Der Friedensplan von Esquipulas und die Wahlen in Nicaragua. Ein Beispiel der Lösung von Regionalkonflikten
Clemens Rode
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Zusammenfassung
1987 haben die Präsidenten der fünf zentralamerikanischen Länder Costa Rica, Guatemala, Honduras, Nicaragua und El Salvador einen Friedensplan entwickelt, der eigenständige politische Lösungen zu den bewaffneten Konflikten der Region ermöglichen sollte. In Anwendung dieses Plans fanden Verhandlungen zwischen der sandinistischen Regierung und der bewaffneten Contra-Bewegung statt, die zu einem Waffenstillstand, nicht aber zum Ende des Krieges in Nicaragua führten. Weitere politische Konzessionen und insbesondere das Vorzichen der Wahlen auf den Februar 1990 sollten das definitive Kriegsende herbeiführen. Die Wahlen gingen mit dem Sieg einer aus 14 Parteien gebildeten Oppositionskoalition aus. Es werden die wesentlichen Elemente des Friedensplans und seine Auswirkungen auf die Situation in Nicaragua analysiert. Insbesondere werden die komplexen Verhandlungen zwischen Rebellenbewegung und Regierung dargestellt. Dabei war auch zu berücksichtigen, daß die US-Regierung unter Präsident Reagan in seinen beiden Amtszeiten der militärischen Option zur Beseitigung der sandinistischen Regierung den Vorzug gab. Um eine allgemeine Anerkennung des Wahlprozesses und des Wahlergebnisses zu erreichen, waren komplizierte Abstimmungen zur Wahlgesetzgebung und -Überwachung notwendig. Der Zeitraum vor der Wahl und der Wahlkampf wurden in bisher nicht gekanntem Maße von internationalen Beobachtermissionen begleitet, die den Sieg der bürgerlichen Opposition über die bisherige Regierungspartei FSLN erlebten als Ergebnis eines fairen und korrekten Wahlgangs.
Am 19. Juli 1979 wurde der Sturz des Diktators Somoza in der nicaraguanischen Hauptstadt Managua besiegelt. Über 40 Jahre Diktatur des in den dreißiger Jahren von den USA eingesetzten Generals und seiner beiden Söhne gingen nach langen Jahren des bewaffneten und politischen Kampfes einer breiten Allianz von Parteien, engagierten Christen, gesellschaftlichen Gruppen und der Sandinisten (Frente Sandinista de Liberaciön Nacional, FSLN) zu Ende. Wichtig war dabei auch der Entzug der politischen und militärischen Unterstützung für das Somoza-Regime durch die US-Regierung unter Präsident Carter im ersten Halbjahr 1979.
Im Frühjahr 1981 sprengten zunächst unbekannte Täter Brücken im ländlichen Norden Nicaraguas. Aus Überresten der Nationalgarde Somozas bildete sich mit anfänglich argentinischer, später massiver US-amerikanischer Unterstützung eine bewaffnete Opposition („Contra“ genannt). Es begann ein Zermürbungskrieg gegen das sandinistische Nicaragua, ein „Konflikt niedriger Intensität“ (low intensity conflict), der zu über 60 000 Toten, Verwundeten und Kriegsversehrten führte.
Am 25. April 1990 übergibt zum ersten Mal in der nicaraguanischen Geschichte ein gewählter Präsident die Regierungsgewalt in die Hände einer gewählten Präsidentin. Daniel Ortega, 1984 mit 67 Prozent der gültigen Stimmen gewählt, überreichte die Amtsschärpe an seine Nachfolgerin Vio-Der vorliegende Artikel basiert auf der Tätigkeit des Autors in der Region zwischen November 1985 und November 1989 als Referent und Vertreter der Friedrich-Ebert-Stiftungfür Nicaragua. Er hat dabei an allen Verhandlungen zwischen der Regierung Nicaraguas und der Contra teilgenommen als Assistent von H. J. Wischnewski MdB, der als Berater fungierte. Außerdem war der Autor Teilnehmer und Beobachter vieler Treffen und Konferenzen des Esquipulas-Prozesses. leta Barrios de Chamorro, deren Parteienkoalition Union Nacional Opositora (UNO) 54, 7 Prozent bei den Wahlen am 25. Februar 1990 erhielt. Nach anfänglicher Hinhaltetaktik ließen sich wenige Monate später die letzten Contra-Einheiten entwaffnen. Die Beendigung des Krieges in Nicaragua und der verfassungskonforme Übergang von einer gewählten Regierung zur nächsten ist vor dem Hintergrund der turbulenten Geschichte des Landes nur erklärlich durch den regionalen Friedensplan von Esquipulas — benannt nach dem Wallfahrtsort in Guatemala, an dem sich im Mai 1987 die Präsidenten von Costa Rica, Guatemala, Honduras, Nicaragua und El Salvador zum ersten Mal auf der Suche nach Verhandlungslösungen für den Regionalkonflikt trafen. Der vom costaricanischen Präsidenten Arias dabei angeregte Friedensplan wurde Anfang August 1987 in der guatemaltekischen Hauptstadt unterzeichnet.
Das Beharren der Sandinisten auf den Zielen des Friedensplans als Rahmen für Verhandlungen zur politischen Lösung des militärischen Konflikts führte 1989 zum Waffenstillstandsabkommen von Sapoä und schließlich zu den vorgezogenen Präsidentschafts-, Nationalversammlungs-und Gemeindewahlen vom 25. Februar 1990.
Die Sandinisten verloren zwar die Wahlen, und zwar besonders deutlich in den Kommunen aufgrund des von ihnen selbst entwickelten relativen Mehrheitswahlrechts. Trotzdem blieben sie mit 41 Prozent und 39 von 92 Sitzen in der Nationalversammlung stärkste (Einzel-) Partei in Nicaragua. Die nächste stärkste Partei innerhalb der siegreichen UNO-Koalition, die konservative APC, verfügte über 6 Sitze. Die weiteren 45 Sitze der UNO teilten sich 13 Parteien von Rechtsaußen bis zu den Kommunisten.
I. Vom Friedensplan zum Waffenstillstand
Die ursprünglichen Entwürfe des Arias-Plans waren einseitig gerichtet auf die Behandlung des Falles Nicaragua. Erst das Engagement des guatemaltekischen Präsidenten Vinicio Cerezo auf der Suche nach Lösungsmöglichkeiten für die Konflikte in seinem eigenen Land und im benachbarten El Salvador führten im August 1987 zu einem unterschriftsreifen Kompromißentwurf, der auch die anderen Konflikte umfaßte. Der hierbei gezeigte regionale Stolz und der Anspruch auf politische Selbstbestimmung wurden noch dadurch verstärkt, daß die US-Regierung von Präsident Reagan am Tag vor dem Beginn des zentralamerikanischen Präsidentengipfels einen eigenen, nicht einmal mit den örtlichen Verbündeten abgesprochenen Plan zur „Befriedung“ Nicaraguas vorlegte, der von den zentralamerikanischen Staaten als unzumutbares Diktat empfunden wurde. 1. Der Inhalt des Friedensplans Die fünf zentralamerikanischen Präsidenten verpflichteten sich mit der Annahme des Friedensplans unter anderem zur Realisierung folgender Punkte: — Nationale Versöhnung: Es sollen alle Voraussetzungen geschaffen werden für den „Nationalen Dialog“ zwischen den Regierungen und der zivilen unbewaffneten Opposition. Alle Länder sollen Amnestiegesetze erlassen für Gefangene aus den politischen und militärischen Konflikten. Es sollen Nationale Versöhnungskommissionen gegründet werden, an denen möglichst auch Vertreter der Kirche zu beteiligen sind. — Demokratisierung: Es wird zur Respektierung der Menschenrechte aufgerufen, soziale Gerechtigkeit und die Unverletzlichkeit der territorialen Integrität der Länder gefordert. Presse-und Rundfunk-freiheit muß hergestellt, die Zensur abgeschafft werden. Parteienpluralismus soll Grundvoraussetzung für die Demokratisierung sein. Jede Art von Ausnahme-oder Belagerungszustand oder andere Notstandsgesetze sollen unverzüglich außer Kraft gesetzt werden. — Freie Wahlen: Im ersten Halbjahr 1988 sollten Wahlen zu einem Gemeinsamen Zentralamerikanischen Parlament stattfinden. Diese Bestimmung ist vornehmlich wegen Nichtratifizierung des Parlamentsabkommens durch die costaricanische Nationalversammlung bis heute nicht erfüllt. — Widerstandsbewegungen: Alle regionalen und außerregionalen Regierungen werden aufgefordert, die Unterstützung von irregulären Kampfkräften (Contras Nicaragua und Nationale Befreiungsfront FMLN in El Salvador) zu unterlassen. Die „bewaffneten Oppositionen“ sollen keinerlei Unterstützung durch andere Regierungen annehmen. — Nichteinmischung: Die fünf Länder verpflichten sich, das eigene Territorium nicht Guerillagruppen zur Verfügung zu stellen, die ein anderes Land der Region angreifen wollen. Kein Land darf Truppen logistisch und militärisch unterstützen, die Regierungen in anderen Ländern der Region destabilisieren wollen. — Waffenstillstand: Die Regierungen werden aufgefordert, Waffenstillstände mit aufständischen Bewegungen zu „konzertieren“. Genauere Bestimmungen hierzu werden nicht festgelegt. — Entwicklung und Zusammenarbeit: Die wirtschaftliche Integration der Region und die Politik der Länder sollen auf Wachstum und auf eine sozial gerechtere Verteilung des Wohlstandes hinwirken, um die sozialen Ursachen der bewaffneten Konflikte aufzuheben. — Überprüfung der Erfüllung des Friedensplans: Es wird eine Kommission gegründet, die die Erfüllung des Friedensplans in den fünf Ländern überprüfen soll. Ihr gehören die Vereinten Nationen, die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), die Außenminister Zentralamerikas sowie der Contadora-Gruppe (Venezuela, Kolumbien, Panama, Mexiko) und der Gruppe von Lima (Peru, Brasilien, Uruguay, Argentinien) an. 2. Der Weg zum Waffenstillstand von Sapoä In den Händen der diplomatischen Routiniers wurde der Friedensplan von Esquipulas alsbald bedächtig verwaltet. Die Außenminister der Unterzeichnerstaaten trafen sich regelmäßig; Regierungen, Oppositionen und Aufständische dafür wenig, und wenn, dann ohne greifbare Ergebnisse (El Salvador).
