Segmentierung und Arbeitsteilung. Die Arbeitsmarktpolitik der Bundesrepublik Deutschland in der Diskussion
Ulrich Widmaier
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Zusammenfassung
Ein Überdenken der bisherigen Instrumente der Arbeitsmarktpolitik ist notwendig. Obwohl die Zahl der Erwerbstätigen kräftig steigt, ist die Zahl der Arbeitslosen in den alten Bundesländern (ca. 1, 7 Mio.) nicht entsprechend gesunken. Diese Tatsache verlangt nach einer Erklärung, die möglicherweise die Theorien des segmentierten Arbeitsmarktes liefern können. Die Segmentationsprozesse am Arbeitsmarkt stehen im Mittelpunkt der vorliegenden Analyse. Nachdem zunächst die im Zeitverlauf steigende Zahl von sog. Problemarbeitslosen belegt wird, wird die „Erfolgsbilanz“ der Bundesanstalt für Arbeit auf dem Gebiet der aktiven Arbeitsmarktpolitik kritisch kommentiert. Es zeigt sich, daß vor allem das Auseinanderfallen zwischen angebotener und nachgefragter Qualifikation bei den Problemgruppen die segmentierten Strukturen des dualen Arbeitsmarktes verstärkt. Folglich werden Qualifizierungsmaßnahmen gefordert, die möglichst betriebsnah durchgeführt werden sollten. Hierzu müßten die entsprechenden institutioneilen Voraussetzungen durch Kooperation von Bundesanstalt, Wirtschaft (Betrieben) und Gewerkschaften geschaffen werden. Die bisherigen Aktivitäten auf diesem Gebiet wurden durch institutioneile Barrieren behindert. Dazu gehört der „budgetäre Verdrängungsmechanismus“ zuungusten der aktiven Arbeitsmarktpolitik im Haushalt der Bundesanstalt ebenso wie die einschlägigen Verbote der Förderung betrieblicher Maßnahmen im Arbeitsförderungsgesetz. Für eine Steigerung der Maßnahmeneffizienz scheint eine integrierte Kostenrechnung für alle Träger und Aktivitäten unerläßliche Voraussetzung zu sein. Als Fazit wird festgehalten, daß eine Qualifizierungsstrategie des geschilderten Typs zur Lösung der Arbeitsmarktprobleme politisch vernünftiger ist als weitgehende Lohn-und Beschäftigungsflexibilisierungen.
I. Entstehung eines strukturierten Arbeitsmarktes
Zum Problem Die grundlegenden Fakten 1) sind allgemein bekannt: Seit 1980/81 stieg die Zahl der amtlich registrierten Arbeitslosen von knapp 900000 auf ca. 2 Mio. im Jahresdurchschnitt 1985. Danach sank sie wieder leicht, und im Mai 1988 wurde die Zwei-Millionen-„Schallmauer“ (so die damalige euphorische Formulierung des Bundesarbeitsministers) unterschritten. Nach einem Tiefpunkt im Beschäftigungsstand im Jahre 1983 setzte ab 1984 eine Zunahme der abhängig Beschäftigten sowie ein Anstieg der Erwerbstätigen allgemein ein 2). Über die gesamte Periode entwickelten sich dabei in der Bundesrepublik verstärkt erhebliche regionale und sektorale Unterschiede im Niveau wie auch in der Struktur von Arbeitslosigkeit.
Ziel dieses Beitrags ist es nicht, die Ursachen dieser Entwicklung zu untersuchen. Aber unabhängig davon, wie man die Ursachen und möglichen Strategien zur Überwindung der eingetretenen Schieflage am Arbeitsmarkt beurteilt, muß man feststellen, daß durch das dauerhaft hohe Niveau der Arbeitslosigkeit inzwischen eine Situation eingetreten ist, die ein Überdenken der bisherigen Instrumente der Arbeitsmarktpolitik erfordert. Dazu gehören einerseits die globale Wirtschaftspolitik (z. B. formuliert im Stabilitäts-und Wachstumsgesetz von 1967) und andererseits die Arbeitsmarktförderung primär durch Stärkung der Angebotsseite, wie sie im Arbeitsförderungsgesetz (AFG) von 1969 geregelt ist. Dabei ist G. Schmid und F. Scharpf zuzustimmen, wenn sie feststellen, daß in der Bundesrepublik primär die Wirtschaftspolitik als zentrales Instrument zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit angesehen wurde. Arbeitsmarktpolitik wurde dagegen in erster Linie als Sozialpolitik zur Unterstützung von Arbeitslosen verstanden.
Obwohl die Arbeitslosenzahl abnimmt und die Beschäftigungszahlen steigen, verschärfen sich die gesellschaftspolitischen Aspekte des Problems der Arbeitslosigkeit. Denn bei einem zeitlich anhaltend hohen Niveau steigt mit großer Wahrscheinlichkeit der Anteil der Gruppen in der Kategorie der Arbeits-und Erwerbslosen, die über längere Zeiträume arbeitslos sind oder die eine sog. unvollständige Erwerbskarriere aufweisen (bei denen also Zeiten der Erwerbstätigkeit mit Zeiten der Arbeitslosigkeit relativ rasch wechseln). Diese These läßt sich mit Hilfe der Arbeitslosenstatistik der Bundesanstalt für Arbeit untermauern, in der seit 1980 der Anteil von Arbeitslosen mit solchen Merkmalen stetig angestiegen ist. Während dabei die zuletzt genannte Gruppe mit lückenhafter Erwerbskarriere statistisch nur unzureichend erfaßt ist (dies ist im Rahmen einer amtlichen Statistik auch schwierig, da klare Definitionskriterien fehlen), liegen über die Entwicklung der Langzeitarbeitslosigkeit differenzierte Daten vor. Abbildung 1 zeigt den Anteil der Langzeitarbeitslosigkeit (definiert als ein Jahr und länger) in der Gesamtheit der Arbeitslosen und den Anteil der über 50-jährigen
Es ist zu vermuten, daß die durch den Indikator Langzeitarbeitslosigkeit, aber auch durch andere Indikatoren (Häufigkeit von Arbeitslosigkeit, Beschäftigung nur aufgrund von Maßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit etc.) identifizierbare Kategorie von Arbeitslosen, ein deutlich abgrenzbares Segment auf dem Arbeitsmarkt bildet, das sich insbesondere durch seine schwierige Vermittelbarkeit in dauerhafte Arbeitsverhältnisse auszeichnet. Es handelt sich dabei -je nach Schätzung -immerhin um 700000 bis 1, 2 Mio. Personen. 