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Gibt es eine Alternative zum militärindustriellen Wirtschaftskrieg? | APuZ 22/1981 | bpb.de

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APuZ 22/1981 Artikel 1 Zivilschutz in der Diskussion INSTITUT FÜR FRIEDENSFORSCHUNG UND SICHERHEITSPOLITIK AN DER UNIVERSITÄT HAMBURG — Der Direktor — MAX-PLANCK-INSTITUT FÜR SOZIALWISSENSCHAFTEN Gibt es eine Alternative zum militärindustriellen Wirtschaftskrieg? Technologie in den Osten? Zur Konzeption und Praxis des Consultative Group-Coordinating Committee (CoCom)

Gibt es eine Alternative zum militärindustriellen Wirtschaftskrieg?

Klaus Bloemer

/ 56 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Der Beitrag kommt über eine Analyse der aktuellen Rüstungspolitiken in West und Ost zu dem Schluß, daß sich die steigenden Aufwendungen für die Entwicklung und Produktion immer neuer Waffensysteme auf die gesamtwirtschaftlichen Verhältnisse vor allem in den USA und in der Sowjetunion sehr verschiedenartig auswirken. Während die im technologischen Wettlauf allgemein die Spitze haltenden Amerikaner aus dem militärisch-industriellen Komplex Innovationsschübe und Wachstumsimpulse auch im Sinne struktureller Anpassungen ihrer zivilen Wirtschaftszweige erzielen, findet ein derartiger „Diffusionsprozeß" in der Sowjetökonomie nicht statt, u. a. wegen der sie beherrschenden starren Lenkungsmechanismen. Im Vergleich zu den USA ist die Sowjetunion keine eigentliche Super-macht; sie hat sich dieses Prädikat bisher lediglich durch einseitige Konzentration ihrer Wirtschaftskraft auf den militärischen Sektor verdient und mußte dafür mit einer schwach entwickelten Investitions-und Konsumgüterindustrie zahlen. Der Autor setzt sich kritisch mit einem möglichen amerikanischen Konzept auseinander, durch stetes Höherschrauben der Rüstungsspirale die UdSSR als zweite Weltmacht deklassieren zu wollen. Um einer globalen Ausgewogenheit der Interessen näherzukommen, schlägt er einen New Deal für die west-östliche Industriewelt vor, der eine Modernisierung der sowjetischen Zivilproduktionen und zugleich einen westlichen Einstieg in das „große Sibiriengeschäft" im Zuge einer Weltenergiepolitik vorsieht. Unter Erhaltung eines wirksamen militärischen Gleichgewichts sollen auf diese Weise günstigere Voraussetzungen auch für eine west-östliche Zusammenarbeit bei der Entschärfung der sozioökonomischen Nord-Süd-Gegensätze geschaffen werden.

„Eine große Aufgdbe westlicher Sicherheitspolitik unter ökonomischem Aspekt sind ausgewogene und stabile Wirtschaftsbeziehungen mit den planwirtschaftlichen Ländern des Ostens". „Es wird auf lange Sicht keine effektive Weltenergiepolitik geben, falls die Sowjetunion nicht bereit sein sollte, daran mitzuwirken, oder wenn man sie davon ausschließen würde.“ Bundeskanzler Helmut Schmidt in einem Vortrag beim International Institute for Strategie Studies, London, am 28. Oktober 1977, und in einem Interview mit dem US-Wirtschaftsmagazin Fortune vom 20. April 1981.

Nach konventionellem Kästchendenken gehören Fragen der Rüstung vor allem ins Verteidigungsressort; darüber hinaus wäre für bündnispolitische und außenwirtschaftliche Aspekte sowie zur Wahrnehmung von Abrüstungskonferenzen noch das Außenministerium zuständig; im gesamtstaatlichen Kontext tritt die Beschaffung von militärischem Material lediglich als ein Teilposten des jährlichen Haushalts in Erscheinung.

Urplötzlich ist in Bonn diese bürokratische Vorstellungsidylle einer politischen Bewußtseinserweiterung gewichen: Zaghaft beginnt man durchzublicken auf ein Netz von Bezügen und Einflüssen, die vom Sektor Rüstungsproduktion auf die politische und gesellschaftliche Verhaltensskala eines Landes auszugehen vermögen. Kaum war jedenfalls zuvor im Deutschen Bundestag der rüstungsindustrielle Komplex so herausgeschält aus dem speziellen Verteidigungszusammenhang und gelegentlichen außenpolitisch-wirtschaftlichen Erwägungen angesprochen worden, wie das der Bundeskanzler in der Haushaltsdebatte Ende 1980 getan hat. Anlaß dazu war ein Gegenstand von noch marginaler Größenordnung: So ging es um bestimmte Exportvorhaben mit Rüstungsgütern in Länder der Dritten Welt, wogegen „Gewissensschwärmer" (Frankfurter Allgemeine Zeitung) grundsätzliche und ideologische Bedenken vorgebracht hatten. Da aber dieser Vorgang zeitlich mit einer öffentlichen Diskussion zusammenfiel, die ganz im Zeichen einer prekären Konjunktur-lage stand, sah Helmut Schmidt sich veranlaßt, die rüstungswirtschaftliche Frage aus quasi ziviler Perspektive anzupacken und somit für die Behandlung dieses Themas neue Horizonte zu eröffnen. Die auswärtige Problematik wurde so eigentlich nur zum Aufhänger für exemplarische Aussagen zu den Risiken einer sich einspielenden Interdependenz im volkswirtschaftlichen Spektrum. Der substantielle Teil der Kanzlererklärung war das Bekenntnis: „Wir wollen keine Rüstungsexportpolitik aus Beschäftigungsgründen. Waffenproduktion soll nicht zu einem Instrument unserer Konjunkturpolitik werden." über die aktuelle Ausfuhrdiskussion hinaus ging auch die Warnung davor, Kapazitäten in deutschen Unternehmen entstehen zu lassen (so auch z. B. in der staatlich gestützten Luftfahrt-und — teilweise sogar bundeseigenen — Werftindustrie), die dann bei abgeschwach-ter Auftragslage den Haushaltsgesetzgeber unter den Druck der Unterbeschäftigung oder Nichtbeschäftigung setzen könnten. Daß der Kanzler mit solchen Überlegungen nicht allein steht, machen Äußerungen seines Koalitionskollegen, des FDP-Vorsitzenden Hans-Dietrich Genscher, deutlich, der die von der Schaffung neuer Produktionskapazitäten ausgehende Gefahr allerdings aus mehr ressort-verengter Sicht angesprochen hat: „Wenn es darum ginge, Zugang zu neuen Märkten sichern zu müssen, dann würde die Außenpolitik zum Knecht der Rüstungsindustrie. Das darf auf keinen Fall passieren."

Unerwähnt blieben dabei mögliche Konsequenzen, die sich aus einer Ausweitung auch des heimischen Waffenmarktes und einer verstärkten Nachfrage aus den übrigen Nato-Län-dem (nicht zuletzt auf kooperativer Unternehmensbasis) ergeben könnten. Noch sind nämlich „nur” 300 000 Arbeitsplätze in der Bundesrepublik Deutschland durch die Rüstungsbranche gesichert und davon etwa 36 000 durch Exportaufträge für die wehrtechnische Industrie (wobei jedoch Theo Sommer in der „Zeit" auf eine „erschreckende Steigerungsrate“ hinweist). Bedenkt man, daß in den USA allein der Waffenexport einen Anteil von 20 Prozent am Gesamtvolumen der Ausfuhr hat, so wirken die deutschen Zahlen im volkswirtschaftlichen Rahmen noch erträglich. Jedenfalls scheint in der Bundesrepublik die Schwelle noch nicht erreicht, an der die Politik ernsthaft durch Unternehmens-und Arbeitnehmerinteressen (in diesem Komplex erbringt Mitbestimmung allzuleicht einen kumulierenden Effekt) unter Zugzwang geraten könnte.

Gleichwohl sollte die Problemkette, die sich aus Wachstumstendenzen bei der Waffen-technologie und Rüstungsproduktion ergeben kann, auch in der deutschen Dimension nicht verharmlost werden. Helmut Schmidt hat ein Exempel dafür vorgebracht, von welcher Art die Zwänge sind, die unmittelbar oder indirekt in diesem Bereich ausgeübt werden können: Die Erteilung von Aufträgen an deutsche Werften zum Bau von Tankern oder Containerschiffen wird gelegentlich an die Bedingung gekoppelt, auch bestimmte Kriegsschiffstypen für die Bestellerländer herzustellen. In einschlägigen Industriekreisen ist für dieses Verfahren bereits der Begriff der „Marktöffnungsfunktion" durch Lieferungen militärischen Materials gebräuchlich. Drängt sich bei solchen Erfahrungen nicht geradezu der Gedanke auf, daß deutsche Industrieunternehmen wiederum ihre Bereitschaft zu Investitionen, die der heute dringend gebotenen technischen Innovation dienen würden, von der Erteilung gewisser Rüstungsaufträge abhängig machen könnten?

Je komplizierter die einzelnen Waffensysteme werden, desto größer ist im allgemeinen die Anzahl der an ihrer Herstellung beteiligten Konzerne und mittelständischen Firmen, die mit einer Vielfalt von Argumenten auf qualitative und quantitative Entscheidungen des Auftraggebers Staat einzuwirken versucht sind. Mit jeder Vermehrung des Produktionsanteils an wehrtechnischem Gerät in den einzelnen Unternehmen und Branchen nehmen naturgemäß das Eigengewicht und die Eigendynamik des Forschungs-und Wirtschaftsfaktors Rüstung im gesamtgesellschaftlichen Rahmen zu. Das kann bei der Einflußnahme im militärisch-fachlichen Bereich beginnen — etwa mit der Forcierung des Panzerbaus (eine Im wirtschaftlichen Bereich besitzt die NA TO eine hohe Überlegenheit über die Länder des War-schauer Paktes, wie eine Addition der wirtschaftlichen Gesamtleistungen der Mitgliedsländer der beiden Blöcke ergibt. Monatsproduktion von 30 Panzern sichert 10 000 Arbeitsplätze, große Serien verbilligen die Entwicklungskosten), während einer Verlagerung des Schwergewichts auf die viel weniger aufwendigen Panzerabwehrwaffen entgegengearbeitet wird. Es kann schließlich dazu führen, daß die rüstungsengagierte Industrie — mit Schrittmacheraufgaben in Bereichen der Forschung und Herstellungstechnik wohl ausgestattet — eine Art Schlüsselfunktion innerhalb der Volkswirtschaft gewinnt. Auf diese Weise geriete ein für die Politik der Bundesrepublik bisher gültiger Grundsatz in Gefahr, der von Schmidt so formuliert wurde: Man habe bei der industriellen Entwicklung des Landes bewußt nicht auf der Rüstung aufgebaut.

Und dennoch ist die Verführung nicht gering, gerade in Anbetracht einer sich anbahnenden Rezession eine solche Grundsatzhaltung vorsichtig abzubauen, zu der man sich vor drei Jahrzehnten unter dem noch unmittelbaren Eindruck geschichtlicher Abläufe durchgerungen hatte. Ein amerikanisches Modell scheint sich gegenwärtig der Bundesrepublik geradezu aufzudrängen. Der neue Präsident der USA hat schon vor seinem Amtsantritt die europäischen Verbündeten nur zu deutlich darauf hingewiesen, daß diese zusammen mit den Vereinigten Staaten nicht nur über eine größere Bevölkerung, sondern erst recht über eine größere industrielle Kapazität als die Sowjetunion verfügten, sich also gemeinsam eine stärkere Militärmacht leisten könnten.

US-Rüstung als Wirtschaftsmotor

Sieht man einmal von der macht-und sicherheitspolitischen Argumentation ab, so spielt die Erhöhung der Rüstungsausgaben ganz offenbar eine erhebliche Rolle auch im Gesamtkonzept der Regierung Reagan für die wirtschaftliche Regeneration des Landes. Die vor allem auf die Freisetzung zusätzlicher unternehmerischer Initiativen abzielende Politik der Steuererleichterungen wird durch vermehrte Rüstungsaufträge, die sich als staatliche Investitionshilfe niederschlagen, entsprechend ergänzt. Bedenkt man, daß der noch unter der Carter-Administration verabschiedete Verteidigungsetat für 1981 (der bislang real höchste der USA in Friedenszeiten) allein 52 Milliarden US-Dollar für die Entwicklung neuer Waffensysteme vorsah (nach Schätzungen des Stockholmer Friedensforschungsinstituts entfallen davon allein auf ein Zerstörungspotential gegen feindliche Satelliten 7, 4 Milliarden US-Dollar, das Doppelte also des zivilen Raumfahrtbudgets), so läßt sich daraus schon ein quantitativer Trend ablesen. Entsprechend höhere Rüstungsinvestitionen sind für 1982 zu erwarten, wenn — u. a. auf Kosten von Sozialausgaben — aus einem mehr als 220 Milliarden Dollar betragenden Verteidigungsetat die erforderlichen Geldmengen in so gigantische Infrastrukturprojekte wie das mobile MX-Raketensystem sowie in Entwicklung und Bau kostspieliger neuartiger Waffentypen für Marine und Luftwaffe zu fließen beginnen.

Ohne Frage wirkt sich ein derartiger Kapitalzuschuß, der sich in Forschungs-, Entwick-lungsund Produktionsaufträgen in vielen Bereichen der Spitzentechnologie niederschlägt, innerhalb eines die Rüstung voll integrierenden Wirtschaftsund Wissenschaftssystems stark dynamisierend aus. Zu einem Zeitpunkt, da sich ein struktureller Umbruch in der Weltwirtschaft ankündigt, der die Hochindustrieländer zu weiterer Vervollkommnung ihrer Produktionsmethoden bei gleichzeitiger Verlagerung von Produktionsschwerpunkten im Sinne einer Strukturveränderung veranlaßt, kann eine unter Höchstleistungsdruck gebrachte Rüstung als Mittel zum Zweck der Innovation vorzügliche Dienste leisten.

Nun ist allerdings die Verquickung finanzieller, industrieller und militärischer Machtinteressen, wie sie faktisch unüberschaubar in den Vereinigten Staaten von Amerika stattfindet, ein in der Welt noch einzigartiges Phänomen. Die Wechselwirkungen beginnen gleichsam bei den Winzigbauteilen der Mikroelektronik, die industrielle wie militärische Macht verleihen; sie reichen bis in das Geflecht von kooperierenden und konkurrierenden Potenzen des „American Enterprise“, das auf nationaler Ebene wie über multinationale Unternehmen operiert.