In Nicaragua hingegen, sicherlich beschleunigt durch die besonderen Lasten des Krieges und den wirtschaftlichen Niedergang, bewegte sich viel. Die Nationale Versöhnungskommission wurde gebildet, der Kardinal und Sandinistengegner 'Erzbischof Obando Bravo zu deren Vorsitzenden er- nannt. Intensive Verhandlungen führten zur Wiedereröffnung geschlossener Medien wie der Oppositionszeitung „La Prensa“ und „Radio Catölica“.
Nachdem Präsident Ortega anfänglich erklärt hatte, er wolle „mit dem Zirkusdirektor verhandeln und nicht mit den Clowns“, also mit Ronald Reagan und nicht mit dem unselbständig agierenden „Politischen Direktorium“ der Contra, gab es im November 1988 in Managua einen Sinneswandel. Als Folge davon präsentierte Anfang Dezember Ortega ein Waffenstillstandsangebot in Washington. Dies führte am 21. Dezember 1988 zu einer ersten indirekten Gesprächsrunde mit der Contra-Führung in Santo Domingo, der Hauptstadt der Dominikanischen Republik. Die nicaraguanische Regierung wurde dabei vom US-Anwalt Paul Reichler und dem deutschen Bundestagsabgeordneten Hans-Jürgen Wischnewski vertreten, als Vermittler fungierte Kardinal Obando. Obwohl inhaltlich ergebnislos, waren diese indirekten Gespräche der erste Schritt in Richtung auf Waffenstillstandsverhandlungen.
Das erste wichtige Ereignis des Esquipulas-Prozesses im Jahre 1988 stellte das Treffen der fünf zentralamerikanischen Präsidenten am 15. und 16. Januar 1988 in Costa Rica dar, das mit dem grundsätzlichen Beschluß zur sofortigen Erfüllung des Abkommens von Esquipulas durch die fünf Unterzeichnerstaaten endete, ohne daß jedoch ein weiterer Präsidentengipfel auch nur in Aussicht genommen wurde.
Nicaragua verkündete daraufhin die Aufhebung des Ausnahmezustandes trotz weiter bestehender Kriegssituation, sowie die Bereitschaft, in direkte Verhandlungen mit der Contra einzutreten. Für den 20. bis 22. Januar wurde eine erste Verhandlungsrunde in San Jose/Costa Rica vorgeschlagen. In Nicaragua war man aufgrund der katastrophalen ökonomischen Situation an einer politischen Lösung des Krieges gegen die Contra interessiert. Angesichts der allmählichen Wende in der Zentralamerikapolitik der US-Regierung und des offenkundigen Scheiterns der anderen zentralamerikanischen Staaten, die Vereinbarungen von Esquipulas im eigenen Land zu erfüllen, ergab sich für Nicaragua die Möglichkeit, mit einem relativ größeren politischen Spielraum eine Beendigung des Krieges auf dem Verhandlungswege herbeizuführen.
Damit war die Verpflichtung zur Gleichzeitigkeit der Erfüllung des sogenannten Arias-Planes für alle Unterzeichnerländer aufgehoben. Nicaragua konnte sich bei seinen Bemühungen nunmehr losgelöst von Verpflichtungen zur Simultanität gegenüber den anderen Unterzeichnerstaaten bewegen. Tatsächlich waren im Gefolge dieses Präsidenten-gipfels mit Ausnahme von Nicaragua in den folgenden Monaten auch keine wesentlichen Aktivitäten zur Erfüllung der in Esquipulas getroffenen Vereinbarungen mehr zu beobachten. Nicaragua meinte es sich angesichts dieser regionalpolitischen Situation mit Hinweisen auf die Säumigkeit der anderen Vertragspartner. insbesondere wegen der weiteren Präsenz der Contra in Honduras und teilweise auch in Costa Rica, durchaus leisten zu können, angekündigte Maßnahmen als Manövriermasse für Waffenstillstandsverhandlungen zurückzuhalten. Dazu gehörten insbesondere die seinerzeit noch ausstehende Amnestie für Contra-Häftlinge und ehemalige Nationalgardisten.
Der nationale Dialog zwischen der sandinistischen Regierung und den im Lande tätigen politischen Parteien (einschließlich der außerparlamentarischen Opposition) wurde im Februar auf Initiative der Regierung wieder aufgenommen, mit Unterbrechungen bis Ende April geführt und dann neuerlich von Seiten der Opposition unterbrochen. Dies kann im Zusammenhang mit der Unklarheit über den Ausgang der Verhandlungen zwischen Regierung und Contra sowie die sich daraus für die interne Opposition ergebenden Perspektiven gesehen werden.
