Die Fäden der Arbeitsmarktpolitik laufen bei der Bundesanstalt für Arbeit zusammen. Wie die anderen Sozialversicherungen (Renten, Krankheit, Unfall) werden die Leistungen durch Beiträge bezahlt, die von Arbeitgebern und Arbeitnehmern erhoben werden. Sozialversicherungsbeiträge sind zwar traditionell das dominante Finanzierungsinstrument für Sozialversicherungen, das kann sich aber ändern, wenn die Aufgaben der Bundesanstalt für Arbeit mehr und mehr über die einer Sozialversicherung hinausgehen. Die Versicherungsleistung im engeren Sinn ist das Arbeitslosengeld (an das sich eventuell die aus dem Bundeshaushalt finanzierte Arbeitslosenhilfe anschließt); darüber hinaus betreibt die Bundesanstalt aktive Arbeitsmarktpolitik: Berufsberatung, Förderung beruflicher Ausbildung, Fortbildung und Umschulung, Leistungen zur Förderung der Arbeitsaufnahme, Eingliederungsbeihilfen, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Finanzierung von Sprachunterricht. Man könnte sagen, daß sich hier zwei Sparten der Arbeitsmarktpolitik unter einem Dach befinden -wofür manches spricht, da zwischen beiden Arten der Politik Wechselwirkungen bestehen. Gewichtige Argumente sprechen aber auch für eine Trennung der beiden Sparten, nicht so sehr institutionell, sondern in der Zuordnung und Rangordnung der Aufgaben und der Sicherung einer angemessenen Finanzierung dieser Aufgaben. Zu prüfen ist dabei auch, ob das System der Beitragsfinanzierung zu modifizieren ist. Es werden Argumente vorgetragen, die Anlaß zur Reform des jetzigen Finanzierungssystems für die Arbeitsmarktpolitik geben können.
I. Ordnungs-und sozialpolitische Aspekte
Auf den ersten Blick scheint es eine ziemlich klare Angelegenheit zu sein, wie die Arbeitslosigkeit zu finanzieren ist. Deutschland hat den Ordnungsentwurf einer Sozialen Marktwirtschaft gewählt, und die soziale Komponente dieses Ordnungsentwurfs kommt u. a. bekanntlich in den sog. vier Säulen der sozialen Sicherung zum Ausdruck. Es sind dies 1. die Gesetzliche Rentenversicherung, 2. die Gesetzliche Krankenversicherung, 3. die Arbeitslosenversicherung und 4. die Unfallversicherung. Jede dieser Säulen wird zwar durch einen speziellen Versicherungstyp repräsentiert, gemeinsam ist diesen Sozialversicherungen aber, daß sie eine gewisse institutioneile Unabhängigkeit vom öffentlichen Haushaltswesen besitzen, mit hoheitlichen Rechten ausgestattet sind, indem sie Mitglieds-zwang ausüben können, und sich über eigene Beiträge finanzieren. Da letzteres das Grundprinzip aller Sozialversicherungen ist, wäre auch die Arbeitslosigkeit durch entsprechende Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu finanzieren.
Nimmt man das Versicherungsprinzip ernst, so müßten die Leistungen zur Arbeitslosenversicherung so bemessen werden, daß sie die individuellen Risiken, die aus einem unverschuldeten Verlust des Arbeitsplatzes resultieren, abzusichem vermögen. Wer die Beitragsfinanzierung risikomindernder finanzieller Leistungen als klassisches Muster für eine Sozialversicherung ansieht, muß zur Kenntnis nehmen, daß gerade die Arbeitslosenversicherung sich davon entfernt hat und sich aller Wahrscheinlichkeit in Zukunft noch mehr davon entfernen wird. Das wiederum hat großen Einfluß auf die Finanzierung der Arbeitslosigkeit. Die erste Frage dabei ist, ob die Finanzierung der Arbeitslosigkeit auch in Zukunft gelingt, und die zweite, ob nicht durch unklare Finanzierungsverfahren Ineffizienzen bei der Arbeitsmarktpolitik erzeugt werden.
Zunächst werden einige Fakten im Überblick betrachtet, um inhaltliche Anknüpfungspunkte für diese Überlegungen zu gewinnen.
1. Verfolgt man, wie sich die arbeitsmarktbezogene Sozialpolitik in der politischen Realität entwikkelt hat, dann wird man Zweifel haben dürfen, ob die eingangs genannte Orientierung noch existiert und gewünscht wird. Der Träger der Arbeitslosenversicherung, die Bundesanstalt für Arbeit (1969 sehr bewußt so benannt), übernimmt nämlich nicht nur Versicherungsaufgaben, sondern beteiligt sich auch an der Berufsausbildung, der Förderung und Erhaltung von Arbeitsplätzen, der allgemeinen Ausbildung bis hin zur Sprachförderung; sie unterstützt aber auch die Struktur-und Regionalpolitik; und sie hilft beim Länderfinanzausgleich -obwohl diese letzten Beiträge kaum politisch bemerkt werden und empirisch nicht vollständig aufgearbeitet sind. Die Frage drängt sich auf, ob es gerechtfertigt ist, diese „versicherungsfremden“ Aufgaben alle durch Mitgliederbeiträge zu finanzieren -vor allem aber: Wird man an der Beitragsfinanzierung festhalten können, wenn es zweckmäßig oder politisch gewollt ist, diesen Aufgabenkreis über die Bundesanstalt für Arbeit noch erheblich auszubauen? Die Unsicherheit, ob die Finanzierung beitragsbezogen bleiben kann oder nicht, hat ihre Ursache letztlich in einer Unsicherheit im politischen Raum: Werden allgemeine Förderungsprogramme dieser Art gewünscht und werden sie über öffentliche Haushalte nicht abgedeckt, dann kommen sie zwangsläufig auf die Bundesanstalt für Arbeit zu, und die Finanzierungsproblematik ist gleichsam politisch verordnet. Vielleicht müßte man hier denn doch für Klarheit und Ordnung sorgen. Ein Mittel wäre, einen strengeren Finanz-ausgleich einzuführen. 2. Eine zweite Abhängigkeit der Bundesanstalt für Arbeit kommt nicht von der Politik, sondern vom Markt und hier von Entwicklungen in der Marktwirtschaft bis hin zu einzelnen Absprachen der Tarifpartner. Das Sozialversicherungsmodell für die Arbeitslosigkeit ist tauglich für eine begrenzte Höhe an Arbeitslosigkeit, auch noch für Arbeitslosigkeit, die durch konjunkturelle Schwankungen verursacht worden ist. Aber wenn starke und lang andauernde Strukturschwächen mit hoher Arbeitslosigkeit die Volkswirtschaft befallen haben, kann die Deckung der Ausgaben durch Beiträge verteilungspolitisch problematisch werden. Es werden dann nämlich allgemeine volkswirtschaftliche Lasten über spezielle Finanzierungsinstrumente -wie sie Beiträge nun einmal darstellen -statt über allgemeine Finanzierungsinstrumente -wie Steuern -verteilt. Und es ist die kleinere Gruppe, die die Lasten übernimmt, und nicht die ganze Volksgemeinschaft nach individueller Leistungsfähigkeit, wie es durch Steuerfinanzierung geschehen würde.