2. Theorien des segmentierten Arbeitsmarktes Nach der Theorie des dualen Arbeitsmarktes (wie sie vor allem vor Doeringer und Piore, aber auch von Lutz und Sengenberger in der Bundesrepublik formuliert wurde) gehören vor allem Arbeitnehmer, die aufgrund mangelnder Qualifikation einfache Hilfstätigkeiten bei geringen beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten, niedriger Bezahlung und relativ hoher Arbeitsplatzunsicherheit ausführen, zum sekundären Arbeitsmarkt. Solche Arbeitsplätze finden sich nach Doeringer und Piore sowohl auf externen wie auf internen Arbeitsmärkten. Diese Unterscheidung ist eine weitere wichtige Dimension im Rahmen der Theorie des Arbeitsmarktes. Das Konzept des internen Arbeitsmarktes geht vom Bild des Großbetriebes aus, in dem im Prinzip zwei Formen der Beschäftigung existieren: Stabil beschäftigte Kernbelegschaften und Randbelegschaften mit unsicherer Beschäftigung. Entscheidend ist, daß auf internen und externen Teilmärkten völlig unterschiedliche Allokationsprinzipien (Verteilung der Produktionsfaktoren auf die einzelnen Wirtschaftszweige) gelten. Auf dem internen Arbeitsmarkt sind die Markt-prinzipien zugunsten anderer Mechanismen, wie zum Beispiel dem Senioritätsprinzip, stark eingeschränkt. Die Gründe für das Entstehen interner Arbeitsmärkte liegen in der Absicht der Unternehmen, hohe Personalfluktuationen zu vermeiden. Letztere führen in den Betrieben zu erheblichen Anpassungs-und Ausbildungskosten. Ferner geschieht die interne Rekrutierung von Arbeitnehmern unter weitgehender Kenntnis der Fähigkeiten der betreffenden Person und vermeidet dadurch Risiken für das Unternehmen. Es gibt deshalb in internen Arbeitsmärkten stabilisierende Elemente, die zu einer Verstetigung des Arbeitsprozesses und der Arbeitsorganisation führen. Hier wird gelegentlich auch der sehr weitgehende Kündigungsschutz angeführt, der eine Strategie der internen Rekrutierung noch verstärken dürfte. Für die Angehörigen der internen Arbeitsmärkte bringt diese Situation durchaus Vorteile in Form von Beschäftigungssicherheit, so daß es nicht überrascht, wenn auch die Gewerkschaften und Betriebsräte solche Tendenzen unterstützen Als Gegenstück zu den internen Arbeitsmärkten gibt es den externen Arbeitsmarkt, auf dem die Marktgesetze theoretisch stärker zum Zuge kommen müßten, sofern die Entfaltung ihrer Wirkung nicht durch andere Arbeitsmarktinstitutionen (z. B. branchenweite Geltung von Tariflöhnen) eingeschränkt wird -eine Situation, die für den deutschen Arbeitsmarkt (z. B. im Gegensatz zum amerikanischen) gegeben sein dürfte. Im Rahmen der Theorie des dualen Arbeitsmarktes haben externe Märkte folglich die Funktion des Auffangbeckens und des Rekrutierungsreservoirs für interne Märkte. Von besonderer Bedeutung für den Austausch sind dabei die sog. Entry-Jobs. Über sie öffnet sich der Zugang zu internen Märkten. Dabei werden aufgrund der auf internen Märkten geltenden Allokationsprinzipien Einstellungsentscheidungen nicht nur nach fachlichen Gesichtspunkten getroffen, sondern z. B. auch unter starker Berücksichtigung sozialer Kompetenzen. Mit anderen Worten, Arbeitgeber stellen Personen nicht nur für eine spezifische Tätigkeit ein, sondern für eine ganze Reihe möglicher Folgepositionen, die sie in der betrieblichen Hierarchie später einmal einnehmen könnten. Dieser Umstand, in Verbindung mit tarifrechtlichen Bestimmungen (weitgehend tarifvertraglich festgeschriebenes Lohnniveau, Kündigungsschutz) führt dazu, daß die Konkurrenz um diese Positionen auf dem externen Arbeitsmarkt nicht primär über den Preis (Lohnhöhe), sondern über die geschätzten Kosten stattfindet, die der Betrieb aufbringen müßte, um die Person für den Arbeitsplatz auszubilden, d. h. ihr die notwendige fachliche, soziale und betriebs-spezifische Qualifikation zu vermitteln.
Mit Hilfe dieser Überlegungen läßt sich die Bedeutung der beruflichen Qualifikation für den Arbeitsmarkt und damit ein Ansatzpunkt zu seiner politisch-administrativen Beeinflußbarkeit verdeutlichen. Wenn die Theorie des internen Arbeitsmarktes trotz einer unangemessenen Verwendung des Marktbegriffs für organisatorische Sachverhalte eine zutreffende Charakterisierung der Situation darstellt (wofür einiges spricht), dann sind angesichts der unzureichenden Information der Betriebe über Bewerber formale Bildungsabschlüsse für die Betriebe ein wichtiger Indikator zur Beurteilung der umfassenden und nicht nur fachspezifischen Qualifikationen, die auf internen Arbeitsmärkten gefragt sind. Daraus folgt auch, daß der viel beklagte Fachkräftemangel von den Unterneh-men zum Teil dadurch produziert wird, daß sie Fachkräfte branchenfremd in Anlerntätigkeiten beschäftigen. Hierzu gehört das Beispiel des Bäkkergesellen als Chemiefacharbeiter, der Lauge nicht mehr in kleinen Mengen auf Brezeln verteilt, sondern größere Mengen davon in Tankwagen abfüllt.
Es darf hier nicht verschwiegen werden, daß die Theorie der dualen Arbeits„, märkte", nach der die zusammengefaßten internen Arbeitsmärkte im wesentlichen das primäre Arbeitsmarktsegment darstellen, nicht unwidersprochen geblieben ist. So wurde vor allem angemerkt, daß die Bedeutung der auf internen Arbeitsmärkten praktizierten Zuteilungsverfahren überschätzt werde Vor diesem Hintergrund ist auch der Versuch von Lutz und Sengenberger zu sehen, für die Bundesrepublik einen dreigeteilten Arbeitsmarkt zu diagnostizieren. Zusätzlich zum „Jedermannarbeitsmarkt“, der im wesentlichen dem sekundären Markt in der Doeringer/Piore-Terminologie entspricht, und dem betriebsspezifischen Arbeitsmarkt, der dem Konzept des internen Arbeitsmarktes am nächsten kommt, sehen Lutz und Sengenberger den fachlichen Arbeitsmarkt, der in der Bundesrepublik (im Gegensatz zu den USA) vor allem durch das System der anerkannten Lehrberufe und der dabei vermittelten fachlichen Qualifikationen konstituiert wird. Allerdings konzedieren die Autoren eine Verschiebung in Richtung betriebsspezifische Märkte in letzter Zeit. Dies kommt unter anderem in der soeben festgestellten Nachfrage der Betriebe nach Fachkräften für fachfremde Tätigkeiten zum Ausdruck.Inwieweit sich diese Tendenz angesichts eines zunehmenden Bedarfs an qualifizierten Fachkräften fortsetzen wird, ist allerdings offen.
