Demokratie mit erhobenen Händen? Militär und demokratischer Wandel in Lateinamerika
Günther Maihold
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Zusammenfassung
* Die Demokratisierung der politischen Herrschaft in Lateinamerika in den achtziger Jahren ist nunmehr in die Phase der Konsolidierung der neuen Demokratien eingetreten. Allerdings ist zur Analyse des Militärs als politischer Akteur eine genauere Betrachtung der Entwicklung zur Demokratie angezeigt, da in diesem Zeitraum die entscheidenden Weichenstellungen für die weitere Rolle der Streitkräfte im politischen Prozeß stattfanden. Da das Militär in Lateinamerika schon immer eine weitgehende Integration in die nationale Gesellschaft aufwies, ist die Betrachtung der zivilen/militärischen Beziehungen entscheidend, um die von den Streitkräften ausgehandelten Sonderrechte zu verstehen. Sowohl in der Frage der Verletzung der Menschenrechte als auch bezüglich der Garantie der eigenen Interessen konnte sich das Militär gegenüber den demokratischen Regierungen erfolgreich behaupten. Heute erleben wir vielfach schon wieder den Versuch, aufgegebene Positionen wiederzuerlangen, so daß die These, es habe sich beim Übergang zur Demokratie auch um einen taktischen Rückzug des Militärs gehandelt, erhärtet wird. Angesichts der Überlastung der demokratischen Regierungen mit ökonomischen Problemen, haben sie keine systematische Militärpolitik entwickelt, sondern vor allem schnell einen modus vivendi mit dem Militär gesucht, so daß die Binnenstruktur und die innere Organisation der Streitkräfte weitgehend unverändert fortdauem konnte. Mit der Zuweisung neuer Funktionen an das Militär als Ordnungsmacht und im Drogenkampf sind erste Schritte erfolgt, die es erneut zu einem dominanten politischen Akteur im politischen Leben Lateinamerikas werden lassen. Die zivile Kontrolle erweist sich damit eher als eine Oberflächenansicht, tatsächlich geraten trotz der früheren Diskreditierung des Militärs die Politiker Lateinamerikas immer stärker in den Bannkreis militärischer Macht.
Die Dekade der achtziger Jahre bedeutete für Lateinamerika die Rückkehr zu demokratischen Regierungsformen, denen sich weder traditionelle Caudillos wie der ehemalige Präsident Paraguays Alfredo Stroessner noch die bewaffneten Technokraten Brasiliens verschließen konnten. Wie in einer Wellenbewegung setzte sich der Übergang zur Demokratie auf dem Kontinent fort, wobei sich die vom Militär bestimmten Regime gezwungen sahen, angesichts des Wandels in den Nachbarstaaten und des internationalen Drucks den Forderungen nach einer demokratischen Öffnung nachzukommen; dies unabhängig davon, ob sich die Militärs wie in Peru an sozialistischen Experimenten orientierten oder wie in Chile als neoliberale Versuchsballons im wirtschaftlichen Bereich fungierten. Die Militärdiktaturen, die sich zwischen 1965 und 1975 an die Macht geputscht hatten oder auch von bestimmten gesellschaftlichen Gruppen zur Übernahme der Macht gerufen wurden, mußten jedoch nicht nur wegen der „Situationslücke für die Demokratie als konjunkturelle Verhaltensalternative“ den Rückzug in die Kasernen antreten, vielmehr war auch ihr eigenes Versagen auf ökonomischem, militärischem und politischem Gebiet ein Grund für die Ausbreitung demokratischer Regierungsformen in Lateinamerika.
Dies darf allerdings nicht dahingehend interpretiert werden, daß damit die Streitkräfte als Problem der neuen Demokratien Lateinamerikas an Bedeutung verloren hätten. Die Präsenz des Militärs im politischen Prozeß der demokratischen Öffnung hat sich als schwerwiegende Belastungsprobe für die aus den Wahlen hervorgegangenen Regierungen erwiesen, die sogar die Frage nach der Regierbarkeit aufgeworfen hat. Das Verbleiben von Augusto Pinochet in seinen militärischen Funktionen auch nach dem Antritt der demokratisch gewählten Regierung Aylwin in Chile sowie die krisenhaften Auseinandersetzungen in Argentinien zwischen der Regierung des Präsidenten Raül Alfonsn und den verschiedenen Gruppen innerhalb des Militärs sind wohl als das Paradebeispiel für die Probleme des demokratischen Wandels und der Neugestaltung der Beziehungen zwischen Militär und ziviler Regierung anzusehen. Dabei wurde auch offenbar, daß die Militärs zwar gewillt sind, ihre Regierungsposten aufzugeben, gleichzeitig aber nur in sehr begrenztem Ümfang eine Beschneidung ihrer gesellschaftlichen Machtposition zulassen. So konnten die Streitkräfte in Uruguay sogar die Bedingungen des Übergangs zur Demokratie bestimmen und für die ersten direkten Wahlen den Ausschluß bestimmter Politiker als Kandidaten durchsetzen; die Amnestie für Verbrechen während der Militärherrschaft wurde zur Voraussetzung einer Übergabe der Regierungsmacht erhoben. Die chilenische Militärjunta drohte bei jeder Änderung des ökonomischen Modells sowie der institutionellen Ordnung durch die demokratische Regierung mit einem erneuten Eingreifen.