In gleiche Schwierigkeiten kommt die Bundesanstalt für Arbeit, wenn die Tarifpartner eine Lohn-entwicklung zulassen, bei der das Lohnniveau im Durchschnitt und über Jahre hinweg das Produktivitätsniveau der Wirtschaft überschreitet. Wenn es in derartigen Fällen keinen anderen Weg als die Beitragsfinanzierung gibt, dann müssen die Beitragszahler auf der Mikroebene für das büßen, was auf der Makroebene der Tarifabschlüsse nicht geschafft wurde. Es ist zumindest überlegenswert, ob für die Gruppe der marktbedingten Abhängigkeiten der Bundesanstalt für Arbeit Finanzierungsalternativen gegenüber dem reinen Beitragssystem existieren sollten.
Um sich mit diesen beiden Grundsatzproblemen auseinandersetzen zu können, muß man Entwicklung und Stand der Arbeitsmarktpolitik sowie den Aufgabenkatalog der Bundesanstalt für Arbeit kennen. Ein Überblick dieser Art mag auch als Würdigung einer durchaus beachtlichen gesellschaftspolitischen Leistung gewertet werden. Das zentrale Anliegen dieses Beitrags ist es, zu zeigen, daß die Frage nach der Finanzierung der Arbeitslosigkeit als einem Thema mit einer hervorgehobenen sozialpolitischen Bedeutung nur vor dem Hintergrund ordnungspolitischer Überlegungen beantwortet werden kann. Geklärt werden muß hier, welche Aufgabenfelder der Bundesanstalt für Arbeit neben der Erfüllung ihrer originären Versicherungspflicht zugeordnet werden sollen und welche Finanzierungsformen geeignet erscheinen, die Umsetzung dieser Aufgaben monetär abzusichern.
II. Institutioneller Rahmen und Finanzierung
Abbildung 7
Tabelle: Einnahmen, Ausgaben und Ausgabenstruktur der Bundesanstalt für Arbeit 1970 bis 1989 (abs. Beiträge in Mrd. DM)
Quelle: Heinz Lampert, 20 Jahre Arbeitsförderungsgesetz, in: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt-und Berufsforschung. (1989) 2, S. 178; ergänzt und erweitert durch den Geschäftsbericht der Bundesanstalt für Arbeit 1989.
Tabelle: Einnahmen, Ausgaben und Ausgabenstruktur der Bundesanstalt für Arbeit 1970 bis 1989 (abs. Beiträge in Mrd. DM)
Quelle: Heinz Lampert, 20 Jahre Arbeitsförderungsgesetz, in: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt-und Berufsforschung. (1989) 2, S. 178; ergänzt und erweitert durch den Geschäftsbericht der Bundesanstalt für Arbeit 1989.
Von der Annenfürsorge über die Arbeitslosenversicherung zur Arbeitsmarktpolitik Die Arbeitslosenversicherung ist der historisch jüngste Zweig des deutschen Sozialversicherungssystems. Eine eigenständige allgemeine Arbeitslosenversicherung existierte in Deutschland bis zum Ersten Weltkrieg nicht, Arbeitslose waren auf die Armenfürsorge der Gemeinden angewiesen. Die andernorts zum Teil bereits übliche soziale Anerkennung der Arbeitslosen als „respectable poor“ setzte sich erst spät durch. Arbeitslosigkeit wurde vielfach nicht als soziales Risiko, sondern als privat verschuldet angesehen 1). Sicherungssysteme wurden zunächst von den Gewerkschaften aufgebaut. Sie wurden vereinzelt ergänzt durch Unterstützungszahlungen der Kommunen (Genter System). In Ausnahmefällen wurden auch kommunale Versicherungssysteme eingerichtet (erstmals in Köln, 1896). Arbeitsvermittlung wurde zu dieser Zeit gewerblich oder durch die Kommunen betrieben. Mit Kriegsausbruch 1914 kam es zur Vereinheitlichung der öffentlichen Arbeitsvermittlung. Außerdem wurde erstmals eine gesonderte Erwerbslosenfürsorge eingerichtet. Zur Finanzierung stellte das Reich aus einem Sonderfonds Beihilfen bis zu einem Drittel des Gesamtaufwandes bereit.
Im Jahr 1923 wurden dann die Arbeitgeber und Arbeitnehmer mit Einführung der Beitragspflicht in die Finanzierung der Arbeitslosigkeit eingebunden. Beiträge waren je hälftig von Arbeitgebern und Arbeitnehmern als Prozentsatz des Bruttoeinkommens aufzubringen.