Die Opposition ging in den Nationalen Dialog mit einem Forderungskatalog, der 17 Punkte zur Verfassungsänderung enthielt. Dieser Katalog wurde ebenfalls vom „Nicaraguanischen Widerstand“ in die erste direkte Verhandlungsrunde mit der Regierung von Nicaragua am 28. Januar 1988 eingebracht. Eine juristische Analyse ergab, daß 12 dieser 17 Punkte nur im Rahmen einer Verfassungsänderung zu behandeln wären, wobei die wichtigsten die Nichtwiederwählbarkeit des Präsidenten und die Nichtwählbarkeit von Familienangehörigen des Präsidenten und Vizepräsidenten waren. Die anderen Punkte des Forderungskataloges waren überwiegend im Rahmen der normalen gesetzgeberischen Arbeit zu behandeln. Allerdings ließ die Regierung erkennen, daß die bereits vorher erwähnten Punkte zur Verfassungsänderung sowie unter anderem auch die Forderung, Militärs und Polizeikräften das aktive und passive Wahlrecht zu nehmen, für sie nicht akzeptabel seien. Immerhin konnten aus den Vorschlägen der Regierung und der Opposition Kompromißformeln für eine Tagesordnung geschaffen werden. In den Monaten Mai und Juni fanden allerdings keine weiteren Sitzungen des Nationalen Dialogs statt. Hinsichtlich der Verhandlungen zwischen Regierung und „Widerstand" /Contra-Bewegung können zwei Etappen unterschieden werden: — Es gab zwei in Costa Rica und in Guatemala im Januar und Februar auf der Ebene hochrangiger Delegierter beider Seiten geführte Verhandlungsrunden unter der Vermittlung von Kardinal Obando y Bravo, der diese Verhandlungen am 18. Februar in Guatemala wegen „fehlenden Vertrauens“ beider Seiten abbrach. An diesen, wie auch an allen anderen politischen Runden des ersten Halbjahres 1988 nahm Staatsminister a. D. Hans-Jürgen Wischnewski MdB als Berater der nicaraguanischen Regierung teil. Aus diesen Verhandlungsrunden konnte geschlossen werden, daß es innerhalb der Contra zumindest teilweise auch Kräfte gab, die an einer Verhandlungslösung interessiert waren. — Am 21. März begann mit Gesprächen auf hochrangiger Ebene in der kleinen nicaraguanisch-costaricanischen Grenzstation Sapoä die zweite Verhandlungsetappe. bei der Kardinal Obando y Bravo, nun zusammen mit Baena Soares, dem Generalsekretär der Organisation amerikanischer Staaten (OAS), nur noch als Zeuge fungierte. Der Verteidigungsminister General Humberto Ortega, Mitglied auch der neunköpfigen Führung der Regierungspartei FSLN, leitete diesmal die Regierungsdelegation. Diese Etappe wurde mit vier Gesprächsrunden von militärisch-technischen Arbeitskommissionen in Sapoä, sowie ab 15. April mit weiteren Verhandlungsrunden auf ebenso hochrangiger Ebene fortgesetzt. 3. Waffenstillstand oder Systemveränderung Die Ausgangspositionen der beiden Verhandlungsdelegationen unterschieden sich vor allem darin, daß die Regierung den Abschluß eines definitiven Feuereinstellungsbeschlusses in den Vordergrund stellte, der begleitet und ergänzt werden sollte durch Vereinbarungen hinsichtlich der Eingliederung der Kräfte des Widerstandes in das politische System Nicaraguas, während die Contra weitreichende politische Systemveränderungen im Land verhandeln wollte, an die sich später eine Beendigung der militärischen Aktivitäten knüpfen könnte, und zwar bis zum 31. Januar 1989.
Der am 18. April gemachte umfassende Vorschlag der Regierung entsprach weitgehend den Vereinbarungen von Esquipulas, die auch Basis für das am 23. März zwischen Regierung und Contra in Sapoä abgeschlossene Feuereinstellungsabkommen waren. Auf der Grundlage dieses Ausführungsvorschlages von 32 Punkten wurden die Verhandlungen auch im Mai fortgesetzt. Bis zum 9. Juni 1988 wurde Verständigung in 20 Punkten erreicht. Bei der Runde Ende Mai akzeptierte die Contra durch Vorlage eines eigenen GlobalVorschlages das Prinzip, integrale Verhandlungen zu führen. Bis dahin hatte man nur über den Modus operandi von Waffenstillstandszonen reden wollen.
Bereits in dieser zweiten Verhandlungsetappe war sowohl die konzeptionelle wie die politische Heterogenität der Contra-Delegation festzustellen, die sich erschwerend auf die Verhandlungsführung auswirkte. Während die Regierungsdelegation im Kern unverändert blieb, war die Fluktuation auf Seiten der Contra hoch. Von den elf Unterzeichnern des Abkommens von Sapoä waren bei der Runde vom 7. bis 9. Juni nur noch drei dabei. Insgesamt nahmen 18 militärische Führer an den verschiedenen Treffen teil. Wichtige Feldkommandeure der Contra, aber auch zivile Verhandler, wurden im April und Mai aus den Reihen des „Nicaraguanischen Widerstands“ als „Kompromißler und Nationalisten“ ausgestoßen. Trotzdem schien in dieser zweiten Verhandlungsetappe eine weitreichende und vertragsfähige Übereinkunft möglich zu sein.
Spätestens im Mai 1989 fand offenbar eine Neubewertung der internen politischen Stärkeverhältnisse innerhalb der Contra statt. Dies offenbarte sich nach außen hin dadurch, daß an den letzten beiden Verhandlungsrunden in Managua auf Seiten der Contra Adolfo Calero nicht mehr teilnahm, der der dienstälteste politische Führer war; statt dessen saß der oberste militärische Chef, der ehemalige Oberst der Nationalgarde Somozas, Enrique Bermüdez, am Verhandlungstisch. Bermüdez hatte gegen den Abschluß des Feuereinstellungsabkommens von Sapoä heftig von außen her opponiert. Er sollte sogar im April auf Wunsch eines Teils der politischen Führung der Contra, dem Calero angehörte, u. a. wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten als Militärchef abgesetzt werden.
In dieser dritten Verhandlungsetappe mußte man zunehmend den Eindruck gewinnen, daß der Teil der Contra-Delegation unter Führung von Bermüdez ausnahmslos das Ziel verfolgte, die Verhandlungen mit der Regierung platzen zu lassen. Dies wurde insbesondere deutlich, als bei der vorerst letzten Verhandlungsrunde ein völlig neuer Vor-schlagskatalog von der Contra in die Verhandlungen eingebracht wurde, dessen Inhalt klar darauf abzielte, die Regierungsdelegation zu provozieren. Die Hoffnung bestand offensichtlich, den Abbruch der Verhandlungen durch General Humberto Ortega zu erreichen. Danach wäre möglicherweise der Weg zu erneuter Militärhilfe aus den USA für die Contra freigewesen.
Der sechsseitige und kurzfristig vor Ende der Verhandlungsrunde eingebrachte Vorschlag enthielt, neben bereits mit der Regierung abgestimmten Elementen, folgende neuen Forderungen: Der „Nicaraguanische Widerstand“, als bewaffnete Bewegung, forderte — die unmittelbare Beteiligung am „Nationalen Dialog“. In Sapoä war vereinbart worden, daß die einzelnen politischen Exilorganisationen und Parteien mit insgesamt 56 Delegierten und Beratern am Nationalen Dialog teilnehmen sollten; nicht aber der „Nicaraguanische Widerstand“ als „Armee“ der Contra-Bewegung;
— die Eröffnung einer Vertretung in Managua mit allen Kommunikations-und Bewegungsmöglichkeiten; — die Wahl zu einer neuen verfassunggebenden Versammlung vor dem 31. Januar 1989;
— den Rücktritt aller Richter des Obersten Gerichtshofes und die Beteiligung des „Widerstandes“ an der Ernennung neuer Richter;
— die freie Entscheidung aller wehrdienstleistenden Rekruten, ins Zivilleben zurückzukehren oder den Dienst zu Ende abzuleisten.
Die Regierung von Nicaragua ging wegen der Kürze der verbliebenen Zeit nicht auf den Inhalt dieser Vorschläge ein. Sie versuchte vielmehr, zu einer Übereinkunft bezüglich der Fortsetzung des Verhandlungsprozesses zu kommen. Dieser anhaltende Verhandlungswille machte zunächst die Hoffnung der Hardliner bei der Contra zunichte, den nicaraguanischen Konflikt militärisch fortzusetzen. Die formale Feuerpause hielt deshalb bis November 1989 an.
Bemerkenswert in diesem Zusammenhang war, daß die in Managua erscheinende Tageszeitung „La Prensa“ sowie Rundfunksender in Miami den Abbruch der Verhandlung durch die Regierung am 9. Juni bereits meldeten, bevor die Contra ihren Vorschlag eingebracht hatte. Tatsächlich ließ sich die Regierung zu keinem Eklat provozieren und die Verhandlungen wurden in Ruhe, wenngleich abermals ohne vertragsfähiges Ergebnis beendet. 4. Innenpolitische Bewegung Eine ganze Reihe demonstrativer Aktionen begleitete die vier Verhandlungsrunden zwischen der Regierung und dem „Widerstand“. So führten Gewerkschaften, die der alten kommunistischen Partei (Partido Socialista de Nicaragua) nahestehen, im Bausektor Streiks durch. Die ideologisch konkurrierende Partido Comunista de Nicaragua führte über ihre Gewerkschaft CAUS einen Streik im Bereich der Automechaniker durch. Nachdem beide Gewerkschaftsbewegungen mit dem Schlichtungsverfahren des Arbeitsministeriums nicht einverstanden waren, traten 35 ihrer Mitglieder anläßlich der ersten Verhandlungsrunde in Managua in einen unbefristeten Hungerstreik. Die 14 Oppositionsparteien des Nationalen Dialogs unterstützten politisch diese Streiks. Ihre führenden Politiker wollten vor dem Streiklokal eine nichtangemeldete Solidaritätsdemonstration durchführen und wurden deshalb für zwei Stunden auf eine Polizeiwache zu einem Verwarnungsgespräch geschafft.