Die Gestaltung demokratischer Verhältnisse durch die neuen Regierungen traf immer dann in besonderem Maße auf Probleme, wenn es um die zivile Kontrolle der militärischen Institutionen ging, mit denen nicht nur im engeren Sinne die Streitkräfte gemeint sind, sondern auch die Polizei und die Geheimdienste. Die Sicherung ihrer institutionellen Interessen steht für diese Machtgruppen nach wie vor an oberster Stelle im Aushandlungsprozeß mit den Regierungen, wobei sich die guten Erfolgschancen zur Fortdauer dieser Privilegien auch unter demokratischen Verhältnissen aus der Angewiesenheit der neuen politischen Elite auf die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit in der schweren wirtschaftlichen und sozialen Krise ergeben. Die Unterordnung der Militärs unter den zivilen Oberbefehl ist daher nur ein oberflächliches Zeichen, das wenig über eine Demokratisierung der Binnenstruktur aussagt. Zudem verbietet sich in Lateinamerika gerade wegen der Dichte der sozialen Beziehungen und des hohen Integrationsgrades des Militärs in die sehr differenzierte Sozialstruk-tur eine Perspektive, die eine isolierte Betrachtungsweise der innermilitärischen Prozesse mit sich bringen würde. Die Hintergründe für den Prätorianismus, d. h. für den dominanten politischen Einfluß des Militärs sind eben vor allem auch in der zivilen Gesellschaft zu finden, wie in dem Mangel an politischer Kultur in Gestalt sehr begrenzter Regimelegitimität der zivilen Autorität, geringer Transferlegitimität, d. h. nicht eingespielter Verfahrensweisen bei politischem Machtwechsel sowie eingeschränkter Ausbildung soziopolitischer Gruppen wie Gewerkschaften und Parteien als Grundlage eines gesellschaftlichen Interessenpluralismus Andererseits wurde auch die unzureichende Institutionenbildung als Anlaß und Ursache für das Eingreifen des Militärs in den politischen Prozeß angeführt, begründet mit dem Ziel, die Regierbarkeit der jeweiligen Gesellschaften und die Regierungsfähigkeit der zentralen politischen Instanzen sicherzustellen
I. Bedingungen von Demokratie in Lateinamerika
Wie aus diesen Bemerkungen bereits hervorgeht, ist die Analyse der konkreten Form des Übergangs zur Demokratie ebenso an den Einzelfall gebunden, wie dies auch für die aus dem Übergang folgenden Stabilitätsbedingungen des demokratischen Systems gilt. Dabei wirken eine Fülle von externen und internen Faktoren zusammen, seien es nun die historischen und kulturellen Erfahrungen des Landes, die politische Tradition des politischen Systems, Brüche und Polarisierungen innerhalb der Gesellschaft, das Versagen der politischen Parteien.der Einfluß ausländischer Militärhilfe oder externe politische Destabilisierungsversuche. Es bleiben jedoch auch Gemeinsamkeiten jenseits der Grenzen des Einzelfalls feststellbar, die aus den strukturellen Rahmenbedingungen von Politik in Lateinamerika folgen
Gerade unter den Bedingungen der tiefgehenden ökonomischen Krise und der Verschuldungsproblematik ist die Frage zu stellen, inwieweit die lateinamerikanischen Regierungen unter dem Druck von Stabilisierungs-und Anpassungsprogrammen des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank noch in der Lage sind, die soziale Schuld gegenüber ihrer Bevölkerung abzutragen. Die gewaltsamen Auseinandersetzungen in Argentinien und Venezuela, die im Gefolge der Erhöhung von politisch gesetzten und staatlich subventionierten Preisen und Dienstleistungen im Bereich der Grundbedürfnisse ausbrachen, sind nur die Spitze der sozialen Unruhe, die in den Ländern Lateinamerikas virulent, wenn auch noch nicht manifest vorhanden ist. Die eingeschränkte Verfügung über die Zukunft des eigenen Landes, die die neuen Demokratien Lateinamerikas von den ausscheidenden Militärs erbten, kann sowohl den Beginn wie auch das Ende der demokratischen Herrschaft auf dem Kontinent bedeuten. Vielfach scheint der Übergang zur Demokratie eher die Eindämmung sozialer Konflikte zum Anlaß zu haben, als einer grundlegenden Neu-bestimmung des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft zu dienen. Nicht ohne Grund ist daher die Frage gestellt worden, ob es sich bei den jüngsten Entwicklungen um die Rückkehr zur Demokratie oder allenfalls die Modernisierung des Status quo handle
Sowohl unter dem Eindruck hoher Bevölkerungswachstumsraten als auch im Gefolge der Umverteilung der Lasten der ökonomischen Krise nach unten sind Konfliktlagen entstanden, die sich heute als Strukturproblem der neuen Demokratien artikulieren. Selbst wenn sich die bekannte These John Johnsons, wonach die Mittelschichten Lateinamerikas eigentlicher Motor der Modernisierung und Demokratisierung seien als zu einseitig erwiesen hat, da diese Gruppen oftmals nur eine Imitation des Lebensstils der Oberschichten anstrebten und sich ihr daher weithin problemlos eingliederten. bleibt die Ausdünnung der Mittelschichten durch die ökonomische Krise und damit der Verlust ihrer sozialen Pufferfunktion für die Gesamtgesellschaft festzuhalten. Diese Verschiebung in der Sozialstruktur der Länder Lateinamerikas hat auch ihre Rückwirkungen auf die Rolle des Militärs, das sich in seiner Führungsschicht immer in großem Maße eben aus diesen Mittelschichten rekrutiert. Die These des von den Mittelschichten angeführten Putsches kann unter den aktuellen Bedingungen daher neue Bedeutung erhalten, obwohl nach allgemeinem Forschungsstand davon auszugehen ist, daß letztlich die institutionellen Eigeninteressen gegenüber dem Rekrutierungsmuster der Soldaten dominant werden
Nicht zuletzt aus dem Interesse an einer Entschärfung sozioökonomischer Konflikte entspringt die Vorstellung eines sozialen Paktes als Basis eines geordneten und von weniger gesellschaftlichen Spannungen belasteten Übergangs zur Demokratie Hinter diesem Konzept steht die Stabilität von über 30 Jahren Demokratie in Venezuela, die mit dem Ende der Prez Jimdnez-Diktatur im Jahre 1958 und der Unterzeichnung des Pacto de Punto Fijo durch die wichtigsten politischen Parteien und gesellschaftlichen Gruppen auf eine dauerhafte Basis gestellt wurde Die venezolanische Erfahrung, soweit sie aufgrund der spezifischen Randbedingung eines erdölexportierenden Landes überhaupt als Modell dienen kann, verweist auf zwei notwendige Elemente für die Konsolidierung von Demokratie: Zum einen bedarf es der Einbeziehung der wichtigsten Parteien und gesellschaftlichen Gruppen, um für die Demokratisierung nicht nur ein politisches, sondern auch ein soziales Fundament zu schaffen. Dies gestattet die Überwindung jener Strukturdefekte des für Lateinamerika typischen politisierten Staates, die aus der Verhinderung einer Routine des politischen Handelns und dauerhaftem Grundsatzstreit um das soziale Ordnungsmodell zwischen den Parteien erwachsen.
Zum anderen muß es gelingen, den Primat des Staates durch die Stärkung der zivilen Gesellschaft einzuschränken.
Die etatistische Tradition Lateinamerikas hat zusammen mit der Staatszentriertheit der Militärregime die Spielräume der Gesellschaft eingeschränkt und eine Struktur von personalistischer Führung, Zentralismus und Kontrolle von oben hervorgebracht, die eine demokratische Öff, nung dauerhaft behindern kann. Eine zentrale Basis der Konsolidierung von Demokratie muß daher in der Aufwertung der Gesellschaft gegenüber dem Staat gesehen werden.