Abbildung 2 stellt den Versuch einer Zusammenfassung der Argumente dieser Theorien in einer Vierfeldertafel dar. Eine Klassifikation der Arbeitsmärkte nach intern/extem in den Zeilen und primär/sekundär in den Spalten ergibt die vier Teilarbeitsmärkte, wie sie in den einzelnen Zellen charakterisiert werden. Primäre und interne Arbeitsmärkte umfassen Kembelegschaften und den betrieblichen Arbeitsmarkt. Auf primären und externen Märkten sind die sogenannten „EntryJobs“ anzusiedeln. Hier ist auch in erster Linie der fachliche Arbeitsmarkt wirksam. Sekundärelinter-ne Arbeitsmärkte für „Jedermann“ -Qualifikationen werden durch die Randbelegschaften der Großbetriebe gebildet. Sekundäre/externe Arbeitsmärkte schließlich werden durch Arbeitskräfte mit „Jedermann“ -Qualifikationen in Klein-und Mittelbetrieben konstituiert. Hier sind auch über-wiegend die marginal Beschäftigten und andere Problemgruppen der strukturierten Arbeitslosigkeit einzuordnen. Ohne Frage stellt diese einfache Klassifikation nach zwei dichotomen Merkmalen eine extreme Vereinfachung der Realität differenzierter und strukturierter Arbeitsmärkte dar.
II. Qualifikation und Arbeitsmarkt
Abbildung 3
Abbildung 2: Segmentierung von Arbeitsmärkten
Abbildung 2: Segmentierung von Arbeitsmärkten
Die Bedeutung von Qualifikation für die individuellen Chancen auf dem Arbeitsmarkt und damit auch für die Arbeitsmarktpolitik wird durch weitere Fakten deutlich. Das Institut für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung (IAB) der Bundesanstalt für Arbeit (BA) hat in Zusammenarbeit mit der Prognos AG versucht, den Qualifikationsbedarf bis zum Jahre 2010 quantitativ nach Tätigkeiten abzuschätzen. Diesem Versuch lagen unterschiedliche Szenarien über die Entwicklung der Wirtschaftslage und Prognosen über die Entwicklung des Arbeitskräfteangebots zugrunde. Das Innovative die-ser Studie besteht darin, daß sich die Prognose auf Tätigkeitsfelder bezieht und nicht, wie üblich, auf sektorale Verschiebungen. Die Ergebnisse lassen sich wie folgt kurz zusammenfassen: Ca. drei Mio. Arbeitsplätze, die 1987 einfache Tätigkeiten mit geringen Qualifikationsanforderungen umfaßten, werden bis zum. Jahre 2010 nicht mehr besetzt werden. Dagegen wird die Zahl der Arbeitsplätze, die eine mittlere Qualifikation erfordern und solche, die eine höhere Qualifikation voraussetzen, bis zum Jahre 2010 um 800000 bzw. 3, 5 Mio. zunehmen. Obwohl es aufgrund dieser prognostizierten Werte zu einer Zunahme der Arbeitsplatz-zahl um 1, 3 Mio. kommt, dürfte der Übergang in der Praxis auf erhebliche Probleme stoßen. Es ist in der Bundesrepublik in Zukunft wegen eines Auseinanderfallens zwischen der nachgefragten und der angebotenen Qualifikationsstruktur mit einer Gleichzeitigkeit von Arbeitskräftemangel und Arbeitskräfteüberangebot zu rechnen. Dieses Problem wird durch die demographisch bedingte Verringerung des Angebots junger Arbeitskräfte verstärkt. Ferner ist von einer Zunahme der Frauenerwerbstätigkeit, unter anderem durch Wiederaufnahme von Arbeit nach beendeter Kindererziehungsphase, auszugehen. Diese Frauen haben meist geringe, zumindest aber häufig veraltete Qualifikationen.
Aus diesen Prognosen kann der Schluß gezogen werden, daß es in Zukunft verstärkt notwendig sein wird, einerseits das Überangebot an nicht-bzw. gering qualifizierten Arbeitskräften durch Qualifizierungsstrategien abzubauen und andererseits dem zu erwartenden Arbeitskräftemangel durch einen höheren Ausschöpfungsgrad der sog. Stillen Reserve zu begegnen. Die Arbeitsmarktpolitik sollte deshalb weniger mit angebotsreduzierenden Instrumenten (z. B. Vorruhestand oder zweiter Arbeitsmarkt) operieren, sondern vor allem auf Qualifizierung des Angebots setzen. Das schließt nicht aus, daß mittelfristig angebotsreduzierende Programme vor allem bei älteren Arbeitnehmern noch sinnvoll sein könnten. Letzteres trifft vor allem für den unter einem Anpassungsdruck stehenden Arbeitsmarkt in den neuen Bundesländern zu.
