung notwendig sind" (A. Bergstraesser, Führung in der modernen Welt, Freiburg 1961, S. 32).

  16. Hierzu und zu den Möglichkeiten einer „in weitgehender Freiheit und Selbstverantwortung sich vollziehenden Daseinsfürsorge" von Hippel, S. 51 ff.; vgl. auch S. 19 ff.

  17. Hierzu R. Smend, Bürger und Bourgeois im deutschen Staatsrecht (1933), jetzt in: Staatsrechtliche Abhandlungen, Berlin 1955, S. 309 ff.; F. Wie-acker, Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgesetzbücher und die Entwicklung der modernen Gesellschaft, Karlsruhe 1952, S. 14 f.; H. Maier, Zur Frühgeschichte des Rechtsstaats in Deutschland, in: Neue Politische Literatur 7 (1962), S. 234 ff.

  18. Dies gilt zumindest für die kontinentale (deutsche und französische) Verfassungstradition, wie an zahlreichen Belegen von Sieyes bis Constant und Guizot, von Svarez und Martini bis zu Welcker und Aretin gezeigt werden könnte, da diese — anders als die angelsächsische der „rule of law" — von der im wesentlichen mit Mitteln des Privatrechts vorangetriebenen Emanzipation des Bürgers gegenüber einem potentiell allmächtigen Staatsapparat ausgeht und weniger aktive Mitwirkung im Gemeinwesen beansprucht als auf die Reservation von „Freiheit und Eigentum" durch ein System von Grundrechten dringt, die als „Unterlassungsanspruch" gegenüber dem Staat aufgefaßt werden. Uber die Nachwirkungen der emanzipativen „Kindheitsepoche" des neueren deutschen Privatrechts im heutigen Privatrecht vgl. von Hippel, a. a. O. passim; über das aus gleicher Wurzel stammende „Eingriffs-und Schrankendenken" im öffentlichen Recht, besonders in der Auslegung der Grundrechte, P. Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 Grundgesetz, Karlsruhe 1962, bes. S. 145 ff. Vgl. ferner die Beiträge von H. Huber und M. Duverger in dem Sammelband: Die Demokratie im Wandel der Gesellschaft, hrsg. von R. Löwenthal, Berlin 1963, bes. S. 71 u. S. 93, die den gleichen Gegenstand von der Problematik Föderalismus—Zentralismus her beleuchten.

  19. Vgl. zum folgenden: G. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919. Ein Kommentar für Wissenschaft und Praxis, Berlin 1928 8; G Anschütz—R. Thoma, Handbuch des Deutschen Reichs vom 11. August 1919. ein Kommentar für Wissenschaft und Praxis, Berlin 1928; G Anschütz–R. Thoma, Handbuch des deutschen Strafrechts, Bd. I, Tübingen 1930, S. 169 ff., Bd. II (1952) S,. 1 ff.

  20. So bemerkt z. B. Thoma in der Einleitung zu seiner Darstellung der subjektiven öffentlichen Rechte (Anschütz—Thoma Bd. II, S. 107 ff.): „Grundlegend ist die Einsicht, daß das staatliche Gemeinwesen, wenn es überhaupt als innerhalb einer Rechtsordnung stehend soll gedacht werden können, begriffen werden muß als eine mit Rechtspersönlichkeit ausgestattete Körperschaft, die anderen Rechtssubjekten mit subjektiven Rechten entgegentreten oder ihnen gegenüber rechtliche Pflichten haben kann." Vgl. auch Anschütz in seinem Kommentar, S. 295 ff.

  21. Zu betonen ist: vor gestaltenden Eingriffen. Insoweit ist die Weimarer Verfassung in der Nachfolge des formal gewährleistenden bürgerlichen Rechtsstaats geblieben, der die Sozialordnung „als eine vorausgesetzte Gegebenheit" behandelt; vgl. Forsthoff, Verwaltungsrecht, S. 60 f. Uber die nicht unwichtigen Abweichungen ebenda, S. 62 ff.

  22. über dessen Geschichte in Deutschland vor 1919: R. Smend, Bürger und Bourgeois, S. 316 ff.

