Zur Wechselbeziehung von Politik und Demoskopie Das Beispiel der aktuellen Sicherheitspolitik
Dieter Just /Peter Caspar Mülhens
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Zusammenfassung
Seit Beginn der öffentlichen Diskussion um den Doppelbeschluß der NATO entdeckten deutsche und amerikanische Politiker und Medien in demoskopischen Umfragen breite pazifistische und neutralistische Strömungen in der bundesdeutschen Bevölkerung und bedrohliche Widerstände gegen den NATO-Beschluß wie auch gegen das Bündnis insgesamt. Der Aufsatz untersucht, wie diese Daten und ihre Interpretationen zustande gekommen sind und wo die Vermengung demoskopischer Ergebnisse mit politischen Zielsetzungen zu Irritationen geführt haben. Er verdeutlicht an Hand aktueller Umfrageergebnisse, wie der Bundesbürger die zentralen sicherheits-und entspannungspolitischen Fragen sowie den Doppelbeschluß der NATO bewertet. Ergebnis: Bei weiterhin sehr stabilen Grundeinstellungen gleichgewichtige Zustimmung zum Doppelbeschluß in der Verzahnung von Verhandlungs- und Nachrüstungskomponente.
I. Die neue Gefahr: Eine Pazifisten-und Neutralistenschwemme in der Bundesrepublik Deutschland?
Seit Beginn der öffentlichen Diskussion im Spätherbst 1980 um den Doppelbeschluß der NATO vom 12. September 1979 vergeht kaum ein Tag, an dem Amerikaner oder die bundesdeutsche Opposition nicht auf einen beunruhigenden Zuwachs an Pazifisten und Neutrali-sten hinweisen, die die westliche Sicherheitspolitik in ihrer Substanz gefährdeten. So stellte der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß am 8. Juli 1981 in einem „Quick" -Interview fest, die äußere Sicherheit Europas sei weniger von der Sowjetunion bedroht „als vielmehr von einer nicht ohne Schuld der SPD zustande gekommenen Pazifismus-und Neutralismusbewegung mit Stoßrichtung gegen die amerikanische Präsenz in Europa". Oder Johann Georg Reißmüller konstatiert in einem Leitartikel der „Frankfurter Allgemeinen" am 9. Juli 1981 als „hörbarste Antwort aus unserem Land" den „Ruf nach westlichem Nicht-Nachrüsten" und zieht daraus die Konsequenz, daß „viele Sozialisten und nicht wenige Christen", aber auch die Bonner Koalition, die der Bevölkerung jahrelang eingeredet habe, mit ihrer Ostpolitik sei der Frieden sicherer geworden, für jene sicherheitsgefährdende „Friedens-Verstiegenheit“ die Schuld trage. Und der Pariser Korrespondent der ARD, Heiko Engelkes, diagnostiziert in einem Gespräch mit dem französischen Staatspräsidenten Mitterand am 12. Juli einen in der Bundesrepublik Deutschland weit verbreiteten Neutralismus. Auch der frühere französische Staatspräsident Giscard d'Estaing war über „neutralistische Strömungen" in Europa stark beunruhigt — ganz im Gegensatz zum SED-Zentralorgan „Neues Deutschland", das unter Berufung auf westliche Meinungsumfragen am 2. April erfreut registrierte, die politische Szenerie in Westeuropa sei in Bewegung gekommen, da sich die Bevölkerung gegen eine Stationierung von weiteren NATO-Raketen ausspreche. Dieser also vielfach geortete und angesichts der Stabilität der politischen Stimmungen in der Bundesrepublik Deutschland tatsächlich — wäre seine Eskalation wirklich gemessen worden — überraschend breite Pazifismus und Neutralismus hat bei den amerikanischen Verbündeten schon dazu geführt, politische Konsequenzen anzudeuten. Während ein hoher Beamter des US-Außenministeriums am 9. Juli laut Frankfurter Rundschau vom 10. Juli 1981 noch relativ vorsichtig darauf hinwies, daß der in Europa wachsende „Pazifismus und Neutralismus" die Position der Sowjetunion stärke und die eigene Verhandlungsposition schwäche und implizit eine härtere, Rüstungsbegrenzungen und Abrüstungsverhandlungen stärker in Frage stellende Haltung der USA