Auf dem Gebiet der beruflichen Qualifizierung liegt damit das gewichtige Problem der Arbeitsmarktpolitik in der Bundesrepublik heute. Wenn keine institutioneilen und organisatorischen Reformen des gegenwärtigen Systems stattfinden, wird sich dieses Problem mit großer Wahrscheinlichkeit noch verstärken. Die Situation bei der beruflichen Fort-und Weiterbildung (nicht bei der Erstausbildung) ist, so könnte man zugespitzt formulieren, gekennzeichnet durch eine Arbeitsteilung zwischen Staat und Wirtschaft in der Weise, daß die Unternehmen ihre Kernbelegschaften, die dem primären Arbeitsmarkt zuzurechnen sind, in vielen Fällen im betrieblichen Interesse laufend weiter-qualifizieren. Dies geschieht häufig schon allein durch die Anpassung der Arbeitsplätze an den technischen Fortschritt. Es ist allerdings auch unbestritten, daß Unternehmen ihre Arbeitsorganisation eher so auslegen können, daß sie mit einem möglichst geringen Qualifikationsniveau ihrer Mitarbeiter auskommen. Dahinter können reine Kostengründe, aber auch die Befürchtung stehen, am Arbeitsmarkt nicht die Mitarbeiter mit dem für eine anspruchsvollere Arbeitsorganisation und Technik notwendigen Qualifikationsniveau zu bekommen. Dennoch vollzieht sich Fort-und Weiterbildung der Kernbelegschaften, vor allem in Großbetrieben mit großen internen Arbeitsmärkten, meist ohne größere Probleme. Der Spruch von der „olympiareifen Kernmannschaft“, die zu wahren Spitzenleistungen fähig ist, charakterisiert die Lage ganz gut. Auf der anderen Seite bemüht sich in erster Linie die Bundesanstalt für Arbeit mit ihren Maßnahmen zur aktiven Arbeitsmarktpolitik um Beschäftigte und Arbeitslose, die den sekundären Arbeitsmärkten zuzurechnen sind. Allerdings werden nach einer Erhebung des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft nur ca. zehn Prozent aller Aktivitäten zur beruflichen Weiterbildung durch das Arbeitsförderungsgesetz abgedeckt. Zu dieser Kategorie gehört auch ein bei weitem größerer Personenkreis als die vorhin genannten ausgesprochenen Problemgruppen der Langzeitarbeitslosen und Älteren. Aber einige Problemgruppen sind in den Maßnahmen zur beruflichen Fort-und Weiterbildung der Bundesanstalt für Arbeit überrepräsentiert. Abbildung 3 zeigt, daß im Schnitt der letzten Jahre über 60 Prozent der Teilnehmer vorher arbeitslos waren
Mit anderen Worten, präventive Maßnahmen finden weniger häufig statt, und der Weg zur Qualifizierung durch die Bundesanstalt geht über die Arbeitslosigkeit. Interessanterweise sind aber unter den Teilnehmern dieser Maßnahmen im Schnitt weniger als 30 Prozent ohne Berufsausbildung, obwohl ihr Anteil an den Arbeitslosen ziemlich konstant über 50 Prozent beträgt. Daraus folgt zusätzlich, daß diese Gruppe unterproportional in solche Maßnahmen einbezogen wird.
III. Arbeitsmarktpolitik in der Bundesrepublik
Abbildung 4
Abbildung 3: Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung nach Merkmalen der Teilnehmer
Quelle: ANBA Jahreszahlen 1989, S. 187. E ohne Berufsausb.
Abbildung 3: Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung nach Merkmalen der Teilnehmer
Quelle: ANBA Jahreszahlen 1989, S. 187. E ohne Berufsausb.
1. Zur Wirksamkeit der Maßnahmen aktiver Arbeitsmarktpolitik Seit der bekannten Analyse von Hofbauer und Dadzio die eine Wirkungsanalyse von Bildungsmaßnahmen der Bundesanstalt auf der Basis von Teilnehmern des Jahres 1982 darstellt, findet sich immer wieder die magische Zahl von 56 Prozent in der einschlägigen Literatur. Dies ist der Anteil der Personen, die eine Bildungsmaßnahme der Bundesanstalt abgeschlossen und zwei Jahre nach Beendigung der Maßnahme sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren Die in dieser Zahl zum Ausdruck kommende Erfolgsbilanz verblaßt etwas, wenn man sich den Problemgruppen zuwendet. Bei den Teilnehmern ohne Berufsabschluß, mit einem Alter von über 45 Jahren und einer Arbeitslosigkeitsdauer von einem Jahr und mehr unmittelbar vor Beginn der Weiterbildung -also dem sog. harten Kern -, sind es nur noch 25
Prozent der Teilnehmer, die nach zwei Jahren in Lohn und Brot waren. Auch dies könnte man noch als Erfolg werten. Bedenklicher ist der Umstand, daß nach erfolgreichem Abschluß solcher Maßnahmen einerseits 9 Prozent der Angestellten und 22 Prozent der Facharbeiter beruflichen Abstieg auf Hilfsarbeitertätigkeiten hinnehmen mußten und andererseits die Hälfte der Hilfsarbeiter durch diese Maßnahmen keinerlei beruflichen Aufstieg verzeichnen konnte. Außerdem ist das gewählte Kriterium problematisch. Wie Panelstudien belegen sind die Personen mit einer unvollständigen Erwerbskarriere eine weitere Problemgruppe des Arbeitsmarktes. Sie werden durch eine zeitliche Punktaufnahme (nämlich: nach zwei Jahren beschäftigt) nur unzureichend in dieser Wirkungsanalyse berücksichtigt.
Differenziert man nach der Art der beruflichen Weiterbildung (ohne Programme für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen/ABM und Lohnsubventionen in Form von Eingliederungsbeihilfen), so zeigt sich ferner deutlich, daß betriebsnahe Maßnahmen (z. B. betriebliche Einarbeitungen, die vor allem von Unqualifizierten wahrgenommen werden) weit höhere Erfolgsquoten aufweisen als betriebsfeme Weiterbildung, z. B. in Übungswerkstätten -im Jargon „Trockenschwimmkurse“ genannt. Während in der ersten Kategorie 78 Prozent aller Teilnehmer, die vorher arbeitslos waren, nachzwei Jahren sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren, gelang dies in der zweiten Gruppe nur 29 Prozent. Hier wird ziemlich deutlich, welch fatale Konsequenzen die Durchführung von Bildungsaktivitäten in einer betriebsfernen Art im Vergleich zu betriebsnahen Maßnahmen zeitigt.
Das Ergebnis von Hofbauer und Dadzio wird durch die Stichprobenuntersuchung von Brinkmann (1985) unterstrichen, der in 24 Arbeitsamtsbezirken im Jahre 1983 die Wirksamkeit von sog. Eingliederungsbeihilfen untersucht hat. Dabei übernimmt die Bundesanstalt 50 bis 70 Prozent des Lohns für ein Jahr. Da es sich bei den Teilnehmern eher um Schwervermittelbare handelte, ist die Erfolgsquote von 69 Prozent Beschäftigungsanteil sechs Monate nach Beendigung der Maßnahme (57 Prozent beim gleichen Arbeitgeber) und nur 22 Prozent erneut arbeitslos Gemeldeten überraschend hoch.
Erfahrungen mit Sonderprogrammen der Bundesregierung bei denen eine direkte Förderung innerbetrieblicher Qualifizierung für von Arbeitslosigkeit Bedrohte betrieben wurde -eine Förderung, die das Arbeitsförderungsgesetz nicht vorsieht zeigen, daß die Erfolgsquoten durch größere Betriebsnähe gesteigert werden können. Es soll aber auch nicht verschwiegen werden, daß es dabei Mitnahme-und Verdrängungseffekte gibt und daß sich mit dem Instrument der Lohnsubventionierung allein und ohne parallele Qualifizierung keine dauerhaften Veränderungen -weder im Niveau noch in der Struktur der Arbeitslosigkeit -erzielen lassen, weil die öffentliche Finanzierung für solche Arbeitsplätze irgendwann endet. Es wird auch der Einwand vorgebracht, daß die wiederholte Neuauflage solcher Lohnsubventionierungsprogramme die Schaffung „regulärer“ Arbeitsplätze verhindern könnte.