Es ist gewiß nicht einfach, den heterogenen Kreis von häufig kontrovers wirksamen Institutionen zu umreißen und die dazugehörigen (austauschbaren und auch oft ausgetauschten) Persönlichkeiten auszumachen, die in ihrer Gesamtheit das wesentliche Element amerikanischer Machtentfaltung darstellen: Natürlich gehören Großbanken, Handels-und Industrie-konzerne ebenso wie jene von Lothar Ruehl („Die Zeit" Nr. 47/1980) definierte „neue technologisch-mathematische Machtelite" dazu, gewiß auch die dem Pentagon zur Verfügung stehenden hochdotierten wissenschaftlichen Berater, die neue „Klasse der Consultants". In einem Leitartikel der FAZ (7. 11. 1980) hat Robert Held unter der Überschrift „Mächte, die hinter der Umgebung des Präsidenten stehen" darüber sinniert: „Außer dem Präsidenten und dem Kongreß gibt es Establishments, die schwer zu orten sind, aber auf den Lauf der Dinge einwirken, wie zum Beispiel die von Carter ursprünglich gar nicht beabsichtigten Rüstungsbemühungen zeigen."

Nun dürfte diese auf politische Entscheidungsprozesse Einfluß nehmende Hintergrundszene in der Ära Reagan um so transparenter in Erscheinung treten, je deutlicher sich die angekündigte Generallinie durchsetzen wird, die auf Reduzierung des administrativen Apparates und der Regierungskontrollen zugunsten einer von staatlicher Einmischung weitgehend befreiten, expansiven Wettbewerbswirtschaft abhebt. Daß in einer solchen Konzeption der ambivalente, in zwei Richtungen wirksam werdende Mechanismus von Rüstung einkalkuliert ist, voll ausgeschöpft werden soll und somit auch sichtbarer hervortreten wird, liegt auf der Hand: Natürlich soll der Staat mit der ihm noch verbleibenden Aufgabe der Bereitstellung von steigenden Mitteln für die Rüstung dafür sorgen, daß die militärische Überlegenheit als ein wesentlicher Faktor amerikanischer Dominanz weltweit erhalten wird; daneben rangiert jedoch zumindest gleichwertig die instrumentale Bedeutung dieser Form staatlicher Investitionshilfe mit ihrem Antriebseffekt auf ein breit angelegtes Modernisierungsprogramm für den gesamtwirtschaftlichen Rahmen. Die an die umfangreiche Rüstungsplanung geknüpften Erwartungen im Hinblick auf innovatorische Schub-kraft und industrielles Wachstum können als Argument für eine Gewichtsverlagerung bei den — insgesamt zur Kürzung anstehenden — Staatsausgaben nur intern zur Geltung kommen, weil Verständnis und Zustimmung für eine derartige Umschichtung von Seiten der Öffentlichkeit nur durch absolut prioritäre Herausstellung sicherheitspolitischer Zwänge erreichbar sind, ganz abgesehen von den erforderlichen Rücksichten auf das äußere Image von Staat und Gesellschaft.

Dieser komplexe Sachverhalt verdient schon deswegen ausgeleuchtet und auf seine rationalen Inhalte untersucht zu werden, weil bereits der Nachweis einer Doppelmotivation gewisse Aufschlüsse darüber geben könnte, daß eben rein militärisch-machtpolitische Zielsetzungen nicht den allein dominierenden Stellenwert bei der jetzt in Washington betriebenen Hochrüstungskampagne besitzen. Wie immer das Ergebnis solcher Betrachtungen ausfällt: die auf facts andfigures tixierten Strategen in Moskau wird es sicher nicht dazu veranlassen, sich entsprechende Zurückhaltung bei den eigenen Rüstungsanstrengungen aufzuerlegen.

Wahrscheinlich würde ihnen die Fremdheit eines westlichen Wirtschaftssystems sogar das Verstehen einer innenbezogenen Rüstungskomponente unmöglich machen, die darauf beruht, daß die Drehzahlerhöhung der Waffenentwicklungsspirale innovative Impulse auslösen und — zumindest zeitlich begrenzt — nationalökonomisch einen Nutzen versprechen kann. Für die USA hingegen ist eine unter diesem Teilaspekt eingeleitete Maßnahme im militärindustriellen Bereich etwas durchaus Plausibles; sie bietet den Vorteil relativ leichter politischer Durchsetzbarkeit und greift augenblicklicher als jedes andere Mittel aus dem Förderungskatalog für Privatinvestitionen. Rüstungsaufträge sind seit eh und je eine Quelle überhöhter, der öffentlichen Kontrolle weitgehend entzogener Profite für unzählige Unternehmen der verschiedensten Größenordnung; sie erlauben — nach den Plänen der amerikanischen Regierung — eine beschleunigte und erhöhte steuerliche Abschreibung aufgrund ihrer beschäftigungsstimulierenden Wirkung. (Allerdings dürften sich außerordentlich überhöhte Staatsausgaben im Verteidigungsbereich gesamtwirtschaftlich auch als schwerverdauliche Brocken erweisen, wenn es um die Durchführung eines Programms zur Inflationsbekämpfung geht.)

Wohlgemerkt kommt diese Art von Interessenzusammenspiel nur zum Tragen in einem nach westlichem Wirtschaftsmuster gestalteten Großraum, der über eine breitgefächterte Hochleistungsindustrie verfügt. (In technologisch schwach oder unterentwickelten Ländern hingegen wirkt eine in einsame Höhen vorangetriebene Wehrtechnik zwangsläufig als volkswirtschaftlicher Auszehrungsprozeß, der bei zentralistisch gelenkten Systemen — wie in der Sowjetunion — noch immanent verstärkt wird.) „Im Westen", so konstatiert mit Blick auf diese kritische Diskrepanz der deutsche Politologe Claus Kernig (FAZ Nr. 251/80), „entsteht eine Wechselwirkung zwischen strategisch wichtigen Industrien und ziviler Umsetzung ihrer Resultate. Elektronik und Datenverarbeitung sind dabei die besten Beispiele. Nicht nur, daß die zivilen Industrien die Elektronik im Forschungs-, Planungs-und Produktionsprozeß anwenden, auch der einzelne Konsument kauft Geräte ein, die vom Taschenrechner bis zum Fernseher, vom Fotoapparat bis zur Hi-Fi-Anlage damit ausgestattet sind. Damit wird der Umgang mit Technik dieses Entwicklungsstandes breiten Schichten zur Gewohnheit Gleichzeitig werden massenhaft Arbeitskräfte mit der Produktion solcher Geräte vertraut. Im Westen sickert die Technologie durch alle Bereiche hindurch." — Die westliche Führungsmacht hat die relativ fortgeschrittenen strategischen Industrien als Schrittmacher der unterentwickelten Zivilindustrie zu nutzen verstanden. Auf diesen Sachverhalt hat auch Forschungsminister Andreas von Bülow (vor der List-Gesellschaft in Düsseldorf am 5. März 1981) mit dem Hinweis abgehoben, daß die USA ihren gewaltigen technischen Vorsprung „nicht ohne die massive Subventionierung über die Militärhaushalte" erreicht hätten.

Daß aber selbst im amerikanischen System mit seiner erwiesenen Diffusionsfähigkeit erhebliche regionale und sektorale Strukturgefälle und Disproportionen durch einseitige Bevorzugung der militärtechnischen Industrien auftreten, beschrieb der Schweizer Amerika-Korrespondent Roman Berger im „Tagesanzeiger": „Die Löhne und Profite in der Rüstungsindustrie stehen in seltsamem Gegensatz zu den leerstehenden Fabriken, den Einschränkungen in öffentlichen Diensten und der chronischen Arbeitslosigkeit in Regionen, die nicht an der Rüstung profitieren."

Der heutige Entwicklungsstand wird z. B. durch Verhältnisse in Großunternehmen der Detroiter Automobilindustrie gekennzeichnet, wo nur die in Rüstungsabteilungen Beschäftigten von Massenentlassungen verschont geblieben sind. Andererseits ist gerade die Masse der mittleren, mit Präzisionstechnik befaßten Zulieferfirmen im Rüstungsgewerbe so stark automatisiert, daß hier nur Bedarf an hochqualifizierten Arbeitskräften besteht, für die es auch in den USA kaum ein Beschäftigungsproblem gibt. Diese werden wiederum in bestimmten Schwerpunktregionen zusammengezogen, für die das sogenannte „Silicon Valley" bei San Francisco (Standort der Mikrocomputer-Technik, integrierter Halbleiter-Schaltsysteme usw.) mit bereits 700 000 Arbeitsplätzen in nahezu anderthalb Tausend High-Technology-Firmen ein Beispiel bietet. Hier findet auch seit Jahren eine stille Rüstungsrevolution mit Sensoren, Mikroprozessoren, per „Silizium-Chips" gesteuerten Waffensystemen statt. Bei dieser regionalen Konzentration von so stark kapitalintensiven Unternehmen kann es nicht verwundern, daß schon bisher fast ein Viertel des Rüstungsetats nach Kalifornien geflossen ist. Hier und in anderen Teilen der westlichen und südlichen USA erlebt auch die Luft-und Raumfahrtindustrie durch die neue Rüstungspolitik einen Boom ohnegleichen: Aufgrund von Pentagonorders und erhöhten Exporten an Militärflug, zeugen können die einschlägigen Unternehmen bereits für das laufende Jahr mit einem Gesamtumsatz von 80 Milliarden Dollar rech-nen; die Zahl der in diesen Branchen Beschäftigten hat gegenwärtig die 1, 2-Millionen-Marke erreicht.

Im übrigen ließe eine weitere drastische Anhebung des amerikanischen Wehrbudgets er-warten, daß ein neuer Rüstungswettlauf „at home“ beginnt; zum Beispiel könnte sich die einflußreiche chemische Industrie mit Vorschlägen zur Weiterentwicklung solcher Kampfmittel bewerben, um deren Ächtung und Eliminierung auf der Grundlage internationaler Abkommen man sich bisher noch bemüht. Graf Baudissin bringt die Problematik auf folgenden Generalnenner: Die Technik bietet plötzlich etwas Neues an, und von daher wird die Strategie umgeformt. Falls man sich nicht darauf zu einigen bereit ist, ganz bestimmte destabilisierende Technologien nicht zu entwickeln, so wird es auf dieser Welt bei immer höheren Kosten immer unsicherer werden.

Aber wie auch immer: Tatsache scheint zu sein — so auch „Der Spiegel", Nr. 7/81 —, daß viele Amerikaner (und nicht nur die Rechten) glauben, die Konjunktur ließe sich „auf Panzer-ketten schneller ankurbeln", die Rüstung könne zugleich auch Rettung für die Wirtschaft bringen. (Bei einer Meinungsumfrage im Februar 1981 haben sich 68 Prozent der befragten Amerikaner für die drastische Erhöhung der Verteidigungsausgaben ausgesprochen.)

Wie immer man aber die stimulierenden Auswirkungen von Hochrüstung auf das allgemeine Wirtschaftsleben einschließlich der Übertragungsmöglichkeiten im Bereich der advanced technics einschätzen mag, der Bundesrepublik bietet sich hierin nicht das Mittel der Wahl an, um mit ihren strukturell bedingten Wachstumsschwierigkeiten besser fertig zu werden. Abgesehen von allen sicherheits-und geopolitischen Gesichtspunkten sprechen dagegen schon ganz schlicht Fakten der Größenordnung und der sozioökonomischen Eigenart.

Eine substantielle Vermehrung der wehrtechnischen Kapazitäten wäre nämlich in Anbetracht des relativ beschränkten eigenen (westdeutschen) „Marktes" überhaupt nur durch eine offensive Ausfuhrpolitik zu erreichen. Auch unter dieser Voraussetzung würde — im Vergleich zu den großen Atom-und Raumfahrtmächten — die Angebotspalette viel zu begrenzt bleiben müssen, um eine echte Breitenwirkung im Sinne technologischer Durch-B brüche und allgemeinwirtschaftlicher Belebung zu erzielen. Zusätzliche staatliche Investitionshilfe über den Rüstungsfonds ließe sich im übrigen nur bei massiven Eingriffen in den sozialen Besitzstand erreichen. Alles zusammengenommen: Die Anwendung der amerikanischen Formel könnte sich für die Bundesrepublik nur als destabilisierend erweisen.

Modell für Westeuropa?

Bliebe noch zu untersuchen, wie unter den hypothetischen Verhältnissen eines (west) -euro-päischen Bundesstaates sich diese Frage stellen und beantworten lassen würde. Schließlich hätte man es in einem solchen Fall politisch und wirtschaftlich mit einem Machtpotential zu tun, das gewisse Größenordnungsvergleiche mit Nordamerika zuließe. Ein solches Europa mit einer gemeinsamen Verfassung, einem gemeinsamen Staatsbudget und autonom betriebener Außenpolitik läßt sich ohne eigene starke Rüstungswirtschaft nicht denken. Auch weil diese Perspektive nicht grundsätzlich auszuschließen ist, bleibt die Ambivalenz-problematik der Rüstung für die Europäer ein Thema. Dieses könnte paradoxerweise gerade dann an Aktualität gewinnen, wenn sich die Nato-Europäer nicht zu einer so starken Anhebung der Rüstungsausgaben bereitfinden sollten, wie sie die USA erwarten. Unter diesen Umständen, so jedenfalls meint Bruno Kreisky, könnte mit einer amerikanischen Wende zum Isolationismus gerechnet werden. Eine solche Haltungsänderung wiederum könnte dazu nötigen, daß — nach Meinung des Schweizer Wirtschaftsministers Honegger (er sprach auf der gleichen Veranstaltung in Davos wie Kreisky) — Europa zur Steigerung seiner Leistungsfähigkeit einen kräftigen Innovationsschub in die Wege leiten müßte. — Eine solche Situation, so ließe sich fortsetzen, enthielte eine gewisse Verlockung, amerikanische Denkmodelle nachzuvollziehen.

Immerhin gibt es ja heute bereits eine Anzahl von Waffenentwicklungen in bilateraler oder trilateraler Kooperation verschiedener europäischer Staaten und Unternehmen; das könnte durchaus einmal als Vorstufe zu einer Rüstungswirtschaft in einem unionsstaatlichen Rahmen verstanden werden. Auch aus dieser Sicht sollte die Rollenzuweisung, die man heute in Washington teils nach innerem und teils nach äußerem Gebrauchsnutzen mit seiner militärtechnischen Industrie vornimmt, in den westeuropäischen Hauptstädten beobachtet und beurteilt werden.