II. Von der Militärdiktatur zur zivilen Demokratie
1. Militärische Dominanz in der Geschichte Lateinamerikas Vor 30 Jahren schienen die Perspektiven der Demokratie in Lateinamerika vielversprechend (vgl. Abbildung): In Kolumbien war mit der Einigung zwischen liberalen und konservativen Pateien im Jahre 1958 das Ende der langen Periode von Gewalt und Diktatur gekommen, womit die wichtigste Voraussetzung für den Übergang zu einer stabilen zivilen Regierung geschaffen worden war. Römulo Betancourt wurde in Venezuela zum ersten demokratisch gewählten Präsidenten seines Landes, der eine vollständige Regierungszeit ohne militärische Intervention hinter sich brachte. In Brasilien hatte das nach dem Ende des zweiten Weltkrieges entstandene demokratische System den plötzlichen Rücktritt von Janio Cuadros als Präsident im Jahre 1961 überstanden; ihm war der radikalere Goulard nachgefolgt. Die Dominanz der Konservativen in Chile unter Jorge Alessandri neigte sich ihrem Ende zu, gleichzeitig verfolgte man den Aufstieg des Christdemokraten Eduardo Frei und seines Reformprojektes als vielversprechende Zukunft für das Land. In Bolivien hatte das Movimiento Nacional Revolucionario (MNR) nach der Revolution von 1952 seinen Führer Victor Paz Estenssoro 1960 zum zweiten Mal an die Macht gebracht. In Peru wurde die Regierung von Fernando Belaunde Terry vom Militär gestützt, um der als undemokratisch eingestuften sozialdemokratischen APRA und ihrem Führer Victor Raül Haya de la Torre den Zugang zur Macht zu verstellen. Argentinien befand sich nach der Exilierung von Juan Domingo Perön im Jahre 1955 auf dem Weg der Etablierung gewählter Regierungen, wenn auch unter Ausschluß der peronistischen Kandidaten; zwischen der Regierung von Frondizi und der Wahl von Ulfa kontrollierten die Militärs die Politik durch die Figur des Senatspräsidenten Jose Maria Guido.
In Zentralamerika und der Karibik war das Bild weniger positiv: Während Costa Rica sein demokratisches Regime bewahrte, wurde Nicaragua vom Somoza-Clan beherrscht und die Militärregime in El Salvador, Honduras und Guatemala, die sich zu Beginn der sechziger Jahre etabliert hatten, verstanden ihre Aufgabe eher als Verhinderung denn als Förderung von sozialen Reformen. Das demokratische Aufleben in der Dominikanischen Republik war mit dem Rücktritt von Trujillo nur von kurzer Dauer, während sich in Cuba mit der Konsolidierung von Fidel Castros Macht nach dem Ende des Batista-Regimes eine als verführerisch angesehene Alternative zur liberalen Demokratie in der Region ausbildete.
Nimmt man die Elemente des politischen Panoramas der sechziger Jahre in Lateinamerika zusammen, so deutete sich damals insgesamt ein Trend zur Demokratie an, der auch beim Militär eine Tendenz zu demokratischer und ziviler Herrschaft widerspiegelte. Die grundlegende These der sozialwissenschaftlichen Literatur, daß sozioökonomische Entwicklung auch zu politischer Stabilität und Demokratie führen werde, schien sich zu bestätigen. Gleichwohl entspricht das Auf und Ab demokratischer Verhältnisse in Lateinamerika eher einer Abfolge von Entwicklungsmodellen und Gesellschaftsentwürfen, die von der lateinamerikanischen Wissenschaft und europäischen Beobachtern folgendermaßen beschrieben werden: Populismus und (Neo-) Korporatismus, der Entwicklungsstaat (estado desarrollista) der Nachkriegszeit, die Varianten eines lateinamerikanischen Autoritarismus einschließlich des Konzeptes der Nationalen Sicherheit, Marxismus und Dependenztheorie In diesem Sinne lassen sich vier Wellen autoritärer Dominanz in der Politik Lateinamerikas festhalten
Die Phase von 1800 bis 1880 ist von der Dominanz der caudillos geprägt, denen es nicht gelang, den Staat dauerhaft zu besetzen (was vor allem auf das Fehlen eines professionellen Heeres zurückgeführt wurde). In der zweiten Phase von 1880 bis 1940 findet dann die „Verstaatlichung“ der Streitkräfte statt, d. h. es kommt zu einer Institutionalisierung des Militärs mit zunehmender Professionalisierung des Personals und der Ablösung der klassischen Caudillo-Struktur. Hierbei fungierte das Militär als Mittler zwischen dem lokalen Bürgertum und ausländischen Interessen. Mit der dritten Phase von 1948 bis 1959 tritt die Militärhilfe der USA durch die Ausbildung von großen Kontingenten der Streitkräfte Lateinamerikas in Fort Gulick/Panama in den Vordergrund, die die Transnationalisierung des Militärs und seine zunehmende Funktionalisierung im Rahmen des Ost-West-Gegensatzes beschreibt. Der ausländische Einfluß auf das politische Verhalten des Militärs wird darüber hinaus spürbar in der vierten Phase ab 1959, die unter dem Stichwort des counter insurgency den Kampf gegen die mit der kubanischen Revolution sich ausbreitende Guerilla-Tätigkeit auf dem Lande und in der Stadt (Tupamaros) beschreibt. Die Ausrichtung des Militärs an der Doktrin Kennedys — „Allianz für den Fortschritt“ — bedeutet die Erweiterung der Ausbildungsinhalte auf die civic action, d. h. die Umorientierung der innenpolitischen Funktion des Militärs auf einen entwicklungspolitisch relevanten Einsatz. Als Teil der counter insurgency-Strategie — und später verstärkt durch die Doktrin der nationalen Sicherheit, die weithin auch dem Zweck einer Forderung des internen Konsenses des Militärs diente —, soll durch Arbeiten an der ländlichen Infrastruktur der Kontakt zwischen der Zivilbevölkerung und dem Militär verstärkt werden, um damit gleichzeitig einer Guerilla jeden Nährboden zu entziehen Sowohl das verstärkte Einwirken des Militärs auf die Gesellschaft wie auch seine starke Verankerung in ihr verweisen auf die Vielfalt der zivil-militärischen Beziehungen so daß weder das Militär als monolithische Einheit begriffen, noch aus der Übergabe der Macht in zivile Hände auf die Etablierung demokratischer Verhältnisse geschlossen werden kann 2. Autoritarismus und Militärherrschaft Trotz der Breite der Demokratisierungswelle stellt sich die Frage, inwieweit die jüngste Übergabe der Macht eher taktischen als grundsätzlichen Charakter hat und somit die als zentrales Thema der achtziger Jahre bezeichnete Demokratiediskussion nicht nur ephemeren Charakters ist. Dies folgt vor allem aus der Befürchtung, es könne zu einer verdeckten Vormachtstellung des Militärs kommen, die sich hinter einer demokratischen Fassade verberge.