ankündigte, kam der Chefredakteur der rechtsrepublikanischen amerikanischen Zeitschrift „Strategie Review", Hahn, in der Früh-jahrsausgabe 1981 unter dem Titel „A world without NATO?" auf der Basis eines Umfrageergebnisses, demzufolge 60 % der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland gegen die Stationierung von Mittelstreckenraketen in ihrem Land seien, gleich auf die Frage, ob der Fortbestand der NATO angesichts dieser Stimmung überhaupt noch im amerikanischen Interesse liege. Hahn registrierte eine verbreitete „Vichy-Mentalität" nicht zuletzt als Ergebnis einer Dekade der Entspannungsund Ost-politik, hervorgerufen auch durch Bundeskanzler Schmidt, der sich über den Pazifismus in seinem Lande nicht wundern dürfe, weil er noch nach Afghanistan seinen Wahlkampf 1980 auf Frieden und Entspannung in Europa abgestellt habe. Als Konsequenz gab Hahn zu bedenken, ob bei Hinnahme eines kollektiven Sicherheitssystems nach sowjetischem Konzept die USA einen Rückzug aus Europa und entsprechende Einsparungen dazu nutzen könnten, ihre strategisch-nuklearen Kapazitäten zu erhöhen und ihre Position im Indischen und Pazifischen Ozean auszubauen. Drohung oder Resignation? Auf jeden Fall ein Hinweis darauf, daß ein sich in der Bundesrepublik Deutschland angeblich verbreitender Pazifismus, Neutralismus und Antiamerikanismus auf amerikanischer Seite Irritationen ausgelöst haben muß.
II. Schlußfolgerungen auf dünner Datendecke
Abbildung 2
Frage: Keine Angabe Wie Sie vielleicht wissen, hat man viel darüber diskutiert, ob man in der Bundesrepublik die neuen sogenannten „Cruise Missiles '-Marschflugkörper, die eine Reichweite bis zur Sowjetunion besitzen, stationieren sollte. Auf dieser Liste stehen vier verschiedene Meinungen über diese neuen Atomwaffen. Welcher davon stimmen Sie persönlich am ehesten zu? Wir sollten unter keinen Umständen einer Stationierung dieser neuartigen Atomwaffen in der Bundesrepublik zustimmen Wir sollten diese neuartﭟ_
Frage: Keine Angabe Wie Sie vielleicht wissen, hat man viel darüber diskutiert, ob man in der Bundesrepublik die neuen sogenannten „Cruise Missiles '-Marschflugkörper, die eine Reichweite bis zur Sowjetunion besitzen, stationieren sollte. Auf dieser Liste stehen vier verschiedene Meinungen über diese neuen Atomwaffen. Welcher davon stimmen Sie persönlich am ehesten zu? Wir sollten unter keinen Umständen einer Stationierung dieser neuartigen Atomwaffen in der Bundesrepublik zustimmen Wir sollten diese neuartﭟ_
Wenn man nach den demoskopischen Grundlagen sucht, anhand derer jene angebliche pazifistische Einstellung breiter Teile der deutschen Bevölkerung festgemacht worden ist, trifft man auf eine dürftige Datenbasis:
— Ein im „Aktuellen Politischen Dienst" des EMNID-Instituts im August 1980 veröffentlichtes Umfrageergebnis, demzufolge sich 43% der deutschen Bevölkerung für ein neutrales Verhalten zwischen den Großmächten aussprachen; — eine Meinungsumfrage der United States International Communication Agency (USI-
CA), derzufolge für die Bundesrepublik Deutschland das Sample-Institut ermittelt hatte, daß 40% der Deutschen die Dislozierung neuer Mittelstreckenwaffen in der Bundesrepublik Deutschland vorbehaltlos ablehnen, aber im Falle eines Scheiterns von Verhandlungen 56% der deutschen Bevölkerung einer Stationierung amerikanischer Mittelstrecken-waffen zustimmen würden;
— ein am l. Juni im ZDF-Politbarometer veröffentlichtes Umfrageergebnis, demzufolge 67% der Bundesbürger — darunter auch 61% der CDU/CSU-Wähler — dafür votierten, daß ohne Nachrüstung sofort mit dem Osten Abrüstungsgespräche geführt werden sollten, nur 25% sich dafür aussprachen, nachzurüsten, aber gleichzeitig mit dem Osten über Abrüstungsmaßnahmen zu verhandeln.