Der Grundstein für das heutige System wurde mit dem Gesetz für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) vom 1. Oktober 1927 gelegt. Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung wurden bei einer rechtlich selbständigen und finanziell unabhängigen Reichsanstalt zusammengefaßt. Zentrale Säule der Finanzierung der Reichsanstalt sollten Beiträge sein, das Reich übernahm lediglich die Verpflichtung zur Darlehensgewährung.
Mit dem AVAVG wurde das Fürsorgeprinzip durch das Versicherungsprinzip abgelöst. Die früher übliche Bedürftigkeitsprüfung entfiel zugunsten eines Leistungsanspruchs des Beitragszahlers. Leistungen wurden nunmehr an das bisherige Ar-beitsentgelt gekoppelt. Das AVAVG gilt einigen Autoren heute als „wohl bedeutendstes Reform-werk der Weimarer Republik“ Ihm war allerdings seinerzeit nur kurzer Erfolg beschieden. Der durch die Weltwirtschaftskrise verursachten Massenarbeitslosigkeit war das System nicht gewachsen. Die Regierung Brüning koppelte die Arbeitslosenversicherung vom Reich ab und verordnete ihr einen sehr harten Sparkurs. Endgültig entstellt wurde das System durch die NS-Diktatur ab 1933: Die Reichsanstalt wurde gleichgeschaltet und die Arbeitsverwaltung als ein reines Instrument kriegswirtschaftlicher Arbeitskräftelenkung eingesetzt. Der 1945 zunächst in den Besatzungszonen betriebene Wiederaufbau des Systems orientierte sich am Modell der Weimarer Zeit. Eine bundeseinheitliche Arbeitsverwaltung wurde 1952 mit dem Bundesanstaltsgesetz geschaffen. Bei relativ restriktiver Leistungsgewährung, günstiger Wirtschaftsentwicklung und einer ständigen Zunahme der Beitragszahler konnten nunmehr steigende Rücklagen gebildet werden. Mehrfach konnten die Beiträge gesenkt werden Die Annäherung an Vollbeschäftigung und die konzeptionelle Weiterentwicklung des wirtschaftspolitischen Instrumentenkanons der Wirtschaftspolitik in den sechziger Jahren führte dann zu einer Neudefinition der Rolle der Arbeitsverwaltung. Anstelle bloßer Verwaltung und Vermittlung der Arbeitslosen rückte die Aufgabe der vorausschauenden, aktiv-gestaltenden Arbeitsmarktpolitik in den Vordergrund. Mit dem Arbeitsförderungsgesetz von 1969 wurde dieser Schritt von der bloßen Versicherung zum arbeitsmarktpolitischen Sonderfonds auch institutionell und rechtlich vollzogen.
Die Entstehung der Arbeitslosenversicherung bewegte sich also im Spannungsfeld zwischen traditioneller Armenfürsorge und einer nichtdiskriminierenden Versicherungslösung mit Ansprüchen unabhängig von Bedürftigkeit. Der Versicherungsanspruch auf Unterstützung konnte erst zustande kommen, als nach dem Ersten Weltkrieg (im Jahr 1927) die günstigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen dies vorübergehend finanziell erlaubten und nachdem mit der Beitragspflicht bereits Äquivalenzelemente in die Fürsorgefinanzierung eingeführt worden waren. Das neue System verlor aber unter dem Druck der Weltwirtschaftskrise rasch an Substanz. Erst im langen wirtschaftlichen Aufschwung in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg konnte es wiederaufgebaut werden. 2. Die Aufgabe der Bundesanstalt für Arbeit Wie schon die Reform von 1927 erfolgte auch der Ausbau der ehemaligen Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung zur heutigen Bundesanstalt für Arbeit im Arbeitsförderungsgesetz (AFG) von 1969 unter günstigen konjunkturellen Bedingungen. Das AFG fügte sich ein in die seinerzeitigen Bemühungen, durch umfassende Modernisierung der staatlichen Interventionsinstrumente zu stärkerer Koordination der öffentlichen Haushalte und zur Integration der Wirtschafts-, Finanz-und Sozialpolitik zu gelangen. Es spiegelt deutlich den Geist der Planbarkeit und Gestaltbarkeit der Wirtschaft jener Zeit wider. Über Ausgaben, Einnahmen und die Anlage ihrer Rücklagen soll die Bundesanstalt für Arbeit die staatliche Wirtschaftspolitik unterstützen und vor allem in der Struktur-und Bildungspolitik gestaltend tätig werden. Sie steht dabei in Komplementarität zu einer aktiven Stabilisierungspolitik nach dem Konzept des Stabilitätsgesetzes, die konjunkturell bedingte Beschäftigungseinbrüche verhindern soll. Nach dem Konzept des Arbeitsförderungsgesetzes soll die Bundesanstalt für Arbeit nicht bloß entstandene Arbeitslosigkeit verwalten, sondern durch vorausschauende Qualifikationsund Mobilitätsförderung eine wachstumsfördernde Beschäftigungsstruktur schaffen und struktureller Arbeitslosigkeit (d. h. Entwicklungsdiskrepanzen auf Teilarbeitsmärkten bei globalem Gleichgewicht von Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage) vorbeugen. Weitere neue Aufgabenbereiche sind die Integration sozial Schwacher in den Arbeitsmarkt sowie die Arbeitsmarkt-und Berufsforschung. Das Aufgabenspektrum der Bundesanstalt für Arbeit läßt sich demnach grob in passive und aktive Arbeitsmarktpolitik unterscheiden. Das Feld der passiven Arbeitsmarktpolitik ist die klassische Aufgabe der materiellen Existenzsicherung bei Arbeitslosigkeit, Zahlung von Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe sowie seit 1974 von Konkursausfallgeld. Aktiva Arbeitsmarktpolitik umfaßt die Maßnahmen zur Beeinflussung von Niveau und Struktur von Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage, wie sie im Arbeitsförderungsgesetz vorgesehen sind. Zu den Instrumenten gehören dabei vor allem Fortbildungs-und Umschulungsmaßnahmen (wobei den Teilnehmern auch ein Unterhaltsgeld gewährt wird), Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Finanzierung von Kurzarbeit, Eingliederungsbeihilfen und Förderung der beruflichen Rehabilitation.