War bisher vorwiegend die Rede von der in der allgemeinen Diskussion nur spärlich behandelten innenpolitisch-wirtschaftlichen Dimension der US-Rüstung, die man als . intrinsic factor" bezeichnen könnte, so gehört in Korre-lation dazu ein „extrinsic factor", in dem sich das äußere Motiv für die Verstärkung wehr-technischer Anstrengungen ausdrückt. Ein Wettlauf ergibt nur Sinn, wenn wenigstens ein anderer mitmacht. Zum Wettrüsten kann man nur antreten, wenn ein potentieller Gegner vorhanden ist, der als Herausforderer in Erscheinung tritt. Zum Aufbau und zur Unterhaltung eines hierzu geeigneten Feindbildes bietet sich den USA nach wie vor die Sowjetunion als Inkarnation des ideologischen und militärischen Gegenspielers an.

Diesbezüglich hat sich die Weltöffentlichkeit derart an ein geradezu spiegelbildliches Rollenverständnis der „beiden Supermächte" gewöhnt, daß dieses praktisch kein Gegenstand zeitgeschichtlicher Ursachenforschung mehr ist und auf seine sachliche Berechtigung schon gar nicht abgeklopft wird. Die USA und die Sowjetunion haben selber offensichtlich kaum Interesse an jeder Art von Infragestellung ihrer einzigartig hochstilisierten Rivalitätsbeziehung, die als beherrschendes Element im weltpolitischen Kräftespiel imponiert. Sie brauchen und gebrauchen einander zur Durchsetzung und Legitimation ihres jeweiligen Handeln im Innern und nach außen. Das übermächtige Feindbild dient auf beiden Seiten dem staatlich-gesellschaftlichen Selbstverständnis ebenso wie einer Selbstdarstellung, die auf die übrige Welt wirken soll. Uneingeschränkt billigen sie sich daher gegenseitig das schmückende Epitheton „super" zu, auch wenn dieses nach objektiven Maßstäben für die Sowjetunion nur mit dem relativierenden Zusatz „Supermacht des Ostens" Gültigkeit beanspruchen kann; denn eigentlich ist die sowjetische Position als überragend nur innerhalb und in den Proportionen des von Moskau politisch-militärisch kontrollierten Bereichs zu bezeichnen, sieht man einmal von der Unterstützung sozialistischer Regime in vereinzelten Ländern der Dritten Welt ab.

Pauschal betrachtet hat Christoph Bertram, Direktor des Internationalen Instituts für Strategische Studien in London, nur zu Recht mit seiner Feststellung in einem Artikel in der „Zeit": . Anders als die Vereinigten Staaten ist die Sowjetunion nicht wirklich eine Super-macht; sie ist lediglich eine globale Militärmacht In den für alle Zukunft bedeutungsvol21 len internationalen Verhandlungen spielen die Sowjets keine Rolle. Am Nord-Süd-Dialog haben sie keinen Anteil. Dem Internationalen Währungsfonds gehören sie nicht an. Westliche Bankiers müssen ihnen Kredit einräumen, die Farmer Nordamerikas ihnen in schlechten Jahren Getreide liefern .. . Zu ganz ähnlichen Schlüssen gelangte der Ostexperte Mike McGuire von der Brookings Institution in einer BBC-Diskussion am 22. Januar 1981: Im Grunde sei der sowjetische Einfluß weltweit stagnativ; es habe auch nicht den Anschein, daß ein großer meisterhafter Plan hinter allem stehe. Auch wenn im Denken des Westens die Sowjetunion als militärische Macht eine zentrale Rolle spiele, sei die Bezeichnung „Supermacht" doch eher übertrieben, denn ihr stehe nicht annähernd ein solches Instrumentarium für Einflußnahmen verschiedenster Art zur Verfügung wie den USA.

Tatsächlich hat die durch den Sprachgebrauch von den „beiden Supermächten" suggerierte Gleichrangigkeit stets nur fiktiven Charakter gehabt. In diesem Scheinverhältnis liegt jenes A-priori-Mißverständnis begründet, das Moskau bis zum Weißbluten bestrebt sein läßt, sich wenigstens auf militärischem Gebiet als ebenbürtig mit den USA auszuweisen und dementsprechend vor dem Gegenspieler und aller Welt Flagge zu zeigen. Ähnlich analysiert Marion Gräfin Dönhoff in der „Zeit" (3. 4. 81): „Könnte es nicht sein, daß die Sowjetunion ihre Rüstungsanstrengungen nur unternommen hat, um ihre Schwäche auf den anderen Gebieten auszugleichen — also um sich selber Mut zu machen?" Und besorgt fährt sie fort: „... könnte es nicht sein, daß Washington mit seiner neuen Rüstungsanstrengung Moskau lediglich anstiftet, noch mehr Raketen zu produzieren, wodurch die Diskrepanz zwischen dem militärischen und dem zivilen Sektor schließlich so groß zu werden droht, daß der Kreml meint, es bleibe ihm gar nichts anderes mehr übrig, als die Waffen nun auch einzusetzen?" Andererseits haben die aus dem Zweiten Weltkrieg als die großen Sieger hervorgegangenen Amerikaner immer besonders empfindlich auf jede mögliche oder angebliche Beeinträchtigung ihrer globalen Vormachtstellung reagiert, die sich in erster Linie aus ihrer technologisch-unternehmerischen Leistungsfähigkeit ergeben hat. So haben sie den sukzessiven Verlust ihres . Atommonopols", der — seit die Sowjets 1949 ihre erste Versuchsbombe zündeten — schließlich zu dem heute als „funktionierendes Gleichgewicht" im nuklearstrategischen Bereich bezeichneten Zustand führte, nie recht hinzunehmen vermocht, auch wenn sie auf dieser Geschäftsgrundlage Moskau als Partner eines Teststoppabkommens, beim Aushandeln des Nichtverbreitungsvertrages und im Saltprozeß als Partner akzeptiert haben.

Die in letzter Zeit erfolgten qualitativen Sprünge bei der Entwicklung nuklearer Waffensysteme (MX, Cruise Missiles, Earth Penetration-Sprengköpfe, Tridentraketen usw.), die sämtlich als Hardware für die Option zu einem „chirurgisch geführten" Entwaffungsschlag im Sinne der von Carter verkündeten Direktive 59 zu werten sind, können denn auch als Versuch einer Revision des — faktisch einzig auf dem Konzept einer glaubwürdig funktionierenden Abschreckung beruhenden — relativen Gleichstandes mit der Sowjetunion verstanden werden. Tatsächlich hat die neue Kernwaffengeneration etwas Destabilisierendes an sich, weil die Furcht vor dem Erstschlag der anderen Seite im akuten Krisenfall die Bedenkzeit verringern könnte. Nach Meinung Bertrams kann die neue Doktrin von der Sowjetunion allzu leicht so ausgelegt werden, als suchten die USA nun die Fähigkeit zu einem nuklearen Erststart, zu einem sogenannten Präventivschlag also, zu gewinnen, was „sicherlich keine günstige Interpretation im Sinne künftiger Stabilität und einer künftigen Rüstungskontrolle" sei. Hinzuzufügen ist hier indessen, daß sich auch die sowjetische Seite mit Konzeptionen und technologischen Entwicklungen befaßt, die auf die „Führbarkeit" einer atomaren Auseinandersetzung abzielen.

Den „Sputnikschock" der fünfziger Jahre hatten die USA rasch überwunden: Aus dem kurzlebigen Vorsprung der sowjetischen Raumfahrt ist inzwischen ein beträchtlicher — auch militärisch relevanter — Rückstand geworden. Den entscheidenden Durchbruch dürfte jetzt das gelungene Unternehmen mit der NASA-Raumfähre Columbia gebracht haben. Offensichtlich haben die Amerikaner damit ein neues Zeitalter in der Militarisierung des erdnahen Weltraums einleiten können und sind auch in diesem Bereich der Sowjetunion um ein Jahrzehnt voraus. (Prompt wurde auch Hans Mark zum stellvertretenden NASA-Direktor ernannt; er gilt als überzeugter Befürworter der Nutzung der Raumfahrt-forschung für militärische Zwecke). — Der Genfer Politologe Curt Gasteyger bemerkte in diesem Zusammenhang in der „Stuttgarter Zeitung" (8. 4. 81), auf technisch verschiedenen Ebenen seien beide Seiten dabei, Mittel zur Vernichtung jener Satelliten — für Leit-und Überwachungsaufgaben — zu schaffen, die „im Rahmen der Abschreckung ein Mindestmaß an gegenseitiger Sicherheit garantieren solB len; ein wahrhaft widersinniges Unternehmen“. In der innenpolitischen Auseinandersetzung im Kongreß und vor allem bei den Kämpfen um die Macht im Weißen Haus spielt das amerikanische Bedürfnis nach militärischer Supe-riorität eine gelegentlich entscheidende Rolle: So hatte lange vor Aufkommen der konservativen Grundströmung John F. Kennedy die Präsidentschaft mit dem Argument einer nachgewiesenermaßen überhaupt nicht vorhandenen „Raketenlücke" erringen können; Jimmy Carter hat es ihm mit dem Slogan Amerika muß wieder die Nummer Eins in der Welt werden" nachzumachen versucht, wobei Reagan ihm allerdings noch den Rang abgelaufen hat. Nichts eignet sich eben so gut wie militärische Vergleichsstatistiken, die von einschlägigen Institutionen jederzeit nach Bedarf geliefert und interpretiert werden, zu einem öffentlichen Verwirrspiel, zu Wechselbädern für die Wähler zwischen Verunsicherung und nationalem Selbstgefühl. Solchen Verfahren läßt sich lediglich mit der These von Fred Luchsinger (NZZ, 8. 2. 1981) begegnen, daß politisches Gleichgewicht so wenig wie politische Überlegenheit oder wie politische Macht mit bloßem Zählen, Wägen und Messen zu eruieren ist.

Amerikanische Ambitionen

Wie es um das machtpolitische Anspruchs-denken und die Entschlossenheit der amerikanischen Regierung, dieses in die Tat umzusetzen, bestellt ist, läßt sich an einer Reihe von Indizien ablesen. Etwa an Planungen im Zusammenhang mit der mobilen Joint Task Force, die zum Einsatz für die „Sicherung lebenswichtiger Interessen" u. a. im arabischen Golfgebiet bereitgestellt wird. Als Stationierungs-und Übungsplatz für die landgebundene Einsatz-truppe war in einer Pentagonstudie eine Insel der spanischen Kanaren vorgesehen mit der Begründung, daß sich von dort aus ein sicherer Luftkorridor für amerikanische Transportflugzeuge anbiete, weil Mauretanien, Mali, Niger, Tschad und Sudan militärisch nicht in der Lage seien, ihre Lufträume zu kontrollieren. — Als bei der Nato in Brüssel Verärgerung von europäischen Bündnispartnern darüber geäußert wurde, daß man von im Pentagon etwas voreilig angestellten Überlegungen, die Eingreiftruppen insgesamt dem amerikanischen Nato-Oberbefehlshaber in Europa zu unterstellen, nicht unterrichtet worden sei, erklärte ein US-Sprecher nur, es sei ausschließlich Sache Washingtons zu entscheiden, welche Befehlsaufgaben General Rogers neben dem Nato-Oberbefehl für amerikanische Streitkräfte wahrzunehmen habe.

In dieses aktuelle Verhaltensmuster amerikanischer Außenpolitik passen auch direkte und indirekte Einflußnahmen auf Entscheidungsbereiche der Europäischen Gemeinschaft. So bedurfte es eines diplomatischen Gewaltaktes der EG, um die von ihr bereits beschlossenen und durch ein „Veto" der USA zurückgestellten Hilfslieferungen an Nahrungsmitteln und Medikamenten für die Bevölkerung von El Salvador (unter Kontrolle des IRK) durchführen zu können. Ein sichtbar gewordenes Interesse des Regimes von Angola, unter gegebenen Umständen dem EG-Vertrag von Lom beizutreten, dürfte hinfällig werden, sollte die US-Regierung mit ihrer erklärten Bereitschaft durchdringen, die schon von Südafrika über Namibia geförderten Kräfte der Unita mit militärischen Mitteln zu unterstützen.

Im politischen Raum stehen auch Aussagen wie die von Senator Tower, dem Vorsitzenden des Streitkräfteausschusses: „Die Sowjets haben nicht genügend industrielle Reserven, um mit den USA in einem solchen Wettrüsten mitzuhalten. Deshalb wollten sie SALT II." Experten im Pentagon erklären, daß die Sowjets für technologische Entwicklung und Herstellung moderner Waffen allgemein etwa doppelt soviel Mittel einsetzen müßten, da bei ihnen die Arbeitsproduktivität nur halb so hoch wie in den USA sei. Bei mikroelektronischer Erhöhung der Zielgenauigkeit von Fernraketen — wie Minuteman III zum Beispiel — gestalten sich die amerikanischen Anstrengungen sogar mehr als sechsmal so kosteneffektiv wie die sowjetischen. Kaum noch in Kosten auszudrücken sind die Mißverhältnisse, wenn es um die Entwicklung etwa eines Luftverteidigungssystems gegen die von Fernbombern gesteuerten Marschflugkörper geht. Allein um den amerikanischen Vorsprung bei nuklearen Gefechtswaffen mit einem wirksamen Verteidigungssystem kontern zu können, brauche Moskau zehn Jahre und einen Aufwand von 50 Milliarden Dollar — so der Forschungschef des US-Verteidigungsministeriums.

Auf amerikanischer Seite neigt man dazu, das Verhältnis zur Dritten Welt prioritär unter rohstoffstrategischen Gesichtspunkten zu sehen, wobei die eigene Versorgung mit rüstungswichtigen Grundstoffen eine bedeutende Rolle spielt. Auf einer in Paris abgehal23 tenen internationalen Tagung unter dem Thema „La Guerre des Ressources" wurde eine Nato-ähnliche „triozeanische Allianz" zur Diskussion gestellt, die sich aus einer Kette von Regionalbündnissen zusammensetzen sollte. Mit Sicherheit würde nach einem solchen Konzept der Waffenexport in selektive Gebiete der südlichen Halbkugel, bei dem die USA schon seit eh und je weit an der Spitze stehen, einen beträchtlichen Aufschwung erleben. Im Programm zur Belebung der amerikanischen Wirtschaft würde auch dieser Posten zu Buche schlagen; durch die schon beschlossene Etatkürzung bei der multilateralen Entwicklungshilfe würden jedenfalls Gelder dafür frei.

So ist es auch schon beschlossene Sache, noch in diesem Haushaltsjahr die Waffenexporte um nahezu zehn Prozent über den Voranschlag der Carterregierung hinaus zu steigern.