Nur dieses letztgenannte Ergebnis könnte als alarmierend angesehen werden, wenn Fragestellung und Analyse die Interpretation gestatteten, mit der das ZDF die Öffentlichkeit überraschte (vgl. Abschnitt III).
Bei der angeblich wissenschaftlichen Untermauerung politischer Urteile stört es die An, wender offenbar nicht im geringsten, als aktu-ell herausgestellte Strömungen an Umfrageergebnissen festzumachen, die bereits veraltet sind. Ein gutes Beispiel dafür ist die Nutzung des Neutralismus-Ergebnisses bei EMNID:
Als dies — im Mai/Juni 1980 erhoben — vom Institut am 18. August veröffentlicht worden war, wurde es zuerst in der „Welt" unter der Schlagzeile ...... 43% für Bonner Neutralitätskurs" mit'schon falscher Interpretation verfremdet und am gleichen Tage von der Opposition (MdB Jenninger im Fraktionspressedienst der CDU/CSU) als „Alarmsignal erster Ordnung" und „besorgniserregenden Stimmungswandel" gedeutet, für den „ohne jeden Zweifel die Partei des Bundeskanzlers" verantwortlich sei. Nach der Bundestagswahl wurde das gleiche. Umfrageergebnis von Wolfram von Raven — in einem Aufsatz zur NATO-
Strategie in „Das Parlament" vom 29. November 1980 — herangezogen, um die europäischen Regierungen vor einer Strategie des präventiven Wohlverhaltens dem Osten gegenüber aufgrund des Drucks der innenpolitischen Bewegungen zu warnen. Und am 5. Februar 1981 begründet — aus ganz anderer Sicht — der Friedensforscher Alfred Mech-
tersheimer in „Die Tageszeitung“ auf der Basis des gleichen Umfrageergebnisses vom Juni/Juli 1980: „Sie kennen vielleicht die jüngsten Umfrageergebnisse, wonach 43% bereit sind, über eine . Neutralisierung'bzw. Finnlandisie-rung'der BRD zu diskutieren. Sie sehen darin eine Chance, angesichts der verschärften Konfrontation zwischen der SU und USA zu überleben. In dieser hochprozentigen Einstellung schlägt sich auch die ökonomische Auflockerung des Verhältnisses zwischen den USA und Westeuropa nieder .. .
Eine einzige und — wie sich zeigen sollte — auch noch falsch und willkürlich interpretierte Umfrage mußte in der politischen Diskussion somit dazu herhalten, zu jedem beliebigen Zeitpunkt einen Stimmungsumschwung zu untermauern und entsprechend der Position des politischen Nutzers Bestürzung, Warnung oder Hoffnung zu begründen.