Bis vor wenigen Jahren war die Dominanz des autoritären Erbes in Lateinamerika als stabile Regierungsform in Gestalt des bürokratisch-autoritären Staates hervorgehoben worden -Dieses am brasilianischen Beispiel von Guillermo O’Donnell entwickelte Theorem setzt die ökonomische Entwicklung zur politischen Struktur dergestalt in Beziehung, daß der Ausweg aus der Sackgasse der importsubstituierenden Industrialisierung der sechziger Jahre nur in Gestalt der Schaffung günstiger Investitionsbedingungen für ausländisches Kapital durch einen repressiven Staatsapparat gefunden werden konnte. Die Koalition von militärischen und zivilen Technokraten gestattete die Einschränkung der sozialen Partizipation von Gewerkschaften und Teilen der Mittelschicht, die die Lasten des neuen Wirtschaftkonzeptes zu tragen hatten. Das dahinterstehende Verständnis einer betriebswirtschaftlichen Steuerung des Staates findet sich wiederum in der neoliberalistischen Wirtschaftspolitik, wie sie in ihrer monetaristischen Version der Chicago-Schule in Chile zeitweise durchaus erfolgreich praktiziert wurde. Dabei wird die Illusion vermittelt, wirtschaftlicher Fortschritt könne ohne die sozialen Kräfte technokratisch erzeugt und vor allem stabilisiert werden, ein Mißverständnis, das heute gerade auch unter der demokratischen Wirtschaftspolitik neoliberaler Prägung offenbar wird. Die politische Demokratisierung hat im ökonomischen Bereich nur in sehr begrenztem Maße eine Öffnung des Modernisierungsstaates zu partizipativen Formen und größerer sozialer Repräsentativität ermöglicht. Zunehmend wird deutlich, daß der autoritäre Charakter der Anpassungspolitik, auch wenn er unter demokratischen Vorzeichen vollzogen wird, in gewisser Hinsicht an den bürokratischautoritären Staatsgedanken O'Donnells anknüpft.
Die Hoffnung, mit dem Übergang zur Demokratie würde das Verhältnis von Staat und Gesellschaft von Grund auf rekonstruiert und der Weg für eine soziale Demokratie eröffnet, ist durch die ökonomischen Notwendigkeiten im Gefolge der Verschuldungskrise und der Defizite öffentlicher Haushalte geschwunden. Es muß somit fraglich bleiben, ob mit dem politischen Wandel der achtziger Jahre ein demokratischer Durchbruch erzielt wurde oder sich die neuen Regierungsformen als „gelenkte Demokratie“, „verantwortungsbewußte Demokratie“ oder „assoziierte Demokratie“ verfestigen und damit das autoritäre Erbe in der lateinamerikanischen Politiktradition weitere Gültigkeit entfaltet. 3. Autonomie des Militärs, Korporationsinteressen und Entwicklungsleistungen von Militärregimen
Im westlichen Vorbild der Demokratie, das vielen Analysen der lateinamerikanischen Realität zugrunde liegt, wird das Militär als externer Störfaktor des politischen Prozesses betrachtet, und das militärische Eingreifen wird zum eigentlichen Grund politischer Instabilität erhoben. Unabhängig davon, ob man von einer spezifischen Qualität lateinamerikanischer Demokratie ausgeht oder nicht kann festgestellt werden, daß die militärische Intervention nicht Ursache, sondern Ausdruck der politischen Instabilität ist. Das Militär hat sich in Lateinamerika schon frühzeitig seit seiner „Verstaatlichung“ als konkurrierende soziale Gruppe und politische Elite im Entwicklungsprozeß verstanden deshalb waren Erklärungsmodelle, die das Militär wegen seiner technologischen und organisatorischen Eigenschaften zum Modernisierungsagenten erhoben, ebenso begründet wie Ansätze, die es wegen seiner Rekrutierungsmuster mit Mittelschichtenorientierung als Vorkämpfer von Klasseninteressen darstellten In zunehmendem Maße sind das militärische Eigeninteresse und das institutionelle Eigengewicht zum Bezugspunkt des Verhaltens der Militärregime geworden. Es gilt daher, in der Analyse stärker auf die institutioneile Autonomie abzustellen, mit der das Militär sich von der Rücksichtnahme auf spezifische Klasseninteressen befreit und als eigenständiger politischer Akteur in der Gesellschaft etabliert hat. Diese Ten-denz, die eine zivile Kontrolle über das Militär erschwert. wird an eigenständigen korporativen Ideologien und Doktrinen, am dauerhaften Personalanstieg.der steigenden Bedeutung der Rüstungsindustrie sowie am Interesse zur Nutzung der Nukleartechnologie festgemacht
Als Schwierigkeit bei der Analyse der Korporativinteressen und ihres Einflusses auf das politische Verhalten der Streitkräfte ergibt sich das Problem, daß sich viele Elemente nicht nachweisen lassen, da sie als militärische Geheimangelegenheit betrachtet werden. Als zentrale Bezugsgrößen der Korporativinteressen können die Einheit der Streitkräfte, das Waffenmonopol organisierter Macht, ein Mindestmaß von Budgetaufwendungen für militärische Zwecke, die Autonomie des Laufbahn-und Beförderungswesens gegenüber politischer Einmischung, das Prestige und die Würde der Streitkräfte sowie die Garantie der inneren Sicherheit und Ordnung betrachtet werden
Eine Verletzung dieser Werte kann das Eingreifen des Militärs . in den politischen Prozeß bedingen, gleichzeitig fungieren sie aber auch als Leitschnur für das politische Verhalten der Streitkräfte selbst. So wurde in Argentinien General Viola von den Streitkräften abgesetzt, da er den Pakt der Waffengattungen und somit die Einheit des Militärs durch Verhandlungen mit den politischen Parteien aufgekündigt hatte. Die innermilitärischen Spannungen, die sich insbesondere aus dem Ende der personellen Identität von Regierungschef und Oberbefehlshaber der Streitkräfte ergeben, brachen jedoch mit der Niederlage im Falkland-Krieg mit Großbritannien erneut auf. Violas Nachfolger, General Galtieri, der für die Niederlage verantwortlich gemacht wurde, gelang es nicht, die Einheit der Streitkräfte wiederherzustellen, so daß sich Marine und Luftwaffe aus der Militärjunta zurückzogen und dem Kandidaten des Heeres, General Bignone und damit auch seiner Waffengattung die Verantwortung für die Aushandlung der Bedingungen der Über-gabe der Macht an die demokratischen Kräfte überließen. Die Spaltung des Militärs wurde jedoch für die konkreten Verhandlungen zumindest formal überwunden, allerdings war für die Streitkräfte weniger der Verlust ihrer eigenen Legitimität ausschlaggebend für den Abtritt von der Macht, sondern vielmehr ihre institutioneile Unfähigkeit, die eigene Krise zu kontrollieren
Das mit dieser Aussage nahegelegte Eingeständnis von begrenzter militärischer Leistungsfähigkeit trifft einen zentralen Punkt, wollten die Militärs mit der Machtübernahme doch ihre Überlegenheit in der technokratischen Führung der Regierungsgeschäfte beweisen. Die Frage, inwieweit die „Politiker in Uniform“ aufgrund ihrer technischen Qualifikationen, ihres Wertesystems und der Autonomie von den Partikularinteressen der gesellschaftlichen Gruppen besser geeignet sind, den Entwicklungsfortschritt voranzutreiben, läßt sich heute nach dem kläglichen Ergebnis im ökonomischen Bereich eher negativ beantworten. So ist vielmehr am Einzelfall und bezüglich der Form der militärischen Organisation (personalistische Führung-wie in Chile oder kollektive Führung wie in Argentinien und Uruguay) eine konkrete Beurteilung vorzunehmen. Selbst das ehrgeizige Entwicklungsmodell einer kapitalintensiven und außenwirtschaftlich orientierten Entwicklung, das das Militär Brasiliens seit 1964 verfolgte, geriet in dieselbe Krise von Auslandsverschuldung, überdimensioniertem Staatssektor und sozialer Verarmung, die auch für die anderen lateinamerikanischen Länder kennzeichnend ist 4. Ausländische Militärhilfe, Rüstungswirtschaft und politisch/ökonomische Präsenz des Militärs
Betrachtet man die Angaben über Aufwendungen für militärische Zwecke in absoluten Zahlen, so ist zwischen 1975 und 1985 ein Anstieg von 45, 3 Prozent feststellbar, der sich aus einer spürbar höheren Zahl von 1, 8 Millionen Soldaten 1985 im Vergleich zu 1, 3 Millionen im Jahr 1975, sowie dem daraus folgenden zusätzlichen Waffenbedarf durch Importe erklärt Gemessen am Anteil des Bruttoinlandsproduktes läßt sich ein stetiger leichter Anstieg bzw. ein gleiches Niveau der Militärausgaben feststellen; signifikante Abweichungen hierbei erklären sich aus spezifischen Situationen wie dem zentralamerikanischen Konflikt und dem FalklandKrieg im Falle Argentiniens.
