Politische Beteiligungsmöglichkeiten von Ausländern im Kommunalbereich
Uwe Andersen/Manfred Cryns
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Zusammenfassung
Das für die bundesdeutsche Ausländerpolitik ursprünglich einmal richtungweisende Rotationsmodell ist gescheitert. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich mit der längerfristigen Anwesenheit von 4, 5 Millionen ausländischer Einwohner zu einem „Einwanderungsland wider Willen" entwickelt Als Minimalkonsens der Ausländerpolitik kann heute das Zieldreieck Zuzugsbegrenzung, Rückkehrförderung und Integration Bleibewilliger gelten. Teilaspekt der Integrationsproblematik ist die politische Integration. Einleitend werden daher politische Rechte ausländischer Einwohner und alternative Partizipationsstrategien diskutiert Der Schwerpunkt der Darstellung liegt bei konsultativen Beteiligungsformen auf der kommunalen Ebene. Nach einer Vorstellung der wichtigsten vorkommenden Modelle werden erste Ergebnisse eines Forschungsprojektes vorgestellt, die insbesondere die Gründe und Initiativen für die Einführung kommunaler Ausländervertretungen, deren Verbreitung, die unterschiedliche Gewichtung einzelner Modelle sowie die dafür maßgeblichen Faktoren betreffen. Abschließend werden Hypothesen zur Wirksamkeit kommunaler Vertretungsmodelle diskutiert.
I. Problemaufriß: Ausländische Einwohner und politische Beteiligungsmöglichkeiten
Schwerpunkt der folgenden Ausführungen sind die konsultativen Formen politischer Beteiligung von Ausländern in den Kommunen, insbesondere ihre Verbreitung, wobei auf erste Ergebnisse eines Forschungsprojektes zurückgegriffen wird. Einleitend soll versucht werden, die Streitfrage politischer Beteiligungsrechte von Ausländern in einer breiteren Problemperspektive zu diskutieren. Hintergrund der Diskussion nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland, sondern in den meisten westeuropäischen Staaten ist die Wanderungsbewegung aus den ökonomisch schwach entwickelten Randzonen Europas in die industriellen Ballungszentren. Die Mitte der fünfziger Jahre beginnende Anwerbepolitik der Bundesrepublik, die der zunehmenden Arbeitskräfteknappheit begegnen sollte, führte dazu, daß 1973, als in Reaktion auf die schwere Wirtschaftskrise ein Anwerbestopp verhängt wurde, 2, 6 Millionen ausländische Beschäftigte (11, 9 %) und 4 Millionen Ausländer insgesamt (6, 4 % der Wohnbevölkerung)
Abbildung 24
Tabelle 2: Gründe für die Einrichtung kommunaler Ausländer-vertretungen *)
Tabelle 2: Gründe für die Einrichtung kommunaler Ausländer-vertretungen *)
in der Bundesrepublik Deutschland lebten.
Abbildung 25
Tabelle 3: Ausgangspunkt der Initiative zur Einrichtung kommunaler Ausländervertretungen *)
Tabelle 3: Ausgangspunkt der Initiative zur Einrichtung kommunaler Ausländervertretungen *)
Anders als noch in der leichteren Krise 1966/67 kam es zu keinem großen Rückstrom der ausländischen Arbeitnehmer in ihre Heimatländer. Vielmehr wurden die Familien verstärkt in die Bundesrepublik nachgeholt, so daß 1983 die Zahl der ausländischen Beschäftigten zwar auf 1, 7 Millionen (8, 5 %) abgesunken, die ausländische Wohnbevölkerung gleichzeitig aber auf 4, 5 Millionen (7, 4 %) angewachsen war. Damit verbunden war ein Anstieg der Verweildauer, so daß inzwischen über die Hälfte der Ausländer bereits mehr als zehn Jahre in der Bundesrepublik Deutschland lebt.
Abbildung 26
Tabelle 4: Die Institutionalisierung kommunaler Ausländervertretungen nach Gemeindegrößenklassen
Tabelle 4: Die Institutionalisierung kommunaler Ausländervertretungen nach Gemeindegrößenklassen
Damit ist das von der Bundesrepublik Deutschland ursprünglich verfochtene Rotationsmodell — befristete Tätigkeit als „Gastarbeiter" in der Bundesrepublik, dann Rückkehr in das Herkunftsland — eindeutig gescheitert. Die von kurzsichtigen ökonomischen Überlegungen dominierte Ausländer-politik der Bundesrepublik hat sich zwar gedanklich am bequemen Rotationsmodell orientiert, es andererseits aber wegen der humanitären, politischen und kurzfristigen ökonomischen Kosten vermieden, dieses auch zwangsweise durchzusetzen. Spätestens die Entwicklung nach dem Anwerbestopp von 1973 hat gezeigt, daß die Bundesrepublik sich zu einem „Einwanderungsland wider Willen" entwickelt hat. Es ist davon auszugehen, daß ein großer Teil der in der Bundesrepublik lebenden Ausländer auf Dauer hierbleiben wird, zumal zumindest die zweite und dritte Generation dem Herkunftsland weitgehend entfremdet sind. Die deutsche Ausländerpolitik hat dieser Entwicklung zögernd Rechnung getragen. Als Minimalkonsens, der die Politik der parteipolitisch unterschiedlich zusammengesetzten letzten Bundesregierungen und der Landesregierungen bestimmt hat, ist das folgende Zieldreieck anzusehen:
Abbildung 27
Tabelle 5: Die Institutionalisierung kommunaler Ausländervertretungen nach Ausländeranteil
Tabelle 5: Die Institutionalisierung kommunaler Ausländervertretungen nach Ausländeranteil
Strittig sind weiterhin die eingesetzten Instrumente, z. B. die Altersgrenze für den Nachzug von Kindern ausländischer Familien, und insbesondere die Relation der Ziele. Während weitgehend Einigkeit darüber besteht, daß eine wirksame Zuzugsbegrenzung eine wichtige Voraussetzung dafür ist, daß eine verstärkte Integrationspolitik gegenüber den Bleibewilligen auch von der deutschen Bevölkerung akzeptiert wird, ist umstritten, ob eine intensive Diskussion um Rückkehr-förderung die Unsicherheit der Ausländer erhöht und die Integrationsbereitschaft negativ beeinflußt.