Das Finanzierungssystem der gesamten Arbeitsmarktpolitik kann anhand der Abbildung darge-stellt werden. Die wichtigsten Einnahme-und Ausgabeposten sind stark umrandet. Zu Recht steht der Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit an oberster Stelle, gefolgt vom Bundeshaushalt, aus dem seit 1981 die Arbeitslosenhilfe gezahlt wird.
Trotz der Aufgliederung in verschiedene Finanzierungsarten und die Zuständigkeiten verschiedener Träger der Arbeitsmarktpolitik ist es immer noch richtig, wenn man von einem System der Beitrags-finanzierung mit Defizitdeckung spricht. Die wichtigste Ausnahme vom Prinzip der Beitragsfinanzierung ist die Arbeitslosenhilfe. Als Mischform zwischen Versicherungs-und Fürsorgeleistung dient sie der Verhinderung arbeitslosigkeitsbedingter Armut. Wie ihre Vorläufer, Krisenfürsorge bzw. -Unterstützung, wird sie (seit 1981 wieder vollständig) aus dem Staatshaushalt finanziert.
Die Defizithaftung des Bundes setzt ein, wenn die mobilisierbaren Rücklagen der Bundesanstalt erschöpft sind. Sie hat faktisch den Charakter einer zusätzlichen Schwankungsreserve, die kurzfristig eingesetzt werden kann. Mittelfristig wird es hingegen in Defizitsituationen in der Regel zu Beitragserhöhungen oder Ausgabenkürzungen kommen. Finanzielle Sonderregelungen finden sich beim Konkursausfallgeld und der Produktiven Winterbauförderung, die jeweils durch spezielle Arbeitgeberumlagen finanziert werden. Bund, Länder und Kommunen beteiligen sich überdies in stark schwankendem Umfang an arbeitsmarktpolitischen Sondermaßnahmen. Im Rahmen dieses Finanzierungssystems ist die haushaltspolitische Autonomie der Bundesanstalt für Arbeit sehr begrenzt. Ein Großteil der Ausgaben, insbesondere die Ausgaben für passive Arbeitsmarktpolitik, beruhen auf gesetzlichen Leistungsverpflichtungen, die vom Bund festgelegt werden. Auch die Einnahmen werden durch den Gesetzgeber vorgegeben, der insbesondere die Beitragssätze festlegt. Die Bundesanstalt für Arbeit konnte bis Anfang der siebziger Jahre erhebliche Rücklagen aufbauen. Durch die neuen Aufgaben nach dem Arbeitsförderungsgesetz und den drastischen Anstieg der Arbeitslosigkeit ab 1974 wurden diese jedoch schnell wieder abgebaut. Nur noch in wenigen Jahren konnte die Bundesanstalt für Arbeit seither ohne Defizit abschließen. Größere Überschüsse entstanden zuletzt 1984 und 1985. Bundeszuschüsse sind 1975/76, von 1980 bis 1983 und seit 1988 erforderlich gewesen.
Einen guten Überblick über die Entwicklung der Einnahmen-und der Ausgabenstruktur von 1970 bis 1989 bietet die Tabelle. Man sieht, daß trotz einiger Schwankungen die Beiträge das dominierende Finanzierungsinstrument sind. Man sieht aber auch, wie schnell bei konjunkturellen Einbrüchen, wie um 1976 oder um 1981, bestehende Liquiditätsreserven bei der Bundesanstalt für Arbeit aufgezehrt sind und der Bund mit größeren Finanzhilfen einspringen muß. 3. Die neuen beschäftigungspolitischen Herausforderungen Rückblickend ist es zunächst ein vertrauenerwekkendes Vorzeichen, daß die Bundesanstalt die hohe strukturelle Arbeitslosigkeit seit Mitte der siebziger Jahre -mit mehr als zwei Mio. Arbeitslosen -finanzierungsmäßig bewältigt hat. Überwunden haben die Arbeitsmärkte im Westen den wirtschaftlichen Umbruch noch nicht, aber eine Erholung hat begonnen. Kann nun ein neuer, ähnlich starker Struktureinbruch, durch die Lage im Osten verursacht, noch zusätzlich verkraftet werden? Eindeutig sind die Prognosen darin, daß die Zahl der Arbeitslosen weiter kräftig ansteigen wird. Während im Westen mit einer stagnierenden Arbeitslosenzahl von ca. 1, 7 Mio. gerechnet wird, setzt sich im Osten der scharfe Beschäftigungseinbruch fort. Der Sachverständigenrat erwartet im Beitrittsgebiet zum Jahresende 1991 ca. 1, 7 Mio. Arbeitslose und ca. zwei Mio. Kurzarbeiter, wobei Wanderungen und Pendler einen Teil der gesamtdeutschen Ungleichgewichte bereits ausgeglichen haben werden.
Registrierte Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit, zum Teil als sog. Kurzarbeit-Null, spiegeln dabei nur einen Ausschnitt des gesamten Problems wider. Hinzu kommen in der sog. Stillen Reserve Arbeitslose, die an Qualifizierungs-oder Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen teilnehmen, in den Vorruhestand eintreten oder sich entmutigt von der offiziellen Arbeitsvermittlung zurückziehen Zahlreiche ehemalige Beschäftigte des öffentlichen Dienstes der neuen Bundesländer befinden sich zur Zeit noch in der Warteschleife, d. h., sie sind bei formaler Fortgeltung des Arbeitsverhältnisses mit verringerten Bezügen faktisch arbeitslos. Auch subventionierte, ökonomisch sonst nicht überlebensfähige Beschäftigung in den Unternehmen muß in einer umfassenden Betrachtung als verdeckte Arbeitslosigkeit angesehen werden. In geringem Umfang wird Arbeitslosigkeit schließlich auch durch die Rückkehr von Ausländern in ihr Heimatland exportiert.