Während der zweiten Runde vom 27. bis 30. Mai wurden zwei Nachrichtenmagazine der Rundfunk-anstalten „Radio Corporaciön“ und „Radio Catlica“ dazu benutzt, Mitteilungen des „Nicaraguanischen Widerstandes“ zu senden. In einer Sendung von Radio Corporaciön sagte ein Sprecher: „Ich möchte auch den Mitgliedern des Widerstandes, die hier in Nicaragua sind, sagen, daß sie nicht die Waffen abgeben sollen, denn hier ist ein Volk, das sie unterstützt und sie (der Widerstand) sollen das Erreichte nicht verlieren.“ Dieser Aufruf zum Erhalt der Contra führte nach den bestehenden Pressegesetzen zur mehrtägigen Schließung von Nachrichtenmagazinen des Senders.
Nach Abschluß der vierten Verhandlungsrunde am 9. Juni beruhigte sich die innenpolitische Szenerie. Insbesondere die Nationalversammlung begann, die gesetzgeberische Arbeit zu beschleunigen So wurde bereits das Gesetz zur Gemeindeordnung mit Blick auf entsprechende baldige Wahlen verabschiedet. Ebenfalls eingebracht wurde Ende Juni 1988 ein neues Wahlgesetz.
II. Nicaragua und die Endphase der Reagan-Ära
Abbildung 7
Tabelle 2: Vergleich den Ergebnisse der Wahlen von 1984 und 1990 1984 1990 Zuwachs (in Prozent)
Tabelle 2: Vergleich den Ergebnisse der Wahlen von 1984 und 1990 1984 1990 Zuwachs (in Prozent)
Die Waffenstillstandsverhandlungen zwischen der Regierung Nicaraguas und der Contra zeigten auch nachhaltige Auswirkungen auf die außenpolitischen Beziehungen. Dies galt vor allem für die bilateralen Beziehungen zwischen Nicaragua und den USA. Die Regierung in Washington war zwar zunächst nicht zu einer Neubewertung der Entscheidungsgrundlagen in Sachen Nicaragua bereit, die US-Botschaft in Managua wurde jedoch bereits mit neuen, zum Teil auch als Fachautoren ausgewiesenen Diplomaten besetzt. Ebenso wurde Anfang Mai mit Richard Melton der seit zehn Monaten verwaiste Botschafterposten wieder besetzt. Nichtsdestoweniger waren die „Hardliner“ um den für Lateinamerika zuständigen Unterstaatssekretär Elliot Abrams offenkundig über ihren Einfluß auf die Contra bemüht, jede Verhandlungslösung zu verhindern. die nicht zugleich zu einer wesentlichen Neuverteilung der Machtverhältnisse in Nicaragua führte. Auch blieb die Strategie des „Erschöpfungskrieges“ (war of attrition) erhalten, denn am 1. Mai 1988 verlängerte Präsident Reagan die 1985 ausgesprochene Wirtschaftsblockade gegen Nicaragua um ein weiteres Jahr.
Eine wesentliche qualitative Veränderung der bilateralen Beziehungen zwischen Nicaragua und den USA wurde jedoch dadurch erreicht, daß das Bemühen der Regierung Nicaraguas, eine Gesprächs-basis mit dem Kongreß der USA aufzubauen, konkrete Erfolge zeitigte.
Diese lassen sich benennen durch die — am 3. Februar 1988 erfolgte Ablehnung weiterer militärischer Hilfe an die Contra durch das Repräsentantenhaus, — am 3. März erfolgte abermalige Ablehnung dieser Forderung der Regierung der USA durch den Kongreß, — am 30. März erfolgte Verabschiedung eines Hilfspakets durch den Kongreß, das 17, 7 Mio. US-Dollar humanitärer Contra-Hilfe, 17, 7 Mio. US-Dollar für kriegsgeschädigte Kinder und 10 Mio. US-Dollar für die Arbeit der Überwachungskommission vorsieht, die als Ergebnis des Abkommens von Sapoä tätig geworden ist.
Dieses Hilfspaket, das keinerlei militärische Hilfe für die Contra vorsah, fand teilweise die Zustimmung der Regierung Nicaraguas, die diesen Schritt intern als Unterstützung der Verhandlungsbemühungen bezeichnete.
Trotz dieser Situation bestand in der Contra offenbar noch immer die Erwartung auf militärische Hilfe durch die USA, da sich anders die anhaltende Opposition eines wesentlichen Teils ihrer militärischen Kräfte gegen jede Verhandlungslösung nicht erklären ließ.
Aus Washington verlautete, daß diese Erwartung in erster Linie von konservativen Kreisen wach gehalten würde. Den militärischen Führern der Contra sei zugesagt worden, daß man auch dann Mittel und Wege zur Finanzierung und Versorgung der Contra finden werde, wenn dies weiterhin über offizielle Kanäle nicht möglich sei. Diese Fraktion hoffte auf die Wahl von George Bush zum Präsidenten der USA und damit auf eine Neuauflage der Contrahilfe. In Managua wurde aufmerksam die Tatsache registriert, daß der Komplex Zentralamerika beim Gipfeltreffen in Moskau im Juni 1988 kurz berührt wurde, Präsident Reagan trotz allem in dieser Frage jedoch weiterhin eine harte Haltung einnahm. Allerdings wurden von der Regierung in Managua große Hoffnungen auf eine Wahl des demokratischen Politikers Dukakis zum neuen Präsidenten der USA gesetzt, der die Contrahilfe Ende Mai 1988 als „illegal“ und „kriminell“ bezeichnet hatte. In Nicaragua bereitete man sich bereits darauf vor, mit einer solchen neuen US-Regierung in geordnete Beziehungen einzutreten und ließ in dieser Hinsicht weitreichende Kompromißbereitschaft erkennen, insbesondere in Bezug auf Fragen der nationalen Sicherheitspolitik der USA.
Das einschneidendste innenpolitische Ereignis fand bald nach dem Abbruch der Waffenstillstandsverhandlungen in dem ca. 70 km südlich von Managua gelegenen Ort Nandaime statt. In diesem Ort hatte der seinerzeitige Oppositionsführer und nachmaliges Direktoriumsmitglied der Contra Alfonso Robelo 1982 seine letzte Demonstration vor dem Abgang ins Exil geplant. Diese Veranstaltung wurde ihm damals verboten.
Der Unternehmerverband COSEP. die Gewerkschaften CUS und die CTN von Carlos Huembes, PSD (als Partei mit sozialdemokratischem Anspruch), die liberalen Parteien PALI und PLN sowie Teile der konservativen Parteien hatten für den 10. Juli ihre Anhängerschaft aus dem ganzen Lande nach Nandaime gefahren, um dort gegen die Politik der Regierung zu protestieren und deren Rücktritt zu fordern. Die nach den abgebrochenen Verhandlungen unklare und spannungsreiche innenpolitische Lage, die Konzentration der offensivsten antisandinistischen Gruppen und Parteien an einem Ort, sowie eine völlig inadäquate Arbeit der Polizei führten dazu, daß nach Fehlreaktionen aller Seiten und daraus sich entwickelnden Schlägereien die Demonstration gewaltsam abgebrochen wurde.
Teilweise am Ort des Geschehens, teilweise aber auch an ihrem Wohnort wurden zunächst 43 Personen als Verantwortliche oder Tatbeteiligte verhaftet. Diese Zahl verringerte sich wegen fehlender Tatbeweise alsbald auf 38. Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft waren Körperverletzung von ca. einem Dutzend Polizeibeamten, Sachbeschädigung an Polizeifahrzeugen und an Privateigentum, Land-friedensbruch und Bildung einer kriminellen Vereinigung. Die Angeklagten wurden zunächst zu sechs Monaten Polizeiarrest verurteilt, wogegen ihre Anwälte Berufung einlegten. Dies führte zu einem langwierigen Verfahren vor dem zuständigen Gericht in Masaya.