Abbildung 28
Tabelle 6: Die regionale Verteilung kommunaler Ausländervertretungen in der Bundesrepublik Deutschland
Tabelle 6: Die regionale Verteilung kommunaler Ausländervertretungen in der Bundesrepublik Deutschland
„Integration“ wird im wissenschaftlichen wie im praktisch-politischen Sprachgebrauch sehr unterschiedlich verwendet. Die aus Vertretern von Bund, Ländern und Gemeinden zusammengesetzte Kommission „Ausländerpoli35 tik" umschreibt Integration wie folgt: „Der Begriff . Integration'beschreibt einen sozialen Prozeß der Ein-und Zuordnung verschiedener gesellschaftlicher Gruppen. Integration ist also weder statisch noch einseitig, sondern setzt Anpassungsbeiträge aller Beteiligten voraus ... Anzustreben ist demnach eine soziale Struktur, die ein Zusammenleben von Deutschen und Ausländern ermöglicht und in der die Ausländer — unter Wahrung ihrer Identität — selbständig und frei von Diskriminierung handeln können."
Der Anpassungsbedarf und die Verteilung notwendiger Anpassungslasten dürften in unterschiedlichen Integrationsfeldern abweichen, wie die Beispiele Kultur und Politik verdeutlichen. Während der kulturelle Bereich gerade durch eine möglichst große Toleranz und Bandbreite unter Einbeziehung von Traditionselementen der Ausländer eine Bereicherung erfahren kann, ist das politische Steuerungssystem auf einen engeren Minimalkonsens fixiert, wie er im Grundgesetz durch die freiheitlich-demokratische Grundordnung verfassungsrechtlich vorgegeben ist. Hier kann es keine beiderseitige Anpassung geben, vielmehr wird von Ausländern, die in der Bundesrepublik Deutschland leben wollen, die strikte Beachtung der politischen Rahmenbedingungen verlangt. Weitgehend ungeklärt ist die Frage, ob es für einen erfolgreichen Integrationsprozeß im Hinblick auf Bedeutung und Zeitverlauf so etwas wie Rangskalen für die unterschiedlichen Integrationsfelder gibt. Entsprechend wird der Stellenwert der politischen Integration für den gesamten Integrationsprozeß auch unterschiedlich bewertet. 1. Politische Rechte ausländischer Einwohner Politische Rechte der ausländischen Einwohner sind teilweise verfassungsrechtlich abgesichert, wie im Fall der Meinungs-und Pressefreiheit (Art. 5 GG), Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) und des Petitionsrechtes (Art. 17 GG), die als allgemeine Menschenrechte auch Ausländern zustehen. Andere politisch relevante Grundrechte wie die Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) und die Vereinsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG) werden nach dem Grundsatz zwar nur Deutschen garantiert, durch einfache Gesetze sind sie aber auch Auslän-dem eingeräumt worden, im Fall der Vereins GG) und des Petitionsrechtes (Art. 17 GG), die als allgemeine Menschenrechte auch Ausländern zustehen. Andere politisch relevante Grundrechte wie die Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) und die Vereinsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG) werden nach dem Grundsatz zwar nur Deutschen garantie GG), Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) und des Petitionsrechtes (Art. 17 GG), die als allgemeine Menschenrechte auch Ausländern zustehen. Andere politisch relevante Grundrechte wie die Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) und die Vereinsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG) werden nach dem Grundsatz zwar nur Deutschen garantiert, durch einfache Gesetze sind sie aber auch Auslän-dem eingeräumt worden, im Fall der Vereinsfreiheit allerdings mit besonderen Auflagen Ausländische Parteien sind nach der deutschen Rechtslage unzulässig, da der Parteienstatus nach dem Parteiengesetz u.a. eine Mehrheit von Deutschen in der Mitgliedschaft und im Vorstand verlangt. Eine Mitgliedschaft von Ausländern in deutschen Par teien ist dagegen grundsätzlich möglich 2). Behördliche Verbote bzw. Beschränkungei politischer Aktivitäten von Ausländern ermöglichen insbesondere die Paragraphen (Verbot politischer betätigung) und 10 (Ausweisung) des Ausländergesetzes, wobei Kritiker vor allem die generalklauselartige Ausformung und damit verbunden die weiten Ermessensspielräume bei der Anwendung angreifen und davon eine Einschüchterung der ausländischen Bevölkerung und deren Verzicht auf die Wahrnehmung legaler politischer Rechte befürchten 3).
Die Wahrnehmung der bestehenden politischen Beteiligungsrechte durch die Ausländer ist unterschiedlich. Zum Beispiel entspricht der Organisationsgrad der Ausländer in den Gewerkschaften in etwa dem der Deutschen 4), während die Zahl ausländischer Mitglieder in deutschen Parteien bisher sehr niedrig ist und nach Schätzungen deutlich unter 1 % der Mitglieder liegt 5). 2. Der Streit um das Wahlrecht für Ausländer Von der wichtigsten direkten Beeinflussungsmöglichkeit der staatlichen Willensbildung, den Wahlen, sind die Ausländer bisher ausgeschlossen. Es ist daher verständlich, daß die Verleihung des Wahlrechtes an Ausländer in der Vergangenheit eine dominierende Rolle in der kontroversen Diskussion um die politische Integration der Ausländer gespielt hat. In dieser Wahlrechtsdebatte hatten verfassungsrechtliche Argumente großes Gewicht Nach vorherrschender Meinung der Verfassungsjuristen schließt das Grundgesetz ein Wahlrecht für Ausländer auf der Bundes-und Landesebene aus. Dagegen wird die Möglichkeit eines kommunalen Wahlrechtes für Ausländer verfassungsrechtlich günstiger beurteilt Hinzu kommt, daß die Gemeinden am stärksten unmittelbar mit den Problemen der Ausländer konfrontiert sind und die ausländische Wohnbevölkerung sich in den Städten und Gemeinden der industriellen Ballungsräume konzentriert. Im westeuropäischen Vergleich haben einige Länder — Schweden, Dänemark, Niederlande — ihren ausländischen Einwohnern das kommunale Wahlrecht eingeräumt. Die wichtigsten Argumente in der Diskussion um ein kommunales Wahlrecht sind:
pro — Es widerspricht dem Selbstverständnis einer demokratischen Gesellschaft, einer quantitativ gewichtigen Gruppe, die Steuern zahlt und von den politischen Entscheidungen betroffen ist, das Wahlrecht vorzuenthalten;
— die ausländischen Einwohner können die politische Berücksichtigung ihrer legitimen Interessen erst erwarten, wenn sie über das Druckmittel des Stimmzettels verfügen;
— das Wahlrecht für Ausländer symbolisiert die Anerkennung ihrer Gleichberechtigung und beugt einer möglichen politischen Radikalisierung vor.