Ferner dürfte fraglich sein, ob Lohnsubventionen der richtige Anreiz sind. Lohn ist nicht notwendigerweise in Geld ausgedrückte Produktivität eines einzelnen Arbeitnehmers. Vielmehr sind Lohn-kosten eher auf die Leistung einer Abteilung oder Arbeitsgruppe bezogen. Ein Arbeitnehmer, dem wichtige fachliche, aber auch zentrale extrafunktionale Qualifikationen (Verläßlichkeit, Verantwortung etc.) fehlen, kann erheblich stärker die Produktivität beeinträchtigen, als dies durch Lohn-subvention kompensiert werden kann. Dennoch bleibt festzuhalten, daß Betriebsnähe, und sei es bei den Schwervermittelbaren über sog. Förderungsketten, die Beschäftigungschance der unteren Arbeitsmarktsegmente erhöht. Dies gilt im Prinzip sowohl für Programme zur Verringerung eines hohen Zugangs in Arbeitslosigkeit als auch für Maßnahmen zur Reduzierung des hohen Verbleibrisikos. Warum solche Strategien der Arbeitsmarktpolitik angesichts dieser Zahlen bisher nicht stärker verfolgt wurden, soll in den folgenden Überlegungen beantwortet werden. Der Schlüssel zum Verständnis dieses Problems liegt in der spezifischen Institutionalisierung der Arbeitsmarktpolitik und ihrer verantwortungsorganistorischen Umsetzung in der Bundesrepublik. 2. Institutionelle und strukturelle Probleme Die Bundesanstalt für Arbeit ist eine im wesentlichen durch Zwangsbeiträge finanzierte staatliche Einrichtung zur sozialen Absicherung der Arbeitnehmer gegen die Folgen der Arbeitslosigkeit. Sie ist Trägerin der passiven Arbeitsmarktpolitik (Auszahlung des Arbeitslosengeldes und der Arbeitslosenhilfe; letztere direkt aus Bundesmitteln, seit 1981 die sog. Anschlußfinanzierung wieder vom Bund übernommen wurde), und sie führt im wesentlichen auf der gesetzlichen Grundlage des Arbeitsförderungsgesetzes die öffentlichen Maßnahmen zur aktiven Arbeitsmarktpolitik durch. Darunter sind saisonale und konjunkturelle Maßnahmen (Schlechtwettergeld und Kurzarbeitergeld) zu verstehen, aber auch die Aktivitäten zur beruflichen Weiterbildung und Eingliederung. Hinzu kommen die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Ihre Einnahmen erhält sie aus Zwangsbeiträgen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zur Arbeitslosenversicherung. Das Prinzip einer Versicherung kann zunächst durch das Argument in Frage gestellt werden, daß die kollektiven Akteure -Tarifparteien und Staat -durch ihr Verhalten systematisch Risiko erzeugen (z. B. durch zu hohe Lohnabschlüsse oder durch Abbau von Lohndifferenzialen oder durch „falsche“ Wirtschaftspolitik), ohne einen Beitrag zu leisten. Deshalb könnte man es als folgerichtig ansehen, daß der Staat als Rückversicherer für die Finanzierung der Arbeitsmarktpolitik zur Verfügung steht. Dadurch werden zumindest Defizite im Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit ausgeglichen. Dies entspricht in einem gewissen Sinn dem Verursacherprinzip, das allerdings für die Tarifparteien, die auch zu den Verursachern von Risiko gehören, nicht gilt Aufgrund der systematischen Risiken, die von Tarifparteien und staatlicher Politik ausgehen, ergeben sich also ernsthafte Einwände gegen die Versicherbarkeit von Arbeitslosigkeit. Die Ausgestaltung als Versicherungsprinzip erfordert darüber hinaus eine Solidargemeinschaft innerhalb derer die Risiken, daß bestimmte Ereignisse eintreten und die Betroffenen dadurch zu Leistungsempfängern werden, nicht auf Dauer und systematisch ungleich verteilt sein dürfen. Nur so sind individuelle Risiken (Beschäftigte helfen Nichtbeschäftigten) und konjunkturelle Risiken (in Zeiten der Vollbeschäftigung soll ein Polster für die Arbeitslosigkeit der Depression geschaffen werden) versicherbar.
Die Institutionalisierung auf der Basis eines Versicherungsprinzips geht damit von einer Relation zwischen Beitragsleistung und Gegenleistung im Schadensfälle aus, die bei segmentären Arbeitsmarktstrukturen, die sich als Folge anhaltend hoher Arbeitslosigkeit geradezu unvermeidlich entwickeln, in Frage gestellt wird. Ein Personenkreis „profitiert“ dauerhaft überdurchschnittlich von den Beiträgen der anderen, die je zur Hälfte vom Arbeitgeber und vom Arbeitnehmer aufgebracht werden. Hier entsteht möglicherweise eine Problemlage, die mit dem Fluchtverhalten der „gesunden“ Versicherten aus den Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) verglichen werden kann, die nicht länger für Gruppen mit hohem Krankheitsrisiko hohe Beiträge entrichten wollen (Beispiele: Austritt der freiwillig Versicherten, Gründung von Betriebskrankenkassen). Bei der Arbeitslosenversicherung ist dieser Schritt aufgrund ihres Zwangs-charakters allerdings nicht möglich.
Es ist zu vermuten, daß dieser Umstand ganz wesentlich zur „statistischen Diskriminierung“ -so der Begriff von Piore -der Arbeitslosen beiträgt und damit auch den Marktwert ihrer durch Maßnahmen der Bundesanstalt erworbenen Qualifikationen mindert. Verstärker von solchen Einschätzungen sind die problematischen Sozialeigenschaften eines kleinen Teils der Arbeitslosen, die mit den Ausdrücken Fixer, Alkis und Arbeitsscheue in der Gesellschaft charakterisiert werden. Bei vielen Arbeitgebern -und Arbeitnehmern -findet dann eine Pauschalierung der viel größeren Gruppe von Arbeitslosen statt, die sich auf die Einschätzung des Werts der von der Bundesanstalt (meist durch privatwirtschaftlich organisierte Bildungsträger) durchgeführten Maßnahmen insgesamt negativ auswirkt Sie gelten als Beschäftigungstherapie für Arbeitsunwillige und Arbeitsscheue. Insofern kann eine Bescheinigung über die Teilnahme vor allem an betriebsfernen Weiterbildungen (z. B. Maßnahmen nach Paragraph 41 a AFG) Beschäftigungschancen auf dem Arbeitsmarkt mindern, statt sie zu erhöhen.