Unter den Verurteilten befanden sich viele führende Persönlichkeiten der antisandinistischen Opposition, wie die Generalsekretärin einer der vier konservativen Parteien Miriam Arguello; der Führer einer der vier christdemokratischen Parteien, Agustin Jaquin Anaya; der Generalsekretär der Gewerkschaft CTN, Carlos Huembes, gleichzeitig Präsident der Coordinadora Democrätica Nicargüense (CDN) und der Generalsekretär der CDN, Roger Guevara Mena.
Wegen angeblich verfälschender Berichterstattung wurde die Oppositionszeitung „La Prensa“ für 14 Tage geschlossen. Auf zunächst unbestimmte Zeit untersagt wurde eine einstündige Nachrichtensendung von „Radio Corporacion“. Der Sender des Erzbischofs von Managua, Kardinal Obando y Bravo, wurde ebenfalls geschlossen. „Radio Catlica“ hatte sein gesamtes mobiles Aufnahme-und Sendegerät nach Nandaime verbracht und interviewte dort fortlaufend Demonstranten für eine Life-Sendung. Daß dabei wiederholt zum Sturz des Präsidenten aufgerufen und die neun Kommandanten der Nationaldirektion des FSLN zum Verlassen des Landes aufgerufen wurden, war angesichts der aufgeheizten Stimmung zu erwarten.
Bereits in der Woche vor der Demonstration hatte das Mitglied der Führung der FSLN Bayardo Arce die außerparlamentarische Opposition und die Regierung der Vereinigten Staaten davor gewarnt, einen nach dem im April eingetroffenen US-Botschafter benannten „Plan Melton“ in die Tat umzusetzen. Arce beschrieb in öffentlichen Reden diesen Plan als einen Versuch der politischen Destabilisierung des Landes mit dem Ziel, die Sandinisten aus dem Lande zu verjagen. Nach diesen aggressiven Vorwarnungen seitens der Regierungspartei war es als Folge der Vorgänge von Nandaime nicht ganz überraschend, daß Botschafter Melton des Landes verwiesen wurde. Mit dem Botschafter wurden sieben weitere US-Diplomaten ausgewiesen; damit wurden die Botschaftssektionen zur Einholung wirtschaftlicher, politischer und anderer Informationen sowie zur Betreuung der Opposition ihrer besten Leute beraubt.
Richard Melton hatte sicher keinen eigenen Plan für den Einsatz der US-Diplomaten in Nicaragua entwickelt. Melton war vielmehr ein diplomatischer Manager, der großen Fleiß und Einsatz zeigte und gleiches von seinen Mitarbeitern erwartete. Dies führte dazu, daß US-Diplomaten und ihre Fahrzeuge im Straßenbild, bei den Büros der politischen Parteien, bei Versammlungen und Demonstrationen sehr viel häufiger zu sehen waren als das früher der Fall war.
Mit dieser neuen Arbeitsweise wurden aber auch konkrete Ergebnisse von denen gefordert, die seit vielen Jahren Finanzierung aus US-Quellen erhielten. Zu deren Empfängern gehörten die Coordinadora Democrätica Nicaragüense, die Gewerkschaften CUS und CTN, Teile der konservativen Bewegung (Miriam Argüello und konservative Jugendorganisationen), die Partei PSD sowie Teile der katholischen Amtskirche.
Nachdem die konzessionsbereite Verhandlungsführung der Regierung bei den Gesprächen mit der nicaraguanischen Widerstandsbewegung zu einer Stabilisierung ihres Ansehens geführt hatte, brachten die Ereignisse im Zusammenhang mit der Demonstration in Nandaime nicht nur den Verlust der Imageerfolge des ersten Halbjahres, sondern ergaben sogar einen neuen Tiefpunkt in der internationalen öffentlichen Meinung. Bei 111 Kriegstoten im Monat Juni und 148 Kriegstoten im Juli wurde deutlich, daß die Sandinisten sich nicht gleichzeitig gegen fortgesetzte Contraangriffe und eine neubelebte antisandinistische politische Opposition wehren wollten.
Vor dramatischen Konsequenzen ihrer Taten wurden die Sandinisten durch zwei Umstände geschützt. Am Dienstag, dem 12. Juli, dem Tag der ersten umfassenden Berichterstattung über die Vorgänge von Nandaime, gab der demokratische Präsidentschaftskandidat Dukakis den Namen seines Bewerbers um das Amt des Vizepräsidenten bekannt. Der texanische Senator Lloyd Benson war langjähriger Unterstützer für die Militärhilfe an die Contra. Um nicht sofort einen Konflikt und einen drastischen Meinungsunterschied zwischen Dukakis und Benson bei einer eventuellen Abstimmung um Contra-Hilfe im US-Kongreß öffentlich werden zu lassen, verhinderten die Demokraten eine solche Abstimmung. Obwohl es sicher zu diesem Zeitpunkt aus US-Sicht ein größeres Bündel an negativen politischen Vorfällen in Nicaragua gab als je zuvor, kam es nur zu einer scharfen verbalen Ver-urteilung Nicaraguas in einer gemeinsamen Resolution beider Häuser des Kongresses.
Das negative Gebaren der Contra in den Monaten August bis November verhinderte ebenfalls die Verabschiedung weiterer Militärhilfe, weil dadurch das Vertrauen des US-Kongresses in den Weg der militärischen Option gegen die sandinistische Regierung erheblich vermindert wurde. Mit dreimonatiger Verspätung wählte die Vollversammlung des nicaraguanischen Widerstandes ein neues Direktorium, aus dem mit Ausnahme des Taktikers Alfredo Csar alle moderaten Kräfte abgewählt wurden. In das als oberste politisch-zivile Führung gedachte Direktorium wurde zum ersten Mal der militärische Führer Oberst Enrique Bermüdez (ein ehemaliger Nationalgardist) gewählt. Zum Teil noch während der Vollversammlung, zum Teil in den Wochen danach, sprachen Christdemokraten im Exil dem neugewählten Roberto Ferrey die Legitimität ab. Der gleiche Entzug einer Vertretungsvollmacht wurde gegen Alfredo Cesar seitens der Kommandanten der Südfront (Frente Sur/BOS) und seitens der „Sozialdemokraten“ (Gruppierungen mit sozialdemokratischen Anspruch) im Exil gegen Wilfredo Montalvän ausgesprochen.
Die am 30. September 1988 vom US-Kongreß erneut verabschiedete nicht-militärische Unterhalts-hilfe für die Contra floß planmäßig (und reichlich) zu den Einheiten von Oberst Bermüdez in ihre Lager nach Honduras.
III. Die Suche nach einem Wahltermin und fairen Bedingungen
In Nicaragua sind Innen-und Außenpolitik auf eine besondere Weise verknüpft. Die Übergangszeit von Reagan zu Bush und das damit verbundene Fehlen klarer Linien und Direktiven in der US-Außenpolitik führten bei Jahresbeginn 1989 zu Inaktivität in der öffentlich wirksamen Politik des Landes. Hinter den Kulissen und in Planungsgremien der Regierung von Nicaragua wurde diese Zeit allerdings genutzt, um Initiativen sowohl in der Wirtschaftspolitik wie auch in Bezug auf Pläne zur Demobilisierung der Contra vorzubereiten.
Es war wiederum ein außenpolitisches Ereignis, die Amtseinführung des neugewählten venezolanischen Präsidenten, das zur Belebung führte. Carlos Andres Perez hatte für Anfang 1989 sowohl seinen nicaraguanischen Amtskollegen mit großer Begleitung eingeladen als auch führende Persönlichkeiten der Opposition. Ferner fand sich der dialogbereite Teil der Contra-Führung, z. B. Alfredo Cesar, in Caracas ein. Es wurde schnell deutlich, daß neue Bewegung in den suspendierten Verhandlungsprozeß gebracht werden sollte. Perez nutzte die Gelegenheit nicht nur zur Vermittlung von Kontakten unter den nicaraguanischen Akteuren; er drängte darüber hinaus Vertreter anderer am zentralamerikanischen Konflikt beteiligte Länder, wie Fidel Castro und den neuen US-Vizepräsidenten Dan Quayle, den politischen Optionen gegenüber den militärischen den Vorzug zu gewähren. Weitere für den mittelfristigen Fortschritt des Esquipulas-Prozesses wichtige Gespräche wurden zwischen Daniel Ortega, seinem honduranischen Kollegen Jose Azcona und Präsident Arias von Costa Rica geführt.