kontra — Staatsangehörigkeit und Wahlrecht gehören zusammen. Von ausländischen Einwohnern kann keine ungebrochene Loyalität zum Staat Bundesrepublik Deutschland erwartet werden, so daß insbesondere bei internationalen Konfliktsituationen eine ausländische Beeinflussung der politischen Willensbildung in der Bundesrepublik zu befürchten >ist — ein Wahlrecht für Ausländer würde die gebotene Symmetrie von Rechten und Pflichten verletzen, da Ausländer z. B. nicht der Wehrpflicht unterliegen. Außerdem könnten sich ausländische Einwohner den Konsequenzen ihrer Wahlentscheidungen durch Rückkehr in ihr Heimatland entziehen;
— die Prägung durch die politische Kultur des Heimatlandes werde zu einer Übertragung außerdeutscher Konflikte auf die Bundesrepublik und möglicherweise zur Bildung ausländisch gesteuerter politischer Parteien und Wählervereinigungen führen;
— gegen ein auf die Kommunen beschränktes Wahlrecht für Ausländer wird aus zwei Richtungen argumentiert: Die kommunalen Spitzenverbände z. B. wenden sich gegen die Ab-koppelung der Wahlrechtsvoraussetzungen der Kommunen von denen des Bundes und der Länder und sehen darin eine Abwertung des kommunalen Wahlrechtes. Andere interpretieren das kommunale Wahlrecht als reines Trostpflaster für die ausländischen Einwohner, das ihre politische Benachteiligung festschreibe, da die für die Ausländer zentralen politischen Entscheidungen im Bund und in den Ländern fielen;
— das Argument, gegen ein Ausländerwahlrecht spräche die Einschränkung anderer wahlrelevanter Grundrechte für Ausländer, findet sich auch in der Umkehrform, daß mit einem Ausländerwahlrecht der Ausbau anderer Rechtspositionen, insbesondere die Absicherung des Aufenthaltsrechtes, zu verbinden sei
Angesichts einer überwiegend negativen Haltung der deutschen Bevölkerung zum kommunalen Wahlrecht für Ausländer und einer entsprechenden Haltung der meisten Parteien und Verbände ist eine Realisierung dieser Forderung auf mittlere Sicht nicht zu erwarten. Auch der Vorschlag, diese Frage auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft zu lösen, ist auf mittlere Frist wohl als „Begräbnis 1. Klasse" zu interpretieren, abgesehen davon, daß eine solche Lösung sich auf die „EGAusländer" beschränken würde. 3. Neue Diskussionsschwerpunkte Die Diskussion hat sich inzwischen stärker zu einer weitergehenden und einer eingeschränkteren Lösung verlagert:
Die Einbürgerung erscheint insbesondere für die Verfechter einer Symmetrie politischer Rechte und Pflichten als die saubere Lösung. Die bisherigen Einbürgerungszahlen — seit 1974 jährlich zwischen und 15 000 — sind aber auch im internationalen Vergleich außerordentlich niedrig. Die Gründe dafür können sowohl auf der „Angebotsseite" — restriktive Bedingungen für die Einbürgerung — als auch der „Nachfrageseite" — kein Interesse der Ausländer an Einbürgerung — liegen. Diskutiert werden daher einerseits erleichterte Voraussetzungen für die Einbürgerung — u. a. geringere Kenntnisse der Schriftsprache, befristeter Anspruch auf Einbürgerung für die zweite und dritte Ausländergeneration, verstärkte Inkaufnahme von Doppel-staatsbürgerschaften, falls die Entsendeländer einen Wechsel der Staatsbürgerschaft behindern —, wobei teilweise ähnliche Gegenargumente wie in der Wahlrechtsfrage gebraucht werden 10). Andererseits ist vorgeschlagen worden, den Entscheidungszwang zu verstärken und den Anreiz für eine Einbürgerung zu erhöhen, indem die Nichtwahrnehmung der Einbürgerungsmöglichkeit mit einer Verschlechterung des Rechtsstatus der betreffenden Ausländer verbunden wird -Das Interesse der Ausländer an einer Einbürgerung ist nach einer repräsentativen Befragung 1980 mit knapp 7 % sehr gering wobei als wichtigste Gründe genannt werden: 1. Bindung an die bisherige Nationalität, 2. Rückkehrabsicht, 3. Notwendigkeit, die bisherige Staatsbürgerschaft aufzugeben
Die konsultativen Beteiligungsmöglichkeiten für Ausländer in den Kommunen werden im Verhältnis zu Wahlrecht und Einbürgerung sehr unterschiedlich eingeschätzt:
Während die einen sie positiv als Alternative zum abgelehnten Wahlrecht werten, lehnen die anderen sie wegen dieses Alternativcharakters als Alibi und „Linsengericht", für das das Wahlrecht verkauft werde, ab. Eine andere Gruppe sieht sie dagegen als Kampfinstrument für und ersten Schritt zum Ausländerwahlrecht Aus einer weiteren Perspektive erscheinen beide Positionen als Verkürzung, da die konsultative Beteiligungsform für eine Minderheitsgruppe mit spezifischen Problemen wie die Ausländer unabhängig vom Wahlrecht sinnvoll sei. Schließlich werden aus einer institutionenkritischen Position Konsultation wie potentiell auch das Wahlrecht skeptisch betrachtet, da sie vom vorrangigen Ziel, nämlich der Selbstorganisation der betroffenen Ausländer, eher ablenkten.