Ursache der Entwicklung im Osten ist der Verlust an rentablen Beschäftigungsmöglichkeiten unter den neuen Wettbewerbsbedingungen. Die Produktivität entspricht vielfach nicht dem Lohnniveau, was mittelfristig so bleiben wird, da die Löhne rasch zum westlichen Niveau aufschließen. Regionale Brennpunkte und die Herausbildung von Langzeitarbeitslosigkeit sind zu befürchten. Auch mittel-bis langfristig ist nicht damit zu rechnen, daß die große Zahl an Arbeitsplätzen in der ehemaligen DDR, die eine extrem hohe Erwerbsquote aufwies, wieder vollständig ersetzt werden kann. Die finanziellen Lasten der Beschäftigungsprobleme treffen zunächst natürlich die Arbeitslosen selbst. Auch die Arbeitgeber und insbesondere die Treuhand werden in Form von Zuschüssen zu Kurzarbeitergeld, Sozialplänen, Preisabschlägen gegen Beschäftigungszusagen bei Unternehmensverkäufen (Treuhand) einen Teil der Finanzlast der Arbeitslosigkeit unmittelbar tragen. Darüber hinaus wird sich die Arbeitslosigkeit jedoch in Form von Mehrausgaben und Mindereinnahmen in praktisch allen öffentlichen Haushalten niederschlagen. Besonders betroffen ist naturgemäß dieBundesanstalt für Arbeit, die neben den Mehrausgaben für Lohnersatzleistungen außerdem den Löwenanteil der Maßnahmen aktiver Arbeitsmarktpolitik trägt.
Für die alte Bundesrepublik sind verschiedentlich gesamtfiskalische Kostenrechnungen vorgelegt worden Eine Bezifferung der Gesamtkosten der Arbeitslosigkeit für das neue Bundesgebiet ist jedoch noch nicht möglich. Der gesamte Transferbedarf wird wesentlich abhängen von den gewählten wirtschafts-und sozialpolitischen Strategien -insofern ist er keine exogene Größe. Rasche und leichte Verminderungen der zukünftigen Finanzie-rungslasten sind dabei aber nicht zu erwarten. Eine Dämpfung kann nämlich allzu leicht nur darin bestehen, daß die eine öffentliche Stelle sich entlastet und dafür einer anderen öffentlichen Stelle die Last zugeschoben wird oder daß die Lasten auf die privaten Haushalte und die Unternehmen verlagert werden. Eine wirkliche Entlastung ist nur möglich, wenn das Ausmaß der Arbeitslosigkeit verringert werden kann. Dafür stehen aber nicht nur Radikalmaßnahmen zur Verfügung, sondern auch Politiken geduldiger kleiner Schritte, ferner ein System der Arbeitslosenfinanzierung, das den ordnungspolitischen Anforderungen dieser Säule des Sozialversicherungsnetzes entspricht.
III. Möglichkeiten zur Reform des Finanzierungssystems
Die deutsche Einheit stellt die Bundesanstalt vor quantitativ und qualitativ völlig neue Aufgaben. Vor allem die Instrumente der aktiven Arbeitsmarktpolitik sind in bisher ungekanntem Maß gefordert. Um die sozialen Härten der strukturellen Transformation in den neuen Bundesländern abzufedern, mußten innerhalb kürzester Zeit Veränderungen im Leistungsrahmen zugunsten der Unterstützung von Arbeitslosen vorgenommen worden. So wurden z. B. die Voraussetzungen für die Zahlung von Kurzarbeitergeld erheblich gelockert; zusätzlich wurden Mindestbeträge bei Arbeitslosengeld und Unterhaltsgeld eingeführt; die ABM-Fördersätze wurden auf bis zu 100 Prozent aufgestockt.
Auf die Finanzierungsseite hat die Politik bislang jedoch in eher konventioneller Weise reagiert. Die Beiträge zur Bundesanstalt für Arbeit sind deutlich erhöht worden, mit 8 Prozent des Bruttoeinkommens haben sie 1991 einen historischen Höchststand erreicht. Die Leistungsfähigkeit des Systems erscheint damit vorerst gesichert. Die Probleme der Finanzierung „versicherungsfremder“ Leistungen werden jedoch so deutlich wie nie. Einige Vorschläge zu ihrer Reform sollen vorgestellt werden. Hiermit soll nicht zuletzt dem Tatbestand Rechnung getragen werden, daß die gegenwärtige Umbruchsituation sich dazu anbietet, nunmehr endlich auf der Finanzierungsseite nach neuen Lösungen zu suchen. 1. Eindeutige Verteilung der Finanzierungslasten auf Beitragszahler und Steuerzahler Zunächst ist an die Finanzierung der aktiven Arbeitsmarktpolitik zu denken. Auch bei weiterer Ausdehnung vorhandener Interpretationsspielräume kann ein Teil der hier erbrachten Leistungen nicht mehr dem Bereich klassischer Sozialversicherung zugeordnet werden. Es handelt sich vielmehr um gesamtgesellschaftliche Aufgaben, die die Bundesanstalt im Rahmen ihrer aktiven Arbeitsmarktpolitik zu übernehmen gedachte und auch übernommen hat 6). Bereits bei der Verabschiedung des Arbeitsförderungsgesetzes wurde diese Erweiterung der Aufgabenfelder allerdings nicht nur positiv gesehen, sondern auch vielfach moniert, eben weil mit diesen neuen Aufgaben der Kreis der sozialversicherungsmäßigen Aktivitäten überschritten würde, auf Seiten der Finanzierung aber alles beim alten bliebe. Gleichsam unbemerkt -so die Kritiker -würden damit die Beitragszahler zur Finanzierung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben herangezogen. Genau das ist geschehen; und insofern haben die Kritiker mit ihren Befürchtungen durchaus recht gehabt. Man entschied sich seinerzeit nicht zuletzt aus haushaltspolitischen Gründen für eine Beitragsfinanzierung dieser „versicherungsfremden“ Leistungen. Ihr Anteil im Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit hat seither stark zugenommen. In für die Bundesanstalt für Arbeit finanziell guten Jahren entlastete der Bund den eigenen Haushalt zudem durch weitere Aufgabenübertragungen, wobei der Arbeitsmarktbezug in Einzelfällen durchaus problematisch war -etwa bei der Zuweisung der Sprachförderung für Aussiedler in die Finanzierungsverantwortung der Bundesanstalt für Arbeit. An der Wichtigkeit der Aufgabe, Aussiedler durch Sprachkurse gesellschaftlich zu integrieren, ist zwar nicht zu zweifeln;aber diese Aufgabe der Bundesanstalt finanziell zuzuschieben, wenn unter den Sprachkursteilnehmern auch viele Personen sind, die aufgrund ihres Alters dem Arbeitsmarkt voraussichtlich nicht mehr zur Verfügung stehen, ist höchst bedenklich -eigentlich unerträglich, weil (in der Öffentlichkeit weithin unbemerkt) die Beitragszahler belastet werden, wo gerechterweise der Steuerzahler einzutreten hätte.