Die Ausrüstung, die Aufgabenstellung sowie zum größten Teil die Ausbildungsinhalte orientierten sich auch weiterhin an den Maßgaben der vorwiegend von den USA geleisteten Militärhilfe. Zwischen 1950 und 1979 durchliefen 70 000 Angehörige der lateinamerikanischen Streitkräfte ein Trai-ningsprogramm im Rahmen der Militärhilfe Nordamerikas Der erfolgreiche Abschluß eines Kurses an einer ausländischen Militärakademie wurde zum erforderlichen Karrierenachweis für Offiziere in Lateinamerika; später kam durch die Gründung eigener Militärakademien ein notwendiges Element zur Professionalisierung der militärischen Laufbahn auf breiter Basis hinzu. Die bekanntesten und auch über den nationalen Rahmen hinaus einflußreichsten Offiziersschulen stellen sicherlich das Centro de Altos Estudios Militares in Peru sowie die sogenannte militärische „Sorbonne“ Brasiliens, die Escola Superior de Guerra, dar Innerhalb der Ausbildungsprogramme dieser Militärakademien gab es durchaus unterschiedliche Orientierungen, die sich in ganz Lateinamerika wiederfinden lassen Die Kontinuität dieser Orientierungsmuster innerhalb der lateinamerikanischen Militärakademien auch nach dem Übergang zur Demokratie ist eines jener Elemente, die aus dem fremdbestimmten Charakter des professionellen Rollenverständnisses des Militärs folgt. Gerade die Abhängigkeitsverhältnisse. die sich auch auf dem Gebiet der Rüstung, der waffentechnischen Liefer-und waffentechnologischen Logistik-Verhältnisse ergeben, unterwerfen die lateinamerikanischen Streitkräfte der Konkurrenz der genannten Leitbilder und begründen die Fortdauer der internen Heterogenität. Obwohl die Mehrzahl der lateinamerikanischen Länder schon in den siebziger Jahren eine Diversifizierung ihrer Rüstungsimporte und -kooperation durch Einbeziehung europäischer Lieferanten und Ausbau der Beziehungen zu Israel eingeleitet hat, stellen die USA nach wie vor den Hauptpartner dar. Zudem wurde die Entwicklung einer eigenen Militärindustrie betrieben, die sowohl den lateinamerikanischen Raum, hier vor allem Zentralamerika, als auch die arabischen und afrikanischen Länder beliefert. Insbesondere Brasilien, Argentinien und Chile förderten den Aufbau eigener Forschungs-und Entwicklungskapazitäten, um durch lokale Produktion unabhängig von internationalen Zulieferungen zu werden. Über die Vermarktung der Waffenproduktion hinaus hat das Militär auch die Besetzung der öffentlichen Verwaltung und der damit verbundenen staatlichen und parastaatlichen Produktionsbetriebe mit militärischem Personal betrieben. Da die Betriebe der Rüstungsindustrie von einem starken Militärhaushalt abhängen, ist die Auseinandersetzung um den Erhalt des Finanzvolumens für das Militär ein zentraler Punkt, der die Zukunft der Beziehungen zwischen demokratisch-ziviler Präsidentschaft und militärischen Eigeninteressen bestimmt.
III. Primat der Politik und Vetomacht des Militärs
Im Rahmen der Analyse der verschiedenen Formen des Übergangs zur Demokratie in Lateinamerika sind drei Typen ausgemacht worden: Der am argentinischen Fall orientierte Typus des Zusammenbruchs eines Regimes, der ohne weitere Demokratisierung ablaufende Wechsel der Eliten (Haiti) und der Übergang zur Demokratie als langsamer und über einem gewissen Zeitraum von oben gelenkter Prozeß, wie er sich in Brasilien vollzogen hat Unabängig von dem konkret eingeschlagenen Weg versuchten die Streitkräfte, im Rahmen der Über-gabe der Macht Sonderbedingungen zu verhandeln. um sowohl für die Vergangenheit eine Absicherung zu erreichen, als auch für die Zukunft ihre Position in bezug auf Mitwirkungsrechte und den Militärhaushalt zu garantieren. Das Interesse der Demokratien an einer Senkung des Militärhaushaltes ging einher mit der Unfähigkeit der zivilen Führer, sich gegen die militärische Korporation durchzusetzen. Dies unterminiert die Glaubwürdigkeit ihrer Politik, unabhängig davon, ob sie gleichzeitig zur Lösung der schwierigen ökonomischen Probleme fähig waren. Ein entscheidender Mangel ist wohl auch darin zu sehen, daß innerhalb der politischen Parteien wenig Know-how in Fragen der Sicherheitspolitik vorhanden ist, was die Regierungen weithin an die vom Militär vorgetragenen Interessen ausliefert. Zudem wird das Militär bei der Bewältigung sozialer Probleme in Anspruch genommen, die eigentlich einer politischen Lösung bedürften. Damit sehen wiederum die Streitkräfte ihr Prestige gefährdet, da sie zum Opfer parteipolitischer Machenschaften würden 1. Vom „schmutzigen Krieg“ zur „sauberen Demokratie“? Die politische Sicherheit des Militärs als Grenze der Menschenrechtspolitik
Die Aufarbeitung der Vergangenheit und die daraus folgende Politik gegenüber dem Militär kann sowohl für die demokratischen Kräfte als auch für das Militär als Nagelprobe über die künftige Form des Zusammenlebens bezeichnet werden, da von den Streitkräften mit dem Argument der nationalen Befriedung und Versöhnung eine Amnestie für die unter der Militärherrschaft begangenen Verbrechen angestrebt wurde.