II. Konsultative Beteiligungsformen auf kommunaler Ebene
1. Entstehungshintergrund Im Rahmen der mit der föderativen Verfassungsstruktur der Bundesrepublik verbundenen Kompetenzzuweisung ist den Kommunen durch Art. 28 Abs. 2 GG das Recht garantiert, die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft in eigener Verantwortung regeln zu können. In diesem Zusammenhang verpflichten die Gemeindeordnungen die Kommuneninsbesondere dazu, alle Einrichtungen und Hilfen zu schaffen, die für die Daseinsvorsorge und das soziale und kulturelle Wohl ihrer Einwohner erforderlich sind Hierzu zählen insbesondere alle Einrichtungen der sozialen Infrastruktur (Schulen, Kindergärten, Freizeiteinrichtungen usw.), aber auch Maßnahmen, die den besonderen Bedürfnissen einzelner Einwohnergruppen Rechnung tragen. Die Kommunen sind daher in besonderem Maße mit den Folgeproblemen der Ausländerbeschäftigung konfrontiert. Diese Problematik ist auch auf kommunaler Ebene lange Zeit in ihrer vollen Tragweite nicht erkannt worden. In Übereinstimmung mit der offiziellen Sichtweise wurden die sich aus der Anwesenheit ausländischer Einwohner ergebenden besonderen Anforderungen und Probleme vielerorts als lediglich vorübergehendes Phänomen betrachtet Mit dem endgültigen Scheitern der Rotationsidee begann dann aber auch für die Kommunen eine neue Phase der Politik gegenüber Ausländern, die von dem Grundsachverhalt einer dauerhaften Anwesenheit ausländischer Minderheiten sowie eines auch individuell keineswegs kurzfristig gestalteten Aufenthalts auszugehen hatte.
Diese Situation ist für das kommunale politische System bezüglich seiner Willensbildung und Entscheidungsfindung insbesondere in zweifacher Hinsicht problematisch: — Zum einen stellt sich die Frage nach der Aufrechterhaltung seiner Legitimität angesichts der Tatsache, daß beträchtliche Teile seiner Einwohnerschaft auf Dauer systematisch von einer wirksamen Vertretung ihrer Interessen und einer Einflußnahme auf Entscheidungen, die sie selbst betreffen, ausgeschlossen sind.
— Zum anderen erscheint es zumindest fraglich, wie bei der sicherlich vorhandenen Unterschiedlichkeit der Bedürfnisse und Vorstellungen ausländischer Einwohner und der zum Teil beträchtlichen kulturellen Distanz, Einrichtungen und Maßnahmen zur Integration ohne eine zureichende Beteiligung der Betroffenen entwickelt und durchgeführt werden können.
Zur Veranschaulichung des Stellenwerts, den diese Problematik rein quantitativ inzwischen für einzelne Kommunen erreicht hat, sind in der folgenden Tabelle einige aktuelle Zahlen zum Stand der ausländischen Bevölkerung in ausgewählten Großstädten zusammengestellt worden.
In Reaktion auf diese grundsätzliche Problematik sind die Kommunen seit Beginn der siebziger Jahre zunehmend zu Versuchen übergegangen, Vertreter ausländischer Einwohner mit in die kommunalpolitische Willensbildung einzubeziehen. Angeregt und unterstützt wurden diese Aktivitäten durch Empfehlungen der zuständigen Länderminister und Senatoren sowie durch verschiedene Stellungnahmen und Empfehlungen der kommunalen Spitzenvereinigungen. 2. Rechtliche Rahmenbedingungen und Formen konsultativer Beteiligung ausländischer Einwohner Hinsichtlich der Einrichtung und Ausgestaltung von Beteiligungsangeboten für ausländische Einwohner sind die Kommunen aufgrund der Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 GG grundsätzlich in ihrer Entscheidung frei. Eine Begrenzung dieser Gestaltungsfreiheit ergibt sich lediglich durch die Vorschriften der jeweils geltenden Gemeindeordnung. Diese Vorschriften sind aufgrund der föderativen Verfassungsstruktur der Bundesrepublik in den einzelnen Bundesländern z. T.sehr unterschiedlich ausgestaltet. Ein gemeinsames Grundprinzip besteht allerdings darin, daß grundsätzlich das repräsentative Demokratieprinzip als Regelfall für die Strukturierung des kommunalpolitischen Willensbildungsprozesses vorgeschrieben ist Das bedeutet, daß eine Beteiligung von Personen, die nicht Mitglieder der kommunalen Vertretungskörperschaft sind, an der kommunalpolitischen Willensbildung in der Regel nur in mittelbarer Form möglich ist und nicht die Entscheidungsbefugnisse der kommunalpolitischen Organe berührt. Als wichtige Ausnahme von dieser grundsätzlichen Regelung sehen allerdings einige Gemeinde-ordnungen (Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein) die Möglichkeit einer Mitgliedschaft von Personen, die nicht Mitglieder der kommunalen Vertretungskörperschaft sind, in den Ratsausschüssen vor.