  23. Zum Grundsätzlichen: H. Huber, Soziale Verfassungsrechte? in: Die Freiheit des Bürgers im schweizerischen Recht (Festgabe zur Hundertjahrfeier der Bundesverfassung, hrsg. von den Juristischen Fakultäten der schweizerischen Universitäten), Zürich 1948, S. 149 ff., wo vor allem die Schwierigkeiten der Zusammenordnung herausgearbeitet werden; über die Weimarer Republik daselbst S. 151 u. 156, Positiver F. J. van der Ven, Soziale Grundrechte, Köln 1963, und — ausgehend von einem um die Synthese individualrechtlicher und institutioneller Grundrechtsauffassung bemühten Verständnis — P. Häberle, a. a. O., S. 8 ff., wo allgemeiner auf die soziale Funktion der Grundrechte überhaupt eingegangen wird.

  24. Scharf gesehen ist das Problem jedoch schon bei R. Smend, Das Recht der freien Meinungsäußerung (1927), a. a. O., S. 89 ff., und in der polemisch zugespitzten Schrift von H. Heller, Rechtsstaat oder Diktatur, Tübingen 1930.

  25. Forsthoff, Verwaltungsrecht, S. 61.

  26. J. Popitz, Der Finanzausgleich und seine Bedeutung für die Finanzlage des Reichs, der Länder und Gemeinden, Berlin 1930.

  27. Popitz, a. a. O., S. 6.

  28. Uber den Menschentypus, mit dem die älteren rechtsstaatlichen Verfassungen rechneten: Smend, Bürger und Bourgeois, a. a. O., S. 316 ff.; W. Conze, Das Spannungsfeld von Staat und Gesellschaft im Vormärz, in: Staat und Gesellschaft im deutschen Vormärz 1815— 1848, Stuttgart 1962, S. 211 f.; auch Wieacker, Sozialmodell, S. 6 ff.

  29. Anders wäre die Preisgabe der Grundrechte und des rechtsstaatlichen Verwaltungsprinzips durch die Mehrheit des Reichstags 1933 kaum zu erklären.

  30. Vgl. bes.den im Februar 1933 in der Europäischen Revue veröffentlichten Aufsatz von C. Schmitt, Weiterentwicklung des totalen Staats in Deutschland, dessen nachträgliche Deklarierung als reine Diagnose (Verfassungsrechtliche Aufsätze, S. 359 ff.) nicht überzeugen kann.

  31. Dabei ist einzuräumen, daß ein „subjektives öffentliches Recht" auf „Daseinsvorsorge" noch in der Linie der sozialprogrammatischen Artikel der Weimarer Verfassung lag, wie überhaupt Forsthoffs Bemerkung, er habe mit diesem Begriff „dem einzelnen neue rechtliche Sicherungen zu verschaffen“ versucht (Rechtsfragen, Vorwort), sehr ernst genommen zu werden verdient.

  32. Zum folgenden vgl. Th. Maunz, Deutsches Staatsrecht, München—Berlin 1959; H. von Mangoldt — F. Klein, Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, München 1958 ff. Wichtig ferner die „Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes'(Jahrbuch des öffentlichen Rechts, Neue Folge 1), Tübingen 1951, bearb. von Doemming—Füsslein-Matz.

  33. So aber Forsthoff in seiner Auslegung von Art. 20 und 28 GG: Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates, VVDStRl Heft 12 (1954), S. 8 ff., mit dem Hinweis auf die Unmöglichkeit, die rechtsstaatliche Gewährleistungsfunktion auf prinzipiell unbegrenzbare Teilhaberechte anzuwenden; vgl. auch die in Anm. 23 genannte Schrift von H. Huber. Anders O. Bachof in seinem Mitbericht (am gleichen Ort, S. 37 ff.); auch K. J. Partsch, Verfassungsprinzipien und Verwaltungsinstitutionen, Tübingen 1958, S. 7 f., S. 29 f., und von Mangoldt—• Klein, S. 101 ff.