So brachte das argentinische Militär am 23. September 1983 ein Amnestiegesetz ein, das alle subversiven Aktivitäten und Exzesse bei der Repression zwischen dem 25. Mai 1973 und dem 17. Juni 1982 von jeglicher Strafe ausnimmt. Bereits Ende September 1983 setzte der demokratisch gewählte Nationalkongreß diese Selbstamnestie außer Kraft, und Präsident Alfonsin gab die Einleitung eines Prozesses gegen die neun Mitglieder der drei ersten Militär-Juntas vor dem Obersten Gericht der Streitkräfte bekannt. Damit wurde zwar dem Anliegen einer Strafverfolgung der Menschenrechtsverletzungen, wie sie insbesondere im Bericht der Kommission unter dem Vorsitz von Ernesto Sabato niedergelegt wurden, entsprochen, gleichzeitig aber wurde dem Militär mit der Zuweisung der Fälle an die Militärgerichtsbarkeit die Chance zu einer von ihm selbst getragenen „Reinigung“ eingeräumt.
Nach dem Theorem der „drei Ebenen der Verantwortung“ verfolgte Alfonsin die Absicht, die politischen Belastungen für seine Regierung durch eine massive Verurteilung von Angehörigen des Militärs gering zu halten, indem vor allem die obersten Ränge des Militärs belastet wurden Gleichwohl geriet die Regierung zunehmend unter den Druck des Militärs, das ein definitives Ende der Verfolgungen forderte. Mit dem Ley del Punto Final vom Dezember 1986 wurde insofern ein Schlußpunkt gesetzt, als nur die innerhalb einer Frist von 60 Tagen von einer persönlichen Ladung Betroffenen noch zur Rechenschaft gezogen werden konnten. Mit der Rebellion der Osterwoche 1987 und dem Aufstand „Operaciön Dignidad“ des Oberstleutnants Aldo Rico bzw. auf der Basis eines angeblichen Übereinkommens zwischen den Soldaten unter M. A. Seineldn und dem Oberkommandierenden der Armee wurde die Regierung gezwungen, ein Gesetz über die Gehorsamspflicht einzubringen, das einer allgemeinen Amnestie nahekam. Als Folge dieser Krise in den zivil/militärischen Bezie-hungen etablierte sich eine doppelte Machtstruktur: Auf der einen Seite die verfassungsmäßige Regierung, die auf die Unterstützung der breiten Bevölkerung, der politischen Parteien, Gewerkschaften und Unternehmer zählen konnte, auf der anderen Seite das Militär, bei dem sich eine Unterscheidung zwischen loyalen Elementen und Rebellen schon durch ihr Handeln bzw. Nichthandeln erübrigt, da das Interesse zur Delegitimierung der Regierung offenbar wurde. Auch der Nachfolger von Alfonsin im Präsidentenamt, Carlos Menem, wurde mit der erstarkten Autonomie des Militärs konfrontiert, wobei er durch private Zusammenkünfte mit bestimmten Offizieren hinsichtlich einer Begnadigung des extrem nationalistischen Offiziers Seineldin — die zum Rücktritt des Verteidigungsministers Italo Luder führten — sowie durch Entgegennahme von Informationen des eigentlich verbotenen Geheimdienstes der Armee die Spielräume des Militärs weiter ausdehnte.
Mit der Begnadigung von 210 Offizieren und 64 früheren Guerillakämpfern am 7. Oktober 1989 hatten die argentinischen Streitkräfte ihre Position der militärischen Sonderrechte so abgesichert, wie es dem Militär in Uruguay bereits mit dem Gesetz über den Verzicht auf Strafverfolgung des Jahres 1986 gelungen war. Allerdings gab sich auch in Uruguay die Bevölkerung mit diesem Übergang zur Demokratie nicht zufrieden, was in dem Volksbegehren gegen dieses Gesetz zum Ausdruck kam, das die vorgeschriebene Zahl von 25 Prozent der Wahlberechtigten erhielt. Am 16. April 1989 stimmten in der notwendig gewordenen Volksabstimmung jedoch 53 Prozent der Bevölkerung einer Fortdauer des Gesetzes zu, so daß durch das Referendum mehrheitlich die Bewältigung des „schmutzigen Krieges“ als abgeschlossen betrachtet wurde. Aus dieser gesicherten Position heraus versuchten die Streitkräfte jüngst, gegen eine nach ihrer Ansicht die Moral des Militärs beeinträchtigende Reintegration der früheren Tupamaro-Kämpfer in das politische Leben vorzugehen und setzen damit ihre Vetopolitik gegen die Teilnahme bestimmter Personen am politischen Leben fort, wie dies schon im Acuerdo del Club Naval beim Übergang zur Demokratie von ihnen erfolgreich praktiziert worden war. 2. Entpolitisierung des Militärs und Demilitarisierung der Gesellschaft Der Rückzug des Militärs in die Kasernen ist vielfach als Beginn einer inneren Neuorientierung und einer Neugestaltung der innermilitärischen Beziehungen interpretiert worden. Zwar mußte das Militär einen Generationswechsel in den Führungspositionen hinnehmen, da die demokratischen Regie-rungen durch vorzeitige Versetzung in den Ruhestand die bis dahin maßgeblichen Generäle von ihren Posten entfernte, aber das Interesse an einer weiteren politischen Einflußnahme, das sich zunächst nur auf die Abwehr des Vordringens ziviler Kontrolle auf die innermilitärischen Beziehungen wie die Laufbahnordnung und die Ernennung der Oberbefehlshaber bezog, dauerte an. Die Auffassung. daß mit einer neuen Phase der Professionalisierung auch eine Abnahme der Einmischung des Militärs in die Politik verbunden sei, läßt sich anhand der Erfahrungen mit der militärischen Rollen-erweiterung beim Übergang vom „alten“ — auf Gewährleistung der äußeren Sicherheit angelegten — „Professionalismus“ zu der auf innere Sicherheit und nationale Entwicklung ausgerichteten Variante — die als „neuer Professionalismus“ verstanden wird — nicht erhärten Der Zyklus von Professionalisierung — Politisierung — Professionalisierung hat sich heute in eine professionalisierte Autonomie verwandelt, die sich auf das Erziehungs-und Organisationswesen, die materiell-logistische Ebene sowie das ideologisch-politische Denken bezieht. Aus der durch die Amnestieregelung gewonnenen politischen Sicherheit heraus sind die Streitkräfte angetreten, ihre innere Integration wiederzuerlangen, um damit auch als politische Kraft erfolgreich wirken zu können.
Andererseits muß es darum gehen, die Kontrolle der Gesellschaft durch die militärische Parallel-struktur abzubauen. Die Bedeutung, die mit der Verstärkung zentralstaatlicher Macht unter den Mi‘litärregierungen den regionalen Oberbefehlshabern bis hinunter zum System lokaler Macht zugewachsen ist. hat eine Überlagerung und Verdoppelung administrativer, rechtlicher und politischer Funktionen zur Folge gehabt, die durch den meist lang andauernden Ausnahmezustand verfestigt wurde.