Hinsichtlich der Möglichkeit einer Beteiligung ausländischer Einwohner spielt diese Regelung jedoch nur eine untergeordnete Rolle, da die Formulierungen in den Gemeindeordnungen überwiegend nur deutschen, wahlberechtigten Einwohnern eine Mitgliedschaft in den Ratsausschüssen gestatten. Die Möglichkeit einer kontinuierlichen Mitarbeit in den Ratsausschüssen ist nach geltendem Gemeinderecht für ausländische Einwohner zur Zeit lediglich in Baden-Württemberg und Niedersachsen möglich Dennoch sehen auch die meisten anderen Gemeindeordnun-gen zumindest die Möglichkeit einer punktuellen Beteiligung ausländischer Einwohner in Form der Anhörung oder Hinzuziehung zu Beratungen des Gemeinderates und/oder seiner Ausschüsse vor. Diese Regelungen sind allerdings zum Teil von sehr unterschiedlicher Reichweite und beruhen auf unterschiedlichen Voraussetzungen und Verfahrensvorschriften
In der Praxis haben die Kommunen in der Vergangenheit von diesen in der jeweiligen Gemeindeordnung vorgesehenen Möglichkeiten nur wenig Gebrauch gemacht, überwiegend haben sie es vorgezogen, besondere, nicht in den Gemeindeordnungen vorgesehene Gremien einzurichten, die konsultative Aufgaben gegenüber Rat und/oder Verwaltung wahrnehmen sollen. Solche Gremien sind insbesondere in der Form des sogenannten Beirats schon lange ein geläufiges Instrument zur Beteiligung von Sachverständigen und Betroffenen und erfreuen sich auch im kommunalen Bereich einer Zunehmenden Beliebtheit Die kommunale Gestaltungsfreiheit bei der Einrichtung solcher Gremien zur Vertretung der Interessen ausländischer Einwohner hat inzwischen dazu geführt, daß eine Fülle unterschiedlicher Ausgestaltungen dieser Beteiligungsmodelle auf kommunaler Ebene existiert, die eine Typenbildung sehr erschwert Unabhängig von den konkreten Ausgestaltungsmerkmalen lassen sich dennoch entstehungsgeschichtlich vier Hauptformen kommunaler Vertretungsmodelle unterscheiden, die auch den Fortgang und jeweils erreichten Stand der Diskussion widerspiegeln. Dabei handelt es sich um folgende vier Typen
a) Arbeits-und Koordinationskreis b) Ausländerparlament c) Ausländerbeirat d) Ratsausschuß für Ausländerangelegenheiten a) Arbeits-und Koordinationskreise Bei den Arbeits-und Koordinierungskreisen handelt es sich um die früheste Form kommunaler Ausländervertretungen. Bereits 1971 empfahlen die zuständigen Landesminister und Senatoren den Gemeinden die Beteiligung an der Gründung entsprechender Gremien. Die Bundesanstalt für Arbeit und die kommunalen Spitzenvereinigungen schlossen sich dieser Empfehlung an Die Gründung dieser Gremien erfolgte zunächst überwiegend aus Gründen der wechselseitigen Information der in der Ausländerarbeit tätigen Verbände, Organisationen und Behörden sowie zur Koordinierung geplanter Maßnahmen. Arbeits-und Koordinierungskreise sind daher in erster Linie als ständige Gesprächs-kreise der Organisationen und Stellen zu verstehen, die mit Ausländerfragen befaßt sind Die Zusammensetzung dieser Gremien orientiert sich daher weitgehend an den vor Ort gegebenen Strukturen der Ausländer-arbeit. Die in der Ausländerarbeit tätigen Verbände und Behörden delegieren jeweils ihre Vertreter in diese Gremien. Ausländer sind in den meisten Fällen nur in der Person von Sozialbetreuern, die von ihren Arbeitgebern (z. B. Wohlfahrtsverbände) delegiert sind, vertreten. Der Grad der Institutionalisierung dieser Gremien ist sehr unterschiedlich. Oft handelt es sich lediglich um ständige, informelle Gesprächskreise. Eine irgendwie geartete Einbindung in den kommunalpolitischen Entscheidungsprozeß ist für Arbeitskreise untypisch. Charakteristisches Merkmal ist daher das völlige Fehlen eigener Kompetenzen. b) Ausländerparlamente Etwa zeitlich parallel zu den Arbeits-und Koordinierungskreisen entstanden in einzelnen Städten sogenannte Ausländerparlamente Diese Gremien setzten sich ausschließlich aus gewählten ausländischen Repräsentanten zusammen, deren Aufgabe in der Artikulation und Vertretung der Interessen ausländischer Einwohner gegenüber den politischen Entscheidungsträgern bestand. Dabei 'wurden diese Repräsentationsgremien bewußt unabhängig von den üblichen Organen der kommunalpolitischen Willensbildung institutionalisiert, um eine möglichst unbeeinflußte Meinungsbildung und Interessenartikulation der ausländischen Repräsentanten zu ermöglichen. Dieser vermeintliche Vorteil der Aus-länderparlamente hat jedoch letztlich zu ihrer politischen Isolation und damit zur Wirkungslosigkeit ihrer Arbeit geführt Aus-länderparlamente waren ohnehin nur in wenigen Kommunen der Bundesrepublik Deutschland institutionalisiert. Die wenigen bestehenden Modelle sind als Experiment gescheitert und zugunsten anderer Vertretungsformen eingestellt worden. Zentrale Ausgestaltungsmerkmale (Urwahl durch ausländische Bevölkerung, ausschließliche Besetzung mit ausländischen Vertretungsmitgliedern) sind jedoch in verschiedenen anderen Beteiligungsformen aufgegriffen und realisiert worden. c) Ausländerbeiräte Unter der Bezeichnung Ausländerbeiräte finden sich in der Realität sehr unterschiedlich ausgestaltete Vertretungsformen. Die gemeinsame Bezeichnung bezieht sich daher nicht auf bestimmte organisatorische Merkmale, sondern auf die diesen Gremien gemeinsame Art der Stellung zu den Organen der kommunalpolitischen Willensbildung. Unter Ausländerbeiräten sind von den Kommunen institutionalisierte Vertretungsgremien mit festem