Derart vorbereitet wurde das Gipfeltreffen der fünf zentralamerikanischen Präsidenten am 13. und 14. Februar 1989 in Tesoro Beach, El Salvador, zu einem relativen Erfolg. Relativ deshalb, weil konkret und überwiegend nur das nicaraguanische Problem angegangen wurde, und relativ auch deshalb, weil später die inzwischen etablierte Regierung Bush versuchte, das Abkommen scheitern zu lassen. Nicaragua sagte die weitere Demokratisierung und die vollständige Herstellung der Bürgerrechte in der Nachkriegszeit zu. Im Zusammenhang damit sollte das Wahlrecht revidiert, ein Mediengesetz neu gefaßt und der Nationale Wahlrat ausgewogen zwischen Regierung und Opposition besetzt werden. Weiterhin wurden vorgezogene Wahlen angekündigt für den 25. Februar 1990. Diese Wahlen sollten durch Beobachter der Vereinten Nationen, der Organisation amerikanischer Staaten (OAS) und anderer internationaler Gremien beobachtet werden. Ebenso wurde der Opposition ein ausgewogener Zugang zu den staatlichen Rundfunk-und Fernsehanstalten zugesagt.
Die Präsidenten Zentralamerikas begrüßten den Vorschlag Nicaraguas und die positive Reaktion von Honduras in bezug auf die freiwillige Repatriierung der Contra bzw.deren Verbringung in Drittländer. Die Präsidenten sagten zu, innerhalb von 90 Tagen einen Plan zu erarbeiten für die Demobilisierung, Repatriierung bzw. Umsiedlung der Contrakämpfer und ihrer Familien. Dabei wollten sie sich auf die Dienste spezialisierter Agenturen der Vereinten Nationen (Hoher Flüchtlingskommissar etc.) stützen.
Die Arbeit der nationalen Versöhnungskommissionen sollte reaktiviert werden.
Unter Bezug auf Absatz 5 des Abkommens von Esquipulas wurde aufgefordert, sämtliche Hilfe für aufständische Gruppen innerhalb der Region und von außerhalb einzustellen. Zulässig sei humanitäre Hilfe, die der Sicherung des Erfolges des Abkommens diene. Irreguläre kämpfende Truppen in der Region sollten aufgefordert werden, die Waffen niederzulegen und sich an Wahlen zu beteiligen. Dies betraf auch die FMLN in El Salvador und die URNG in Guatemala.
Es sollte ein dringender Aufruf an die internationale Gemeinschaft ergehen, bei der wirtschaftlichen Reaktivierung und der Lösung der Schulden-frage mitzuhelfen. Die Präsidenten vereinbarten noch einmal, alles zu tun, um den zentralamerikanischen Binnenhandel wiederzubeleben. Die Europäische Gemeinschaft sollte um Unterstützung hierbei gebeten werden.
Aus den Ergebnissen wurde deutlich, daß sich der Präsidentengipfel in der Tat hauptsächlich mit einer zentralamerikanischen Lösung des Konfliktfalls Nicaragua beschäftigte. Präsident Ortega machte hierzu weitreichende, aber intern lange vorbereitete Konzessionen. Bei befriedigender Verwirklichung wären die innenpolitischen Gründe weitgehend fortfallen, mit denen der Contra-Krieg teilweise begründet wurde. Verhandlungen mit der Contra selbst wurden auf dem Gipfel von niemand ernsthaft gefordert. Damit war die Contra aus zentralamerikanischer Sicht politisch entmündigt.
Von Ende Februar bis Anfang April 1989 ließ die Regierung von Nicaragua durch Vermittler bei der Regierung von Honduras sondieren, welche Bedingungen für die Demobilisierung der Contra akzeptabel sein würden. Durch die Abwesenheit von diplomatischen US-Interventionen wurden zunächst auch erhebliche Fortschritte in der Erarbeitung entsprechender Texte gemacht. Sobald allerdings die neue personelle Besetzung des Außenministeriums der Bush-Regierung im Amt war, versuchte diese, den Prozeß zu bremsen. Weder durfte das für Mitte Mai fest terminierte Präsidententreffen im Rahmen des Esquipulas-Plans stattfinden, noch kam es bis Anfang Dezember zu irgendeiner anderen Zusammenkunft. In der nicaraguanischen Innenpolitik wurden die im Vorjahr begonnenen Konsultationen zwischen Regierung und Opposition im Februar und März fortgeführt. Es kam allerdings nicht zur Wiederaufnahme des nationalen Dialogs, bei dem überwiegend in Plenarsitzungen die Regierung mit allen Oppositionsparteien gemeinsam verhandelt hatte. Vielmehr wurde das Format der bilateralen Gespräche bevorzugt.
Für die Contra wurde im April 1989 ein Hilfspaket im Werte von insgesamt 66 Mio. US-Dollar für zehn Monate im Kongreß der Vereinigten Staaten verabschiedet. Damit sollten die ca. 10 000 Angehörigen des bewaffneten Widerstandes versorgt werden, und zwar bis kurz nach den Wahlen in Nicaragua im Februar 1990.
Trotz dieser Hilfe spielte die Contra keine bedeutende militärische Rolle. Es hielten sich zwar zwischen 1 200 und 3 000 Contrakämpfer zu verschiedenen Zeiten im Landesinneren auf, ihre Angriffs-aktionen waren aber zunehmend in den Bereich der Beschaffungskriminalität zur Sicherung des eigenen Lebensunterhaltes einzuordnen — wenn auch häufig mit grausamen Folgen, insbesondere für die überfallene Zivilbevölkerung.
Politisch war die Führung der bewaffneten Contra in Honduras viel aktiver als die Mitglieder des eher demokratischen nicaraguanischen Exils in Costa Rica. Die fundamentalistischen Widerstandsführer — insbesondere Oberst Bermüdez, Adolfo Calero und Aristides Sanchez — lobbyierten nicht nur intensiv in Washington für die Contra-Hilfe, sondern trafen sich auch Mitte April mit Vertretern der Gruppe von 14 Oppositionsparteien und der nicht sandinistischen Gewerkschaften in Guatemala. Erstaunlicherweise waren die Anführer dieser Begegnungsinitiative auf Seiten der internen Opposition die Generalsekretäre der kommunistischen und sozialistischen Parteien (Elf Altamirano und Gustavo Tablada). Damit bestand faktisch eine Allianz zwischen den konservativen Kräften der „Coordinadora Democrätica“ und der alteingesessenen traditionell-marxistischen Linken.
Bis Mai 1989 stagnierten Versuche der Belegung und Belebung der politischen Mitte in Nicaragua. Im Mai begannen die Kontakte zwischen den Kräften des politischen Exils in Costa Rica (Alfredo Cesar, Alfonso Robelo, Jose Dävila, Eden Pastora u. a.) mit Liberalen, Sozialchristen und gemäßigten Konservativen.
Im April verabschiedete die Nationalversammlung die von Präsident Ortega beim Präsidentengipfel versprochene Reform der Wahl-und Mediengesetze. Die Wahlrechtsreform stieß in breiten Kreisen der Opposition auf Ablehnung, wenngleich aus sehr unterschiedlichen Gründen. Den großen Parteien, insbesondere den Liberalen und Konservativen ging die Gleichbehandlung auch der Kleinstparteien mit vielfach unter einem Prozent Wählerpotential bei Parteienfinanzierung, Medienzeit, und vereinfachter Zulassung zu weit. Für die Kleinstparteien hingegen ging die Gleichstellung nicht weit genug. So wollten sie z. B. auch die absolute Gleichbehandlung bei der Parteienfinanzierung ohne Rücksicht auf die bei vorherigen Wahlen errungene Prozentzahl. Sowohl die Regierungspartei FSLN als auch die Mehrheitsfraktion der Konserva-tiv-Demokratischen Partei PCD widersetzten sich weiteren Konzessionen gegenüber den anderen 19 Parteien vor dem Hintergrund, daß die FSLN und die PCD zusammen bei den letzten Wahlen 1984 rund 81 Prozent der gültigen Stimmen auf sich vereinigen konnten.