Die sich in Washington abzeichnende neue Dritte-Welt-Politik ist übrigens wohl der sensibelste Bereich für grundsätzliche Divergenzen innerhalb des Westens. Vor allem aber würde sich Bonn, wo gerade ein Konzept zur Stärkung der Blockfreien entstanden ist, schwertun, hier gegebenenfalls eine andere Politik zu machen als die Amerikaner. Der Gedanke einer möglicherweise abweichenden Politik wurde von Egon Bahr (Bonner Perspektiven, ZDF, 22. 3. 81) vorgetragen, der dagegen ist, „Ost-West-Konflikte oder Bündnisangelegenheiten auf die Dritte Welt zu erstrecken". Die überraschend hohe Aufbauhilfe, die gerade auch von amerikanischer Seite dem unter der Regierung des Sozialisten Robert Mugabe stehenden Zimbabwe zugesagt worden ist, wirft andererseits einen Hoffnungsschimmer auf die westliche Afrikapolitik; im Sinne gemeinsamer west-östlicher Verantwortung bleibt nun allerdings zu wünschen, daß sich auch die Sowjetunion recht schnell zu einer Beteiligung an der Milliarden-Kredithilfe für Salisbury-Harare entschließen könnte. Bedrohlich auf längere Sicht wäre jedoch eine Tendenz im Lager einflußreicher Ultra-Republikaner, die — laut Newsweek (6. 4. 1981) — ein hochgestellter Beamter in Washington so beschrieb: „Hinter den Argumenten einiger Konservativer zur Frage Südafrikas steckt Rassismus." Aus diesen Kreisen muß man auch den größten Widerstand gegen alles erwarten, was mit den Vereinten Nationen zusammenhängt. Der amerikanischen Haltung in der Namibiafrage dürfte hier eine Schlüsselrolle zukommen.

Unter den dargelegten Aspekten würde die „annähernde Parität" im weltweiten Kontext bald vollends zur Leerformel. Damit aber dürfte eine diplomatische Sprachregelung entfallen, auf die man sich im Sinne einer Art Arbeitshypothese geeinigt hatte, um eine psychologisch-politische Grundlage für Gespräche unter Gleichberechtigten herzustellen. Besagte Formel spiegelte global die wahren Machtverhältnisse zwischen West und Ost zwar nur sehr partiell wider, ließ sich jedoch immerhin auf die militärische Lage in Europa anwenden, wo — nach dem Urteil von Bertram — „ein Gleichgewicht in dem Sinne besteht, daß das Risiko eines Angriffs so groß ist, das ein solcher nicht stattfinden wird".

Wenn jetzt Bundeskanzler Schmidt die deutsch-französische Position so beschreibt, daß sie sich gegen eine Politik des Strebens nach militärischer Überlegenheit „an jedermanns Adresse richtet", so kommt darin wohl in erster Linie die Sorge um das Fortbestehen einer Verhandlungsebene für die Führungsmächte von Nato und Warschauer Pakt zum Ausdruck.

Nach wie vor kommt der — rein militärisch verstandenen — Gleichgewichtsformel für die europäischen Kräfteverhältnisse eine Schlüsselrolle zu; denn von dem in Einflußzonen geteilten Europa aus hat sich die amerikanisch-sowjetische Rivalität überhaupt erst entwikkelt, um schließlich eine weltumspannende Dimension anzunehmen. Heute aber ist eine nur auf den europäischen Großraum beschränkte Anerkennung des Gleichgewichts-prinzips, das ohnehin auch hier unter dem west-östlichen Wirtschaftsgefälle leidet, praktisch unmöglich: Entweder bleibt das Modell Europa wenigstens grob im Weltmaßstab bestimmend, oder es kommt mit massivem militärischen Übergewicht einer Seite global zu Verschiebungen, die gewiß für den europäischen Bereich noch unabsehbare Konsequenzen mit sich bringen müßten. Würde nämlich eine der beiden Machtantipoden, die durch ihre gegenseitige Zuordnung so etwas wie eine Koordinate bilden, öffentlich deklassiert oder gar demontiert, so könnte damit das recht labile Weltsystem ganz aus den Fugen geraten, bevor etwa eine europäische Funktion politisch relevant geworden wäre. Denn in der Solorolle einer Weltordnungsmacht schlechthin läßt sich weder die Sowjetunion denken, egal was man dort selbst oder anderswo von ihrer weltrevolutionären Potenz halten mag (dazu in einem gerade veröffentlichten Bericht von vier außenpolitischen Instituten mit Sitz in Bonn, Paris, London und New York: . Angesichts der fundamentalen Unattraktivität des kommunistischen Modells ist das Problem nicht in der traditionellen Bedrohung durch die Weltrevolution zu sehen"), noch dürften die Vereinigten Staaten trotz immenser Ausstrahlungskraft von „American Enterprise“ einer solchen Aufgabe gewachsen sein. Daß ein Chaos auch ohne Krieg den Sieger an der Ziellinie eines hemmungslos geführten Rüstungsrennens erwarten kann, sollte sich gerade derjenige bewußt machen, der sich im Vollgefühl seiner überragenden Kondition und Reserven in den Wettkampf stürzt.

Konkret geht es um die Frage, ob jetzt die Amerikaner gut beraten sind, wenn sie ihr dominierendes Wirtschaftspotential und die ihnen zu Gebote stehenden technischen Vorteile voll ausschöpfen, um den „realen Sozialismus“ der Sowjetunion in den Bankrott zu treiben. Denn — so formuliert es der „Spiegel" —: „Gerade wegen der gigantischen Rüstungsaufwendungen Rußlands — im Vergleich zu seiner Wirtschaftskraft — ließe sich die UdSSR durch eine westliche Herausforderung ohne jeden Zweifel in schier ausweglose Schwierigkeiten stürzen — krankrüsten, kränker noch als heute schon."

In der Tat hat Moskau sich mit dem hohen Rüstungsaufwand der letzten Jahre übernommen, auch wenn (oder gerade weil) es mit diesem den Anschein, das Ansehen einer Super-macht gewonnen hat. An diesen Status hat es sich inzwischen nicht nur gewöhnt, sondern Staat, Regime und System sind davon geradezu existentiell abhängig geworden. Die sich aus der Weltmachtposition und deren Erhaltung ergebenden Verpflichtungen dienen dem Kreml gegenüber der eigenen Bevölkerung als psychologische Kompensation und zugleich als Argument für den niedrigen Lebensstandard, zur Rechtfertigung repressiver Maßnahmen sowie als Bindemittel für den Vielvölkerstaat und das sogenannte Sozialistische Lager.

Rote Flotte — Dritte Welt

In der übrigen Welt, nicht nur in der Dritten, ist das allgemeine Prestige der Sowjetmacht — nicht unbedingt nur unter positiven Vorzeichen — enorm gestiegen, wozu die Heraus-stellung forcierter Moskauer Rüstung durch westliche Politiker, Wirtschaftskreise und Medien einen nicht unerheblichen Beitrag geleistet hat. Aufbauend auf der schon traditionell zur militärischen Überversicherung neigenden Denkweise im Kreml, die aus geschichtlich gewachsenen Einkreisungs-und Bedrohungsängsten gespeist ist, hat sich auf diese Weise ein neues sowjetisches Selbstver-standnis entwickelt, das laufend bestätigt sein will.

Formulierungen wie die des Politikwissenschaftlers Francois Duchene, der die USA und die UdSSR als „die soldatischen Mächte unserer Ära“ nebeneinander stellt (im Gegensatz zu den „zivilen Mächten" Westeuropa und Japan), liefern der prächtig florierenden sowjetischen Militärbürokratie und den Rüstungstechnokraten das gewünschte Image im Innern, um die Gesellschaft weiter militarisieren zu können. Dem Weltmachtprestige vor allem dient auch der kostspielige Ausbau der Seestreitkräfte, deren Schlagkraft auf westlicher Seite so dargestellt wird, als könnte man sich schon bald einer maritimen Übermacht der Sowjets gegenübersehen. Dazu Theo Winkler vom Institut für Höhere Internationale Studien in Genf am 19. 8. 1980 im Schweizer Rundfunk: Sowjetische Flottenaufmärsche und Schlacht-kreuzer machen zwar Eindruck in den Staaten der Dritten Welt; aber daraus zu schließen, daß die Sowjetunion der amerikanischen Marine überlegen sei, scheine doch etwas übertrieben. Insgesamt gesehen hält sich die militärisch gestützte, weltweit expansive Operationsfähigkeit und -tätigkeit der Sowjets durchaus in engen Grenzen. Die von ihnen oder über Stellvertreter geleistete punktuelle und gelegentlich sprunghaft wechselnde Militärhilfe für sozialistisch gefärbte Befreiungsbewegungen und vereinzelte Regime — beispielsweise in Afrika — ergibt sich nicht selten aus Situationen, die auf westliches Fehlverhalten zurückgehen: einer auf kurzsichtigen Interessen beruhenden Stützung feudalistischer Systeme und korrupter Diktaturen — bei teils bewußter Verkennung des genuinen Charakters von aufständischen Aktionen, die auf eine Änderung unerträglicher sozialer Verhältnisse abzielen. Das „Einspringen" der Sowjets in sich anbietenden Fällen ist sicherlich auch durch globalpolitische Erwägungen — wie Gewinnung von Stützpunkten für ihre als weltmächtiges Demonstrationsobjekt verstandene Kriegsflotte — motiviert; eine gewiß entscheidende Rolle spielt bei solchen Unternehmen auch hier wieder das Bedürfnis der Sowjetführer, sich Erfolgserlebnisse durch sozialistische Experimente in der Entwicklungswelt zu verschaffen, um sie ihrer zunehmend kritischer und — auf wirtschaftlichem Gebiet — unzufriedener werdenden eigenen Bevölkerung vorzuweisen. — Wie es tatsächlich um die Erfolge des sowjetischen Expansionismus derweil bestellt ist, geht nach Meinung des Harvard-Professors und ehemaligen US-Botschafters John K. Galbraith aus einer Gewinn-und Verlustrechnung hervor, die er in einer „International Herald Tribune" -Serie (20., 26. 3. und 4. 4. 1981) aufgemacht hat: Die Russen hätten in den beiden letzten Dekaden enorme Verluste an auswärtigen Einflußpositionen hinnehmen müssen, so in China, Osteuropa, Indonesien, Ägypten, Algerien, Ghana und bei verschiedenen kommunistischen Parteien in Westeuropa. „Dafür hat es kommunistische Expansion gegeben — in Afghanistan, um ein gescheitertes marxistisches Regime zu retten, in einem Land, das sich als so ungastlich wie kaum ein anderes gegenüber Imperialismus in den vergangenen zwei Jahrhunderten erwiesen hat. Und in Angola, wo das MPLA-Regime von kubanischen Soldaten gestützt wird und — auf viel praktischere Weise — durch die Lizenzzahlungen der (US-Gesellschaft) GULF OIL. Und in Äthiopien, wo ... die Macht der Regierung niemals zuverlässig weit über den Flugplatz hinausreichte. Als eine Bastion des Kommunismus wurde Äthiopien gegen Somalia eingetauscht, das heute einen Außenposten der Freien Welt darstellt. So ist es um die zwanzigjährige Geschichte des Sowjetimperiums bestellt." Übrigens hat es sich auf der Blockfreien-Kon-ferenz in Neu Delhi erst wieder gezeigt, daß der sowjetische Einfluß in der Dritten Welt gerade auf politisch-ideologischem Felde eher rückläufig ist. Daß sich die ideologische Begründung aber auch innenpolitisch für Moskau als kontraproduktiv erweisen kann, geht aus einer Analyse des amerikanischen Sowjetologen Donald Shanor („Voice of America", 25. 3. 1981), Verfasser des Buches „The Soviet Triangle", hervor, dem bei längerem Studienaufenthalt in der UdSSR häufig Klagen über die „teuren Abenteuer in fernen Ländern" zu Ohren kamen. Er urteilt: „Die sowjetische Dominanz in einem kleinen Land Afrikas mag sich als Vorteil für Moskau und als Bedrohung des Westens ausnehmen, läuft jedoch den Bestrebungen jeder modernen Befreiungsbewegung zuwider. Zugleich stellt sie eine enorme Belastung der sowjetischen Wirtschaft und auch des einzelnen Sowjetbürgers dar."

Eine echte Legitimationskrise, die den Beginn einer Serie von Destabilisierungsprozessen bedeuten dürfte, könnte im Gefolge eines neuen, alles bisherige in den Schatten stellenden Rüstungsschubs für die Sowjetunion erwartet werden. Bestätigend für dieses Dilemma, dem Moskau sich gegenübersieht, ist ein Bericht in der NZZ vom 8. März 1981, wonach Nato-Expertenin Brüssel die „milden Töne Breschnews" auf dem jüngsten Parteitag darauf zurückführen, daß sich Moskau aus wirtschaftlichen Gründen auf ein möglichst störungsfreies Klima in den Ost-West-Beziehungen angewiesen fühlt; der Kreml wolle der mit Schwierigkeiten kämpfenden Wirtschaft nicht Hilfsquellen und Kooperationen verschließen.

Nur mühsam und keineswegs vollständig ist es der Sowjetunion bisher gelungen, westliche Qualitätsüberlegenheit bei wehrtechnischem Gerät großenteils durch Quantität auszugleichen. Aber auch dabei stößt sie schon an Grenzen, weil ihr die technologischen Voraussetzungen zur Massenfertigung fehlen. Je technisch anspruchsvoller das Gerät ist, desto mehr ist sie auf Kleinserienfabrikation angewiesen. Und dennoch entzieht das Rüstungsmanagement jetzt schon der. übrigen Wirtschaft den leistungsfähigsten Teil der fachlichen Führungsund Arbeitskräfte. Da es im Gegensatz zu den USA in der Sowjetunion eine fördernde Wechselbeziehung zwischen Zweigen der zivilen und der Rüstungsindustrie nicht gibt — und es sie aufgrund der systemimmanenten zentralen Steuerungsund Zuweisungsmechanismen weder geben kann noch darf —, wächst unaufhörlich die Spannung zwischen einer relativ hochentwickelten strategischen und einer unterentwickelten zivilen Industrie.