Eine soeben erschienene Studie beziffert den Anteil „versicherungsfremder“ Leistungen für 1989 auf über 41, 2 Prozent der Gesamtausgaben Von diesen wird lediglich die Arbeitslosenhilfe, die knapp 20 Prozent der Ausgaben ausmacht, system-gerecht durch den Bund erstattet. Hinzu kommt zwar der defizitdeckende Bundeszuschuß; er stellt jedoch keine Steuerfinanzierung im zu fordernden Sinne dar, da er nicht an bestimmte Aufgaben gebunden ist, sondern lediglich der Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit bei vorübergehenden Finanzierungslücken im Gesamthaushalt der Bundesanstalt dient.
Damit sind zum einen Fragen der Lastverteilungsgerechtigkeit aufgeworfen. Warum sollen bevorzugt die Beitragszahler der Arbeitslosenversicherung gesamtgesellschaftliche Aufgaben finanzieren? Wie kann dann, also jenseits des Äquivalenzdenkens, ein indirekt-regressives Beitragssystem gerechtfertigt werden, wie es jetzt für die Beitragszahler zur Arbeitslosenversicherung gilt? Müßte man nicht in dem Moment, wo man die Beitragszahler in erheblichem Umfang mitbelastet, auch das Finanzierungssystem ändern? Lasse man doch die passive Arbeitsmarktpolitik über Beiträge bezahlen und die aktive über Steuern. Halte man es doch wenigstens als Prinzip fest, wenn auch der Einzelfall diskutierbar sein mag. Jetzt dagegen wird nach Belieben verfahren! 2. Vorrang und höhere Leistungsfähigkeit für die aktive Arbeitsmarktpolitik Auch wenn man von Verteilungsfragen absieht, hat sich die Ansiedlung der aktiven Arbeitsmarkt-politik im Haushalt der ursprünglichen Arbeitslosenversicherung nicht bewährt. Da Lohnersatzleistungen gesetzliche Pflichtleistungen der Bundesanstalt sind, können sie in Situationen ansteigender Arbeitslosigkeit und knapper werdender Mittel die überwiegend als Kann-Leistungen gestalteten Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik verdrängen. Bei einem gegebenen Gesamtbudget muß ein Ansteigen der Pflichtleistungen über die passive Arbeitsmarktpolitik eine Absenkung der Kann-Leistungen im Rahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik erzeugen. Nur wenn das Budget der Bundesanstalt im Zeitverlauf wächst, kann das abgemildert werden; und nur wenn der Bund bereit ist, entstehende Defizite zu tragen, kann die Kontinuität der aktiven Arbeitsförderung sogar gewahrt bleiben.
Aber trotz allem -der Finanzierungsmodus bedingt letztlich eine offene Verantwortungsstruktur. Bei ausgeglichenem Budget liegt die Zuständigkeit der Kann-Leistungen zwar bei der Bundesanstalt. Wird jedoch ein Bundeszuschuß fällig, dann geraten diese Leistungen vorübergehend in Konkurrenz mit den anderen Aufgaben des Bundeshaushalts, was sich meist in Kürzungen dieser Positionen niederschlägt. Verschiedene Studien haben gezeigt, daß in der Vergangenheit aktive Arbeitsmarktpolitik immer wieder durch fiskalische Überlegungen zurückgedrängt wurde. Ein kurzfristiges „stop and go“ ging auch auf Kosten der Effizienz der Maßnahmen.
Die Abtrennung eines arbeitsmarktpolitischen Sonderfonds von der eigentlichen ArbeitslosenverSicherung könnte dieses Problem überwinden. Aktive Arbeitsmarktpolitik könnte mit mehr Stetigkeit und klarer Verantwortungsstruktur betrieben werden. Der neue Fonds wäre entsprechend dem Charakter seiner Aufgaben überwiegend aus Bundesmitteln zu finanzieren. Ergänzend könnte dem Fonds ein Anteil am bisherigen Beitrag zur Bundesanstalt für Arbeit zugestanden werden. Vorschläge für eine Arbeitsmarktabgabe der Beamten und Selbständigen, die bislang nicht beitragspflichtig sind -und im Rahmen einer reinen Arbeitslosenversicherung auch nicht beitragspflichtig werden sollen, weil sie das als systemungerechte und opportunistische Politik verstehen müßten -, ließen sich dann entsprechend integrieren. Sind diese Gruppen auch nicht von Arbeitslosigkeit bedroht, so profitieren sie doch indirekt von den Instrumenten aktiver Arbeitsmarktpolitik.