III. Wenn methodische Fehler und falsche Interpretationen kumulieren ...
Abbildung 3
Frage: „Wie sollte sich der Westen in der Frage der Abrüstung verhalten?" — sofort über Abrüstung verhandeln und nicht weiter aufrüsten (nachrüsten) — sofort über Abrüstung verhandeln, aber gleichzeitig soweit aufrüsten (nachrüsten), bis der Westen gleich stark ist wie der Osten 25 % — aufrüsten, bis der Westen gleich stark ist wie der Osten (nachrüsten), und keine Abrüstungsverhandlungen führen 67 % 6 %
Frage: „Wie sollte sich der Westen in der Frage der Abrüstung verhalten?" — sofort über Abrüstung verhandeln und nicht weiter aufrüsten (nachrüsten) — sofort über Abrüstung verhandeln, aber gleichzeitig soweit aufrüsten (nachrüsten), bis der Westen gleich stark ist wie der Osten 25 % — aufrüsten, bis der Westen gleich stark ist wie der Osten (nachrüsten), und keine Abrüstungsverhandlungen führen 67 % 6 %
Daß Umfrageergebnisse politisch verfremdet werden, ist nicht neu; auffallend ist jedoch, daß gerade bei der Jagd nach den Pazifisten und Neutralisten in der Bundesrepublik Deutschland methodische Fehler und Fehlinterpretationen erschreckend kumulieren:
So entpuppen sich die 43% „Neutralisten" von 1980 als völlig normaler Wert, wenn man sie in eine Zeitreihe von 1951 bis 1967 stellt, die das EMNID-Institut allerdings erst Ende September 1980 veröffentlichte: Das Bedürfnis der Deutschen, sich zwischen den beiden Großmächten neutral zu verhalten (auf der Basis der Fragestellung keineswegs gleichlautend mit Neutralismus), war nur 1961 (34%) deutlich geringer als 1980 (43%), aber beispielsweise 1956 — im Jahr des Ungarn-Aufstandes — extrem höher (62%); 1981 ist es, den aktuell vermuteten neutralistischen Strömungen zum Trotz, erneut auf 36% abgesunken:
Das für USICA in der Bundesrepublik Deutschland erhobene Umfrageergebnis basiert auf einer korrekten, allerdings nur auf „Cruise Missiles" bezogenen Fragestellung und führt zu dem wenig überraschenden Ergebnis, daß die Stationierung von Marschflug-körpern in der Bundesrepublik bei einem Scheitern der im Doppelbeschluß vorgesehenen Verhandlungen bei 56% der Bundesbürger auf keinen Widerstand stoßen würde und lediglich 40% einer Stationierung unter keinen Umständen zustimmen würden: Indem USICA dann aber sowohl die harten Gegner als auch jene Befragten, die erst ein Scheitern der Verhandlungen vor einer Stationierung abwarten wollen, unzulässigerweise addierte, kam das Institut, und in seinem Gefolge auch „Strategie Review", zu dem Schluß, die Stationierung amerikanischer Mittelstrek-kenwaffen in der Bundesrepublik Deutschland stoße bei zwei Dritteln der Bevölkerung, also bei einer breiten Opposition, auf Widerstand.
Dies ist ein Paradebeispiel dafür, wie die fehlerhafte Addition grundsätzlich zutreffender Werte auf sensiblen Politikfeldern schwerwiegende Irritationen nach sich ziehen kann.
Die von der Forschungsgruppe „Wahlen Mannheim" für das ZDF-Politbarometer gestellten Fragen schließlich kranken daran, daß in ihnen nicht der Doppelbeschluß, sondern der Gegensatz „abrüsten" und „aufrüsten (nachrüsten)" zur Debatte gestellt wurden:
Das Ergebnis weist nur eine deutliche Abneigung gegen Aufrüstung und ein starkes Interesse an Abrüstung und entsprechenden Verhandlungen aus, nicht aber eine Absage an den Doppelbeschluß in seinen beiden Elementen. Voll zuzustimmen war somit dem Moderator von „Kennzeichen D", Hanns Werner Schwar-ze, als er am 25. Juni 1981 bei einem Vergleich von Umfrageergebnissen zum Doppelbeschluß feststellte: „Demoskopie nimmt uns eigenes Nachdenken nicht ab ..." Aber auch er wies darauf hin, „daß eigentlich zwei Drittel aller Bundesbürger gegen den NATO-Doppelbeschluß sind", den das ZDF gar nicht erfragt hatte.