In der Komplexität dieses Entwicklungstrends ist ein großes inneres und äußeres Konfliktpotential enthalten. Welches Mehr an Personal, Material, Energie, Transportleistungen, Bauten und Außenhandelsanforderungen kann ein mit Vorrang behandelter, isoliert bestehender strategischer Bereich noch beanspruchen, ohne das Gefüge der gesamten Sowjet-wirtschaft ins Wanken zu bringen? Diese Frage steht im Raum neben der des Trierer Politologen Kernig: Was geschieht, wenn die Sowjetunion auf strategischem Gebiet mit westlichen Entwicklungen mithalten muß, die ihre Fähigkeiten überfordern? Dazu die Feststellung von Wolf Perdelwitz in seinem Buch „Wollen die Russen Krieg?", 1980: „Der technische Rückstand wird für das sowjetische Militär immer problematischer. Denn die Gegenspieler im Westen haben inzwischen einen Entwicklungsstand erreicht, der den weiteren Rüstungswettlauf zu einem Wirtschaftskampf umwandelt, den die Sowjetunion nicht gewinnen kann. Den gegenwärtigen westlichen Rüstungsstand wird die UdSSR frühestens in zehn Jahren erreichen — vorausgesetzt, sie ‘kann den gewaltigen Forschungsaufwand bezahlen." Auch unter diesen Aspekten muß man die Budgetvorlage von US-Verteidigungsminister Weinberger betrachten, die über die An-B sätze der Carter-Regierung hinaus einen Zuwachs von 6, 8 Milliarden Dollar im laufenden Haushaltsjahr und von 25, 8 Milliarden für das bereits im Oktober beginnende Finanzjahr 1982 beinhaltet. Bewegen wir uns „auf irrationalen Wegen" (so der Berner Professor Hans Ruh im Schweizer Rundfunk, 5. 3. 1981), wenn z. B. die USA planen, ihren Wehretat in den. nächsten fünf Jahren um 170 Milliarden Dollar aufzustocken, ihn also verdoppeln? Verbindet Washington mit seinem neuen Rüstungsprogramm die Absicht, vor aller Welt die Unterlegenheit, ja das Scheitern der Staatswirtschaftssysteme sozialistischer Machart zu demonstrieren? — Wie weit das überhaupt noch erforderlich ist, mag gerade nach dem wirtschaftspolitischen Offenbarungseid des polnischen Regimes dahingestellt bleiben. Falls jedoch in Polen die Versorgungskrise über eine Systemkrise wirklich zu einer etwas pluralistisch aufgelockerteren Form des Sozialismus führen sollte, so ließen sich hieraus gewiß noch keine vergleichbaren Vorstellungen für die Sowjetunion ableiten. Der Gedanke erscheint abwegig, das Vielvölkerimperium könnte sich dadurch in Richtung eines „Sozialismus mit menschlichem Antlitz" wandeln, daß man es zur Aufgabe seiner Weltmachtrolle zwingt. Sollte man wirklich auf einen solchen Wandel durch Aushungerung und nationalen Gesichtsverlust setzen, so wäre das schon ein sehr riskantes Spiel.

Das potentielle Risiko des sich abzeichnenden außen-, wirtschaftsund militärpolitischen Ostkonzepts Washingtons erscheint bedenklich gerade auch aus westeuropäischer Sicht. Zwei kontrovers zur eurostrategischen Nuklearrüstung argumentierende konservative Persönlichkeiten in der Bundesrepublik („Stern" Nr. 14/1981) kommen — ähnlich wie Marion Gräfin Dönhoff in der oben zitierten Äußerung — zu dem Schluß, daß ein in wirtschaftliche Zwangslagen gedrängtes und dadurch innenpolitisch gefährdetes Regime in Moskau einen verzweifelten Selbsterhaltungsversuch sogar in Form eines militärischen Ausfalls nach Westen unternehmen könnte: Alfred Mechters-heimer vom Starnberger Max-Planck-Institut, Oberstleutnant a. D.der Bundesluftwaffe, befürchtet, die Sowjetunion könnte angesichts rüstungsbedingter wachsender ökonomischer Schwierigkeiten in Versuchung geraten, innere Konflikte und/oder solche in ihrem europäischen Machtbereich durch „militärische Maßnahmen nach außen lösen zu wollen"; und der Verleger der „Zeit", Dr. Gerd Bucerius, hält den Gedanken für realistisch, daß „die Sowjetführung — in schweren wirtschaftlichen Schwierigkeiten über eine ärmlich lebende Bevölkerung herrschend — auf die Schätze eines kampflos dargebotenen reichen Europa" nicht verzichten würde. — Diese beiden aus entgegengesetzter Richtung gezogenen hypothetischen Entwicklungslinien laufen bezeichnenderweise zusammen in dem fatalen Punkt X, an dem sich Moskau einer hoffnungslos erscheinenden wirtschaftlichen Situation gegenübersehen könnte. Selbst der „hard-li-ner“ Herman Kahn vom Hudson Institute äußert Besorgnis über den Umfang amerikanischer Rüstungsvorhaben, der in einigen Jahren zu einer fünffachen nuklearen Überlegenheit der USA und zu einer Festschreibung ihres militärischen Vorsprungs „auf beinahe jedem anderen Gebiet" führen würde: „Daran könnte sich eine Konfrontation mit der Sowjetunion entzünden" (Spiegel, Nr. 16/81). Sollte nicht eine solche denkbare Perspektive allein Anlaß genug für den Westen sein, eine Konzeption zu erarbeiten und den Sowjets zu unterbreiten, die ein interdependentes System zur Stabilisierung der gesamten Industriewelt ermöglichte.

Effektiv läuft die neue amerikanische Hochrüstung, flankiert von drastischen Bestimmungen zur Einschränkung des Güter-und Lizenz-exports, auf die Erklärung eines Wirtschaftskrieges hinaus. Konzeptionell jedoch ist die Auseinandersetzung machtpolitisch angelegt und richtet sich nicht gegen einen wirtschaftlichen Konkurrenten. Vielmehr ist das Unternehmen gerade auf der ökonomischen Unterlegenheit eines Gegners aufgebaut, dessen weltpolitisches Einflußpotential im wesentlichen auf militärischer Stärke beruht. Diese wiederum hat er sich nur mittels eines Militär-haushaltes zuzulegen vermocht, der aus einem — verglichen mit den USA — sehr viel kleineren Bruttosozialprodukt herausgequetscht wird. An diesem kopflastigen Sektor der sowjetischen Volkswirtschaft setzt die amerikanische Offensive nun an und verbindet damit den Vorschlag eines Junktims, das eine Verlangsamung des Rüstungsvormarsches auf dem Wege neuer Begrenzungsabsprachen von einem „weltpolitischen Wohlverhalten" Moskaus abhängig macht.

Die Rüstungsspirale mit Hilfe eines Rüstungsschocks zum Stillstand zu bringen oder gar zurückschrauben zu wollen, stellt sich jedoch als ein widersprüchliches und mit unkalkulierbaren Risiken behaftetes Unterfangen dar. Denn bei Beurteilung dieses wirtschaftstrategischen Konzepts der Amerikaner sind auch Erfahrungswerte aus dem Zweiten Weltkrieg nicht zu weit hergeholt: Die im politisch-militär-wirtschaftlichen Komplex verankerten und verfilzten Neuen Klassen des Sowjetsystems werden nicht zögern, die Bevölkerung zum „vaterländischen Wirtschaftskrieg" gegen einen ihre Existenzgrundlagen bedrohenden Angriff von Seiten „imperialistischer Kräfte" aufzurufen. Und es steht zu erwarten, daß die große Masse der Sowjetbürger sich mit ihrer Führung auch in diesem Falle solidarisieren, also erhebliche Konsumopfer erbringen wird und zusätzliche disziplinarische Einengungen erträgt So wird die Weitergabe des Drucks von außen zu einer allgemeinen wirtschaftlichen Mobilmachung und größeren Verarmung des Volkes führen; dabei werden die Partei-, Staats-und Gesellschaftsstrukturen politisch, ökonomisch und philosophisch nur noch weiter verkrusten. Die FAZ (23. 2. 1981) hat da noch weitergehende Bedenken artikuliert: Der Nato-Generalsekretär Luns habe auf ein altes Grundgesetz aller Diktaturen hingewiesen, für die die Versuchung nahe liege, innenpolitische Verlegenheiten mit dem Ausgreifen nach außen zu verdecken, was die Untertanen zu fortdauerndem, weil national motiviertem Gehorsam veranlaßt. Aus purem Eigeninteresse sollte die westliche Industriewelt deshalb bemüht sein, der Sowjetunion einen solchen

Ein neues „linkage"

Als Alternative zum ruinösen Rüstungskampf, der den militärischen Charakter der Sowjet-macht nur verstärken kann, bietet sich demnach das Konzept einer Rüstungspolitik an, die eine Stabilisierung der globalen Kräfteverhältnisse durch das Entstehen einer stärker zivilwirtschaftlich saturierten Sowjetunion zum Ziel hat. Das allerdings würde eine Revision des zu eng an militärischen Kategorien orientierten sicherheitspolitischen Denkens auf amerikanischer Seite und ebenso bei den Sowjets bedeuten, die aus diesem Teufelskreis nur mit Hilfe eines kühnen west-östlichen „Deals" herauskommen könnten. Ein neues „linkage" wäre gefragt, nach dem beidseitige Rüstungsbeschränkungen mit einem umfassenden Programm der Wirtschaftskooperation verkoppelt werden müßten. Die damit für beide Teile verbundenen Risiken lassen sich durch Kompromisse abfangen, die auf der Grundlage gleichgewichtiger Interessen geschlossen werden. Das wiederum würde politische Grundsatzentscheidungen erforderlich machen: Bei den Amerikanern geht es im Kern um eine Revision ihrer von konventionellem Sicherheitsverständnis bestimmten Außenwirtschaftspolitik, wie sie vom US-Verteidigungsministerium beispielsweise im Oktober 1977 (über zwei Jahre also vor dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan) definiert wurde: „Die Kontrolle des Exports von (möglicherweise selbstmörderischen) Kampf ums überleben als Supermacht in Gestalt eines gepanzerten Kolosses auf tönernen Füßen zu ersparen. Eine sich nur durch militärische Übergewichtigkeit als Weltmacht ausweisende Sowjetunion ist als wirtschaftlich Schwerbehinderter zur politischen Verkrampfung prädestiniert; sie muß geradezu auf ihre Umwelt bedrohlich wirken, solange sie nichts als ihr Waffenpotential zum Behaupten ihrer Geltung und Stellung in der Welt einzusetzen vermag. — Wolf Perdelwitz spricht in diesem Zusammenhang (in seinem schon genannten Buch) von einem „Teufelskreis": „Von ihrer natürlichen Beschaffenheit her, nach Größe und Reichtum an Bodenschätzen, ist die Sowjetunion eine . geborene'Supermacht — wenn sie nur diesen Reichtum erschließen und nutzbar machen könnte. Doch daran wird sie gehindert, weil sie die Elite ihrer Wirtschaft in der Rüstung verschwendet, statt sie mit der Erschließung des Landes zu beauftragen. Daran wiederum wird sie gehindert, weil nur die Rüstung ihr den Status einer Supermacht sichert." technologischem Wissen im Bereich von Design und Fabrikation ... ist absolut notwendig für die Aufrechterhaltung der technologischen Überlegenheit der Vereinigten Staaten.“ Natürlich wären auch bei einer solchen Revision sicherheitspolitische Grenzen zu beachten: Die Entscheidung über Definition und Gebrauch der „technologischen Waffe" durch die westlichen Industrieländer sollte dahingehend getroffen werden, daß die Schwarze Zone des rein militärischen Know-how und Materials ausschließlich den eigenen, dem sowjetischen Rüstungsstand angepaßten Sicherheitsbedürfnissen vorbehalten bleibt. Hingegen sollten das technische Wissen und Produkte der Grauen bzw. Weißen Zone, die im Zweifelsfall zivilen wie militärischen Zwecken dienen könnten oder sich auch aus dem zivilen Sektor in einen Rüstungsbereich transferieren ließen, als kontrollierbare Waffen zum friedlichen Ausgleich der Systeme eingesetzt werden.

Moskau wird dogmatisch-ordnungspolitische Bedenken zu überwinden haben, um in seinem starren Wirtschaftssystem Korrekturen vorzunehmen, die es dann zu den verschiedenen sich anbietenden Formen der Zusammenarbeit mit westlichen Partnern befähigen könnten. Die Interessenlage der sowjetischen Volkswirtschaft ist heute schon so vorrangig auf Technologietransfer aus dem Westen konzentriert, daß sich der Kreml mit einiger Wahrscheinlichkeit zur Annahme eines Vorschlagspaketes im Rahmen wirtschaftlich-wissenschaftlicher Zusammenarbeit bereitfinden würde, auch wenn ihn das etliche Abstriche an staatswirtschaftlicher Dogmatik kosten sollte. Inzwischen beginnt sich nämlich dort auch in den zentralen Steuerungsund Kontrollinstanzen die Einsicht bemerkbar zu machen, daß das bestehende Plansystem ebenso uneffektiv wie unflexibel arbeitet und von pragmatischen innovatorischen Anstößen aus dem Westen nur profitieren kann.

Auf eine weitere Dimension einer engeren Zusammenarbeit ging Jürgen Nötzold vom Forschungsinstitut für Internationale Politik und Sicherheit (Europa-Archiv, Nr. 23/1980) ein: Die Folge von Maßnahmen zur Reduzierung des Technologietransfers wäre ein Abbau des Stabilitätspotentials, das sich aufgrund der Wirtschaftsbeziehungen schon entwickelt hat. Der internationale Technologietransfer schaffe weit tiefergehende Verflechtungen der beteiligten Partner als der einfache Rohstoffhandel oder auch Weizenkäufe. Gerade längerfristige Projekte mit einer engen Zusammenarbeit der Partner seien mit Kommunikationsbeziehungen verbunden, die nicht nur Güter, sondern auch Menschen betreffen. Längerfristig könnte sich eine Perspektive von Christian Kind (NZZ, 23. 11. 1980) bewahrheiten: „Mehr als Carter, der soeben der Lieferung von Röhrenverlegungsmaschinen an die Sowjetunion zugestimmt hat, könnte Reagan auch ein Ohr für die Osthandelswünsche amerikanischer Großhandelsfirmen haben, was wiederum geringeren Widerspruch gegen entsprechende deutsche Pläne für Großlieferungen in gigantischem Ausmaß an die Sowjetunion erwarten ließe."

Bisweilen drückt allerdings, von doktrinären Konservativen ausgehend, geradezu ein Klima des Neo-McCarthyismus auf Verbündete ebenso wie auf den innenpolitischen Raum der USA: Ein Beamter der State Department charakterisierte es „Newsweek" (6. 4. 1981) gegenüber mit dem Satz: „Manchmal überlege ich mir, ob sich einige von diesen Leuten nicht gegen den Vorwurf absichern wollen, sie träten zu weich im Hinblick auf den Kommunismus auf." Ob und wie konkret sich dieses Klima durchsetzen kann, dürfte sich schon auf dem Wirtschaftsgipfel in Ottawa im Juli dieses Jahres erweisen, wo aller Voraussicht nach auch über die Verbindlichkeiten der erweiterten Verbotsliste für die Ausfuhr strategisch bedeutsamer Güter gesprochen wird.