Ausgeprägtes Äquivalenzdenken sollte den arbeitsmarktpolitischen Sonderfonds allerdings nicht prägen. Im Gegenteil wäre gerade die Loslösung von der genauen Zuordnung im Sinne einer eigentlichen Versicherung ein weiterer Vorteil der Spartentrennung. Im bisherigen System scheint z. B. eine stärkere regionale Schwerpunktbildung und Problemgruppenorientierung durch die Versicherungsphilosophie der Beitragsfinanzierung behindert. 3. Kooperationen zwischen den Trägern und Mitgestaltern der Arbeitsmarktpolitik So sehr die funktionelle (nicht unbedingt auch institutioneile) Trennung zwischen aktiver und passiver Arbeitsmarktpolitik aus Verteilungs-und Effizienzgründen betont wurde, so deutlich muß auch die Wichtigkeit einer zielgerichteten Verknüpfung zwischen diesen Aufgabenbereichen und einer Kooperation ihrer Träger hervorgehoben werden.
-Das beginnt bereits bei finanziellen Beziehungen, die zwischen der „reinen“ Arbeitslosenversicherung und dem vorgeschlagenen Sonderfonds für die aktive Arbeitsmarktpolitik bestehen. Die Arbeitslosenversicherung wäre in einem solchen System zum Finanzausgleich gegenüber dem Arbeitmarktfonds zu verpflichten. Soweit Förderungsmaßnahmen des Sonderfonds nämlich Lohnersatzcharakter haben, wären an den Sonder-fonds Erstattungen zu leisten.
Grundsätzlich bleibt stets zu prüfen, ob nicht die Finanzierung von Arbeit und von Qualifizierung die bessere Alternative zur Finanzierung von Arbeitslosigkeit ist. Dabei ist die Transparenz der Finanzierungsbeziehungen zwischen den einzelnen Kostenstellen der Arbeitslosigkeit eine wichtige Voraussetzung für rationales Handeln. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß Arbeitslosigkeit nicht nur die Bundesanstalt für Arbeit, sondern sämtliche öffentliche Haushalte und Sozialversicherungen durch Mehrausgaben und Mindereinnahmen belastet. Fiskalische Gesamtrechnungen, die für die alte Bundesrepublik aufgestellt wurden, machen deutlich, daß sich einzelne Instrumente der aktiven Arbeitsmarktpolitik nahezu selbst finanzieren, wenn man ihren Kosten die möglichen Entlastungseffekte gegenüberstellt Den Ausgaben für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen stehen beispielsweise Einsparungen bei Lohnersatzlei-stungen sowie Mehreinnahmen bei Steuern und Beiträgen in fast gleicher Höhe gegenüber. Die produzierten Leistungen und die möglichen Nutzen bei den Teilnehmern solcher Maßnahmen, die an beruflicher Qualifikation und Selbstwertgefühl gewinnen können, sind dabei noch gar nicht berücksichtigt. Die Finanzierung von Arbeit bzw. Qualifizierung ist zumindest fiskalisch nicht immer wesentlich teurer als die Hinnahme von Arbeitslosigkeit. -Innerhalb der reinen Arbeitslosenversicherung wäre durch die Abtrennung der gesamtgesellschaftlichen Aufgaben eine stärkere Äquivalenzorientierung möglich. Zwar hat das System der ausschließlich einkommensbezogenen Beiträge mit seinem redistributiven „Solidarausgleichs“ element in der deutschen Sozialversicherung eine lange Tradition. Andererseits geht in diesem System vom Beitrag praktisch keine Lenkungswirkung mehr aus. Eine stärker risikoorientierte Prämien-gestaltung könnte auf der Ebene der Arbeitgeber und Arbeitnehmer individuelles „Moral Hazard“ (d. h. einen individuellen Mißbrauch der Versichertengemeinschaft) begrenzen. Erinnert sei beispielsweise an das US-System des experience-rating, wonach die Prämienzahlungen eines Unternehmens von seinem Entlassungsverhalten in der Vergangenheit abhängen. Hier wirkt sich eine Kooperation zwischen den beitragszahlenden Unternehmen und der Versicherung kostensenkend aus. Aber es profitieren auch diejenigen davon, die zur Kostensenkung durch ihr Verhalten beigetragen haben. Ein Versicherungssystem, das alle Beitragszahler gleich behandelt, erzeugt solche Anreize zum Sparen nicht. Im Gegenteil: Ein Unternehmer würde alle Möglichkeiten ausloten, die Versicherung leisten zu lassen, um sich selbst zu schonen. In einem Einzelfall bleibt das kostenmäßig unmerklich. Vervielfachen sich derartige Verhaltensweisen jedoch, dann leidet die Versicherungsgemeinschaft schließlich insgesamt durch den Zwang, höhere Beiträge akzeptieren zu müssen.