IV. Der Doppelbeschluß — das unbekannte Wesen
Abbildung 4
Frage: A. B. In Anbetracht der sowjetischen Rüstungsanstrengungen geht es vor allem darum, in Mitteleuropa das militärische Kräfteverhältnis wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Dazu müssen die Amerikaner früher oder später in Westeuropa Mittelstreckenraketen aufstellen. Es geht vor allem darum, unverzüglich mit der Sowjetunion und dem Warschauer Pakt zu Verhandlungen über Rüstungsbegrenzungen zu kommen und die Aufstellung amerikanischer Mittelstreckenwaffen in Westeuropa zu vermeiden. Die NATO hat in ihremﮠ
Frage: A. B. In Anbetracht der sowjetischen Rüstungsanstrengungen geht es vor allem darum, in Mitteleuropa das militärische Kräfteverhältnis wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Dazu müssen die Amerikaner früher oder später in Westeuropa Mittelstreckenraketen aufstellen. Es geht vor allem darum, unverzüglich mit der Sowjetunion und dem Warschauer Pakt zu Verhandlungen über Rüstungsbegrenzungen zu kommen und die Aufstellung amerikanischer Mittelstreckenwaffen in Westeuropa zu vermeiden. Die NATO hat in ihremﮠ
Eine im Vergleich zu den bisher behandelten Umfrageergebnissen zur Sicherheitspolitik sehr viel breiter angelegte infas-Untersu-chung vom Mai/Juni 1981 registrierte zuerst einmal einen sehr geringen Kenntnisstand über den Inhalt des NATO-Doppelbeschlusses: 63% der Bundesbürger — aber nur 46% der Volksschüler ohne Lehre — geben zwar an, vom NATO-Doppelbeschluß etwas gehört oder gelesen zu haben; aber auf eine „offene Frage" nach dem Inhalt des NATO-Doppel-beschlusses wurden überwiegend keine oder falsche Antworten gegeben: 48% konnten gar keine Angabe machen, 26% verstanden den Doppelbeschluß nur als Beschluß zur Auf-und Nachrüstung, 13% nur als Beschluß zur Herstellung eines militärischen Gleichgewichts and 2% allein zur Rüstungsbegrenzung. Lediglich 9% definierten ihn korrekt mit „Verhandeln und gleichzeitig Nachrüsten".
Daß der Doppelbeschluß in allen Bevölkerungsgruppen am häufigsten als Aufrüstungsbeschluß verstanden und in der Gleichgewichtigkeit seiner Zielsetzungen gar nicht erfaßt wird, mag die Ursache jener relativ hohen Ablehnung sein, die in der USICA-Umfrage der Dislozierung amerikanischer Mittelstrecken-waffen entgegengebracht wird.
Wie die infas-Umfrage zeigt, erwiesen sich die Bevölkerungseinstellungen zum Doppelbeschluß bei weitem ausgewogener als bislang öffentlich registriert, wenn angesichts des geringen Kenntnisstandes die Zielsetzungen des Doppelbeschlusses in der Fragestellung präziser vorgegeben werden: Das Ergebnis ist klar: Für die Bundesbürger hat das Sicherheitsmoment (45% Zustimmung) größeres Gewicht als das Verhandlungsmoment (38%).
Bei weiterer „Einkreisung" der sicherheitspolitischen Problematik ergibt sich folgendes Bild:
Es zeigt sich (übrigens ohne große Unterschiede bei den Anhängerschaften der Parteien), daß — mehr als die Hälfte der Bundesbürger (53%) gegen eine Aufhebung des NATO-Dop-pelbeschlusses und der Nachrüstung ist, — eine noch größere Mehrheit (58%) den NATO-Doppelbeschluß als Bemühung, die Sowjetunion an den Verhandlungstisch zu bringen, versteht.
Gleichzeitig setzen relative Mehrheiten der Bevölkerung (und große Mehrheiten der besser gebildeten Mitbürger) auf Verhandlungen (Gesamtbevölkerung: 48%) und sprechen sich für den Moratoriumsvorschlag Breschnews aus (Gesamtbevölkerung: 46%). Militärische Sicherheit und Begrenzung der Rüstung haben für die deutsche Bevölkerung somit annähernd gleiches Gewicht.