Weit über die oben angesprochenen Kompensationsprojekte im Bereich des Energietransports hinaus bietet sich ein Ausbau der Unternehmenskooperation für die im Strukturwandel fortgeschrittensten westlichen Industrieländer mit der Sowjetunion und anderen RGW-Ländern an. In dieser Intensivform wirtschaftlich-technischer Zusammenarbeit sieht Nötzold ein vielversprechendes Mittel zur Erhaltung des Westhandelsspielraums; denn gerade die RGW-Länder „bieten gegenüber manchen anderen Ländern der Welt den Vorteil einer bewußten Industrialisierungsstrategie, die auf die kontinuierliche Übernahme höherwertiger Technologie abstellt. Außerdem verfügen sie über qualifizierte Arbeitskräfte und setzen relativ umfangreiche Mittel für Forschung und Entwicklung ein." Eine teilweise Freisetzung der Kräfte und Mittel, die dort heute weitgehend vom Rüstungssektor absorbiert werden, sollte dann über ein „linkage" von Rüstungsbeschränkung und Kooperationspaket erreicht werden. Im übrigen schafft der auf diesem Wege ablaufende Technologietransfer die dringend erforderlichen Voraussetzungen für eine allgemeine Produktionssteigerung in der sowjetischen Industrie'und damit auch Abhilfe für deren ungünstige Exportstrukturen.

Ein Geschäft ohnegleichen

Das Volumen des volkswirtschaftlichen Nachholbedarfs allein in der Sowjetunion ist so enorm, daß es sich zahlenmäßig kaum erfassen läßt. Bringt man dazu jedoch nur die potentiellen Reichtümer an Rohstoffen ins Kalkül, so zeichnen sich die Umrisse eines west-östlichen Geschäfts ohnegleichen ab. Die Schwerpunkte liegen in einer Modernisierung und zugleich strukturellen Ausweitung der sowjetischen Investitionsgüterindustrie, die durch „technologischen Konservativismus" (so eine Analyse der Yale University von 1977 „The technological level of Sovjet Industry") geprägt ist; darüber hinaus geht es um die Schaffung einer industriellen Basis für die Fertigung von Produkten des Massenkonsums, um eine Entwicklungsstrategie für die Landwirtschaft, den Ausbau der dürftigen kommunalen und regionalen Infrastrukturen und — last not least — bieten sich Großprojekte zur Exploration. und Förderung von Ressourcen im Energiebereich und darüber hinaus an. Schon diese Übersicht über die hauptsächlichen Betätigungsfelder läßt das ganze Dilemma erkennen, in dem sich die sowjetische Staatswirtschaft befindet: Hier können mit einzelnen westlichen Partnern abgeschlossene Kredit-und Kompensationsverträge über die Ausführung bestimmter Großprojekte nur Stückwerk bleiben, ebenso wie der Verkauf ganzer Spezialfabriken mit dazugehörigen Lizenzen oder die Detaillieferung und Installation von Gerätschaften der Spitzentechnologie, etwa zur Datenverarbeitung oder zur elektronischen Steuerung. Auf diese Weise werden nur zusätzlich Fremdelemente in den sowjetischen Wirtschaftskörper verpflanzt, die dort, ohne „Diffusionswert'', die bestehenden Disproportionen eher noch verstärken. Eine die produktive Phantasie anregende und damit einen Erneuerungsprozeß an der industriellen Basis der Industrie einleitende Wirkung läßt sich dagegen nur über methodische Kooperationspraktiken erzielen. Als Mittel der Wahl bietet sich dazu vorrangig eine breit-gefächerte betriebliche Zusammenarbeit mit westlichen Unternehmen der verschiedensten Größenordnung an, die traditionelle Industriezweige mit einschließt, daneben aber das viel zu konservative Produktionsmuster der Sowjetwirtschaft verändern hilft. Denn der technische Rückstand der Sowjetunion wird — nach Feststellung des „New Scientist (24. 11. 1977) — gerade dadurch noch verstärkt, daß die Verbreitungsrate neuer Produkte und Prozesse, gemessen an ihrem Anteil an der Gesamtproduktion, langsamer als in den anderen Industrieländern wächst. Dies bedeutet, daß andauernd eine Produktion technologisch weniger fortgeschrittener Anlagen stattfinden mußte, um die erforderlichen Kapazitätsausweitungen zu bewerkstelligen, während solche Produkte oder Industrien in anderen Ländern bereits aus der Produktion entfernt worden sind.

Die gegenwärtige Sowjetführung hat diesen zentralen Schwächebereich in ihrem Wirtschaftssystem ebenfalls ausgemacht und räumt daher jetzt der technologischen Verbesserung im Gegensatz zur Erweiterung des Anlagevermögens Vorrang ein. Sie dürfte gleichzeitig erkannt haben, daß die geringe Ersatz-rate von veralteten Herstellungsanlagen für Investionsgüter auch der Ursprung allen Versorgungsübels ist, weil eben in der Leicht-und Konsumgüterindustrie nur unter Verwendung von EDV, Fertigungsautomaten und Instrumenten zur Produktionskontrolle eine rationelle Massenfertigung in großen Serien möglich wird.

In Moskau hat man die Modellversuche zur Gründung von „Joint Ventures“ (gemeinsamen Unternehmungen), die in einigen osteuropäischen Ländern angelaufen sind, mit offenbar positivem Interesse beobachtet: man zeigt selbst zunehmend Bereitschaft zu organisatorischen Reformen, die als Voraussetzung für eine Unternehmenspartnerschaft auf der Grundlage verschiedenartiger Systeminteressen erforderlich sind. Natürlich ist eine solche pragmatische Systemüberbrückung nicht als ein starres Verfahren anzusehen; vielmehr sollte es sich unter Einhaltung bestimmter Grundregeln dynamisch-funktional entwik-keln können, was durch gemeinsame Erfahrungen und Vertrauensbildung erreichbar sein muß. Je längerfristiger und intensiver die Formen der Zusammenarbeit angelegt sind, desto mehr Erfolg kann man sich von dem damit verbundenen Gewöhnungsund gegenseitigen Lernprozeß versprechen. Durchsetzung und Durchführung eines auf Breitenwirkung angelegten Programms der betrieblichen Kooperation erfordert gewisse wirtschaftspolitische Konzessionen von beiden Seiten, verlangt aber weder den westlichen noch den östlichen Partnern unzumutbare Abstriche an ihren Gesellschaftsphilosophien ab.

Auf westlicher Seite kann der Staat durch einen Katalog gesetzlicher und fiskalischer Erleichterungen das unternehmerische Interesse an Investition und Expansion auf den östlichen Marktgebieten stimulieren; auf östlicher Seite wird durch eine Beteiligung privater Kapitalinteressen, die selbstverständlich auf einen staatlichen Mehrheitsanspruch ab-gestellt sein müssen, eine Auflockerung der im Zentralismus erstarrten Formen wirtschaftlicher Steuerung und Lenkung zu erwarten sein. Der in der Praxis entscheidende Einfluß dürfte von der Mitwirkung technischen und geschäftlichen Managements aus dem Westen ausgehen: Durch sie werden Elemente echten Wettbewerbs in das sowjetische Wirtschaftsleben einfließen, es wird marktorientierter produziert werden.

Ein sich für westliche Unternehmen durch die Modernisierung der Sowjetindustrie mit Herstellung und Einsatz neuer technologischer Produktionsmittel aufschließender Markt verspricht große Gewinnmöglichkeiten, wenn man bedenkt, daß allein in der Bundesrepublik im vergangenen Jahrzent deutsche Unternehmen etwa 2000 Milliarden DM für arbeitssparende Maschinen und Produktionsanlagen, also für eine Erhöhung der Arbeitsproduktivität, ausgegeben haben. Sobald aber auf dem Wege der Rationalisierung und Automatisierung die Voraussetzungen für die Massenherstellung von Verbrauchsgütern in einer sich verbreiternden Angebotspalette geschaffen sind, wird sich der sowjetische Konsumgüter-markt als sehr aufnahmefähig erweisen, auf dem das westliche Unternehmenspotential dann auch die erforderliche Zeit und Kraft gewinnen kann, um die für ihre eigenen übersättigten Marktbereiche notwendigen Innovationen vorzunehmen.

Auch die Agrarwirtschaft darf als besonderes Notstandsgebiet in der sowjetischen Versorgung bei einem Kooperationsprogramm großen Stils nicht ausgespart bleiben, nachdem den amerikanischen Farmern ohnehin schon ein zeitweiliger Verzicht auf den Verkauf ihrer Überschußproduktion an Weizen und Mais in die Sowjetunion zugemutet worden ist und in den EG-Ländern sich die Empörung über die zu niedrig ausgehandelten Preise beim Absatz ihrer Butterberge immer wieder Luft macht. Über west-östliche Firmenkooperation sollte auch der Mangel an chemischen Düngemitteln, Pflanzenschutzstoffen, spezialisierten Landwirtschaftsmaschinen, Lagerkapazitäten und Verarbeitungsanlagen in der Sowjetunion sowie anderen RGW-Ländern überwunden werden.

Energiepolitik globalen Zuschnitts

Der wohl zentralste Bereich west-östlicher Kooperation ist die Energiepolitik, bei der in großzügigem Maßstabe die Grundkonzeption „Technologie gegen Ressourcen“ zum Tragen kommt. Als multilateraler Ansatz bietet sich hierfür eine sachlich breitgefächerte Diskussion und Planung über das Instrument „Europäische Energiekonferenz 1'an. Für die Abhaltung eines solchen Unternehmens hat sich Bundeskanzler Schmidt bei seinem Moskau-besuch im Sommer 1980 klar ausgesprochen, und Außenminister Genscher hat später im Jahr in seiner Eröffnungsrede auf der KSZE-Nachfolgekonferenz das deutsche Interesse an diesem Vorhaben ausdrücklich bestätigt. Zu einer entsprechenden Beschlußfassung konnte es in Madrid leider nicht kommen, weil sich auch in dieser Frage eine retardierende Grundhaltung der USA durchsetzte, die in Sachen Energie von spezifischen Interessen der großen Ölgesellschaften mitbestimmt sein dürfte. Auch hier sieht es so aus, als ob sich die im erweiterten europäischen Kontext stehende Energiekonferenz nur innerhalb eines Angebotspakets zur Rüstungskonversion verwirklichen ließe. An die Spitze der Konferenzagenda würden Fragen des Austauschs gesicherter Daten über die nationalen Energiepolitiken gehören, damit man nicht weiterhin gegenseitig auf spekulative Geheimdienstprognosen angewiesen bleibt; als Sachprobleme wären zu behandeln: Reaktorsicherheit und praktische Lösungsvorschläge zur nuklearen Entsorgung, technologische Fortschritte auf Gebieten des Stromtransports zur Verlustminderung bei langen Distanzen, Energiereduzierung bei Tiefbohrungen und Pipeline-Pumpstationen, östliche Beteiligung an Projekten der Internationalen Energie-Agentur in Paris zur Energieeinsparung. Ein solches Programm einübender Zusammenarbeit könnte die Grundlage und den erforderlichen Bewegungsraum sowohl für neue bilaterale Abmachungen als auch für ein europäisches Energie-Verbundsystem schaffen. In welchem Maße schon heute die Sowjetunion von einer energiewirtschaftlichen Zusammenarbeit mit dem Westen abhängig ist und welche Rolle ein Ausbau dieses Bereichs der Außenwirtschaft für die Modernisierung ihrer Industrien spielen könnte, geht aus einer analytischen Studie von Jochen Bethkenhagen (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Berlin [West]), hervor. So erzielte die Sowjetunion im Warenverkehr mit den OECD-Staaten allein aus Mineralöllieferungen 1979 knapp 60 Prozent ihrer Exporteinkünfte (1970: 22 v. H.); obgleich sie 1980 das Fünfjahresplanziel von 640 Mio. t bei weitem nicht zu erreichen vermochte, konnte sie mit 603 Mio. t doch ihre Stellung als größter Ölproduzent der Welt halten; sie stellte 20 Prozent der Weltjahresfördermenge, wobei wiederum die Hälfte davon aus westsibirischen Ölfeldern kam. Um dieses Ergebnis zu erreichen, hat die Sowjetunion allerdings den Anteil an Industrieinvestitionen auf diesem Sektor im Jahre 1979 schon auf 13 v. H. heraufschrauben müssen. Wenn Moskau — seinen Plänen entsprechend — den Westexport noch steigern will, muß es sich vor allem auf Westsibirien konzentrieren, wofür wiederum zusätzliches Investitionskapital zur qualitativen Verbesserung der Bohrausrüstungen sowie der Erkundungs-und Produktionsmethoden erforderlich sind. Bedenkt man ferner die Höhe der für solche Entwicklungen im westsibirischen Raum aufzuwendenden Infrastrukturmittel — die Neuansiedlung einer Arbeitskraft erfordert Ausgaben bis zu 20 000 Rubel —, so erweist es sich, daß einer Verlangsamung der sowjetischen Erdölförderung praktisch nur mit westlicher Hilfe entge31 gengesteuert werden kann. — Aber auch die Probleme der sowjetischen Steinkohleproduktion (geplante Fördermenge für 1980 war 800 Mio. t, es wurden jedoch nur 716 erreicht) ließen sich am ehesten durch das Einbringen westlicher Interessen lösen. Die Produktionskosten sowie die Investitionsausgaben sind, wie Bethkenhagen registriert, bei der zumeist im Tagebau geförderten Steinkohle jenseits des Urals erheblich niedriger als in Europa; jedoch schlagen hier wiederum die Infrastrukturkosten (Transport, Bau von Wärmekraftwerken vor Ort) gewaltig zu Buche. — Bethkenhagen weist auch auf das ständige Zurückbleiben der UdSSR hinter den Planungen auf dem Gebiet der Kernenergie hin, die bis Ende 1980 lediglich 5 Prozent der gesamten dortigen Stromkapazitäten gedeckt hat, was etwa nur der Hälfte des von der EG und in den USA erreichten Prozentsatzes entspricht. Trotz an sich günstiger Voraussetzungen hat die Sowjetunion auch hier technische und organisatorische Probleme und ist im übrigen an einer Schwerpunktverlagerung ihrer Kernkraftproduktionszentren in bevölkerungsarme Gegenden Sibiriens interessiert, was wiederum westliche Mitarbeit attraktiv erscheinen läßt, denkt man allein an die sich dort anbietenden Möglichkeiten zur Beseitigung radioaktiver Abfälle.