Die Ausgestaltung nach dem Versicherungsprinzip hat in der gegenwärtigen Situation ferner zur Folge, daß Leistungen mißbraucht werden. Mit anderen Worten, man läßt sich zum Beispiel freiwillige Arbeitslosigkeit von der Bundesanstalt bezahlen. Derartiges Verhalten wird in der Literatur unter dem Stichwort „moral hazard“ -systembedingte individuelle Anreize zur Herbeiführung des Versicherungsfalles -analysiert
Die spezifische Institutionalisierung der Arbeitsmarktpolitik in der Bundesrepublik führt zu einem weiteren Problem. Es ergibt sich aus dem Umstand, daß passive und aktive Arbeitsmarktpolitik aus demselben Etat finanziert werden müssen. Dies führt in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit zu budgetären Verdrängungsprozessen. Abbildung 4 zeigt deutlich, daß bei steigender und andauernder Arbeitslosigkeit die passiven Ausgaben überproportional ansteigen und der Anteil aktiver Maßnahmen relativ sinkt.
Mit anderen Worten, durch den Finanzierungsmechanismus der Bundesanstalt führen die durch hohe Arbeitslosigkeit bedingten Beitragsausfälle und erhöhten Leistungsverpflichtungen zu einer relativen Minderung der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Dies gilt vor allem dann, wenn solche Maßnahmen zur Verringerung des Risikos langfristiger Arbeitslosigkeit verstärkt eingesetzt werden müßten. Es ist unstrittig, daß der Leistungsumfang der Bundesanstalt in absoluten Zahlen in allen drei Kategorien zugenommen hat. Entscheidend ist aber, daß die durchschnittlichen Mittel pro Teilnehmer an den Maßnahmen inflationsbereinigt von 1981 bis 1986 um ein Drittel, von ca. 3100 DM auf ca. 2000 DM pro Jahr, gesunken sind.
Daß bei langfristiger Arbeitslosigkeit das Arbeitslosengeld durch die Arbeitslosenhilfe ersetzt wird, führt zu einem weiteren Problem. Eine Personengruppe, die das Budget nicht mehr belastet -die Arbeitslosenhilfe wird über den Bundeszuschuß direkt aus dem Bundeshaushalt bezahlt -dürfte auch eine deutlich geringere Aufmerksamkeit in bezug auf Qualifizierungsmaßnahmen erfahren. Diese Vermutung läßt sich durch bürokratietheo-retische Hypothesen untermauern Hier deutet sich ein Teufelskreis an: Die in anhaltend hoher Arbeitslosigkeit immanente Tendenz zur Strukturierung der Arbeitslosen in verschiedene Segmente wird aufgrund fehlender Mittel zur aktiven Arbeitsmarktpolitik wenn nicht verstärkt, so doch nicht verhindert. Die ansteigende Zahl von schwervermittelbaren Arbeitslosen mit erheblichen Defiziten nicht nur im fachlichen Bereich führt zu einer zunehmenden Diskriminierung der Arbeitslosen insgesamt und wertet zusätzlich die Instrumente der aktiven Arbeitsmarktpolitik, wie sie der Bundesanstalt durch das AFG zur Verfügung stehen, ab. , Wie Kühl bemerkt gelang es der aktiven Arbeitsmarktpolitik in der Bundesrepublik trotz unbestrittener Erfolge nicht, unerwünschte Selektivität abzubauen, d. h. zu verhindern, daß die „besseren“ und wirksameren Maßnahmen zugunsten weniger wirksamer Angebote verdrängt wurden. Seit Beginn der achtziger Jahre sind zum Beispiel die Maßnahmen nach Paragraph 41a AFG (Erhaltung der beruflichen Qualifikation) deutlich gestiegen, während im gleichen Zeitraum Umschulungsmaßnahmen und die Förderungen betrieblicher Einarbeitung zusammen um fast zehn Prozent zurückgingen. Es handelt sich dabei teilweise um die Folge der Finanzierung der Bundesanstalt, die zu einer „Kürzungslogik“ zwingt bei der zunächst die „Kann“ -Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik eingeschränkt werden. Je länger man aber mit dem Einsatz effizienter Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit wartet, desto teurer muß am Ende Effizienz erkauft werden -wenn davon dann überhaupt noch die Rede sein kann. Dieses Fazit kann man nach fast zehn Jahren der „Verwaltung“ von Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik ohne Übertreibung ziehen Das Arbeitsförderungsgesetz wurde zwar 1969 nach der Erfahrung einer für heutige Zeiten sehr geringen Arbeitslosenquote von knapp über zwei Prozent verabschiedet, ist aber ein Gesetz, das implizit Vollbeschäftigung unterstellt. Folglich sind die Instrumente, die direkt Arbeitsplätze und Beschäftigung schaffen könnten, darin unterentwickelt oder sogar nicht vorhanden. Ferner sind -nicht zuletzt wegen der Logik des Versicherungsprinzips -direkte Subventionen bzw. Finanzierungen innerbetrieblicher Maßnahmen ausgeschlossen. Nur personengebundene Lohnsubventionen sind möglich. Dies trägt zu dem schon oben beklagten Mangel an Betriebsnähe in der beruflichen Fort-und Weiterbildung von Arbeitslosen bei. 3. Die Arbeitsmarktentwicklung in den neuen Bundesländern Während sich die Arbeitsmarktlage im alten Bundesgebiet mit sektoralen und regionalen Unterschieden in den letzten Jahren eher entspannt hat, sind derzeit in der ehemaligen DDR aufgrund des wirtschaftlichen Anpassungs-und Umstellungsschocks stark ansteigende Arbeitslosenzahlen zu beobachten. Allerdings ist die Entwicklung für das hier in erster Linie zur Debatte stehende Arbeitsmarktsegment auch in den alten Bundesländern nicht besonders günstig verlaufen Der erzielte Beschäftigungszuwachs wurde in erster Linie aus dem Reservoir der neu auf den Arbeitsmarkt drängenden Arbeitskräfte bestritten, während die Gruppe der Langzeitarbeitslosen an dieser Entwicklung eher unterproportional beteiligt war. Aufgrund der Altersstruktur dieses Arbeitsmarkt-segments sind in diesem Bereich Abgänge vor allem in den Vorruhe-und Ruhestand zu vermuten. Die derzeitige Entwicklung in der ehemaligen DDR kann aber durchaus den Startschuß für einen Strukturierungsprozeß des Arbeitsmarktes abgeben, wie er seit 1981 im Westen der Bundesrepublik stattgefunden hat. Daß der wirtschaftliche Anpassungs-und Umstrukturierungsprozeß offensichtlich nicht ohne massive Arbeitsplatzverluste und dadurch steigende Arbeitslosigkeit zu bewältigen ist, impliziert die Gefahr, daß Qualifizierungsmaßnahmen auch dort vorwiegend in einer betriebsfemen Weise durchgeführt werden. Inwieweit Beschäftigungs-und Qualifizierungsgesellschaften dieses Problem vermeiden können, ist eine ebenso spannende wie offene Frage. Der entscheidende Faktor dürfte sein, ob diese Gesellschaften auf der Basis eines Produktionsprozesses unter Marktbedingungen operieren. Je stärker durch die Einrichtung solcher Gesellschaften Nischen geschaffen werden, desto stärker dürfte der Segmentierungs-und Diskriminierungseffekt sein. Darüber hinaus ist mit großer Sicherheit zu erwarten, daß die Qualität und Anzahl der Maßnahmen aus finanziellen Gründen im Laufe der Zeit zurückgenommen werden müssen.