Im praktischen Verhalten der Parteien zeigte sich, daß sie den neuen gesetzlichen Rahmen annahmen. Dazu gehörten insbesondere die erleichterten Möglichkeiten der offiziellen Registrierung von politischen Parteien beim Nationalen Parteienrat CNPP. Dies führte zur weiteren Zersplitterung der Parteienlandschaft durch Neugründung bzw. Register-eintrag vieler Parteien.
Weitgehend abgelehnt von der Opposition, und zwar besonders von den ihr nahestehenden Medien, wurde das neue Mediengesetz. Obwohl die Zensur und die zeitweilige Schließung von Medien als Strafmaßnahmen abgeschafft wurden, fühlte sich vor allem die Zeitung „La Prensa“ von dem Recht auf Gegendarstellung gestört. Die Regierung hingegen behauptete, daß dieses Gesetz liberaler sei als die vergleichbaren Bestimmungen in den Nachbarländern. In der Diskussion um die gesetzgeberischen Reformvorhaben wurde der Ton der politischen Auseinandersetzung auch für langjährige Beobachter zunehmend weniger erträglich. Fundamentalistische Kreise der Opposition, besonders die Tageszeitung „La Prensa“, nannten das Mediengesetz „nazifaschistisch“. Der Journalist dieser Zeitung und liberale Parlamentsabgeordnete Joaquin Mejia nannte die Nationalversammlung nach der letzten Lesung der Reformgesetze einen „somozistischen Schweinestall".
Präsident Ortega beschimpfte seinerseits „La Prensa“ als Zeitung der „somozistischen Nationalgarde“, weil dieses Blatt sämtliche zu Gefängnisstrafen verurteilten Nationalgardisten für unschuldigerklärte. Am Mittwoch, dem 26. April 1989 verbrannten Journalisten der Opposition das neue Mediengesetz auf der Straße vor der Nationalversammlung. Insgesamt dominierte die Sprache der Scharfmacher beider Seiten die politische Auseinandersetzung bereits im April 1989.
IV. Vorwahlzeit und Wahlkampf
1. Abiaufplanung und kandidierende Parteien Im Prinzip waren die Daten und Modalitäten der Wahlen durch die Gesetzgebung und die Vorarbeiten des Obersten Wahlrates als Verfassungsorgan frühzeitig gegen Ende des ersten Halbjahres 1989 festgelegt. Trotzdem drängten die 14 Parteien in der Oppositionskoalition UNO (Union Nacional Opositora) die Contra-Führung und ihre ausländischen Freunde auf Nachbesserung. Am 3. und 4. August 1989 fand deshalb in einer dramatischen Marathon-Sitzung der „Nationale Dialog“ zwischen der Regierung und den Oppositionsparteien statt. Nach Erreichung von Vereinbarungen zur Nutzung des Fernsehens für Wahlpropaganda, zur Registrierung von Wählern und zur Beteiligung der Parteien an der Wahlkontrolle und -auszählung war damit der Weg frei zur Teilnahme aller Parteien an der Wahl. Gerade der Selbstausschluß der dann außer-parlamentarischen Opposition von den Wahlen 1984 hatte seinerzeit der Reagan-Administration zur Delegitimierung der ersten freien Wahlen nach dem Fall der Somoza-Diktatur gedient. Insofern war das Ergebnis des Nationalen Dialogs entscheidend für die allseitige Anerkennung der Ergebnisse des Urnenganges vom 25. Februar 1990. Die nunmehr fest vereinbarte Ablaufplanung hatte folgende wesentlichen Fixpunkte: — Bis Ende September 1989: Einschreibung von Kandidat(inn) en für die Ämter von Präsident und Vizepräsident und für die Nationalversammlung. — 1., 8., 15. und 22. Oktober: Einschreibung der Wähler in die Register. Angesichts fehlender Einwohnermeldesysteme und Personalausweise war dies die zentrale administrative Maßnahme zur Sicherung korrekter Wahlen. — 31. Oktober: Letzter Tag für die Einschreibung von Gemeinderatskandidaten. — 6. November: Auslosung der Plätze der Parteien und Allianzen auf den Wahlzetteln. — 4. Dezember: Eröffnung der offiziellen Wahlkampfperiode. — 25. Februar: Wahltag. — 25. April: Amtseinführung der siegreichen Kandidaten. Nach der Festlegung von Modalitäten und Ablauf-planung im gegenseitigen Einvernehmen stellten sich folgende Parteien und Allianzen zur Wahl: — Frente Sandinista de Liberaciön Nacional (Regierungspartei). — Union Nacional Opositora: Oppositionsallianz, bestehend aus 14 Parteien, nämlich den liberalen PLI, PLC, PALI; den christdemokratischen PDCN, PAN, PPSC; den konservativen APC, PNC, ANC, PSD; den alten und neuen kommunistischen Parteien PSdeN und PCdeN; der föderalen PIAC und der MDN. — Weitere acht Parteien, die einzeln antraten, darunter die konservativen PCD (zweitstärkste Partei bei den Wahlen 1984) und PSOC; die liberale PLUN; die christdemokratische PSC; die linken MAP-ML, PRT, MUR; die föderalistische PUCA.
Aus einer zersplitterten politischen Landschaft mit 23 Parteien blieben so zehn Kandidatenlisten auf dem Wahlzettel übrig. 2. Wahlbeobachtung Die hohe Qualität der Organisation der Wahlen in Nicaragua hatte auch mit der intensiven Wahlbeobachtung zu tun. Von Anfang an luden die Regierung und der für die Durchführung aller Etappen des Wahlsystems zuständige Oberste Wahlrat (CSE) internationale Organisationen ein, Beobachtungsmissionen nach Nicaragua zu entsenden. Insgesamt waren 27 Institutionen als offizielle Beobachter akkreditiert. Hervorzuheben sind hierunter insbesondere die Organisation der Amerikanischen Staaten (OAS), die Vereinten Nationen mit einer Sondermission (ONUVEN) und der „Rat der freigewählten Staatschefs“ des ehemaligen US-Präsidenten Jimmy Carter. Die Beobachtungsmissionen wurden teilweise bereit» im April 1989 etabliert. Dies ist ein absolutes Novum, denn gewöhnlich kommen Beobachtermissionen nur zur allerletzten Phase des Wahlkampfes und zum Tag der Stimmabgabe. Ebenfalls einzigartig war die Teilnahme der Vereinten Nationen an der Beobachtung einer Wahl in einem freien und souveränen Land: Die Vereinten Nationen haben Wahlen sonst nur beobachtet in Fällen der Dekolonialisierung, wie z. B. in Namibia.
UN und OAS brachten jeweils über 400 Wahlbeobachter ins Land. Ihre Operationen bildeten das Rückgrat des Beobachtungssystems. Am Wahltag selber befanden sich in Nicaragua schätzungsweise über 4 000 Wahlbeobachter aus Europa, Nord-und Südamerika. Diese internationale Wahlbeobachtung auch der Vorbereitungsphasen führte zu einer Stärkung des obersten Wahlrats als Institution und diente der ständigen Verbesserung seiner Arbeit. Der oberste Wahlrat entwickelte ein sehr liberales Reglement für die Arbeit von Wahlbeobachtungsmissionen, das als vorbildlich anzusehen ist
Der zahlenmäßige Umfang der Wahlbeobachter und der finanzielle Aufwand waren ungewöhnlich und außergewöhnlich hoch. Er wurde aber von nicaraguanischer Seite als notwendig erachtet, um zu verhindern, daß ausländische Gegner der sandinistischen Regierung, insbesondere die US-Regierung, den Wahlen nachträglich die Gültigkeit abzusprechen versuchten. 3. Der Wettkampf der Meinungsumfragen Meinungsumfragen waren in Nicaragua generell bis zum Jahre 1988 nicht durchgeführt worden. Sie waren sogar während der Zeiten des militärischen Ausnahmezustandes genehmigungspflichtig. Insofern gab es keine sozialwissenschaftlich gültigen Erfahrungen mit diesem Instrument.