Oftmals übernahm das Militär auch die Aufgaben der Polizei, des Justizwesens und des Geheimdienstes, so daß eine Trennung der verschiedenen Funktionen dringend geboten ist So wie die Entpolitisierung des Militärs sich größtenteils nur auf eine Veränderung der Einflußmöglichkeiten der militärischen Machtquote „hinter dem Thron“ bezieht, wird auch von einer Demilitarisierung des gesellschaftlichen Lebens nur ein begrenzter Erfolg zu erwarten sein, da der Gedanke der Gewaltenteilung in Lateinamerika traditionell nur gering ausgeprägt ist Die unterschiedlichen Formen von Militärherrschaft haben entsprechende Konsequenzen für die institutionelle Kohäsion gezeitigt: Die Personalisierung des chilenischen Militärregimes durch Augusto Pinochet hat zwar den inneren Zusammenhalt erleichtert andererseits stieg das Risiko innerer Spaltungen und starker Politisierung durch die Notwendigkeit, als ausschließliche Stütze hochgradig umstrittener Politik zu fungieren. Die starke Polarisierung der politischen Auseinandersetzung bewirkte innerhalb der Streitkräfte deren tiefgehende politische Inanspruchnahme, welche bald mit der militärischen Autonomie in Konflikt geriet
Unter dem Gesichtspunkt der Autonomie haben die Armeen Lateinamerikas einen Vereinheitlichungsprozeß durchlaufen, der sich sowohl auf ihre innere Ordnung als auf die maßgeblichen Rekrutierungsmuster bezieht. Dies gilt auch für den umgekehrten Fall des vollständig politisierten Militärs, wie es in Nicaragua oder Kuba zu finden ist. Aus den Revolutionen, 1959 in Kuba und 1979 in Nicaragua, gingen Armeen hervor, die sich zunächst gegen die Armeen der Diktatoren Batista und Somoza durchgesetzt hatten und diese dann vollständig in ihren Funktionen substituierten. Die Auflösung der somozistischen Nationalgarde, die die persönliche Bereicherung des Diktators und der führenden Generäle absicherte hat in Nicaragua zum Aufbau des sandinistischen Volksheeres (Ejercito Populär Sandinista) geführt, das mit dem Machtverlust der Sandinisten in den Wahlen vom Februar 1990 nun den Übergang von einer Revolutionsarmee politischer Prägung zu einer nationalen Streitkraft ohne politisches Mandat finden muß. Derzeit ist noch nicht abzusehen, ob das Militär ein eigenständiges politisches Ziel verfolgt, das im nicaraguanischen Fall der Opposition verpflichtet ist, oder auch Anordnungen der demokratisch gewählten Regierung Folge leistet, gegen die eigene Referenzgruppe vorzugehen. Damit verliert die Frage, ob es sich in Zukunft um eine Berufsarmee oder um ein Militär mit einem hohem Anteil an Wehrpflichtigen handelt, an Bedeutung. Diese für die Militär-soziologie wichtige Unterscheidung hat in der lateinamerikanischen Realität nur sehr begrenzten Einfluß auf die Analyse der Verknüpfung von Ge-sellschaft und Militär, da es nur selten zu einer sozialen Abschottung der Streitkräfte in ihrem Lebensstil gekommen ist. Indem der Militärdienst in vielen Ländern die Möglichkeit zu sozialem Aufstieg eröffnet, ist die Einbindung der militärischen Karriere in die Sozialstruktur unverkennbar.
IV. Die zukünftige Rolle des Militärs
1. Soziale Ordnungsmacht und Drogenkrieg Mit dem Dekret vom 3. März 1990 hat der argentinische Präsident Carlos Menem den Streitkräften erneut die Möglichkeit eingeräumt, bei internen Konflikten einzugreifen. Diese Entscheidung ist als qualitativer Wandel in der Gestaltung der Beziehungen zwischen Staat und Armee zu interpretieren. Menem stellt damit die Verbindung zwischen der Rolle des Militärs und der sozioökonomischen Situation im Lande her die unmittelbar nach dem Übergang zur Demokratie durch die politische Verurteilung der Menschenrechtsverletzungen beendet worden war. Dem Militär wird damit die Möglichkeit zu einer Erweiterung des eigenen Machtbereiches geschaffen, da seine Rolle als Ordnungsmacht und in der Verantwortlichkeit für wirtschaftspolitisehe Entscheidungen sowie deren Konsequenzen offizielle Anerkennung erfährt. Zum einen wird die Beteiligung der Streitkräfte bei der Umsetzung von politischen Maßnahmen — die mit hohen sozialen Kosten verbunden sind — vorgesehen, zum anderen militärisches Handeln in die Nähe von wirtschaftspolitischen Entscheidungen gerückt. Die sozialen Konflikte, welche im Gefolge der von der Weltbank verordneten Anpassungsprogramme in Venezuela, Argentinien und Brasilien als gewalttätige Auseinandersetzungen mit Plünderüngen aufbrachen, unterstreichen die Abhängigkeit der demokratisch gewählten Regierungen vom Militär, um die soziale Unruhe zu kontrollieren. Die Kritik des venezolanischen Präsidenten Carlos Andres Perez am Internationalen Währungsfonds sowie am Bankensystem wegen ihrer fehlenden Sensibilität gegenüber den sozialen Problemen Lateinamerikas belegt die große Sorge der Politiker, man könne mit der Streichung von Subventionen und der Reduzierung von Staatsausgaben in instabile soziale Situationen geraten, die schnell den erneuten Ruf nach dem Militär begünstigen.
Eine Erweiterung der Funktionen des Militärs läßt sich ebenfalls in der Auseinandersetzung mit der Drogenmafia in mehreren Ländern Lateinamerikas beobachten. Neben den kolumbianischen Rebellenbewegungen FARC und M-19 wird auch bei der peruanischen Guerrillagruppe Sendero Luminoso eine Verbindung zwischen Guerilla-Aktivitäten und Drogengeschäft vermutet, die neben der Erzeugung einer Parallelökonomie für die „Wäsche“ der Drogengelder auch Aspekte des Waffenhandels einschließt. Zudem haben die USA das Drogenproblem zur wichtigsten Bedrohung der sozialen, ökonomischen und militärischen Sicherheit erhoben, so daß diese internationale Komponente eine Überlagerung von strategischem Sicherheitsdenken und konkretem Kampf gegen die Drogenproduktion befördert hat. Nicht ohne Grund wird daher von einer neuen nationalen Sicherheitsdoktrin nach dem Ende des Ost-West-Gegensatzes gesprochen, die auf der Basis der Kontrolle des Drogenhandels die Einmischung in interne Angelegenheiten der lateinamerikanischen Länder gestatte -Deutlichster Ausdruck dieses neuen Sicherheitskonzeptes ist die amerikanische Invasion in Panama vom Dezember 1989, mit der zum einen das strategische Sicherheitsinteresse am Panamakanal zum Ausdruck kam, und zum anderen mit Manuel Noriega (der früher ein wichtiger Verbündeter der USA gewesen war) ein führender Kopf des internationalen Drogenhandels gefaßt wurde.