-Zwischen der individuellen Risikoversicherung einerseits und den gesamtgesellschaftlichen Aufgaben andererseits könnte ein dritter Bereich gruppenspezifischer Leistungen angesiedelt werden. Ansätze in dieser Richtung finden sich in den heute bereits praktizierten Arbeitgeberumlagen bei der Winterbauförderung und beim Konkursausfallgeld. Vorschläge gehen beispielsweise dahin, Kurzarbeit stärker über Arbeitgeberumlagen zu finanzieren. Derzeit werden zum Teil auch typische Unternehmerrisiken wie Umrüst-oder Reparaturzeiten durch die Gemeinschaft der Beitragszahler getragen. Auch hier ließen sich durch Prämiendifferenzierung zusätzliche Anreize setzen. -Günther Schmid hat vor einiger Zeit vorgeschlagen, einen regelgebundenen Bundeszuschuß zur Bundesanstalt für Arbeit einzuführen Ein solcher Zuschuß würde nicht nur die aktive Arbeitsmarktpolitik nach dem oben beschriebenen Muster teilweise abdecken. Er soll zugleich eine bundesfinanzierte Grundsicherung gewährleisten, die durch die eigentliche Versicherung lediglich individuell aufgestockt würde. Der Bruch im Finanzierungssystem, der heute beim Übergang von der Versicherungsleistung Arbeitslosengeld zur Fürsorgeleistung Arbeitslosenhilfe bzw. zur Sozialhilfe entsteht, würde durch ein Hineinwachsen des Bundes in die Finanzierungsverantwortung abgelöst. Ziel dieser Lösung wäre es zum einen, den Bund frühzeitig in die finanzielle Verantwortung für Arbeitslosigkeit einzubinden, um so sein Interesse an Beschäftigungspolitik zu stärken. Daneben böte ein solcher Zuschuß Ansätze für die Einführung einer sozialen Grundsicherung. Gerade dieser Aspekt ist mit Blick auf Ostdeutschland besonders interessant. Wegen der dort immer noch vergleichsweise niedrigen Löhne begründen die (für die DDR-Vergangenheit fingierten) Beitragsleistungen nur geringe Lohnersatzansprüche, die vielfach der Ergänzung durch Wohngeld bzw. Sozialhilfe bedürfen. Die eingeführten Mindestbeträge bei den Lohnersatzleistungen tragen diesem Problem zwar zum Teil Rechnung. Sie sind jedoch im Grunde versicherungsfremd und daher dem allgemeinen Budget zuzuordnen.
-Verteilungspolitisch würde eine staatsfinanzierte Grundsicherung gegen Arbeitslosigkeit eher dem Gedanken entsprechen, daß langanhaltende strukturelle Arbeitslosigkeit ein gesamtgesellschaftliches, sozialpolitisches Problem darstellt. Sie wäre dann nicht mehr nur durch versicherungstypische Umverteilung in einem Risikokollektiv, sondern vielmehr nach dem Kriterium der Leistungsfähigkeit durch alle Bürger zu finanzieren.
-Ein grundsätzliches Problem jeder Arbeitslosenversicherung sollte bei allen Reformüberlegungen nicht aus dem Auge verloren werden: Die Kosten sowohl der passiven wie auch der aktiven Arbeitsmarktpolitik sind um so höher, je höher die Arbeitslosigkeit ist. Die Höhe der Arbeitslosigkeit ist nicht immer nur aus kürzerer konjunktureller Schwankung oder mittelfristiger struktureller Verwerfung erklärbar. Es gibt stets noch die Gefahr, daß die Tarifparteien falsche Lohnentscheidungen getroffen haben. Nun meinen manche Ökonomen -was hingegen Sozialpolitiker vielleicht nicht einmal als Denkanstoß akzeptieren wollen -, daß die Existenz einer Arbeitslosenversicherung den Tarif-parteien kollektives „Moral Hazard“ ermöglicht. Eine verteilungsorientiertere Lohnpolitik wird für die Gewerkschaften möglich, wenn finanzielle und politische Folgekosten in Form von Mindestlohn-arbeitslosigkeit auf die Versicherung bzw.den Staat abgewälzt werden können. Klassische, d. h. durch Fehlverhalten der Tarifparteien entstandene Arbeitslosigkeit kann dann aber weder durch aktive Arbeitsmarktpolitik noch durch staatliche Nachfragestimulierung überwunden werden.
Im gegenwärtigen System bekommen die Tarifparteien ihre beschäftigungspolitische Verantwortung finanziell nur sehr indirekt, nämlich erst in Form höherer Beiträge und Steuern zu spüren. Es ist fraglich, ob dieser Rückkopplungsmechanismus -ergänzt vielleicht durch Maßhalteappelle oder Versuche einer Konzertierten Aktion (nach Paragraph 3 Stabilitätsgesetz) der Bundesregierung mit den Tarifparteien -ausreicht, negative externe Effekte der Tarifpolitik auf die Beschäftigung zu vermeiden.
In der Literatur ist daher immer wieder gefordert worden, die Tarifparteien, insbesondere die Gewerkschaften, direkt in die Finanzierung der Arbeitslosigkeit einzubeziehen. Nach einem Vorschlag von Risch wäre beispielsweise eine zu vereinbarende Sockelarbeitslosigkeit wie bisher zu finanzieren, darüber hinausgehende Arbeitslosigkeit dagegen von den Gewerkschaften zu tragen.
Das Modell ist im einzelnen sicher kontrovers, zumal die Gewerkschaften auch für Fehlverhalten der Geld-oder Fiskalpolitik haftbar gemacht würden. Grundsätzlich erscheint es jedoch sinnvoll, über die Finanzierung der Arbeitsmarktpolitik, z. B. durch Gewerkschaftsbeteiligung am Fonds für aktive Arbeitsmarktpolitik, einen Rückkopplungsmechanismus auch zur Tarifpolitik zu schaffen. Deren beschäftigungspolitische Verantwortung ist bei der Konzeption der modernen Arbeitsmarktpolitik Ende der sechziger Jahre vielleicht unterschätzt worden, zumal man damals noch hoffen konnte, über die Konzertierte Aktion und -im Notfall -den „keynesianischen Reallohnsenkungstrick“ auch klassische Arbeitslosigkeit verhindern zu können.
Klaus Mackscheidt, Dr. rer. pol., geb. 1935; seit 1973 ordentlicher Professor für wirtschaftliche Staatswissenschaften mit dem Schwerpunkt Finanzwissenschaft an der Universität zu Köln. Zahlreiche Veröffentlichungen über Finanztheorie und Finanzpolitik, zur Steuerlehre, zu Fragen des Finanzausgleichs und der sozialen Sicherung.
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