Eine Konzeption geradezu globalen Zu-schnitts erfordert die Entwicklung der sibirischen Brenn-und Rohstoffressourcen. Auch hier wieder geht es um Kapitaleinsatz, Technologie und Know-how: Material zur seismischen Tiefenbohrung, moderne Pump-und Kompressionsanlagen für Förderung und Transport. Exploration und Erschließung der Bodenschätze in diesem wegen seiner infrastruktureilen Problematik und seiner Ausdehnung nach einzigartigen Raum stellen ein Jahrhundertunternehmen dar, zu dessen Bewältigung man den Einsatz technischer und finanzieller Mittel aus allen großen Industriestaaten der nördlichen Halbkugel benötigt. Auch hier muß — im transkontinentalen Maßstab — nach dem Prinzip der Kooperation vorgegangen werden, während bisher bestenfalls in Kategorien von Kompensationsprojekten (Röhren-/Erdgas-bzw. Erdölgeschäfte) und des Verkaufs von Spezialgerät oder Herstellungsanlagen gedacht und gehandelt worden ist. Und sogar bei diesen minimal-peripheren Geschäftsaktivitäten haben sich politisch bedingte Hemmnisse ergeben, oder wirtschaftliche Partikularinteressen führten zur Aufgabe weitreichender Vorhaben. So ist das Jakutsk-Gasprojekt, über das die Sowjets sechs Jahre lang mit Amerikanern und Japanern verhandelt haben, steckengeblieben; so ist ein recht großzügig konzipiertes Vorhaben in Vergessenheit versunken, das nach der Ölkrise Anfang der siebziger Jahre zur Diskussion stand:

Man plante eine Erdgasleitung von Westsibirien zu einem Platz an der sowjetisch-norwegischen Grenze, wo die Amerikaner eine riesige Gasverflüssigungsanlage bauen sollten. Das hier gewonnene Flüssiggas sollte in Zügen von Schwimmcontainern an die USA-Küste transportiert, dort wieder in den ursprünglieben Aggregatzustand zurückversetzt und über Pipelines an die Verbrauchsorte weitergeleitet werden. Technisch durchführbar jedenfalls war dieses North-Star-Projekt. Immerhin hatte Washington in jenen Jahren ausdrücklich den Verkauf von Erdölausrüstungen gestattet, und diesen Posten von der für die Nato-Mitglieder verbindlichen Co-Com-Embargoliste gestrichen. Als Vergeltungsmaßnahme für den sowjetischen Einmarsch in Afghanistan hat 1980 die Carter-Regierung jedoch den Dresser Industries eine Exportlizenz entzogen, unter der das texanische Unternehmen in der Sowjetunion seit 1978 eine Fertigungsstätte für Bohrspitzen zu Erdöl-und Erdgasbohrungen errichtete. Zum Zeitpunkt des Verbotes war diese Fabrik praktisch fertiggestellt; zur Inbetriebnahme fehlten nur noch technische Anpassungen und Informationen sowie die Ausbildung des technischen Bedienungspersonals. Die US-Administration machte geltend, daß als Folge der Revozierung der Lizenz der Beginn der Fabrikation um mindestens zwei Jahre verzögert werde.

Selbst die Neue Zürcher Zeitung (6. 12. 1980) bezeichnete diesen Fall als Anschauungsmaterial dafür, daß in den USA „die eigenen Interessen nicht genau definiert sind". Das ergebe sich unter dem besonderen Blickwinkel, ob es nicht mehr im amerikanischen Interesse liege, der Sowjetunion, die nach Washingtoner Ansicht Mitte der achtziger Jahre auf einen Energieengpaß zusteuere, bei der Erschließung der eigenen Erdöl-und Erdgasvorkommen beizustehen und damit einer möglichen sowjetischen Expansion an die Erdölquellen des Mittleren Ostens entgegenzuwirken. Tatsächlich wird am Beispiel deutlich, zu welchen paradoxen Verhaltensweisen mit letztlich wahrscheinlich kontraproduktiven Auswirkungen ein verengtes sicherheitspolitisches Denken führen kann. In die gleiche Richtung weist eine Äußerung des Staatssekretärs im Auswärtigen Amt, van Well (Bergedorfer Kreis, Dezember 1980): „Gerade die europäischen Staaten sind jedenfalls daran interessiert, daß sich die Sowjetunion selbst versorgen kann und aus dem Nahen Osten als . Einkäufer oder Einmarschierer'heraushält." Momentan scheinen amerikanische Kreise allerdings ihr „röhrenverengtes" Blickfeld auch auf Westeuropa übertragen zu wollen. So ist in Washington ein Institut für Strategischen Wandel ins Leben gerufen worden, das mit seiner ersten Studie zum Thema „Sowjetische Gaspolitik als Bedrohung Westeuropas" an die Öffentlichkeit getreten ist. In dieser Abhandlung angeführte Zahlen und Daten wirken eher desinformierend, so daß die vorgegebene Besorgnis um eine einseitige Abhängigkeit der Westeuropäer unglaubwürdig erscheinen muß. Immerhin muß — so auch Nötzold (Schweizer Rundfunk, 17. 3. 1981) — in solchen Symptomen noch keine endgültige Kursfestlegung der amerikanischen Politik gesehen werden, die sich am Ende doch noch zu einer globalen Verantwortung der Industriemächte für die Erschließung von Rohstoffen bekennen könnte. Allerdings weist Nötzold auch darauf hin, daß sich schon in der Vergangenheit das europäische Verhalten von dem der USA unterschieden habe, indem „wir die wirtschaftlichen Beziehungen auch als ein Mittel zur Stabilisierung der politischen Beziehungen ansehen. Wenn die wirtschaftlichen Beziehungen zur Sowjetunion entwickelt werden sollten, dann ist das Erdgasgeschäft ein ganz zentrales Geschäft...

Ein neuer Vorstoß von sowjetischer Seite zielt darauf ab, „eine stabile Entwicklung der Energiewirtschaft in der Welt als ganzer... mittels wirtschaftlicher und politischer Zusammenarbeit" in den Griff zu kriegen. Unter diesem Motto wurde in der „Prawda" (19. 3. 1981) auf öl-, Gas-und andere Energieressourcen hingewiesen, die größtenteils unter dem Permafrostboden des nordöstlichen Sibirien liegen. In dem Artikel wird das Interesse an einer internationalen Arbeitsteilung hervorgehoben: „Im Austausch gegen Kredite würden die kapitalistischen Länder ihrerseits garantierte Brennstofflieferungen, die sie so sehr benötigen, bis zum Jahre 2000 und darüber hinaus erhalten ... Eine gleichberechtigte internationale Zusammenarbeit ist nicht nur der kürzeste Weg zur Lösung der globalen Probleme, darunter auf dem Gebiet der Brennstoff-und Energiewirtschaft, sondern auch ein richtiger Weg zur materiellen Unterstützung des Entspannungsprozesses, was in unserer Zeit dringend notwendig ist.“ In einem Gemisch aus offenbarer Enttäuschung und einer Polemik, die nur die Mutmaßung nähren könnte, Moskau suche lediglich kapitalistische Interessen gegeneinander auszuspielen, ist in dem Prawda-Artikel aber auch von einem immer stärkeren

Das große Sibiriengeschäft

Druck Washingtons auf seine'westeuropäischen und japanischen Partner die Rede, „um neue Hindernisse für die Übergabe der Technologie zu errichten und die Gewährung von Krediten für die Realisierung umfangreicher Energieprojekte im Osten der UdSSR zu begrenzen und zu erschweren“. Einen Zustand sowjetischer Resignation spiegelt indessen der Satz wider: „Die amerikanische Administration bemüht sich jetzt darum, mehrere großangelegte wirtschaftliche und wissenschaftlich-technische Projekte der sowjetisch-amerikanischen Zusammenarbeit einzuschränken und einzufrieren." — Hier bleibt anzumerken, daß ohne die führende Mitwirkung von Kapital und Technologie der USA schon wirtschaftlich ein Vorhaben der skizzierten Größenordnung nicht zu verwirklichen wäre; Westeuropäer und Japaner könnten lediglich initiativ werden, um die Amerikaner für den Gedanken einer derart großzügigen West-Ost-Kooperation zu gewinnen. Diese Absicht darf man wohl auch Bemerkungen von Bundeskanzler Schmidt in einem Aufsatz für Foreign Affairs (April 1981) unterstellen: „Längerfristig halte ich zwei Überlegungen für wichtig: Zum einen eine energiepolitische Zusammenarbeit, die Westeuropas drückende Abhängigkeit vom Nahen Osten verringern und das Interesse der Sowjetunion auf die großen Gas-und Ölvorräte Sibiriens konzentrieren kann. Es versteht sich von selbst, daß wir dabei nicht die eine Abhängigkeit durch eine andere eintauschen wollen. Zum anderen ein allmähliches Heranführen der Sowjetunion an ihre Mitverantwortung für eine funktionierende Weltwirtschaft und einen Interessenausgleich zwischen Industrie-und Entwicklungsländern." — Von instrumentaler Bedeutung auch in dieser Hinsicht könnte sich langfristig der Vorschlag der International Economic Policy Association in Washington erweisen, als Tochtergesellschaft der Weltbank eine „Energiebank" ins Leben zu rufen — ein Konzept, das auf dem Wirtschaftsgipfel in Venedig im vergangenen Jahr einstimmige Billigung gefunden hatte, jedoch bei der Reagan-Administration bisher eher auf Ablehnung gestoßen ist.

Der Einstieg ins große Sibiriengeschäft, zu dem die Sowjetführung seit Jahren die Bundesrepublik, andere westeuropäische Länder und Japan einlädt, würde gerade die amerikanische Forschung und Industrie vor neue Aufgaben stellen, deren innovatorischer und wachstumsanregender Wert zumindest vergleichbar mit der Entwicklung hochgezüchte33 ter Waffensysteme wäre. In Konsequenz einer mit Moskau zu treffenden Umrüstungsvereinbarung — im Sinne einer Schwerpunktverlagerung vom militärischen auf den Ressourcen-komplex — könnte Washington Mittel aus der vorgesehenen Steigerungsrate im Verteidigungsbudget in einen Forschungsund Entwicklungsetat für die Erschließung von sibirischen Energiequellen übertragen, während die Sowjets Mittel in entsprechender Höhe zusätzlich für gemeinsam festgelegte Infrastrukturmaßnahmen bereitzustellen hätten. Ein solches Vorgehen entspräche einem gesamtwirtschaftlich gleichgewichtigen Interesse beider Seiten: So hatte das American Enterprise Institute in Washington vor eineinhalb Jahren schon konstatiert, daß eine deutliche Abschwächung der Wachstumsrate der amerikanischen Produktivität zum Teil auf die Einführung weniger energieintensiver Herstellungsmethoden, die sich jedoch als technisch unergiebiger erwiesen hätten, zurückzuführen sei. Mit Hilfe von Energielieferungen aus der Sowjetunion könnten demnach die USA zu einer optimalen Befriedigung ihrer Bedürfnisse auf diesem Gebiet gelangen.

Andererseits geht aus einem — Anfang 1981 bekannt gewordenen — Bericht des Direktors des westsibirischen Ölforschungsinstituts, Iwan Nesterow, hervor, daß in der Tjumen-Region, die den gesamten Produktionszuwachs im abgelaufenen Planjahrfünft lieferte, zur Zeit nur 35 von 100 gesicherten Erdöllagern ausgenutzt werden können, da sich die Ausrüstungskosten pro Bohrloch seit 1976 um ein Drittel verteuert hätten und die Produktionskosten um 20 Prozent gestiegen seien. (Nachdem bisher überhaupt erst ein Fünftel des Tjumen-Territoriums geologisch untersucht worden ist, werden die bis jetzt bekannten Vorräte auf rund 100 Milliarden t geschätzt; dabei gehen die Bohrungen nicht tiefer als 2500 Meter, und es gibt Hinweise auf Reserven in tieferliegenden Schichten.) Hier ist die Rede von einem „nur" ca. eine Million Quadratkilometer großen Teilgebiet Sibiriens, dem insgesamt noch der ölund gasträchtige Festlandssockel bis zur Barentssee zuzurechnen wäre.

Allein diese Zahlen lassen schon die immensen Möglichkeiten Sibiriens erkennen, zeigen aber auch sehr deutlich, daß diese mit dem begrenzten sowjetischen Potential niemals auszuschöpfen wären. Als Gemeinschaftsaufgabe zur Stabilisierung der Industriewelt angepackt, bei der ein westliches Teilhaber-Konsortium unter amerikanischer Führung (Washington und Öl-Multis) stehen würde, ließe sich eine technische und finanzielle Bewältigung der Probleme denken. Auch hier müßte Moskau sich jedoch zur Offenlegung von Informationen und zu einer vernünftigen Teilung in der Managementführung bereitfinden. Der friedensfördernde und friedenssichernde Effekt einer solchen Unternehmung ergäbe sich schon aus der Notwendigkeit, langfristige Vereinbarungen über Kapital-und Technologietransfer zu treffen, und aus den infrastruktureilen Konsequenzen auf Seiten der Sowjetunion, für die (nach einer Untersuchung von Friedemann Müller, Europa-Archiv Nr. 11/1979) das Abbruchrisiko eher noch größer als für die westlichen Partner sein dürfte.

Bedenkt man ferner, daß die bisher aufgetretenen west-östlichen Interessenkollisionen in Bereichen der Dritten Welt vor allem mit Fragen der Energie-und Rohstoffversorgung im Zusammenhang stehen, so würde ihnen durch ein Programm der energetischen Interessen-verflechtung in der skizzierten Dimension auf die Dauer schon zumindest die sachliche Begründung entzogen. Darüber hinaus wäre es aber geboten, daß in den politischen Rahmen eines solchen Programms Verhaltensregeln aufgenommen würden, die etwa dem sowjetischen Partner besondere Zurückhaltung in Gebieten der Dritten Welt auferlegen, wo sich westliche energiepolitische Interessen konzentrieren: Das träfe beispielsweise auf das arabische Golfgebiet ebenso zu wie auf den zentralamerikanischen Isthmus als Umfeld der mexikanischen Ölreserve. Hinweise von sowjetischer Seite, die eine grundsätzliche Bereitschaft zur Verknüpfung sicherheitspolitischer Interessen des Westens mit einer langfristig angelegten Kooperation signalisieren, gibt es. Auch einer stillschweigenden Abmachung über „Interessensphären" würde Moskau vermutlich nicht abgeneigt gegenüberstehen.