Die direkte Teilnahme nordamerikanischer Streitkräfte und Drogenbeauftragter der Drug Enforcement Administration (DEA) in Mexiko oder die Operation Blast Furnace im Jahre 1986 in Bolivien haben die Frage der Bewahrung nationaler Souveränität in der Verfolgung der Drogenmafia hervorgehoben, zudem wurde die Legitimation der jeweiligen nationalen Regierungen in Frage gestellt. So mußte sich auch Kolumbien gegen die Anwesenheit von nordamerikanischen Kriegsschiffen innerhalb der nationalen Gewässer wehren, die ohne vorhe-rige Konsultation dort Stellung bezogen hatten, um durch Luftüberwachung den Transport von Drogen in Kleinmaschinen zu kontrollieren. Wie schon bei den counter insurgency-Programmen der sechziger Jahre besteht die manifeste Gefahr, daß durch die Präsenz nationaler und internationaler Streitkräfte eine Militarisierung der Gesellschaft gefördert wird, die die Militärmacht auf Kosten der zivilen Regierung stärkt Zudem belegt insbesondere der Fall Kolumbiens die Folgen des „Drogenkriegs“ in Gestalt institutioneller Instabilität, Korruption, tiefgreifender Änderungen der politischen und gesellschaftlichen Strukturen, direkter Verbindung mit Menschenrechtsverletzungen und geringeren Möglichkeiten einer demokratischen Öffnung Das Risiko eines begrenzten Konfliktes (low intensity conflict), dessen Folgen — wenn auch aus anderen Gründen — im zentralamerikanischen Bereich bereits deutlich spürbar sind, beinhaltet hohe Kosten für die nationalen Gesellschaften, ermöglicht aber andererseits die Wiederaufnahme von Trainingsprogrammen für die lateinamerikanischen Militärs, eine Verstärkung des Waffengeschäftes und neue Operationsgebiete für die militärischen Geheimdienste, 2. Militär und Politik in Lateinamerika Die Annahme, die neuen Demokratien Lateinamerikas verfügten aufgrund der Diskreditierung des Militärs über ein Legitimationspolster hat sich als unzureichende Basis für die Bewertung der Leistungsfähigkeit der demokratischen Regime erwiesen. Zwar fiel der wirtschaftliche Einbruch noch in die Zeit der Militärherrschaft, aber die Konsequenzen der notwendigen Anpassungsprogramme werden den jeweils an der Macht befindlichen Parteien angelastet. Zudem ist sehr fraglich, inwieweit die Erinnerung an das ökonomische Versagen des Militärs nicht inzwischen schon verblaßt ist, insbesondere vor dem Hintergrund, daß die Jahre der Militärdiktatur noch immer von einer positiven Erwartungshaltung getragen waren, während sich heute zunehmend Resignation angesichts der Perspektivlosigkeit der politischen Parteien in der Wirtschaftspolitik breitmacht. Auch die These, das Fehlen attraktiver Regimealternativen oder eines geeigneten Rechtfertigungsmusters für eine erneute Machtergreifung des Militärs stelle eine gewisse Sicherung für die Demokratie dar geht an dem einfachen Sachverhalt vorbei, daß das Ansteigen von Gewaltakten schon für den Ruf nach dem Militär ausreichen würde. Dies bedeutet nicht notwendigerweise den Auftakt für eine neue Militärdiktatur, sondern verweist auf Systemformen im Halbdunkel von Demokratie und Diktatur, wie z. B. eine „geschützte Demokratie“. Zumindest würde damit das Zentrum des demokratischen politischen Prozesses weg von den Parteien und gesellschaftlichen Gruppen und hin zu Militär, Polizei und Geheimdiensten verschoben. Die Unkontrollierbarkeit und Intransparenz solcher Formen politischen Handelns ist aus den „dunklen Jahren“ der Militärdiktaturen bekannt, gleichwohl forderten die Bürger eine Versöhnung und keine grundsätzliche Neuorientierung des Verhältnisses von Staat, Gesellschaft und Militär
Das Versagen der Demokratien Lateinamerikas, in Zeiten der einmütigen Unterstützung durch die Gesellschaft — wie dies in der Arbeit der „Mütter der Plaza de Mayo“ in Argentinien, der Menschenrechtsstelle der katholischen Kirche in Chile sowie in der Verfolgung der Morde an den sechs salvadoranischen Jesuiten im November 1989 deutlich wurde — die Aufarbeitung der Vergangenheit einer vorschnellen und oberflächlichen Beruhigung der politischen Lage geopfert zu haben, kann sich zumindest in Hinsicht auf das Militär als schwerwiegender Geburtsfehler erweisen. Die Bewältigung der Menschenrechtsverletzungen hätte als Ausgangspunkt eines partizipativen nationalen Projektes dienen können, das durch das Interesse der Parteien an einer Senkung und Kontrolle der politischen Mobilisierung verschüttet wurde. Allerdings hätte dies die Polarisierung innerhalb der Gesellschaft spürbar erhöht, da aufgrund der weitgehenden sozialen Integration des Militärs in die Gesellschaft diese auch gegen sich selbst hätte vorgehen müssen. Die demokratische Militärpolitik ist heute — soweit sie nicht ohnedies schon angesichts der erdrückenden Dominanz der Wirtschaftsprobleme aufgegeben wurde — auf die Stärkung der zivilen Gesellschaft sowie eine Besetzung der Militärakademien mit demokratieorientierten Ausbildungsinhalten beschränkt, um zum einen die Einbindung des Militärs in demokratische Prozesse zu kontrollieren und zum anderen die Fortdauer der vorherrschenden Militärdoktrinen zu unterbrechen. Die „erhobenen Hände“ der lateinamerikanischen De-mokratien gegenüber der militärischen Autonomie erweisen sich jedoch als zusätzliche Belastungsprobe in einer Zeit, in der die Konsolidierung des demokratischen Übergangs mit dem Aufkommen von neuen politischen Sammlungsbewegungen, die eines Parteiencharakters weitgehend entbehren, an einem kritischen Punkt angelangt ist.
Günther Maihold, Dr. phil., geb. 1957; 1983 — 1988 Akademischer Rat a. Z. am Institut für Politikwissenschaft der Universität Regensburg; 1988— 1990 Projektleiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Mexiko; seit Juni 1990 Repräsentant der Friedrich-Ebert-Stiftung in Managua/Nicaragua. Veröffentlichungen u. a.: Identitätssuche in Lateinamerika. Das indigenistische Denken in Mexiko, Saarbrücken 1986; Jose Carlos Mariätegui, Nationales Projekt und Indio-Problem, Frankfurt 1988; (zus. mit Victor L. Urguidi) Dialogo con Nuestro Futuro Comün. Perspectivas latinoamericanas del Informe Brundtland, Caracas 1990.
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