V. Grundeinstellungen und Zukunftserwartungen
Abbildung 5
Frage: Ich habe hier noch einmal einige Meinungen zum NATO-Doppelbeschluß und zur Nachrüstung. Bitte sagen Sie mir jedesmal, ob Sie dieser Meinung eher zustimmen oder nicht zustimmen. Mit der Sowjetunion über den Abbau ihrer Mittelstreckenraketen verhandeln zu wollen, hat gar keinen Zweck. Die USA sollten deshalb ihre Raketen vorbereiten, produzieren und dann aufstellen. Der Doppelbeschluß der NATO ist richtig: ohne die Drohung, daß die USA Raketen aufstellen werden, ist es unmöglich, die Sowjetunion an denﮠ
Frage: Ich habe hier noch einmal einige Meinungen zum NATO-Doppelbeschluß und zur Nachrüstung. Bitte sagen Sie mir jedesmal, ob Sie dieser Meinung eher zustimmen oder nicht zustimmen. Mit der Sowjetunion über den Abbau ihrer Mittelstreckenraketen verhandeln zu wollen, hat gar keinen Zweck. Die USA sollten deshalb ihre Raketen vorbereiten, produzieren und dann aufstellen. Der Doppelbeschluß der NATO ist richtig: ohne die Drohung, daß die USA Raketen aufstellen werden, ist es unmöglich, die Sowjetunion an denﮠ
Entgegen öffentlich diskutierten Vermutungen, die außen-und sicherheitspolitischen Grundeinstellungen der Deutschen seien im Gefolge der aktuellen friedenspolitischen Diskussion in Bewegung geraten, haben sie sich, wie die infas-Ergebnisse ausweisen, im Frühjahr 1981 ebensowenig geändert wie nach Afghanistan vor einem Jahr: Entspannungspolitik hat für rund 90% neben der Sicherung der Arbeitsplätze und sozialer Sicherung höchste Priorität, die Bindung an die NATO ist weiterhin außerordentlich fest (über zwei Drittel der Bundesbürger sprechen sich wie in den vergangenen Jahren für eine unveränderte Zugehörigkeit zur NATO aus); stärker als die Gesamtbevölkerung (13%) für eine Lockerung des Bündnisses votieren allein die mit einem formal höheren Bildungsniveau (23%), die Abrüstungsverhandlungen gleichzeitig am deutlichsten Priorität geben.
Die Zukunftserwartungen der Bundesbürger sind gleichermaßen durch Hoffnung und Skepsis geprägt: Einerseits sehen 58% der Bevölkerung die USA und 56% die Sowjetunion als verhandlungsinteressiert; andererseits rechnet eine Mehrheit der Bundesbürger (45%) mit einem Scheitern der Verhandlungen und einem neuen Rüstungswettlauf; 38% vermuten eine reduzierte Aufstellung amerikanischer Mittelstreckenwaffen in Westeuropa als Verhandlungsergebnis; nur 9% glauben daran, daß ein Abbau der sowjetischen Raketen erreicht wird und deshalb die amerikanischen Mittelstreckenwaffen gar nicht aufgestellt werden müssen.
Die bisher zur Verfügung stehenden demoskopischen Meßdaten lassen die in den letzten Wochen und Monaten so vielfach beschworene Gefahr eines die Festigkeit des Bündnisses bedrohenden Pazifismus und Neutralismus nicht erkennen, sondern bestätigen die über Jahre hinweg sehr stabilen Erwartungen einer großen Mehrheit der deutschen Bevölkerung an die Verantwortlichen, die Sicherheit im Bündnis und die Fortsetzung des Entspannungsprozesses gleichermaßen zu gewährleisten. Sie deuten aber auch ein zunehmendes Interesse an raschen Verhandlungen über Abrüstung und Rüstungskontrolle an, zumal gerade die besser Gebildeten und damit als Multiplikatoren wirksameren Bevölkerungsgruppen ihnen Vorrang geben.
Dieter Just, Dr. phil., geb. 1937; Leiter des Referats für Grundsatzfragen und Planung in der Inlandsabteilung des Presse-und Informationsamtes der Bundesregierung. Veröffentlichungen: Der Spiegel -— Arbeitsweise, Inhalt, Wirkung, Hannover 1967; Was wollen die Parteien? •— Ein synoptischer Vergleich der programmatischen Erklärungen (Mitherausgeber), Bonn 1972; Auf der Suche nach dem mündigen Wähler — Die Wahlentscheidung 1972 und ihre Konsequenzen (Mitherausgeber); Bonn 1974; Entscheidung ohne Klarheit — Anmerkungen und Materialien zur Bundestagswahl 1976 (Mitherausgeber), Bonn 1978. Peter Caspar Mülhens, Dipl. -Psych., geb. 1940; Referentfür Meinungsforschung in der Inlandsabteilung des Presse-und Informationsamtes der Bundesregierung.