Regierungspartei und Oppositionsbündnis UNO gaben eine relativ große Zahl von Meinungsumfragen in Auftrag, deren Ergebnisse sich häufig diametral widersprachen. Sehr früh wurde allerdings deutlich, daß ein erheblicher Teil der Wählerschaft unentschieden war oder sich nicht klar äußern wollte. Diese Gruppe umfaßte je nach Umfrage 25 bis 53 Prozent.
Da erkennbar die Meinungsumfragen nicht die wirkliche Stimmung in der Wählerschaft widergeben konnten, wurden sie von beiden Seiten dazu benutzt, Stimmung für die eigene Sache zu machen. Daß man nicht so recht an die Qualität der Befragungsergebnisse glaubte, zeigte sich auch durch den Grad der Überraschung über den Wahlsieg auf der UNO-Seite und das Entsetzen über den Verlust der Mehrheit auf der Seite der FSLN in der Wahlnacht. Das deutliche Wahlergebnis von 54, 7 Prozent zu Gunsten der Präsidentschaftskandidatin der UNO-Opposition überraschte selbst die Sieger.
V. Das Wahlergebnis
In der Endphase des Wahlkampfes war dieser zunehmend inhaltsleer geworden. Beide Seiten versuchten, der Wählerschaft ihren jeweiligen Slogan einzuhämmern. „Todo serä mejor“ (alles wird besser) versicherten Daniel Ortega und sein Vizepräsident Sergio Ramirez. „UNO si puede“ (die UNO wird’s packen) versicherten Violeta Chamorro und ihr Parteienbündnis. Der Gehalt dieser Aussagen wurde entscheidend beeinflußt von der politischen Großwetterlage. Insofern hatten die veränderten Verhältnisse in Osteuropa einen wesentlichen Einfluß auf die Überzeugungskraft der Sandinisten in wirtschaftlicher Hinsicht. Andererseits wurden die wiederholten Unterstützungsangebote der Regierung Bush an die Oppositionskandidatin weit verbreitet. Genau in die Zeit des nicaraguanischen Wahlprozesses von Februar 1989 bis Februar 1990 fielen die Krisen des wirtschaftlichen Umbaus und der gesellschaftspolitischen Veränderungen in der Sowjetunion, der DDR, der Tschechoslowakei und Bulgariens. Der Wahlbevölkerung war bekannt, daß diese bislang quantitativ wichtigsten europäischen Geberländer sich in Zukunft stärker auf die Sanierung und Veränderung ihrer eigenen Volkswirtschaften konzentrieren würden. Wichtige westliche Länder (insbesondere solche mit konservativen Regierungen) ließen gleichzeitig erkennen, daß sie zwar den Ausgang der Wahlen bei freier und fairer Durchführung respektieren würden, substantielle Hilfeleistungen aber erst nach Beendigung sehr komplizierter Umschuldungsverhandlungen einleiten würden. Insofern verlor der sandinistische Slogan, daß alles mit einem Sieg der FSLN besser werden würde, an Überzeugungskraft.
Die US-Regierung betonte hingegen wiederholt, auch durch Präsident Bush selbst, daß bei Amtsantritt einer Regierung Chamorro das 1985 von Präsident Reagan erlassene Handelsembargo gegen Nicaragua aufgehoben würde, und daß mehrere hundert Mio. US-Dollar für eine nicht-sandinistische Regierung zur Verfügung stünden. Die Kraft des Dollars auf der Seite von Violeta Chamorro hatte sich auch darin gezeigt, daß sie aus den USA zweistellige Millionensummen zur Unterstützung ihrer Kampagne erhielt. Insofern war der Wahlslogan der UNO für Wähler leichter viele einsehbar.
Diese politische Situation schlug sich in Wahlergebnissen nieder, die in Tabelle 1 dokumentiert sind. Trotz der eindeutigen Mehrheit für die UNO in Prozenten und in bezug auf die Zahl der Sitze in der Nationalversammlung wird deutlich, daß Verfassungsänderungen ohne die Beteiligung der FSLN mit ihren fast 41 Prozent nicht möglich sind, da hierfür 60 Prozent benötigt werden. In bezug auf die Stärke der politischen Fraktionen hat der FSLN einen großen Vorsprung als stärkste Einzelkraft behalten, denn die nächstgrößere Partei, die konservative APC ist nur mit sechs Abgeordneten vertreten, alle anderen 13 Parteien der UNO-Koalition mit noch weniger Kandidaten.
Interessant ist der hohe Zuwachs an tatsächlich abgegebenen Stimmen (vgl. Tabelle 2). Bei der Analyse der Zahlen des Wahlergebnisses zeigt sich, daß die abgegebenen Stimmen um fast 30 Prozent gegenüber 1984 angestiegen sind, während bei den Einschreibungen ein Plus von etwa 13 Prozent zu registrieren ist, was sich teilweise mit dem Bevölkerungszuwachs in den letzten sechs Jahren erklären läßt. Die relativ starke Zunahme der abgegebenen Stimmen scheint darauf hinzudeuten, daß nunmehr auch Anhänger von Parteien des konservativen und antisandinistischen Spektrums, die 1984 nicht kandidierten, eine größere Rolle spielten.
Würde man dem Ergebnis von 1990 die selbe Stimmbeteiligung zugrunde legen wie 1984, so hat der FSLN etwa ein Drittel seines Wählerpotentials verloren. Die Gründe für den Umschwung in der Wählergunst sind vielfältig. Allerdings kann es wohl kaum an der Komplexität der Sachaussagen oder der Qualität der Wahlprogramme gelegen haben, wie die Stimmabgabe ausging. Da sowohl die Regierungspartei FSLN als auch die Oppositionsallianz UNO zunehmend stärker Techniken der vereinfachten modernen Markenartikelwerbung einsetzten, fand eine Programmdiskussion nur in Kreisen von Parteikadern und politischen Aktivisten statt. Entscheidender war vermutlich die anhaltend schlechte ökonomische Situation des Landes sowie die bis zum Ende der Regierung Ortega bestehende Militärdienstpflicht.
Auf Seiten der FSLN war der triumphalistisch geführt worden. Der Wahlkampfleiter der FSLN. Bayardo Arce, sagte dem Autor in einem Gespräch im November 1989, daß man mindestens 70 Prozent der Stimmen erringen würde. Diese Art von Selbstsicherheit führte nicht nur dazu, daß viele der eigenen Wähler wegen des scheinbar sicheren Erfolges zu Hause blieben, sie erlaubte auch schwankenden Sympathisanten der Sandinisten, eine Stimme des Tadels gegen die FSLN und damit zugunsten der UNO abzugeben, weil bei derartig positiven Vorhersagen eine Mehrheit für die Partei der nicaraguanischen Revolution immer noch gewährleistet schien.
Wie die Wochen und Monate nach der Wahl zeigten, war die Einheit der UNO-Koalition derart brüchig und die FSLN immer noch so stark, daß an ihr vorbei nicht regiert werden konnte. Am meisten haben die Sandinisten ihre schärfsten Kritiker dadurch überrascht, daß sie eine ehrliche und freie Wahl abgehalten haben und das Ergebnis als demokratische Verlierer akzeptierten. Das Ergebnis der Wahl bedeutet aber auch das definitive Ende des Krieges in Nicaragua und die Entwaffnung der Contra.
Die Wahlen vom 25. Februar 1990 bilden den Schlußpunkt und die getreue Erfüllung des Friedensplans von Esquipulas durch Nicaragua. In anderen Staaten der Region haben die kriegerischen Auseinandersetzungen jedoch nicht aufgehört; die Menschenrechtsverletzungen sind teilweise sogar noch angestiegen. Auch hat es drei Jahre nach der Unterschrift des Friedensplans keine „Friedensdividende“ für die Völker der Region in Form einer verbesserten wirtschaftlichen Gesamtsituation und einer gerechteren Verteilung der Einkommen gegeben. Letzteres gilt auch für Nicaragua.
Clemens Rode, M. A. (Oxford), geb. 1946; 1986— 1989 Vertreter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Managua und Teilnehmer an den Waffenstillstandsverhandlungen zwischen Regierung und Contra-Rebellen; wiss. Referent im Lateinamerikareferat der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn. Veröffentlichungen u. a.: (Hrsg.) La Economia Mixta en Nicaragua, Managua 1986, sowie zahlreiche Studien und Gutachten zu Entwicklungsprojekten in Lateinamerika.
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