Mitgliederkreis zu verstehen, die den Organen des kommunalen politischen Systems beratend zugeordnet sind. Gegenüber den Arbeits-und Koordinierungskreisen besitzen Ausländerbeiräte den Vorteil einer stärkeren Institutionalisierung. Sie sind meistens durch einen förmlichen Beschluß der Kommunalvertretung ins Leben gerufen worden und arbeiten auf der Basis einer rechtlichen Grundlage (Satzung, Ordnung). Ihre Existenz und Arbeit ist von den politischen Entscheidungsträgern also formell anerkannt. Gegenüber den Ausländerparlamenten besitzen Ausländerbeiräte den Vorzug einer stärkeren Einbindung in den kommunalpolitischen Willensbildungsprozeß. Diese ergibt sich nicht nur aus der formellen Einräumung bestimmter Kompetenzen gegenüber Kommunalvertretung und -verwal-tung, sondern insbesondere durch die für diese Vertretungsform typische Mitarbeit von Vertretern dieser Organe. Ausländerbeiräte eröffnen daher insgesamt gesehen weiterführendere Möglichkeiten zur Interessenvertretung ausländischer Einwohner als die bisher dargestellten Vertretungsformen. d) Ratsausschüsse für Ausländerangelegenheiten Ratsausschüsse für Ausländerangelegenheiten stellen die bislang weitestgehende Möglichkeit zur Interessenvertretung ausländischer Einwohner dar. Dabei ist unter dieser Vertretungsform ein von der Kommunalvertretung selbst gebildetes Gremium zu verstehen, dessen Aufgabe darin besteht, die Entscheidungen der Vertretungskörperschaft in Ausländerfragen vorzubereiten oder in bestimmten Fällen an ihrer Stelle selbst zu entscheiden In den Bundesländern, deren Gemeindeordnungen bereits eine entsprechende Regelung vorsehen, eröffnet dieses Modell die Möglichkeit einer unmittelbaren Vertretung der Interessen ausländischer Einwohner in den kommunalpolitischen Organen durch die Betroffenen selbst In allen Ländern der Bundesrepublik Deutschland besteht zumindest die Möglichkeit einer Anhörung der von der Beschlußfassung betroffenen ausländischen Einwohner. Ratsausschüsse für Ausländerangelegenheiten sind allerdings bisher nur in einigen wenigen Kommunen (Wolfsburg, Hannover, Stuttgart) eingerichtet worden.
III. Bestandsaufnahme: Kommunale Ausländervertretungen in der Rundesrepublik Deutschland
Abbildung 22
Behinderung von Selbstorganisation und Emanzipation Alternative ______ zu Wahlrecht konsultative Beteiligungsmöglichkeit eigenständiges Element mit und ohne Wahlrecht erster Schritt zu Wahlrecht
Behinderung von Selbstorganisation und Emanzipation Alternative ______ zu Wahlrecht konsultative Beteiligungsmöglichkeit eigenständiges Element mit und ohne Wahlrecht erster Schritt zu Wahlrecht
Der bislang unbefriedigende Forschungsstand zur Arbeit und Wirksamkeit kommunaler Ausländervertretungen gab den Anstoß zu einem Forschungsprojekt, das zur Zeit mit finanzieller Unterstützung der Stiftung Volkswagenwerk an der Ruhr-Universität Bochum bearbeitet wird. Ziel dieses Vorhabens ist insbesondere eine hinreichend differenzierte Bestandsaufnahme der Institutionalisierung sowie der organisatorischen Strukturen und Arbeitsweisen kommunaler Ausländervertretungen im gesamten Bundesgebiet. Darauf aufbauend sollen-dann durch eine vergleichende Analyse der mit unterschiedlichen Formen gemachten Erfahrungen Anknüpfungspunkte und Strategien zur Verbesserung der kommunalen Beteiligungspraxis erarbeitet werden.
Zentraler konzeptioneller Bestandteil des Projekts ist die Kombination unterschiedlicher methodischer Ansätze: Kernstück ist dabei eine breit angelegte schriftliche Umfrage bei Kommunalverwaltungen im gesamten Bundesgebiet. Zur Kontrolle und Absicherung der dabei erarbeiteten Ergebnisse werden ergänzend drei kommunale Fallstudien sowie Interviews mit einem breiteren Personenkreis in ausgewählten, besonders interessant erscheinden Kommunen durchgeführt. Komplettiert werden soll dieser Forschungsansatz durch eine Befragung ausländischer Einwohner und einer entsprechenden deutschen Kontrollgruppe im Rahmen einer der bereits erwähnten Fallstudien.
Die Daten, auf die sich die folgenden Ausführungen stützen, sind Ergebnisse einer Zwischenauswertung ausgewählter Aspekte der bereits erwähnten schriftlichen Befragung von Kommunalverwaltungen. Diese Befragung wurde bei Kommunen mit einer Einwohnerzahl von über 50 000 in Form einer Totalerhebung und in den Gemeindegrößenklassen von 10 000 bis 50 000 Einwohner in Form repräsentativer Stichproben durchgeführt. Die Ergebnisse sind zunächst als vorläufig zu bewerten, weil die Befragungsaktion zur Zeit noch nicht endgültig abgeschlossen ist. Da die Gesamtrücklaufquote bereits jetzt nahezu 70 % beträgt und auch keine nennenswerten Abweichungen in einzelnen Teilstichproben erkennbar sind, ist jedoch davon auszugehen, daß zumindest die eindeutigen Trends auch hinsichtlich der Gesamtsituation Gültigkeit besitzen.
Insgesamt konnten in die Auswertung beim derzeitigen Stand des Rücklaufs Informationen aus insgesamt 420 Kommunen einbezogen werden. Hinzu kommen detailliertere Informationen von 101 Kommunalverwaltungsangehörigen und 66 Mitgliedern kommunaler Ausländervertretungen. 1. Zum Stand der Institutionalisierung kommunaler Ausländervertretungen Die Institutionalisierung von Ausländervertretungen ist das Ergebnis von Entscheidun-gen, die die Kommunen auf freiwilliger Basis treffen. Es dürfte daher von erheblichem Interesse sein, von wem die Initiative zu dieser Entscheidung ausgeht und welche Einflußfaktoren dabei eine Rolle spielen.