Eine Übereinkunft über derartige „Spielregeln" (um die sich — laut Jan Reifenberg, dem Washingtoner FAZ-Korrespondenten — die amerikanische Regierung bemüht, um die Nord-Süd-Zukunftsfragen desto energischer angehen zu können) könnte aber gleichzeitig den Ansatz für konstruktive Formen der westöstlichen Zusammenarbeit in weiten Teilen der südlichen Entwicklungswelt bilden. Um das dort bestehende soziale Konfliktpotential abzubauen und dessen Ausnutzung durch die Sowjetunion — mit der Förderung von ihr abhängiger Regime — zu verhindern, sollte dem Prinzip der dreiseitigen Kooperation in der Entwicklungshilfe zum Durchbruch verhelfen werden. Je wirtschaftlich stärker die Sowjetunion durch Modernisierung ihrer zivilen Industrie wird, in desto größerem Umfang vermag sie sich auch an multilateralen Fonds und an Entwicklungsprojekten in der Dritten Welt zu beteiligen, für die es — unter Mitwirkung einiger RGW-Länder — schon Modellfälle gibt.

Trilaterale Kooperation

Das Interesse auch der Sowjetunion gerade an solchen Unternehmungen ist gewiß nicht ohne politisch-ideologischen Hintergrund: Sie sucht auf diesem Wege einen Fuß in vorwiegend westliche Einflußgebiete zu bekommen, um dort für ihr Gesellschaftssystem werben zu können. Da aber der Westen, voran die Bundesrepublik, gegenüber den blockfreien Staaten immer wieder betont, daß diese die freie Wahl zur Gestaltung ihrer staatlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse haben müßten, sollte man das sicherlich kaum allzu große Risiko nicht scheuen, das eine Kooperation dreier Partner aus verschiedenen Ländern mit unterschiedlichen Wirtschaftsordnungen (außer den damit verbundenen praktischen Problemen) mit sich bringt.

In Entwicklungsländern, wo an trilateralen Projekten gearbeitet wird, man sich also gegenseitig auf die Finger schauen kann, dürften am ehesten subversive Aktionen mit oder ohne Waffenhilfe auszuschließen sein. Hierzu sei nochmals Nötzold zitiert: „Die trilaterale Kooperation würde die Intentionen der KSZE aufnehmen. Schon in der Präambel zum , Korb II der KSZE wurde davon ausgegangen, daß die Förderung der west-östlichen Wirtschaftsbeziehungen auch den Interessen der Entwicklungsländer dienen kann. Andere Größenordnungen als bislang erscheinen in der trilateralen Kooperation besonders wichtig, damit die Konfrontration zwischen Ost und West in den Entwicklungsländern durch kooperative Verhaltensmuster abgelöst werden kann."

Das Zustandekommen einer neuen Weltwirtschaftsordnung kann man sich nur schwer ohne die Mitwirkung des größten sozialistischen Industrielandes, der Sowjetunion, und des größten sozialistischen Entwicklungslandes, der Volksrepublik China, vorstellen. Äußerst wünschenswert wäre es daher — nach bereits erfolgter Zusage Pekings —, wenn auch Moskau Bereitschaft bekunden würde, an der für Oktober dieses Jahres geplanten Nord-Süd-Gipfel-Konferenz in Mexiko teilzunehmen. Als Konferenzthemen sollten dabei neben Wirtschaftsund Energiefragen auch Währungs-und Finanzprobleme, vor allem das Thema „recycling" der Petrodollars, auf die Agenda kommen, wie es den Wünschen der Entwicklungsländer entspricht. — In einen Neuordnungsprozeß speisen die westlichen Industriestaaten ohnehin ein erhebliches Übergewicht sowohl an für sie lebenswichtigen Forderungen (Rohstoffbedürfnisse, Verkehrs-und Handelsfreiheiten) als auch an verlockenden Angeboten (Kapital, technisches Know-how, Management-und Markterfahrung) ein. Nur wird dieser Prozeß niemals zu fruchtbaren Ergebnissen führen, wenn er von amerikanischer Seite unter der Zielsetzung gesehen werden sollte, die Welt allein nach ihren Vorstellungen und Interessen zu formen. Indessen würden die sozialistischen Länder, sobald sie unter westlicher Mithilfe ihre zivilen Produktionsmittel modernisiert und ihre Produktionsstrukturen schrittweise verändert hätten, beträchtliche Marktanteile aus ihren traditionellen Industriezweigen automatisch an Entwicklungsländer abgeben. Damit wiederum könnte auch ein Transfer konventioneller Technologien aus der Zweiten in die Dritte Welt einhergehen. So böte sich ein fließendes Spektrum west-östlicher Zusammenarbeit für den Abbau globaler Spannungsfelder an. Ausgehend von dem Konzept einer Grundbedürfnisstrategie könnten Industrie-und Schwellenländer gemeinsam die Grundlagen für ein menschenwürdiges überleben in den Hungerregionen der südlichen Halbkugel schaffen.

Die starke wirtschaftliche Position des Westens, wesentlich geprägt durch die amerikanische Unternehmensphilosophie und -praxis, erlaubt auch politisch eine solche Weichen-stellung im Entwicklungshilfekonzept.

Die Interessengemeinschaft der westlichen Demokratien steht vor einer Zerreißprobe, sollte sie sich nicht sehr bald auf ein allseitig akzeptiertes und akzeptierbares Strategiekonzept für die Beziehungen zum Osten einigen. Die Entspannungspolitik der siebziger Jahre hat in Europa wesentlich zur Erhaltung eines relativen Gleichgewichtes beigetragen, dessen Grundlagen allerdings durch die amerikanische Eindämmungspolitik der fünfziger Jahre geschaffen worden waren. Außerhalb der europäischen Region hat sich Entspannung nicht eingestellt, weil das Kräftespiel der ungleichen, mit inneren Spannungen aufgeladenen Weltmächte dem ebenso entgegenstand wie eine Vielzahl von Umwandlungs-und Neuordnungsprozessen in der Dritten Welt. Die Weltuhren lassen sich nicht auf die Zeit der Jahrhundertmitte zurückdrehen, als eine Art Pax Americana weite Teile des Globus zusammenhielt. Trotz ihrer noch immer überragenden Stärke würden die USA heute schwerlich den internationalen Rückhalt finden, den sie für eine Neuauflage der Strategie rein militärischer Eindämmung benötigten. Mit weltweiter Zustimmung indessen dürfte ein Angebot des Westens bedacht werden, das auf ein Konzept der Einbindung Moskaus in ein stabiles Geflecht gleichgewichtiger Interessen hinausläuft.

Hier muß man dem ehemaligen Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski beipflichten, der in einem Interview mit dem „Monat" (April 1981) im Verhältnis zur Sowjetunion für eine Politik plädiert, die militärische Entschlossenheit mit der Suche nach Möglichkeiten eines friedlichen Ausgleichs kombiniert: „Unser langfristiges Ziel muß es sein, die Sowjetunion zu ermutigen, als konstruktive Weltmacht aufzutreten." — Diesem Ziel dürfte man schwerlich durch ein Forderungs-Jinkage" näherkommen, wie Außenminister Haig es einmal ausdrückte: w .. Sie können keine Vorteile (benefits) für sich erwarten ...seien es Rüstungskontrolle, Handel, Kredite oder Technologie, solange sie weltweit Aktivitäten nachgehen, die den internationalen Frieden gefährden." Statt dessen sollte sich der gesammelte Westen auf ein die lebenswichtigen Interessen Moskaus ansprechendes Angebots-„linkage" einstellen — also nicht mit negativ aufgeladenen Akzenten, sondern unter positivem Vorzeichen das Gespräch mit dem sozialistischen Lager neu eröffnen, ohne daß eine abschrekkende Kriegsführungsfähigkeit auf beiden Seiten — als essentieller Faktor einer friedenserhaltenden Balance — in Frage gestellt würde. Wenn der Westen wirklich an einer „sozialistischen Erneuerung" im östlichen Europa interessiert sein sollte, müßte diese jedenfalls prioritär bei der sowjetischen Vormacht in Gang kommen, was sich wiederum zu allerletzt durch den Einsatz von eineinhalb Billionen Dollar erreichen ließe, die von der Regierung Reagan — nach Auskunft des offiziellen Amerika-Dienstes (8. 4. 1981) — für Verteidigungsausgaben in den kommenden fünf Jahren vorgesehen sein sollen. Eine auf Konfrontation zulaufende Ost-West-Polarisierung spiegelt fehlorientiertes Problembewußtsein wider-, dehn die wahren Schwierigkeiten betreffen heute die kapitalistischen und sozialistischen Industrienationen gleichermaßen.

Es sind die zur Lösung anstehenden Fragen wirtschaftlicher Strukturen von globaler Dimension. — So schreibt Michael Howard von der Oxford-Universität in Foreign Affairs (Nr. 3/1981): „Zunehmend sind es heute nicht Probleme der internationalen Sicherheit, die den Regierungen im Nacken sitzen, sondern die Probleme innerer Stabilität... Die Sowjetunion leidet unter diesen Schwierigkeiten wie jeder andere Staat auch. Gewiß muß man sie davon abhalten, ihre Probleme auf Kosten ihrer Nachbarn zu lösen; aber letztlich kann es für sie und die übrige Welt keine andere Lösung geben als geduldige und weitsichtige Kooperation." — Die Außenpolitik der USA wird gegenwärtig etwas einseitig in wirtschaftsstrategischen Kategorien formuliert und dabei vornehmlich auf die Absicherung von Einflußsphären in der Dritten Welt abgestellt, ohne daß die sozialen Aspekte dort hinreichend wahrgenommen werden. Aber noch scheint der außenpolitische Kurs-in Washington nicht so fest abgesteckt zu sein, daß keine Korrekturen in einer Richtung mehr denkbar wären, wo wieder ideologischer Konflikt mit Konsens in konkreten Interessenbereichen, wo Wettbewerb wieder mit wirtschaftlicher Zusammenarbeit vereinbar werden könnte.

Teilweise Konversion von Kapazitäten für die Rüstungsproduktion auf nichtmilitärische Programme, das Hinwirken auf Verhältnisse der inneren Stabilität und Ausgewogenheit bei den Weltmächten, gemeinsame Anstrengungen der westlichen und östlichen Industrieländer zur Lösung der sie verbindenden Überlebensprobleme (Ressourcen und Umwelt) und zu vereinten Bemühungen um konkrete Antworten auf die internationale soziale Frage, die sich ihnen vom Süden her stellt — das alles zusammen erbrächte einen funktionierenden Interessenausgleich. Je höher der Grad gegenseitiger wirtschaftlicher Abhängigkeit, je intensiver die sich daraus ergebende Verflechtung wird, desto größer dürfte der Stellenwert der zivilen Kooperation im sicherheitspolitischen Spektrum werden. Auf der Basis gegenseitigen Nutzens würde ein essentieller Ergänzungsbeitrag zur militärischen Abschreckung geleistet, deren Mittel allseitig endlich zum Einfrieren gebracht werden könnten. Das Prinzip des Wettbewerbs würde auf diese Weise nicht etwa aus der Welt geschafft, sondern auf neuen Ebenen — durch den Anreiz zu Systemreformen im Osten — nur größere Verbreitung finden. „Die Alternative, daß man die Sowjetunion durch Vorenthaltungen der Zusammenarbeit zu Reformen im Sinne westlicher Intentionen zwingen oder den Einsatz ihres Militärpoten-B tials unwahrscheinlicher machen könnte, indem man sie ihren Wirtschaftsproblemen selbst überläßt, ist eine Politik der Selbstbestätigung westlicher Überlegenheit, aber nicht notwendigerweise ein Konzept westlicher Sicherheit" (Friedemann Müller, Europa-Archiv Nr. 3/81). Ein Ausdruck wahrer Politik der Stärke wäre es, wenn die amerikanische Supermacht einen New Deal zur Stabilisierung der west-östlichen Industriewelt auf den Tisch legte.

Daß hiermit auch die Frage nach der inneren Stärke des Westens gestellt und zu beantworten ist, machte ein Kommentar der „Stimme Amerikas" (Papus, CBS-News, 12. 3. 1981) deutlich: „Wie viele arme und bedürftige Amerikaner werden durch das unausgesprochene Bestreben der Administration zu leiden haben, letztlich eine militärische Überlegenheit gegenüber den Sowjets zu gewinnen, und wieviel für die Verteidigung ist eigentlich zuviel?" — Nicht eben beiläufig hat Bundeskanzler Schmidt in seiner Rede auf dem Kant-Kongreß der Friedrich-Ebert-Stiftung am 12. 3. 1981 erwähnt, daß der deutsche Philosoph bereits vor 200 Jahren die friedensfördernde Funktion eines kontinuierlichen Prozesses wirtschaftlicher Verflechtung unterstrichen hat. — Als eindringliche Mahnung müssen wohl auch die anschließenden Worte von Schmidt verstanden werden, daß Voreingenommenheit und Ressentiments in der Auseinandersetzung zwischen Ost und West nicht nur auf einer Seite herrschten........ und Angst gibt es dort wie hier". — Ein düsterer Schatten der Ungewißheit um die Erhaltung ihrer Existenzgrundlagen liegt heute über der gesamten Menschheit; als rationales Mittel der Wahl, um diese Ängste zu mildern, bietet sich die partielle Umrüstung von militärischer Technologie auf neue Techniken der Erschließung und sinnvollen Nutzung von Ressourcen an: Das liefe auf eine Therapie des west-östlichen „Rüstungssyndroms" im Sinne einer „Rüstungskonversion" hinaus; d. h. die fortschreitende Militarisierung der internationalen Politik ließe sich mit einer sozioökonomischen Initiative von globaler Wirkungsbreite kupieren. Entspannung wird eben nur auf der Grundlage ausgewogener allseitiger Stabilität erreichbar.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Klaus Bloemer, Dr, med., geb. 1921; Gründer der satirischen Zeitschrift „Der Insulaner"; 1949— 1958 Ressortleiter bzw. Chefredakteur großer Tageszeitungen und Illustrierten; 1959— 1964 als Presse-und Kulturreferent im Irak und in den USA; 1964— 1969 in Bonn außenpolitischer Beauftragter des Vorsitzenden der Christlich-Sozialen Union; 1970— 1979 wieder im Auswärtigen Dienst; seit Anfang 1980 beim Presse-und Informationsamt der Bundesregierung. Veröffentlichungen u. a.: Das zukünftige Verhältnis Europas zu den USA, Hannover 1965; Kooperative Koexistenz, München 1968; Konzept einer europäischen Konföderation, Hannover 1968; Friede durch Zusammenarbeit in Europa (Mitautor), Berlin 1980. Der Autor legt Wert auf die Feststellung, daß der Aufsatz in dieser Ausgabe ein privater Diskussionsbeitrag ist.