Wie neuere Daten der Bundesanstalt zeigen stagniert die Zahl der Arbeitsvermittlungen in den neuen Bundesländern trotz drastisch steigender Arbeitslosigkeit, während sich gleichzeitig die Zahl der in berufliche Weiterbildung Eintretenden verdreifacht hat. Hierbei muß einschränkend angemerkt werden, daß die Statistiken bislang kaum die Möglichkeit bieten, nach Qualität der Maßnahmen zu differenzieren. Dennoch hat im Osten der Bundesrepublik mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Entwicklung begonnen, die zu einem hohen Niveau von Dauerarbeitslosigkeit für bestimmte Arbeitsmarktsegmente führen wird. Dies läßt sich ohne -vermutlich falsche -Prognose über den Zeitpunkt des Beginns eines substantiellen wirtschaftlichen Aufschwungs in diesem Teil Deutschlands schon heute feststellen. Eine erhebliche Verzögerung des Aufschwungs würde die quantitative Dimension des Problems steigern. Das bedeutet auch, daß der trotz konjunkturell günstiger Entwicklung in der alten Bundesrepublik verbliebene Sockel von Problemarbeitslosigkeit im Westen in Kürze durch die Entwicklung im Osten signifikanten Zuwachs erleben wird.
IV. Neuorientierungen der Arbeitsmarktpolitik
Abbildung 5
Abbildung 4: Struktur der Ausgaben der Bundesanstalt für Arbeit 1973-1989
Quelle: ANBA, mehrere Jahrgänge; Statistisches Bundesamt: Statistisches Jahrbuch 1990 für die Bundesrepublik Deutschland, Wiesbaden 1990, S. 425.
Abbildung 4: Struktur der Ausgaben der Bundesanstalt für Arbeit 1973-1989
Quelle: ANBA, mehrere Jahrgänge; Statistisches Bundesamt: Statistisches Jahrbuch 1990 für die Bundesrepublik Deutschland, Wiesbaden 1990, S. 425.
Obwohl die Wahrscheinlichkeit für Reformen aufgrund des aktuellen Problemdrucks durch die Situation in den neuen Bundesländern gesunken ist, sind Reformen des gegenwärtigen Systems um so dringlicher Drei Ziele sollten dabei anvisiert werden: -erstens, die sozialpolitisch und humanitär gebotene Verringerung der sozialen und psychischen Kosten, die durch die Dauerarbeitslosigkeit verursacht werden, -zweitens, die Beendigung einer Vergeudung von Finanzmitteln (Versicherungsbeiträgen), die die Verwaltung statt Beschäftigung der Problemgruppen des Arbeitsmarktes bedeutet, -und nicht zuletzt drittens, die Notwendigkeit, den Bedarf an qualifizierten Fachkräften in Zukunft decken zu können.
Vorschläge für mögliche Reformen müssen bei dem Mangel an Betriebsnähe von Qualifizierungsmaßnahmen ansetzen. Da vor allem bei kleinen und mittleren Betrieben, die überproportional für den Beschäftigungszuwachs der letzten Jahre verantwortlich sind, Probleme bei den Weiterbildungskapazitäten auftreten dürften, müßten über-und zwischenbetriebliche Verbundeinrichtungen geschaffen werden
Institutionen mit einer Trägerschaft, die die Verzahnung von Staat (Bundesanstalt) und Wirtschaft auf der Basis überbetrieblicher Organisationsformen garantieren, könnten dazu der sinnvollste Weg sein. Paritätisch besetzte Gremien müßten dabei für die Sicherung der Qualität und Wirksamkeit der Maßnahmen zuständig sein.
Zunächst ist allerdings nicht anzunehmen, daß bei dem Versuch der Etablierung solcher überbetrieblicher, aber betriebsnaher Einrichtungen sich die unternehmerischen Vorstellungen über Qualifizierung von Arbeitskräften ohne weiteres mit den arbeitsmarktpolitischen Strategien der jeweiligen Bundes-bzw. Länderregierung und der Bundesanstalt für Arbeit bzw.der Landesarbeitsämter dekken werden. Deswegen ist die Anreizstruktur für alle Beteiligten von zentraler Bedeutung. Firmen sind an einer möglichst reibungslosen Funktionsweise ihrer Arbeitsorganisationen zur Erzielung hoher Produktivität interessiert. Die staatliche Arbeitsverwaltung orientiert sich an der Vermittlung von Personen in Beschäftigungsverhältnisse. Dabei versucht sie, durch ihre Fortbildungsaktivitäten die Qualität des Angebots zu verbessern. Sie ist aber selbst nicht an der Entwicklung der Nachfrage beteiligt. Dies wird nicht zuletzt durch die Art der Institutionalisierung der Arbeitsmarktpolitik in der Bundesrepublik verhindert. Staatliche Maßnahmen der Nachfrageförderung müßten mit öffentlichen Mitteln zur Qualifizierung von Arbeitskräften kombiniert werden. Dazu muß eine integrierte Kostenrechnung unter Einbezug der Be-und Entlastungswirkungen unterschiedlicher Akteure (z. B. von Gebietskörperschaften wie Gemeinden, die Sozialhilfe bezahlen, oder von Sozialversicherungsträgem) auf dem Gebiet der Arbeitsmarktpolitik zur Steigerung der Effizienz und der Möglichkeit der Leistungskontrolle erarbeitet werden.