Die Befragungsergebnisse der Kommunen mit einer Ausländervertretung zeigen die Tabellen 2 und 3.
Sieht man von der vielleicht etwas unerwarteten Tatsache ab, daß immerhin 38, 6 % der Befragten angeben, daß die Initiative zur Einrichtung der Ausländervertretung von Personenkreisen außerhalb von Rat und Verwaltung ausgegangen sei, enthalten die Ergebnisse eigentlich keine Überraschungen. In vielen Fällen scheint die Einrichtung der Ausländervertretung von einem Konsens zwischen Rat und Verwaltung getragen worden zu sein. Als wichtigster Entscheidungsgrund wird die Problematik der spezifisch örtlichen Situation im Zusammenhang mit der ausländischen Bevölkerung genannt.
Auch die regionale Verteilung der kommunalen Ausländervertretungen spiegelt weitgehend die jeweiligen regionalen Problemstrukturen wider. Der weitaus überwiegende Anteil der vorhandenen Ausländervertretungen findet sich in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg, den beiden Bundesländern, auf die auch die höchsten Anteile der ausländischen Wohnbevölkerung im Bundesgebiet entfallen. Dieses Ergebnis legt zunächst die plausible Vermutung nahe, daß sich die Einrichtung kommunaler Ausländer-vertretungen weitgehend an der vor Ort gegebenen Problemsituation, insbesondere an der Höhe des Ausländeranteils an der Wohnbevölkerung, orientiert, über die Hälfte aller Ausländervertretungen findet sich auch in Kommunen mit einem Ausländeranteil von 10 % und mehr.
Betrachtet man jedoch die Situation in dieser Gruppe von Kommunen etwas genauer, so lassen sich beträchtliche regionale Unterschiede feststellen. Während z. B. in Nordrhein-Westfalen in 86 % der in der Stichprobe enthaltenen Kommunen mit einem Ausländeranteil von 10 % und mehr eine kommunale Ausländervertretung eingerichtet ist, beträgt der entsprechende Anteil in Baden-Württemberg lediglich 44 %. Die eingangs formulierte Hypothese läßt sich somit in dieser einfachen Form nicht aufrechterhalten. Deutliche Hinweise auf einen starken Einfluß der Gemeindegröße bei der Einrichtung kommunaler Ausländervertretungen ergeben sich bei einem Vergleich der in den folgenden Tabellen enthaltenen Ergebnisse.
Sowohl mit wachsender Gemeindegröße als auch mit steigendem Ausländeranteil nimmt der Anteil der Gemeinden zu, die eine kommunale Ausländervertretung eingerichtet haben. Der Einfluß beider Faktoren auf die Institutionalisierung kommunaler Vertretungsgremien ist also deutlich. Dabei scheint allerdings einiges für eine ausgeprägtere Rolle des Einflusses der Gemeindegröße zu sprechen. So läßt sich etwa bei den Kommunen mit einem Ausländeranteil von 10 % und mehr feststellen, daß 89 % dieser Gemeinden, die eine Einwohnerzahl von mehr als 50 000 haben, eine Ausländervertretung eingerichtet haben. Demgegenüber beträgt der entsprechende Anteil bei den kleineren Gemeinden mit einer Einwohnerzahl zwischen 10 000 und 50 000 Einwohnern lediglich 44 %. Dementsprechend zählen 94 % der Gemeinden mit einem Ausländeranteil von 10 % und mehr, die keine Ausländervertretung haben, zu eben diesen kleineren Gemeindegrößenklassen.
In der Praxis scheint also der Einfluß, der von der jeweiligen örtlichen Problemsituation auf die Entscheidung zur Einrichtung einer kommunalen Ausländervertretung ausgeht, von Gegebenheiten überlagert zu werden, die mit der Gemeindegröße verknüpft sind. Die Gemeindegröße kann dabei als Indikator insbesondere für die personelle und organisatorische Kapazität der Verwaltung, die Binnendifferenzierung der Entscheidungsstrukturen, aber auch für die kommunale Erfahrung mit ähnlichen Formen konsultativer Beteiligung in anderen Bereichen stehen.
Die regionale Verteilung kommunaler Aus-ländervertretungen folgt somit nicht nur der örtlichen Problemstruktur, sondern auch der jeweiligen regionsspezifischen Siedlungsstruktur. Dieses Ergebnis macht auch die bereits erwähnten regionalen Abweichungen plausibel.
Eine Übersicht über die regionale Verteilung der Ausländervertretungen sowie einzelner Beteiligungsformen enthält Tabelle 6. Zu den hier enthaltenen Ergebnissen ist eine Anmerkung erforderlich. Die Zuordnung kommunaler Ausländervertretungen zu einzelnen Vertretungsformen wurde zunächst lediglich anhand ihrer offiziellen Bezeichnung vorgenommen. Dahinter können sich natürlich bezüglich ihrer organisatorischen Ausgestaltung im einzelnen sehr unterschiedliche Modelle verbergen. Vergleicht man nun die Ergebnisse dieser Zusammenstellung mit Zahlenmaterial aus den Jahren 1974 bis 1975, das nach derselben Methode auf der Basis eines Adreßverzeichnisses des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung gewonnen wurde, so ergibt sich ein deutlich höherer Anteil der Beteiligungsform . Ausländerbeirat", ein Ergebnis, das als Zeichen eines gestiegenen Ma-bes der institutionellen Absicherung kommunaler Ausländervertretungen gewertet werden kann. Auch in diesem Zusammenhang macht sich der Einfluß der Gemeindegröße wieder bemerkbar, und zwar dergestalt, daß in den größeren Gemeinden deutlich höhere Anteile von Ausländerbeiräten an der Gesamtheit vorhandener Vertretungsformen zu finden sind. Ein überraschendes Ergebnis ist allerdings darin zu sehen, daß nach den vorläufigen Ergebnissen bei fast einem Fünftel der in unserer Stichprobe enthaltenen kommunalen Ausländervertretungen die ausländischen Vertretungsmitglieder bereits durch Wahlen unterschiedlicher Art von der ausländischen Bevölkerung bestimmt werden.