  34. Dies ist besonders klar herausgestellt worden von G. Dürig; Verfassung und Verwaltung im Wohlfahrtsstaat, JZ 8 (1953), S. 193 ff.: „Es muß einmal mit Nachdruck gesagt werden, daß es eine unhaltbare Erscheinung ist, wenn die aktive Verwaltung, die einerseits durch die Tatsachen zur Gestaltung des Soziallebens gezwungen wird, anderseits vom Rechtsstaat ... ständig vor Gericht zitiert wird, obwohl man ihr noch niemals deutlich gesagt hat, daß ihre sozialgestaltende Tätigkeit überhaupt normativ gedeckt ist, und obwohl man sie im unklaren darüber läßt, nach welchen Normen diese Sozialgestaltung zu erfolgen hat."

  35. In diesem Sinne richtig E. R. Huber, Zur Problematik des Kulturstaats, Tübingen 1958, S. 4: „Zugespitzt läßt sich sagen: Der moderne Staat ist Verfassungsstaat in dem Maß, in dem er als Rechtsstaat und Sozialstaat sich bewährt." Uber die Fortbildung des liberalen zum sozialen Rechtsstaat, die eine „Befreiung aus dem unglücklichen Entweder-Oder von Individualismus und Staatskollektivismus bringen soll“: W. Kaegi, Rechtsstaat — Sozialisten — sozialer Rechtsstaat, in: Die Schweiz, 16. Jg. (1945), S. 129— 46; ähnlich schon früher H. Heller in der in Anm. 24 zitierten Schrift, bes. S. 24 ff.; auch Dürig, a. a. O., S. 193.

  36. Eine zusammenfassende Übersicht bei H. Gerber, Die Sozialstaatsklausel des Grundgesetzes, AöR 81 (1956), S. 1— 54, und bei W. Reuss — K. Jantz, Sozialstaatsprinzip und soziale Sicherheit (Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Heft 10, Stuttgart 1960).

  37. H. P. Ipsen und H. Ridder, Enteignung und Sozialisierung, VVDStRl Heft 10 (1952).

  38. F. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, Göttingen 1952, S. 187 ff., S. 197 ff.; C. J. Friedrich, Die ideologischen und philosophischen Voraussetzungen der Idee der Kodifizierung, in: Zur Theorie und Politik der 'Verfassungsordnung, Heidelberg 1963, S. 57 ff.

  39. Vgl. die in Anm. 2 genannte Literatur.

  40. Hierzu bes. G. K. Schmelzeisen, Polizeiordnungen und Privatrecht, Münster—Köln 1955.

  41. U. Scheuner, Die neuere Entwicklung des Rechts-staats in Deutschland, in: Hundert Jahre deutsches Rechtsleben, Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, Bd. II, Karlsruhe 1960, S. 229 ff.; H. Conrad, Rechtsstaatliche Bestrebungen im Absolutismus Preußens und Österreichs am Ende des 18. Jahrhunderts, Köln 1961 (vgl. auch Anm. 8); W. Hennis, Zum Problem der deutschen Staatsanschauung, VfZG 7 (1959); H. Ehmke, Staat’ und . Gesellschaft'als verfassungstheoretisches Problem, in: Staatsverfassung und Kirchenordnung (Festgabe f. R. Smend), Tübingen 1962, S. 23 ff.

  42. Siehe oben Anm. 18.

  43. Häberle, a. a. O., S. 70 ff.

  44. Vgl. hierzu H. Maier, Ältere deutsche Staatslehre und westliche politische Tradition, Tübingen 1966.

Weitere Inhalte

Hans Maier, Dr. phil., o. ö. Professor für politische Wissenschaft an der Universität München, geboren 1931 in Freiburg i. Br. Veröffentlichungen u. a.: Revolution und Kirche. Studien zur Frühgeschichte der christ-lichen Demokratie, Freiburg 1959, 1965 2; Die Lehre der Politik an den deutschen Universitäten, in: Wissenschaftliche Politik, ed. Oberndorfer, Freiburg 1962; Deutscher Katholizismus nach 1945, München 1964; Die ältere deutsche Staats-und Verwaltungslehre, Neuwied— Berlin 1966.