Ein existierendes Modell der Arbeitsteilung zwisehen Staat und Privatwirtschaft stellt das duale System der Ausbildung von Lehrlingen in anerkannten Lehrberufen dar, das doch weitgehend als funktionierende Aufgabenteilung anerkannt wird. Es führt in der Regel zu einer auf dem Arbeitsmarkt verwertbaren Qualifikation und eröffnet die Chance, über die „Entry Jobs“ in interne Arbeitsmärkte eindringen zu können. Um so erstaunlicher ist, daß dieses erfolgreiche Institutionalisierungsmodell zum Erwerb beruflicher Qualifikation weitgehend auf den Bereich der Erstausbildung beschränkt geblieben ist. Die Arbeitsteilung zwischen Staat und Privatwirtschaft im Bereich der Fort-und Weiterbildung orientiert sich leider nicht an den unterschiedlichen Bildungsinhalten und Ausbildungszielen wie im dualen System der Lehrlingsausbildung, sondern reproduziert die segmentären Arbeitsmarktstrukturen, indem Staat und Wirtschaft die Angehörigen „ihres“ Segmentes betreuen: in dem einen Fall die relativ gut qualifizierten Kernbelegschaften, im anderen Fall die „Stammkunden“ der Langzeitarbeitslosen und Angehörigen der Randbelegschaften sowie die marginal Beschäftigten. Ausnahmeerscheinungen von dieser Regel sind in der Zwischenzeit aufgrund der zunehmenden Verknappung des Angebots an qualifizierten Fachkräften zu beobachten.
Neben den überbetrieblichen Modellen der Trägerschaft von beruflicher Weiterbildung durch Wirtschaft und Staat bieten sich auch sozialpartnerschaftliche Lösungen an. So wurden z. B. in der chemischen Industrie eine Reihe von Betriebsvereinbarungen abgeschlossen DerRahmentarifvertrag der Metallindustrie in Baden-Württemberg versucht, diesen Bereich sogar auf der tarifvertraglichen Ebene zu regeln. Überlegungen in dieser Richtung gibt es auch in anderen Branchen. Solche Modelle sind vor allem geeignet, bei der Verhinderung von drohender Arbeitslosigkeit aufgrund mangelnder Qualifikation einen Beitrag zu leisten.
Bei der Schaffung von Anreizen muß sowohl auf die Bereitstellung öffentlicher Mittel -die im übrigen aus systematischen Gründen (Versicherungsprinzip) nicht beitragsfinanziert über die Arbeitslosenversicherung, sondern direkt aus staatlichen Haushalten zur Verfügung gestellt werden sollten -als auch auf die zunehmende Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften gesetzt werden. Wirtschaftswachstum und ein Rückgang im Arbeitsangebot bei den Jugendlichen versprechen dabei Be-wegung. Es ist aber zu vermuten, daß auch das differenzierteste und abgestufteste System einer integrierten beruflichen Fort-und Weiterbildung angesichts der Ausgangslage nicht zu Vollbeschäftigung führen wird. Ein harter Kem wird auf jeden Fall übrigbleiben. Er dürfte auch mit den besten Instrumenten einer aktiven Arbeitsmarktpolitik nicht in die Arbeitswelt zu integrieren sein.
Ein mögliches Mißverständnis soll jedoch ausdrücklich vermieden werden: Dies ist kein Plädoyer für die Einschränkung der Kompetenz der Bundesanstalt und der gegliederten Arbeitsverwaltung. Im Gegenteil, es geht um die Stärkung ihrer Handlungsmöglichkeiten. Eine bessere Strategie wäre es deshalb, die beitragsfinanzierten Mittel nur bei saisonalen, konjunkturellen bzw.friktionellen Fällen von Arbeitslosigkeit einzusetzen. Hingegen sollte durch öffentliche Mittel und durch Änderung der gesetzlichen Grundlagen mehr Spielraum für eine moderne und flexible Arbeitsmarktpolitik vor allem auf dem Gebiet der beruflichen Qualifizierung und der Integration der Problemgruppen geschaffen werden. Es sind unter anderem Engpässe in der Personalausstattung (z. B. 500 Arbeitslose pro Vermittler) und die erwähnten institutioneilen Beschränkungen, die die Bundesanstalt an der Umsetzung innovativer Modelle im Bereich der beruflichen Qualifizierung hindern. Ansätze erfolgreicher Arbeitsmarktpolitik zeigen sich z. B. im lokalen Bereich
Ein verstärkter Wandel der Arbeitsverwaltung in Richtung modernes staatliches Dienstleistungsun-temehmen zur Lösung der Probleme wäre allerdings allein nicht ausreichend. Politischer Wille zur Schaffung der Rahmenbedingungen, innerhalb derer öffentliche und private Aktivitäten zusammenfließen und verzahnt werden könnten, müßte vorhanden sein. Modellversuche gibt es schon eine ganze Reihe. Ein Beispiel ist das hessische Bildungswerk der Wirtschaft. Ihre Erfolgsbilanzen müßten studiert und umgesetzt werden.
Eine Qualifizierungsstrategie zur Lösung der Arbeitsmarktprobleme der Zukunft ist politisch vernünftiger als weitgehende Lohn-und Beschäftigungsflexibilisierungen, die häufig mit einem beträchtlichen Wohlfahrtsverlust für die unteren Arbeitsmarktsegmente einhergehen. Das Argument, daß sich dabei nur alle auf Zehenspitzen stellen und deshalb keiner eine bessere Sicht erhält, ist falsch. In diesem Segment herrscht eine Diskrepanz zwischen vorhandener und nachgefragter Qualifikation. In der Vergangenheit sind Arbeitsplätze weggefallen, weil die Beschäftigung von wenig qualifizierten, aber relativ teuren Arbeitskräften nicht mehr rentabel war. Sie würden aber nur dann wieder geschaffen werden, wenn die Lohn-differentiale in Zukunft dramatisch vergrößert würden -eine Strategie, die erheblichen sozialen Zündstoff birgt.
Die derzeit zu beobachtende steigende Nachfrage nach Fachkräften läßt eher den Schluß zu, daß viel mehr Menschen -auch zu den geltenden Lohnsätzen -beschäftigt werden könnten, wenn sie eine entsprechende Qualifikation aufweisen würden. Wenn das Resultat einer solchen Strategie die Anhebung des Qualifikationsniveaus und die daraus resultierende Beschäftigungsmöglichkeit eines signifikanten Teils der heute Arbeitslosen wäre, dann hätte dies auch positive Auswirkungen für die langfristige internationale Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik -trotz des häufig beklagten hohen Lohnniveaus.
Ulrich Widmaier, Dr. phil., geb. 1944; Priv. -Doz. an der Universität Mannheim; seit 1989 langfristige Vertretung des Lehrstuhls Politische Wissenschaft II an der Ruhr-Universität Bochum. Veröffentlichungen u. a.: Endogene Grenzen des Wachstums, Baden-Baden 1989; (Hrsg. zus. mit Francis G. Castles) The Political Economy of the People’s Welfare, Special Issue of the European Journal of Political Research, 17 (1989) 4; (Hrsg. zus. mit Thomas König) Technische Perspektiven und gesellschaftliche Entwicklungen. Trends und Schwerpunkte der Forschung in der Bundesrepublik Deutschland, Baden-Baden 1990.
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