IV. Zur Wirksamkeit der kommunalen Beteiligungspraxis
Abbildung 23
Tabelle 1: Ausländer in ausgewählten Großstädten der Bundesrepublik Deutschland am 31. 12. 1982
Quelle: Statistisches Jahrbuch der Deutschen Gemeinden, 70 (1983), sowie eigene Berechnungen
Tabelle 1: Ausländer in ausgewählten Großstädten der Bundesrepublik Deutschland am 31. 12. 1982
Quelle: Statistisches Jahrbuch der Deutschen Gemeinden, 70 (1983), sowie eigene Berechnungen
Der Stellenwert kommunaler Ausländervertretungen für die politische Integration ausländischer Einwohner bestimmt sich selbstverständlich nicht nur nach der Verbreitung und Institutionalisierung dieser Modelle, sondern hängt primär von den erzielten Wirkungen ab. Deren Einschätzung wird dadurch erschwert, daß eine empirisch fundierte Aufarbeitung der Ergebnisse kommunaler Ausländerbeteiligung bisher nicht stattgefunden hat. Immerhin liegen zahlreiche Erfahrungsberichte vor. Daraus ergeben sich ungeachtet der jeweiligen örtlichen Besonderheiten einige Gemeinsamkeiten, die folgende Hypothesen zur Wirksamkeit kommunaler Beteiligungsmodelle nahelegen.
Die Erfahrungsberichte deuten auf einen relativ bescheidenen Erfolg kommunaler Ausländervertretungen bei der Interessenwahrnehmung ausländischer Einwohner. Ein typisches Merkmal der Wirksamkeit kommunaler Aus-ländervertretungen scheint darin zu bestehen, daß eine Reihe kleinerer Verbesserungen im Verlauf eines längeren Zeitraums erreicht werden kann, entscheidende Innovationen aber nicht durchsetzbar sind ErzielteErfolge beziehen sich dabei hauptsächlich auf folgende Bereiche
— Einstellungsänderungen im Sinne einer größeren Offenheit und Sensibilität für Ausländerprobleme in der Kommunalverwaltung; — Verbesserung der Organisation und Koordination der Ausländerarbeit einer Kommune;
— Verbesserung der Durchsetzungschancen einzelner Forderungen durch Herstellung von Öffentlichkeit bezüglich der Entscheidungsprozesse in Rat und Verwaltung. Verschiedene Erfahrungsberichte betonen außerdem die Verbesserung des Informationsstandes bei allen Beteiligten, die Schaffung neuer bzw. Absicherung vorhandener Verwaltungsstellen in der Ausländerarbeit sowie die erfolgreiche Einflußnahme auf einzelnen Fachplanungen der Verwaltung. Insgesamt gesehen scheint die Wirksamkeit der Arbeit kommunaler Ausländervertretungen im wesentlichen auf eine Stabilisierung der örtlichen Ausländerpolitik, die Verbesserung des allgemeinen politisohen Klimas und Problembewußtseins sowie die Abänderung einzelner Verwaltungsmaßnahmen begrenzt zu sein. Eine wesentliche Ursache für die nur beschränkte Leistungsfähigkeit im Hinblick auf eine politische Interessenvertretung ausländischer Einwohner wird in Mängeln der organisatorischen Ausgestaltung und damit verbundenen funktionalen Problemen der Vertretungsgremien gesehen. Den Erfahrungsberichten lassen sich insbesondere folgende generelle Defizite entnehmen:
— Überrepräsentation deutscher Organisationen und Verbände; — unzureichende Legitimation ausländischer Vertretungsmitglieder;
— fehlende klare institutionelle Verankerung. Mit diesen Strukturdefiziten waren insbesondere zwei Mängel in der Arbeitsweise verbunden: die unzureichende Einbindung in den kommunalpolitischen Willensbildungsprozeß sowie die mangelnde Rückkoppelung zur Basis der ausländischen Wohnbevölkerung. Die in der Untersuchung festgestellten Tendenzen zu einer verstärkten Institutionalisierung in Form von Beiräten und die damit verbundene stärkere Anbindung an den Rat sowie zu einer Legitimation der ausländischen Repräsentanten durch Wahl von Seiten der ausländischen Einwohner kann als eine Reaktion der Kommunen auf die genannten Defizite interpretiert werden.
Eine Überprüfung und Differenzierung einzelner Hypothesen zur Wirksamkeit kommunaler Ausländervertretungen wird im Rahmen des Projektes unter Einsatz unterschiedlicher Methoden angestrebt. Ergebnisse dieser weiterführenden Analysen liegen zur Zeit noch nicht vor.
Immerhin signalisiert eine generelle Beurteilung der Arbeitsweise bisheriger Ausländer-vertretungen durch Vertretungsmitglieder erheblichen Reformbedarf. Während nur etwa jeder Zehnte die Arbeitsweise als voll befriedigend einschätzte, erklärte jeweils ein Viertel der Befragten, daß die Arbeitsweise „in einigen Punkten" bzw. „grundlegend" geändert werden müßte. Die Gründe dieser Einschätzung bedürfen allerdings noch genauer Analyse, um die Richtung notwendiger Änderungen bestimmen zu können und daraus konkrete Vorschläge zu entwickeln.
Uwe Andersen, Dr. phil., Dipl. -Pol., geb. 1940; Professor für Politikwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum; Studium der Politikwissenschaft und Volkswirtschaftslehre an der FU Berlin und der Yale University, New Haven. Manfred Cryns, Dipl. -Volkswirt, geb. 1947; Studium der Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaft in Bonn und Köln; seit 1982 wissenschaftlicher Angestellter an der Ruhr-Universität Bochum, Abt Sozialwissenschaften.
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